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Erstes bis Fünftes Bändchen
III
Die Neuigkeitsliebhaber

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Métra, den Rivarol genannt hatte, und der, wie gesagt, mit Champcenetz plauderte, hatte sich zu einem der wichtigsten Menschen dieser Zeit gemacht.

Geschah dies durch seinen Geist? Nein; sein Geist war mittelmäßig. Durch seine Geburt? Nein; er gehörte dem Bürgerthum an. Durch die übermäßige Länge seiner Nase? Nein, auch nicht.

Es geschah durch seine Neuigkeiten.

Métra war der vorzugsweise Mann der Neuigkeiten: unter dem Titel Corresponcdance secréte ließ er – errathen Sie, wo? . . . in Neustadt am Ufer des Rheins, – ein Journal alle Pariser Neuigkeiten enthaltend erscheinen.

Wer wußte das wahre Geschlecht des Chevalier oder der Chevaliére d'Eon, dieses Menschen, dem die Regierung den Befehl gegeben, sich an Weiberkleider zu halten, und der das Kreuz des St. Ludwigs-Ordens an seinem Halstuche trug?

Métra.

Wer erzählte in ihren kleinsten Einzelheiten, und als ob er denselben beigewohnt hätte, die fantastischen Soupers des berühmten Grimod de la Reyniére, welcher einen Augenblick die Casserole mit der Feder vertauschend so eben die Parodie des Songe d'Athalie geschrieben hatte?

Métra.

Wer durchschaute das Räthsel der Excentricitäten des Marquis von Brunoy, des excentrischsten Menschen jener Zeit?

Métra.

Die Römer, wenn sie sich auf dem Forum begegneten, fragten einander drei Jahrhunderte hindurch: Quid novi fert Africa? (Was bringt Africa Neues?) Die Franzosen fragten sich drei Jahre lang: »Was sagt Métra?«

Es gibt gewisse Perioden im Leben der Nationen, während welcher eine seltsame Unruhe sich eines ganzen Volkes bemächtigt: das ist so, wenn dieses Volk allmälig unter seinen Füßen den Boden weichen fühlt, auf dem in den abgelaufenen Jahrhunderten ruhig seine Voreltern gegangen sind; es glaubt an eine Zukunft, denn wer lebt, hofft; doch außer dem, daß es nichts in dieser Zukunft unterscheidet, so düster ist sie, fühlt es noch, daß ein dunkler, tiefer, unbekannter Abgrund zwischen der Zukunft und ihm ist.

Dann wirft es sich in die unmöglichen Theorien; dann liegt es der Aufsuchung unfindbarer Dinge ob; dann sucht es, wie jene Kranken, die sich so verzweifelt fühlen, daß sie die Aerzte fortjagen und die Quacksalber rufen, die Heilung nicht in der Wissenschaft, sondern im Empirismus, nicht in der Wirklichkeit, sondern im Traume. Denn um dieses ungeheure Chaos zu bevölkern, wo der Schwindel herrscht, wo das Licht fehlt, – nicht, weil es nicht geboren worden, sondern weil es stirbt, – erscheinen die Männer der Mysterien, wie Swedenborg, der Graf von Saint-Germain, Cagliostro; Jeder bringt seine Entdeckung, eine unerhörte, unerwartete, fast übernatürliche Entdeckung: Franklin die Elektricität; Montgolfier die Luftschifffahrt; Mesmer den Magnetismus. Dann begreift die Welt, so blind und so schwankend sie ist, daß sie einen Schritt gegen die himmlischen Mysterien gemacht hat, und das hochmüthige Menschengeschlecht hofft eine Stufe der Leiter, welche zu Gott führt, erstiegen zu haben!

Wehe dem Volke, das diese Zerrungen fühlt, denn diese Zerrungen sind die ersten Schauer des Revolutionsfiebers! es naht für dasselbe die Stunde der Umgestaltung; ohne Zweifel wird es aus dem Kampfe glorreich und auferstanden hervorgehen, doch es wird während einer Todesnoth, wo es Blut geschwitzt, sein Leiden, seine Schädelstätte und sein Kreuz gehabt haben.

