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Erstes bis Fünftes Bändchen
IV
Bei Danton

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Während Rivarol Champcenetz, ohne daß dieser ihm antworten konnte, fragte, wer die zwei Unbekannten seien, die sich entfernten, während Bertin, Parny und Florian sich sorglos verließen, – Singvögel, die den Sturm nicht vorhersahen, – Bertin, um seine Anstalten zur Abreise zu treffen, Parny, um seine letzten Verse der Galanteries de la Bible zu reimen, und Florian, um seine Rede zur Aufnahme in die Academie vorzubereiten; während Métra, für den Augenblick seines Rufes verlustig unter diesen Neuigkeitskrämern, deren König er war, sich in den Tiefen des Circus verlor und das Journal de Paris im Lesecabinet von Girardin verlangte; während unter den gegen die Kreuzpflanzung mündenden Lindenalleen die eleganten Frauen und die Muscadins lustwandelten, ohne sich darum zu bekümmern, wer noch Minister war oder nicht war, – Jene mit schwarzen Gazehüten à la caisse d'escompte, welche Hüte ohne Fonds waren, diese mit Westen, worauf die großen Männer des Tages zu sehen, das heißt verziert mit den Portraits der zwei Helden, welche in der Mode: Lafayette und d'Estaing, – schritten unsere zwei Patrioten über den Platz des Palais-Royal, schlugen den Weg durch die Rue Saint-Thomas du Louvre ein, erreichten den Pont-Neuf und mündeten durch die Rue des Fosses-Saint-Germain in die Rue du Paon, wo Danton wohnte.

Unter Weges erfuhr Jeder, mit wem er es zu thun hatte. Hébert hatte, wie wir gesehen, hinter einander die Namen Danton und Marat ausgesprochen; diese ausgesprochenen Namen gaben aber keinen ganz klaren Aufschluß, in so fern der eine, der von Marat, kaum bekannt, und der andere, der von Danton, völlig unbekannt war; doch seinem Namen fügte sodann Jeder seine Titel und seine Eigenschaften bei, so daß Danton wußte, er gehe an der Seite des Verfassers der Schriften: die Fesseln der Sklaverei, der Mensch oder Principien und Gesetze des Einflusses der Seele auf den Körper und des Körpers auf die Seele, Vermischte literarische Aufsätze, Forschungen über das Feuer, die Elektricität und das Licht, die Optik von Newton, und endlich, Academische Memoiren oder Neue Entdeckungen über das Licht; und Marat seinerseits wußte, daß er den Arm gab Georges Jacques Danton, Advocaten am Cassationshofe, letztem Erben einer guten bürgerlichen Familie in Arcis-sur-Aube, seit drei Jahren verheirathet mit einer reizenden Frau Namens Gabriele Charpentier und seit zwei Jahren Vater von einem Taugenichts, auf den er, wie alle Väter, die schönsten Hoffnungen gründete.

Das Haus, das Danton bewohnte, wurde zugleich von seinem Schwiegervater, Herrn Ricordin, bewohnt; der Vater von Danton war jung gestorben und seine Mutter hatte sich wieder verheirathet; doch sein Schwiegervater war so vortrefflich gegen ihn gewesen, daß er den Verlust, den er erlitten, kaum bemerkt hatte. Herr Ricordin hatte im zweiten Stocke die auf die Straße gehende große Wohnung inne, während Danton seinerseits eine kleinere Wohnung einnahm, deren Fenster sich auf die Passage du Commerce öffneten. Die zwei Wohnungen, die des Schwiegervaters und die des Schwiegersohnes, standen durch eine Thüre mit einander in Verbindung, und seit einiger Zeit hatte, in der Hoffnung auf die zukünftige Clientel des jungen Advocaten, Herr Ricordin von seiner Wohnung einen großen Salon abgetrennt, aus dem Danton sein Cabinet gemacht. Durch diese Beifügung fand sich die kleine Wirthschaft behaglicher; Danton schloß sich mit seiner ganzen mächtigen Vitalität in dieses große Cabinet ein, und überließ seiner Frau, seinem Kinde und seiner Köchin, die den einzigen Dienstboten des Hauses bildete, die ganze übrige Wohnung, bestehend aus einer großen gemeinschaftlichen Küche, welche zugleich vom Schwiegervater und vom Schwiegersohne benützt wurde, einem Vorzimmer, einem Schlafzimmer und einem Salon.