Dies war der Zustand der Geister in Frankreich in der Zeit, zu der wir gekommen sind.

Jenen Vögeln ähnlich, welche in großen Flügen fortbrausen, welche in den Lüften wirbeln und bis in die Wolken aufsteigen, von wo sie sich ganz schauernd niedersenken, – denn sie haben den Wetterstrahl um Kunde gefragt, und der Blitz hat ihnen geantwortet, – jenen Vögeln ähnlich, sagen wir, liefen große Volkssturmwinde verwirrt hin, ließen sich auf die Plätze nieder; dann, nachdem sie gefragt: »Was gibt es?« nahmen sie wieder ihren wahnsinnigen Flug durch die Straßen und über die Kreuzwege.

Man begreift also, welchen Einfluß auf die Menge die Leute gewannen, die auf ihre ungeheure Frage dadurch antworteten, daß sie ihr Neuigkeiten gaben.

Darum war Métra der Mann der Neuigkeiten am 24. August 1788 noch mehr umgeben, als an den andern Tagen.

Man fühlte in der That seit einiger Zeit, wie die Regierungsmaschine dergestalt gespannt war, daß etwas darin brechen mußte.

Was? Das Ministerium wahrscheinlich.

Das zu dieser Stunde functionirende Ministerium war äußerst unpopulär.

Es war das von Herrn von Loménie von Brienne, welches auf das von Herrn von Calonne gefolgt war; dieses, das die Versammlung der Notabeln getödtet hatte, war selbst auf das Ministerium von Herrn Necker gefolgt.

Aber, mochte nun Métra an diesem Tage keine Neuigkeiten haben, oder mochte Métra haben und sie nicht sagen wollen, – statt daß Métra zu seiner Umgebung sprach, sprach seine Umgebung zu ihm.

»Herr Métra,« fragte eine junge Frau, die ein Kleid à 1a lévite anhatte, auf dem Kopfe einen mit vielen Blumen verzierten Hut trug, und in der Hand einen langen Stocksonnenschirm hielt, »ist es wahr, daß die Königin bei ihrer letzten Arbeit mit Leonard, ihrem Friseur, und Mademoiselle Bertin, ihrer Putzmacherin, nicht nur die Zurückberufung von Herrn Necker angekündigt, sondern es auch übernommen hat, ihm diese Zurückberufung kund zu thun.«

»Eh!« machte Métra mit einem Tone, der besagen wollte: »Das ist möglich!«

»Herr Métra,« fragte ein äußerst zierlich frisirter Elegant, der einen olivenfarbigen Rock und eine mit Kattunstreifen eingefaßte Weste trug, »glauben Sie, daß sich Monseigneur der Graf von Artois, wie man sagt, gegen Herrn von Brienne ausgesprochen und dem König gestern entschieden erklärt hat, wenn der Erzbischof nicht in drei Tagen seine Entlassung als Minister nehme, so sei er so sehr auf das Heil Seiner Herrlichkeit bedacht, daß er sie selbst von ihm verlangen werde?«

»Eh! eh!« machte Métra mit einem Tone, der besagen wollte: »Ich habe dergleichen erzählen hören!«

»Herr Métra,« fragte ein Mann aus dem Volke mit bleichem Gesichte und abgemagertem Leibe, der eine abgeschabte Hose und ein schmutziges Wamms trug, »ist es wahr, daß man Herrn Sieyés gefragt hat, was der dritte Stand sei, und daß Herr Sieyés geantwortet: »»Nichts für die Gegenwart und Alles für die Zukunft!««

»Eh! eh! eh!« machte Métra mit einem Tone, der besagen wollte: »Ich weiß nicht, ob Herr Sieyés dies gesagt hat, wenn er es aber gesagt hat, so könnte er wohl die Wahrheit gesagt haben!«

Und Alle riefen im Chore:

»Herr Métra, Neuigkeiten! Neuigkeiten, Herr Métra!«

»Neuigkeiten, Bürger,« sprach unter der Menge eine kreischende Stimme, »wollt Ihr? ich bringe Euch.«

Diese Stimme hatte einen so sonderbaren Ausdruck, einen so seltsamen Ton, daß Jeder sich umwandte und mit den Augen denjenigen, welcher gesprochen, suchte.