In dieses letzte, mit den Portraits von Madame Ricordin und Herrn Charpentier Vater geschmückte, Zimmer wurde Marat eingeführt. Die zwei Portraits waren vollkommene Typen des Bürgerthums von damals und hoben nur um so mehr ein Bild von Danton in Lebensgröße, stehend und mit ausgestreckter Hand dargestellt, hervor; dieses Bild war, wenn man es von zu nahe betrachtete, nur eine Skizze, an der man nichts unterscheiden konnte; wich man aber ein paar Schritte zurück, studirte man es aus der Entfernung, so entwirrte sich diese ganze Impastirung, und man sah eine Anlage erscheinen, – allerdings eine Anlage, doch eine lebendige, voll Feuer und Genie. Diese Anlage war in ein paar Stunden unter dem Pinsel eines jungen Freundes von Danton, den man Jacques Louis David nannte, entstanden.

Die übrige Wohnung war äußerst einfach; nur aus einigen Einzelheiten, wie Vasen, Leuchter, Pendeluhren, errieth man ein dumpfes Verlangen nach Luxus, ein sinnliches Bedürfniß, Gold zu sehen.

In dem Augenblicke, wo Danton klingelte, erkannte man seine Art zu klingeln, und Alles lief nach der Thüre, die junge Frau, das Kind, der Hund; als aber die Thüre sich öffnete, als man hinter dem Herrn des Hauses den fremden Gast sah, den er brachte, da wich die Frau einen Schritt zurück, weinte das Kind, bellte der Hund.

Das Gesicht von Marat zog sich leicht zusammen.

»Verzeihen Sie, mein lieber Gast,« sagte Danton, »Sie sind noch fremd hier, und . . .«

»Und ich bringe meine Wirkung hervor,« versetzte Marat. »Es ist unnöthig, daß Sie sich entschuldigen, ich kenne das!«

»Meine gute Gabriele,« sprach Danton, indem er seine Frau küßte wie ein Mensch, der sich Verzeihung für etwas zu verschaffen hat, »ich habe diesen Herrn im Palais-Royal getroffen: es ist ein ausgezeichneter Arzt; er ist mehr als dies, er ist Philosoph, und er hatte die Güte, meine Einladung, bei uns zu Mittag zu speisen, anzunehmen.«

»Von Dir gebracht, mein lieber Georges, ist der Herr sicher des Empfanges, den man ihm bereiten wird, nur war das Kind nicht in Kenntniß gesetzt, und der Hund . . .«

»Ist ein guter Wächter, wie ich sehe,« sprach Marat; »überdies habe ich Eines bemerkt,« fügte er mit einer bewunderungswürdigen Rücksichtslosigkeit bei, »die Hunde sind sehr aristokratisch ihrer Natur nach.«

»Ist einer von unseren Tischgenossen angekommen?« fragte Danton.

»Nein . . . nur der Koch.«

Madame Danton sprach diese Worte lächelnd aus.

»Hast Du ihm Deine Unterstützung angeboten? – denn, meine gute Gabriele, Du bist auch eine vortreffliche Köchin!«

»Ja, doch zu meiner Schande habe ich mich zurückgewiesen gesehen.«

»Bah! . . . Du hast Dich also darauf beschränkt, daß Du den Tisch zugerichtet?«

»Nicht einmal dies.«

»Wie, nicht einmal dies?«

»Nein; zwei Diener haben Alles gebracht! Tischzeug, Silbergeschirr, Candelaber.«

»Glaubt er denn, wir haben das nicht?« versetzte Danton, indem er sich aufrichtete und die Stirne faltete.

»Er hat gesagt, das sei eine unter Euch verabredete Sache, und er sei nur unter diesen Bedingungen gekommen, um zu kochen.«

»Gut! lassen wir ihn in Ruhe: das ist ein Original . . . Höre, mein Kind, man klingelt: sieh, wer kommt.«

Dann sich gegen Marat umwendend:

»Vernehmen Sie die Liste unserer Tischgenossen, mein Gast: vor Allem ein College von Ihnen, der Herr Doctor Guillotin; Talma und Maria Joseph von Chénier, zwei Unzertrennliche; Camille Desmoulins, ein Kind, ein Straßenjunge, doch ein Straßenjunge von Genie; – und wer noch? . . . Sie, meine Frau und ich, das sind Alle . . . Ah! ich vergaß David. Ich hatte meinen Schwiegervater eingeladen, doch er findet, wir seien zu hohe Gesellschaft für ihn; das ist ein guter, vortrefflicher Mann der Provinz, der sich in Paris ganz fremd fühlt und mit gewaltigem Geschrei nach seinem Arcis-sur-Aube zurückverlangt . . . Nun, tritt doch ein, Camille, komm herein!«

Diese letzten Worte waren an einen Mann von mittlerem Wuchse gerichtet, der, obwohl sechsundzwanzig bis achtundzwanzig Jahre alt, kaum zwanzig zu zählen schien. Es war offenbar ein Vertrauter des Hauses; denn eben so gut von Jedermann aufgenommen, als man Marat schlecht aufgenommen hatte, war er im Vorzimmer stehen geblieben, um Madame Danton die Hand zu drücken, das Kind zu küssen und den Hund zu streicheln.

Auf die Einladung von Danton trat er ein.

»Woher kommst Du denn?« fragte Danton; »Du siehst ganz zerzaust aus.«

»Ich? nicht im Geringsten!« erwiederte Camille, während er seinen Hut auf einen Stuhl warf; »doch stelle Dir vor . . . Ah! verzeihen Sie, mein Herr. . .«

Er hatte nun erst Marat wahrgenommen, und er grüßte ihn; Marat erwiederte seinen Gruß.

»Stelle Dir vor,« fuhr Camille fort, »ich komme vom Palais-Royal.«

»Wir auch,« versetzte Danton, »wir kommen auch von dort.«

»Ich weiß es wohl; ich habe Dich gesucht und war sehr erstaunt, Dich nicht unter den Linden zu finden, da ich Dir dort Rendez-vous gegeben.«

»Du hast die Neuigkeit erfahren?«

»Ja, die Entlassung von dieser Canaille Brienne, die Rückkehr von Herrn Necker! Es ist vortrefflich, Alles dies . . . Doch ich kam aus einem anderen Grunde ins Palais-Royal.«

»Und warum kamst Du?«

»Ich glaubte dort Jemand zu finden, der geneigt wäre, Streit mit mir zu suchen, und da ich geneigt war, ihn anzunehmen . . .«

»Bah! auf wen hattest Du es denn abgesehen?«

»Auf diese Viper Rivarol und auf die Natter Champcenetz . . .«

»Aus welchem Anlaß?«

»Weil diese Schufte mich in ihren Kleinen Almanach unserer großen Männer gesetzt hatten.«

»Und was macht das Dir?« sagte Danton, die Achseln zuckend.

»Das macht mir, das macht mir . . . Man soll mich nicht zwischen Herrn Desenarts und Herrn Derome genannt Eugene classificiren, zwischen einen Menschen, der den Befreienden Amor, ein abscheuliches Theaterstück, gemacht, und einen Menschen, der gar nichts gemacht hat.«

»Und was hast Du gemacht, daß Du so häkelig bist?« fragte lachend Danton.

»Ich?«

»Ja, Du.«

»Ich habe nichts gemacht, aber ich werde machen, dafür stehe ich Dir. Uebrigens irre ich mich: doch, bei Gott! ich habe einen Viervers gemacht, den ich ihnen zugeschickt . . . Ah! ich habe sie gut zugerichtet; das ist Martial, Altrömisch . . .

Au grand hôtel de la Vermine

On est, logé très-proprement:

Rivarol y fait la cuisine,

Et Champcenetz, l'appartement.

»Du hast unterzeichnet?« fragte Danton.

»Bei Gott! darum ging ich ins Palais-Royal, aus dem sich weder der Eine, noch der Andere rührt. . . . Ich glaubte Antwort auf meinen Viervers zu finden: nun, ich bin nicht auf meine Kosten gekommen, wie Talma sagt.«

»Sie haben nicht mit Dir gesprochen?«

»Sie haben sich den Anschein gegeben, als sähen sie mich nicht, mein Lieber.«

»Wie, mein Herr,« rief Marat, »Sie sind noch dabei, daß Sie sich um das bekümmern, was man sagt, oder was man über Sie schreibt?«

»Ja, mein Herr, ja,« antwortete Camille; »ich muß gestehen, ich habe eine sehr empfindliche Haut; ich werde auch, wenn ich je etwas thue, sei es nun in der Literatur, oder in der Politik, ein Journal haben, und dann . . .«

»Was werden Sie denn in Ihrem Journal sagen?« fragte eine Stimme, welche aus dem Vorzimmer kam.