Es war ein Mann von sechsundvierzig bis achtundvierzig Jahren, nicht fünf Fuß hoch, mit krummen Beinen, in grauen, schräge blau gestreiften Strümpfen und klaffenden Schuhen, an denen eine zerzauste Schnur die Bänder ersetzte; auf dem Kopfe einen Hut à la Andromane, das heißt mit niedrigem Obertheile und aufgestülpter Krämpe; sein Leib war eingeschlossen in einen kastanienbraunen, überall abgeschabten, am Ellenbogen durchlöcherten Rock, der sich auf der Brust öffnete, um hinter einem schmutzigen, auseinanderstehenden Hemde ohne Cravate das hervorspringende Schlüsselbein und die Muskeln eines Halses zu zeigen, der von Gift angeschwollen zu sein schien.

Was sein Gesicht betrifft, – verweilen wir einen Augenblick bei demselben, denn es verdient eine besondere Erwähnung.

Sein mageres, knochiges, breites und ein wenig von der verticalen Linie in Beziehung auf den Mund abweichendes Gesicht war gefleckt wie das Fell des Leoparden; nur was es fleckte, war hier das Blut, dort die Galle; seine hervorstehenden Augen, voll Frechheit und Herausforderung, blinzelten wie die des Nachtvogels, der plötzlich ins Tageslicht versetzt wird; sein, wie der des Wolfes und der Schlange, breit geschlitzter Mund hatte die gewöhnliche Falte der Aufregung und der Verachtung.

Dieser ganze Kopf, bekränzt mit fetten, langen, hinter dem Genicke mit einem ledernen Riemen umbundenen Haaren, durch welche alle Augenblicke, als wollte sie das Gehirn, das sie bedeckten, zusammendrücken, eine plumpe, schmutzige Hand mit geschwärzten Nägeln strich, schien ein auf die Oeffnung eines Vulcans gesetzte Maske zu sein.

Von oben und wohlbeleuchtet gesehen, fehlte es diesem, wie der von Alexander, auf die linke Schulter geneigten Kopfe nicht an Ausdruck; dieser Ausdruck enthüllte zugleich die Halsstarrigkeit, den Zorn und die Stärke; was besonders daran in Erstaunen setzte, das war die Unordnung, die Divergenz, ich möchte fast sagen, der Umsturz seiner Züge; jeder schien nach seiner Seite durch einen besonderen Gedanken gezerrt zu werden, – durch einen fieberhaften Gedanken, der ihn schauern machte, ohne daß dieser, gleichsam individuelle, Schauer sich dem übrigen Gesichte mittheilte; das war endlich das lebendige Schild, der belebte Prospectus aller der unseligen Leidenschaften, welche, gewöhnlich von der Rechten des Herrn auf die Menge ausgestreut, die Gott blendet, damit sie zerstöre, sich diesmal außerordentlicher Weise in einem einzigen Menschen, in einem einzigen Herzen, auf einem einzigen Gesichte concentrirt hatten.

Beim Anblicke dieses seltsamen Menschen fühlte Alles, was von Männern von guten Manieren und von eleganten Frauen in der Menge war, unter seiner Haut etwas wie einen Schauer hinlaufen; das Gefühl, das Jeden ergriff, war doppelt: es bestand zugleich aus dem Widerwillen, der entfernt, und aus der Neugierde, welche anzieht.

Dieser Mensch versprach Neuigkeiten; hätte er etwas ganz Anderes angeboten, so würden drei Viertel von denjenigen, welche da waren, entflohen sein, doch die Neuigkeiten waren eine so kostbare Waare zu jener Zeit, daß Jedermann blieb.