»Mein lieber Talma,« erwiederte Camille, die Stimme des großen Künstlers erkennend, der damals seine dramatische Laufbahn begann, »ich werde sagen, daß Sie an dem Tage, wo Sie eine schöne Rolle bekommen, der erste Tragiker der Welt sein werden.«

»Nun wohl, ich habe die Rolle,« versetzte Talma, »und hier ist der Mann, der sie mir gegeben.«

»Ah! guten Tag, Chénier! . . . Du hast also ein neues Trauerspiel gemacht?« fragte Camille sich an den Letzteren wendend.

»Ja, mein Freund,« antwortete Talma, »ein herrliches Werk, das er gestern gelesen hat, und das einstimmig angenommen worden ist: einen Karl IX. Ich werde Karl IX. spielen, vorausgesetzt, daß das Gouvernement die Ausführung des Stückes erlaubt . . . Denke Dir, dieser Dummkopf Saint-Phal hat die Rolle zurückgewiesen: er hat gefunden, Karl IX. sei keine sympathetische Person! . . . Sympathetisch, was sagst Du dazu, Danton? Ich hoffe ihn wohl verabscheuenswerth zu machen!«

»Sie haben Recht aus dem Gesichtspunkte der Politik,« bemerkte Marat: »es ist gut, die Könige verabscheuenswerth zumachen; aus dem Gesichtspunkte der Geschichte werden Sie aber vielleicht Unrecht haben,«

Talma war äußerst kurzsichtig; er näherte sich dem, welcher mit ihm sprach, und dessen Stimme er nicht erkannte, obschon er mit allen Stimmen, die man bei Danton hörte, vertraut war, und durch den Schleier seiner Kurzsichtigkeit, die sich erhellte, gewahrte er endlich.

Ohne Zweifel war die Entdeckung nicht günstig, denn er blieb rasch wieder stehen.

»Nun?« machte Marat, der, wie bei Madame Danton, wie bei dem Kinde, wie beim Hunde, die von ihm hervorgebrachte Wirkung bemerkte.

»Nun, mein Herr,« erwiederte Talma ein wenig aus der Fassung gebracht, »ich bitte Sie um die Erklärung Ihrer Theorie.«

»Meine Theorie, mein Herr, ist folgende: hätte Karl IX. die Hugenotten ihre Werke vollbringen lassen, – und hierin bin ich nicht der Parteilichkeit zu beschuldigen, – so wurde der Protestantismus die Religion des Staates, und die Condé wurden Könige von Frankreich; dann geschah mit unserem Lande, was mit England geschehen ist: wir hielten in unserem Marsche an, der methodische Geist von Calvin trat an die Stelle der unruhigen Thätigkeit, welche das Eigenthümliche der katholischen Völker ist, und die sie zur Eroberung der Verheißungen Christi antreibt. Christus hat uns die Freiheit, die Gleichheit, die Brüderschaft verheißen; die Engländer haben die Freiheit vor uns gehabt; erinnern Sie sich aber wohl dessen, was ich Ihnen sage, mein Herr: wir werden die Gleichheit und die Brüderschaft vor ihnen haben, und diese Wohlthat werden wir verdanken . . .«

»Den Priestern?« versetzte Chénier mit einer spöttischen Miene.

»Nein, nicht den Priestern, Herr von Chénier,« entgegnete Marat, indem er einen besonderen Nachdruck aus die Partikel legte, welche zu jener Zeit der Verfasser von Azemire und Karl IX. noch nicht abgelehnt hatte, »es ist die Religion, die das Gute gemacht hat, es sind die Priester, die das Böse gemacht. Sollten Sie eine andere Idee in Ihren Karl IX. eingeführt haben? Dann hätten Sie sich getäuscht.«

. »Nun wohl! wenn ich mich getäuscht habe, so wird das Publikum gegen meinen Irrthum Gerechtigkeit üben.«

»Es ist abermals ein sehr schlechter Grund, den Sie mir da angeben, mein bester Herr von Chénier, und ich bezweifle, daß Sie ihn für Ihre Tragödie Azemire adoptirt haben, wie Sie ihn für Ihr Trauerspiel Karl IX. zu adoptiren bereit zu sein scheinen.«'

»Mein Trauerspiel Azemire ist nicht vor dem Publikum gespielt worden, mein Herr; es ist bei Hofe gespielt worden, und Sie kennen die Meinung von Voltaire über dieses Tribunal:

»La cour a sifflé tes talentś;

Paris applaudit tes merveilles.