Nur wartete man; Niemand wagte es, zu fragen.

»Ihr verlangt Neuigkeiten?« sagte der außerordentliche Mann; »Ihr sollt haben, und zwar die allerfrischesten! Herr von Loménie hat seine Entlassung verkauft.«

»Wie, verkauft?« riefen fünf bis sechs Stimmen.

»Gewiß, er hat sie verkauft, da man sie ihm bezahlt hat, und sogar sehr theuer! doch so ist es in diesem schönen Königreiche Frankreich: man bezahlt die Minister, um einzutreten, man bezahlt sie, um zu bleiben, man bezahlt sie, um zu gehen; und wer bezahlt sie? der König! wer bezahlt aber den König? Ihr! ich! wir! .. Herr von Loménie von Brienne hat also seine Rechnung gemacht und die seiner Familie: er wird Cardinal sein, das ist abgethan; er hat auf das rothe Käppchen dieselben Rechte wie sein Vorgänger Dubois. Sein Neffe hat noch nicht das Alter, um Coadjutor zu sein; gleichviel! er wird die Coadjutorie vom Bisthum Sens haben! Seine Nichte, – Ihr begreift, man muß doch etwas für die Nichte thun, da man für den Neffen etwas thut, – wird eine Stelle als Palastdame erhalten; was ihn selbst betrifft, er hat sich während eines einjährigen Ministeriums ein Vermögen von fünf- bis sechsmal hunderttausend Livres Einkünfte auf die Güter der Kirche gemacht; überdies läßt er seinen Bruder als Kriegsminister zurück, nachdem er es dahin gebracht, daß er zum Ritter der Orden des Königs und zum Gouverneur der Provence ernannt worden ist. . . Ihr seht also, daß ich Recht hatte, wenn ich sagte, er nehme nicht seine Entlassung, sondern er verkaufe sie.«

»Und von wem haben Sie diese Details?« sagte Métra, der sich so weit vergaß, daß er fragte, er, den man immer fragte.

»Von wem ich sie habe? Bei Gott! vom Hofe. . . Ich bin vom Hofe!«

Und der seltsame Mensch steckte seine beiden Hände in seine Hosentaschen, spreizte seine krummen Beine, schaukelte sich von hinten nach vorne und von vorne nach hinten und neigte zum Zeichen der Herausforderung seinen Kopf noch mehr auf die linke Schulter.

»Sie sind vom Hofe?« murmelten mehrere Stimmen.

»Das setzt Euch in Erstaunen?« sagte der Unbekannte. »Ei! muß sich nicht, im Widerspiele mit der physischen Ordnung, in unserer moralischen Ordnung die Stärke auf die Schwäche, das Wissen auf die Dummheit stützen? Waren nicht Beaumarchais bei Mesdames; Mably beim Cardinal von Tencin; Champfort beim Prinzen von Condé; Thuliers bei Monsieur; Laclos, Frau von Genlis und Brissot beim Herzog von Orleans? Was fände sich also dabei Erstaunliches, daß ich auch bei Einem von allen diesen großen Herren wäre? obschon ich ein wenig mehr, als alle diejenigen, welche ich so eben genannt habe, werth zu sein behaupte.«

»Die Entlassung des Ministers ist also nach Ihrer Meinung gewiß?«

»Officiell»sage ich Ihnen.«

»Und wer kommt an seine Stelle?« fragten mehrere Stimmen.

»Wer? Bei Gott! der Genfer, wie der König sagt; der Charlatan, wie die Königin sagt; der Banquier, wie die Prinzen sagen, und der Vater des Volks, wie dieses arme Volk sagt, das Jedermann seinen Vater nennt, gerade weil es keinen Vater hat.«

Und das Lächeln eines Verdammten verzerrte den Mund des Redners.

»Sie sind also nicht für Herrn von Necker?« fragte schüchtern eine Stimme.