Grétry, les oreilles des grands

Sont souvent de grandes oreilles.12«


»Oh! ja, mein Herr, ich bin es gewiß nicht, der Ihnen über diesen Punkt widersprechen wird. Aber hören Sie mich wohl an, denn ich will nicht der Inconsequenz beschuldigt werden: es ist möglich, daß Sie eines Tages sagen hören, Marat verfolge die Religion, Marat glaube nicht an Gott, Marat fordere den Kopf der Priester. Ich werde den Kopf der Priester fordern, mein Herr; aber gerade weil ich die Religion verehren, weil ich an Gott glauben werde.«

»Und wenn man Ihnen die Köpfe gibt, die Sie fordern, Herr Marat,« sagte ein kleiner Mann von vierzig bis fünfundvierzig Jahren, der eben eingetreten war, »dann rathe ich Ihnen, das Instrument zu nehmen, in dessen Verfertigung ich begriffen bin.«

»Ah! Sie da, Doctor?« rief Danton, indem er sich gegen den neuen Gast umwandte, den er, ganz beschäftigt mit dem Gespräche von Chénier und Marat, bei seinem Eintritte nicht begrüßt hatte.

»Ah! Herr Guillotin!« sprach Marat mit einer gewissen Ehrfurcht grüßend.

»Ja, Herr Guillotin?« erwiederte Danton, »ein vortrefflicher Arzt, doch ein noch viel vortrefflicherer Mensch . . . Und was für ein Instrument ist es, das Sie verfertigen, und wie heißt es, mein lieber Doctor?«

»Wie es heißt, lieber Freund? ich vermöchte es Ihnen nicht zu sagen, denn ich habe ihm noch keinen Namen gegeben; doch der Name thut nichts zur Sache.«

Dann fuhr er, zu Marat zurückkehrend, fort:

»Sie kennen mich wahrscheinlich nicht, mein Herr; doch wenn Sie mich kennen lernen, so werden Sie erfahren, daß ich ein wahrer Philanthrop bin.«

»Ich weiß über Sie Alles, was man wissen kann, mein Herr,« erwiederte Marat mit einer gewissen Höflichkeit, die er erst bei dieser Gelegenheit hatte zum Vorscheine kommen lassen, – »nämlich, daß Sie nicht nur einer der gelehrtesten Männer sind, die es gibt, sondern auch einer der besten Patrioten, welche existiren. Ihre These auf der Universität von Bordeaux, der Preis, den Sie bei der medicinischen Facultät davon getragen, Ihr Urtheil über Mesmer, die wunderbaren Curen, die Sie alle Tage bewerkstelligen, so viel, was das Wissen betrifft; Ihre Petition der in Paris domicilirten Bürger, dies, was den Patriotismus betrifft. Ich sage mehr: ich weih sogar etwas von dem Instrumente, von dem Sie reden. Ist es nicht eine Maschine, um den Kopf abzuschneiden?«

»Wie, Doctor, Sie nennen sich Philanthrop, und Sie erfinden eine Maschine, um die Menschheit zu tödten?« rief Camille.

»Ja, Herr Desmoulins,« antwortete ernst der Doctor, »und gerade weil ich Philanthrop bin, erfinde ich sie. Die Todesstrafe anwendend, hat bis heute die Gesellschaft nicht nur gestraft, sondern sich gerächt. Was sind alle diese Strafen des Verbrennens, des Rades, der Viertheilung? was ist das siedende Oel? was ist das geschmolzene Blei? ist es nicht die Fortsetzung der Tortur, die Ihr vortrefflicher König modificirt, wenn nicht aufgehoben hat? Meine Herren, was will das Gesetz, wenn es schlägt? Es will den Schuldigen zu nichte machen; nun wohl! die ganze Strafe muß im Verluste des Lebens und nicht in etwas Anderem bestehen; die Beifügung irgend eines Schmerzes zur Strafe ist ein Verbrechen dem gleich, welches es auch sein mag, das der Verbrecher begangen haben kann.«

»Ah! ah!« rief Danton; »und Sie glauben, Sie werden den Menschen, diese so wunderbar organisirte Maschine, die sich an das Leben durch alle ihre Begierden, durch alle ihre Sinne, durch alle ihre Fähigkeiten anklammert, – Sie glauben, Sie werden den Menschen zerstören, wie ein Quacksalber einen Zahn auszieht, – ohne Schmerz?«

»Ja, Herr Danton! ja, ja, ja!« rief der Doctor sich begeisternd, »ohne Schmerz! . . .Ich zerstöre den Menschen durch die Vernichtung; ich zerstöre, wie die Elektrizität zerstört, wie der Blitz zerstört; ich schlage, wie Gott, diese höchste Gerechtigkeit, schlägt!«

»Und wie schlagen Sie?« fragte Marat; »ich bitte, sagen Sie mir das, wenn es nicht ein Geheimniß ist. Sie können sich keinen Begriff machen, wie sehr mich Ihr Gespräch interessirt.«

»Ah!« machte Guillotin athmend, als gewährte es ihm die größte Freude, endlich einen seiner würdigen Zuhörer gefunden zu haben. »Nun wohl, mein Herr, vernehmen Sie: meine Maschine ist eine ganz neue Maschine, und zwar von einer Einfachheit . . . wenn Sie das sehen, werden Sie erstaunt sein über diese Einfachheit; und Sie werden sich wundern, daß eine so wenig complicirte Sache sechstausend Jahre gebraucht hat, um sich zu produciren! Stellen Sie sich eine Plattform vor, mein Herr, eine Art von Theater . . . Herr Talma, nicht wahr, Sie hören auch?«

»Bei Gott!« erwiederte Talma, »ich glaube wohl, daß ich höre; ich schwöre Ihnen, das interessirt mich fast eben so sehr als Herrn Marat.«

»Nun wohl, ich sagte Ihnen also: stellen Sie sich eine Plattform, eine Art von kleinem Theater vor, zu welchem man auf fünf bis sechs Stufen hinaussteigt; die Zahl thut hierbei nichts. Auf diesem Theater errichte ich zwei Pfosten, ich bringe unten an diesen zwei Pfosten eine Art von kleinem Charnier an, dessen oberer Theil beweglich ist und sich auf den Kopf des Verurtheilten senkt; oben an diese zwei Pfosten oder Säulen setze ich ein durch einen Block von dreißig bis vierzig Pfund beschwertes Messer, das durch ein Seil festgehalten wird: ich mache dieses Seil los, ohne es nur anzurühren, – mit einer Feder; das Eisen schlüpft zwischen den zwei wohl eingeschmierten Falzen nieder; der Verurtheilte fühlt eine leichte Kühle auf dem Halse, und pautz! der Kopf ist herab!«

»Pest!« rief Camille, »wie sinnreich ist das!«

»Ja, mein Herr,« erwiederte Guillotin, der sich immer mehr belebte, »und diese Operation, welche das Leben von der Materie trennt, welche tödtet, zerstört, zerschmettert, diese Operation dauert . . . errathen Sie, wie lang: – eine Secunde.«

»Ja, nicht eine Secunde, das ist wahr,« sagte Marat; »doch sind Sie sicher, mein Herr, daß der Schmerz nicht länger währt, als die Execution?«

»Wie soll der Schmerz das Leben überleben?«

»Bei Gott! wie die Seele den Leib überlebt.«

»Ah! ja, ich weiß es wohl,« versetzte Guillotin mit einer von der Vorhersehung des Kampfes herrührenden leichten Bitterkeit, – »Sie glauben an die Seele! Sie weisen ihr sogar, gegen die Ansicht der Spiritualisten, die sie durch den ganzen Körper verbreiten, einen besondern Sitz an; Sie geben ihr ihre Wohnung in den Hirnhäuten; weshalb Sie Descartes verachten und Locke folgen, den Sie wenigstens hätten citiren müssen, da Sie einen Theil von seiner Lehre angenommen haben. Oh! haben Sie meine Brochure über den dritten Stand gelesen, so habe ich Ihr Buch über den Menschen gelesen; ich habe Alles gelesen, was Sie gemacht, Ihre Arbeiten über das Feuer, über das Licht, über die Elektricität . . . Ja, ja, da es Ihnen nicht gegen Voltaire und die Philosophen geglückt ist, so hat Ihr kriegerischer Geist mit Newton angebunden! Sie haben seine Optik zu zerstören geglaubt und sich in eine Menge von übereilten, leichten, leidenschaftlichen Experimenten geworfen, die Sie von Franklin und Volta ratificiren zu machen versuchten; doch weder der Eine, noch der Andere war Ihrer Ansicht über das Licht, Herr Marat; erlauben Sie mir also, anders als Sie über die Seele zu denken.«