»Ich? doch, im Gegentheil . . . Pest! ein Land wie Frankreich braucht Männer wie Herrn Necker! Welchen Triumph bereitet man ihm auch! welche Allegorien verspricht man ihm! Ich habe gestern eine gesehen, wo er den Ueberfluß zurückbringt, und wo die bösen Geister bei seinem Anblicke fliehen; man hat mir heute eine andere gezeigt, wo er unter der Form eines aus einer Scheune hervorkommenden Flusses dargestellt ist. Ist sein Portrait nicht überall, an den Straßenecken, auf den Tabaksdosen, auf den Rockknöpfen? spricht man nicht davon, man wolle eine Straße durchbrechen, welche an die Banque gehen und die Rue Necker heißen wird? hat man nicht schon zwölf Münzen ihm zu Ehren geschlagen, fast so viel als für den Großpensionär de Witt, der gehenkt worden ist! – Ob ich für Herrn Necker bin? ich glaube wohl! Es lebe der König! es lebe das Parlament! es lebe Herr Necker!«

»Sie behaupten also, Herr Necker sei zum Minister an der Stelle von Herrn von Brienne ernannt worden?« sagte mitten unter der Menge eine Stimme, deren Frage wie eine Drohung klang, und die Aller Augen auf denjenigen, welcher gesprochen, zog.

Bemerken wir sogleich, daß der zweite Mann, der seinen Theil an der öffentlichen Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen zu wollen schien, derselben nicht minder würdig war, als der, welchem er sich gegenüber stellte.

Ganz das Gegentheil vom Ersten, der sein Widersacher werden sollte, wenn er nicht sein Freund wurde, war der Zweite, mit einer Art von Sorgfalt gekleidet und besonders merkwürdig durch die Feinheit und die Weiße seiner Wäsche, ein fünf Fuß acht Zoll hoher Coloß, jedoch mit vollkommenem Ebenmaße in allen Theilen seiner herculischen Gestalt. Man hätte glauben können, es sei eine Statue der Stärke, welche vollkommen gelungen, mit Ausnahme der Stelle des Gesichtes, wo die Form dem Erze entgangen zu sein schien: in der That sein ganzes Gesicht, – ein ungestaltetes Gesicht, – war nicht gezeichnet, nicht ausgehöhlt, sondern durchwühlt von den Pocken. Es schien, als wäre ihm ein mit geschmolzenem Blei gefülltes Instrument vor dem Gesichte zersprungen, als hätte ihm eine Chimäre mit dem Feuerathem ins Antlitz geblasen; es war für diejenigen, welche ihn anschauten und es versuchten, das Facies eines Menschen mit seinen gleichsam angelegten Zügen wiederaufzubauen, eine peinliche Entwickelung, eine mühsame Classificirung: die Nase war eingedrückt, das Auge kaum sichtbar, der Mund groß; dieser Mund ließ lächelnd eine doppelte Reihe von elfenbeinweißen Zähnen sehen und war, wenn er sich schloß, bedeckt mit zwei Wülsten voll Dreistigkeit und Sinnlichkeit; es war eine in den Händen Gottes beim Uebergange vom Löwen zum Menschen unterbrochene Anlage; es war eine unvollkommene, aber energische, unvollständige, aber furchtbare Schöpfung.

Das Ganze bildete eine erstaunliche Concentrirung von Leben, Fleisch, Knochen, Kraft, Blindheit, Dunkelheit und Schwindel.

Sieben bis acht Personen befanden sich zwischen diesen zwei Männern; sie zogen sich sogleich zurück, als hätten sie bei ihrer Berührung zermalmt zu werden befürchtet; so daß sie einander gegenüberstanden, ohne irgend ein Hinderniß zwischen ihnen, der Riese gegen den Zwerg die Stirne faltend, und der Zwerg gegen den Riesen lachend.