Marat hatte diesen ganzen Ausfall des Doctors Guillotin mit einer Ruhe angehört, über welche derjenige gewaltig erstaunt gewesen sein müßte, der den reizbaren Charakter des Arztes vom Marstalle des Grafen von Artois gekannt hätte; doch in den Augen eines tiefen Beobachters würde sogar diese Ruhe das Maß vom Grade des Interesses geboten haben, das Marat an der großen Erfindung des Doctors Guillotin nahm.

»Nun wohl, mein Herr,« sagte er, »auf einen Augenblick, und da Sie dieselbe so sehr erschreckt, verlasse ich die Seele und kehre zur Materie zurück, denn die Materie ist es und nicht die Seele, was leidet.«

»Dann, da ich die Materie tödte, leidet die Materie nicht.«

»Sie sind ganz sicher, daß Sie sie tödten?«

»Ob ich die Materie tödte, wenn ich den Kopf abschneide?«

»Sind Sie ganz sicher, sie auf der Stelle zu tödten?«

»Erklären Sie sich!« versetzte Guillotin.

»Oh! meine Erklärung ist sehr einfach; Sie legen den Sitz des Urtheils in das Gehirn, nicht wahr? Mit dem Gehirne denken wir, und zum Beweise dient, daß wir, wenn wir viel gedacht haben, Kopfweh bekommen.«

»Ja, doch ins Herz legen Sie den Sitz des Lebens,« rief Guillotin, der die Argumente seines Gegners vorhersah.

»Es sei; legen wir den Sitz des Lebens ins Herz; doch das Gefühl des Lebens, wohin werden wir es legen? Ins Gehirn . . . Nun wohl! Trennen Sie den Kopf vom Leibe: der Leib wird todt sein, das ist möglich; der Leib wird nicht mehr leiden, das ist abermals möglich; doch der Kopf, mein Herr! der Kopf!«

»Nun! der Kopf?«

»Der Kopf, mein Herr, wird fortfahren, zu leben und folglich zu denken, so lange ein Blutstropfen sein Gehirn beleben wird , und daß er sein Blut verliert, braucht er wenigstens acht bis zehn Secunden!«

»Oh! acht bis zehn Secunden,« sagte Camille, »das ist bald vorüber.«

»Das ist bald vorüber?« rief Marat aufstehend; »sind Sie so wenig Philosoph, junger Mann, daß Sie den Schmerz nach der Zeit messen, die er dauert, und nicht nach dem Schlage, den er schlägt, nach dem Factum, und nicht nach den Folgen? Aber, – bedenken Sie das wohl, ,– dauert ein unerträglicher Schmerz eine Secunde, so dauert er eine Ewigkeit, und wenn dieser, schon unerträgliche, Schmerz Gefühl genug läßt, daß derjenige, welcher ihn empfindet, begreift, während er ihn empfindet, das Ende des Schmerzes sei das Ende des Lebens, und wenn er, trotz dieses unerträglichen Schmerzes, um sein Leben zu verlängern, seinen Schmerz verlängern wollte, glauben Sie nicht, das sei eine unduldbare Strafe?«

»Ah! darin stimmen wir gerade nicht überein,« sagte Guillotin; »ich leugne, daß man leidet.«