In einer Secunde waren Bertin, Parny, Florian, Rivarol, Champcenetz aus den Augen der Menge verschwunden, deren Aufmerksamkeit sich bei diesen zwei Männern concentrirte, die ihr doch völlig unbekannt.

Das war die Epoche der Wetten, denn die englischen Moden waren in Frankreich im Gefolge des Herzogs von Orleans und der Elegants des Hofes eingefallen; augenscheinlich konnte der Eine von diesen zwei Männern den Andern zerbrechen, wenn er nur seine Hand auf ihn fallen ließ: nun wohl! hätte ein Kampf zwischen ihnen stattfinden sollen, so wären eben so viel Wetten für den Einen als für den Andern gemacht worden; die Einen hätten für den Löwen gewettet, die Anderen für die Schlange, die Einen für die Stärke, die Anderen für das Gift.

Der Riese wiederholte seine Frage unter dem fast feierlichen Stillschweigen, das eingetreten war.

»Sie behaupten also, Herr Necker sei zum Minister an der Stelle von Herrn von Brienne ernannt worden?« sagte er.

»Das versichere ich.«

»Und Sie freuen sich über diese Veränderung?«

»Bei Gott!«

»Nicht weil sie den Einen erhebt, sondern weil sie den Andern vernichtet, und weil in gewissen Augenblicken vernichten gründen heißt, nicht wahr?«

»Es ist erstaunlich, wie Sie mich verstehen, Bürger!«

»Sie sind also der Freund des Volkes?«

»Und Sie?«

»Ich bin der Feind der Großen!«

»Das kommt auf Eins heraus.«

»Um das Werk anzufangen, ja . . . doch nicht, um es zu beendigen.«

»Sind wir einmal hierbei, so werden wir sehen.«

»Wo speisen Sie heute zu Mittag?«

»Mit Dir, wenn Du willst.«

»Komm, Bürger.«

Nach diesen Worten näherte sich der Riese dem Zwerge und reichte ihm einen eisernen Arm, an welchen sich der Zwerg hing.

Sodann, ohne sich weiter um die Menge zu bekümmern, als ob die Menge gar nicht existirt hätte, entfernten sich Beide mit großen Schritten und liefen die Neuigkeitsliebhaber unter dem Baume von Krakau die Nachricht commentiren, die man ihren politischen Appetiten als Futter preisgegeben hatte.

Am Ende des Palais-Royal und unter den Arcaden angelangt, welche zum Schauspiel-Saale der Variétes führten, – der da lag, wo heute das Théatre-Francais ist, —begegneten die neuen Freunde, die sich ihre Namen noch nicht genannt hatten, einem ganz zerlumpten Manne, der mit Billets am Tage und mit Contremarquen am Abend handelte.

Man spielte in diesem Augenblicke im Theater der Varietes ein sehr besuchtes Stück, betitelt: Arlequin, Kaiser im Monde.

»Herr Danton,« sagte der Billethändler zu dem Größeren von den beiden Männern »Bordier spielt heute Abend; wollen Sie eine gute, wohl verborgene kleine Loge, in die man eine hübsche Frau führen, und man sehen kann, ohne gesehen zu werden?«

Danton stieß ihn aber mit der Hand zurück, ohne zu antworten.

Da machte der Billethändler die Runde um Beide, wandte sich an den Kleineren und sagte:

»Bürger Marat, wollen Sie einen Platz auf dem Parterre? Sie werden dort mitten unter trefflichen Patrioten sein! Bordier gehört zu den Guten.«

Marat stieß ihn aber, ohne zu antworten, mit dem Fuße zurück.

Der Billethändler entfernte sich brummend.

»Ah! Herr Hébert,« sagte ein Straßenjunge, der mit den Augen das Billetpäckchen, das der Händler in seiner Hand hielt, verschlang; »ah! Herr Hébert, schenken Sie mir ein Amphitheater-Billetchen.«

So wurde am 24. August 1788 der Advocat Danton dem Arzte vom Marstalle des Grafen von Artois, Marat, durch den Contremarquenhändler Hébert vorgestellt.

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