»Und ich, ich behaupte es,« entgegnete Marat. »Uebrigens ist die Strafe der Enthauptung nicht neu; ich habe sie in Polen und in Rußland vollziehen sehen; man setzt dort den armen Sünder auf einen Stuhl; vier bis fünf Schritte von ihm ist ein Häufen Sand bestimmt, wie in der Arenen Spaniens, das Blut zu verbergen; der Henker löst den Kopf mit einem Säbelhiebe ab. Nun wohl, ich, ich habe, – ich sage Ihnen, mit meinen eigenen Augen, – gesehen, wie einer von diesen Körpern ohne Kopf aufstand, ein paar Schritte stolpernd machte und erst wieder niederfiel, als er an den Sandhaufen stieß, der vor ihm war. Ah! sagen Sie, mein Herr, Ihre Maschine sei rascher, abkürzender, in Revolutionszeiten biete sie den Vortheil, daß sie thätiger vernichte, als eine andere, und ich werde Ihrer Ansicht beitreten, – und das wird schon ein der Gesellschaft geleisteter großer Dienst sein; – doch daß sie milder sei? nein, nein, nein, mein Herr, das leugne ich!«

»Nun wohl! meine Herren,« sprach Guillotin, »die Erfahrung wird Sie das lehren,«

»Ei! Doctor,« fragte Danton, »wollen Sie damit sagen, wir werden den Versuch mit Ihrer Maschine machen?«

»Mein lieber Freund, meine Maschine ist nur für die Verbrecher bestimmt . . . Ich will damit sagen, man werde sie an den Köpfen der Verbrecher versuchen.«

»Wohl, Herr Guillotin, stellen Sie sich zum ersten Verurteilten, dessen Kopf durch die Anwendung Ihres Mittels fallen wird; heben Sie diesen Kopf im Augenblicke auf; schreien Sie ihm den Namen ins Ohr, den er im Leben hatte, und Sie werden diesen Kopf die Augen wieder öffnen und dieselben gegen Sie drehen sehen; das werden Sie sehen, mein Herr.«

»Unmöglich!«

»Das werden Sie sehen, mein Herr, wiederhole ich Ihnen; und Sie werden es sehen, weil ich, nachdem ich gethan, was ich Ihnen sage, daß Sie thun sollen, dies gesehen habe!«

Marat hatte diese Worte mit einer solchen Ueberzeugung ausgesprochen, daß Niemand es versuchte, nicht einmal der Doctor Guillotjn, die Fortdauer, wenn nicht des Lebens, doch wenigstens des Gefühls in den abgeschnittenen Köpfen zu leugnen.

»Aber bei alle dem, Doctor,« sagte Danton, »und trotz Ihrer Beschreibung habe ich keinen sehr genauen Begriff von Ihrer Maschine.«

»Sieh,« sagte aufstehend und Danton eine Skizze darbietend ein junger Mann, der eingetreten war, ohne gesehen zu werden, so belebt war das Gesprächs sich gesetzt und auf ein Papier eine Skizze von der von Herrn Guillotin beschriebenen entsetzlichen Maschine gezeichnet hatte; »sieh, Danton, hier ist die Sache . . . Begreifst Du nun?«

»Ich danke, David,« erwiederte Danton. »Ah! sehr gut . . . Doch mir scheint. . . Deine Maschine functionirt.«

»Ja,« antwortete David, »sie ist im Zuge, an drei Mördern Gerechtigkeit zu üben; einer ist da, den man, wie Du siehst, gerade executirt, und zwei, welche warten.«

»Und diese drei Mörder sind Cartouche, Mandrin und Poulailler?« fragte Danton.

»Nein, diese drei Mörder sind Vanloo, Boucher und Watteau.«

»Und wen haben sie denn ermordet?«

»Bei Gott! die Malerei.«

»Mein Herr, es ist aufgetragen,« meldete ein Diener in großer Livree, indem er die zwei Thüren des Arbeitscabinets von Danton öffnete, das, nur für einen Tag, Speisezimmer geworden war.

»Zu Tische! zu Tische!« rief Danton.

»Herr Danton,« sprach Marat, »zum Andenken an das Glück, das ich heute gehabt, mit Ihnen zusammenzutreffen, schenken Sie mir die Zeichnung von Herrn David.«

»Oh! sehr gern,« erwiederte Danton. »Du siehst, David, man beraubt mich!«

Und er reichte die Zeichnung Marat.

»Sei ruhig,« versetzte David, »ich werde Dir eine andere machen, und Du wirst vielleicht nichts beim Tausche verlieren!«

Nach diesen Worten ging man ins Cabinet oder vielmehr, wie gesagt, ins Speisezimmer.

12

Der Hof hat Deine Talente ausgepfiffen;

Paris klatscht Deinen Wunderwerken Beifall.

Grétry, die Ohren der Großen

sind oft große Ohren!

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