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Erstes bis Fünftes Bändchen
VII
Der Clubb der Menschenrechte

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Nachdem sie ein paar Schritte gemacht, befanden sich Marat und Danton wieder im Palais-Royal, das schon etwas weniger zu dieser Stunde bevölkert war, als in der, wo sie angekommen, denn es fing an spät zu werden, und wenn die Beredtsamkeit von Malouet auch die Macht gehabt hatte, die Zeit vergessen zu machen, so hatte sie doch nicht die gehabt, dieselbe zu hemmen. Ueberdies, statt daß es Danton war, der Marat als Führer diente, war es Marat, der Danton führte, und den düstern Mann schien es zu drängen, das Ziel des Weges zu erreichen, als wäre er zu einem Rendez-vous gegangen.

Die zwei Gefährten gelangten in die Gallerie, welche längs der Rue de Valois hinläuft, und machten einige Schritte in dieser Gallerie; dann trat Marat rechts in eine kleine Passage, Danton folgte ihm, und Beide befanden sich bald außer dem Palais-Royal.

Die Rue de Valois war noch viel öder zu jener Zeit, als sie es heute ist; in der That, die Eigenthümer der Hotels, deren Aussicht durch die neuen Gebäude von Monseigneur dem Herzog von Orleans beschränkt worden war, hatten noch nicht Lust gehabt, Nutzen aus ihren Höfen und ihren Gärten dadurch zu ziehen, daß sie selbst bauen ließen; überdies war die ganze Facade des Palais-Royal, welche auf diese Seite ging, noch nicht vollendet und stellenweise der Durchgang, der den Wagen verboten, da Steine darin aufgehäuft lagen, kaum für die Fußgänger benutzbar.

Marat fand sich unter allen diesen Gerüsten, unter allen diesen zur Bearbeitung und Benützung bereit liegenden Steinen aus, als hätte er in seiner Hand den Faden dieses andern Labyrinths gehalten, und von Zeit zu Zeit sich umwendend, um zu sehen, ob sein Gefährte ihm folgte, führte er Danton an den Eingang von einer Art von Keller, in welchen man gelangte, nachdem man ein Dutzend Stufen hinabgestiegen war.

Alles schlief oder schien in der Straße zu schlafen, dieses Kellerloch ausgenommen, aus welchem bis zur äußeren Atmosphäre ein warmer Dampf und von Zeit zu Zeit Geräusche aufstiegen, welche die eines unterirdischen Vulcans zu sein schienen.

So gut ihn das Aeußere aus das Innere vorbereitet hatte, Danton blieb bei der Mündung dieses Schlundes stehen, in den Marat ohne Zögern getaucht war; endlich entschloß er sich, stieg die Treppe Stufe um Stufe hinab und machte auf der letzten Halt.

Man vernehme, was er von dieser letzten Stufe erblickte.

Einen ungeheuren gewölbten Saal, der ohne Zweifel einst, – das heißt vor der Erhöhung des Terrain, – als Orangerie für eines der großen Hotels gedient hatte, von denen ein Theil schon zu dieser Zeit verschwunden war, während der Rest alle Tage verschwand; diese Orangerie hatte seit fünfundzwanzig bis dreißig Jahren einer Taverne Platz gemacht, die sich ebenfalls, ohne ihre Bestimmung zu verändern, nichtsdestoweniger modificirte und ein Clubb werden sollte oder vielmehr geworden war.

Dieser, mit Ausnahme seiner Affiliirten, noch unbekannte Clubb, in welchen man, wie in den Freimaurerlogen, nur mit Hilfe gewisser Zeichen oder mittelst gewisser Worte aufgenommen wurde, dieser Clubb war der der Menschenrechte.

Die Tische, mochte das eine Klugheit sein, oder hatte man geglaubt, es finde keine zu stark ausgesprochene Disharmonie zwischen der alten und der neuen Bestimmung des Locals statt, die Tische waren an ihren Plätzen geblieben und fanden sich, in diesem Augenblicke beladen mit zinnernen, an Ketten festgehaltenen Bechern, umgeben von Trinkern, welche auf wurmstichigen Bänken und hinkenden Stühlen saßen.

Im Hintergrunde, in einer durch den Tabakrauch, durch den Dampf der Lampen, durch die verdichteten Aushauchungen der Consumenten unentschieden gewordenen Atmosphäre, sah man wie Schatten diejenigen sich bewegen, welchen ihre pecuniären Mittel nicht erlaubten, sich den Wein der Anstalt schmecken zu lassen, und die, bei leerem Magen, mit einer finstern, neidischen Miene diese Günstlinge des Glückes betrachteten, denen das Elend, minder grausam, noch ein paar Sous, um sie in dieser Kneipe auszugeben, ließ.

Hinter dieser compacten Masse, in einer fast verlorenen Ferne, erhob sich auf leeren Fässern eine Art von Theater, bekränzt mit einem alten Zähltische, der das Bureau des Präsidenten geworden war. Dieses Bureau trug ein angezündetes Licht, ohne welches es völlig im Schatten verborgen gewesen wäre, , und ein ausgelöschtes Licht; der Geist der Sparsamkeit, der über die Anstalt wachte, hatte als einen tadelnswerthen Luxus diese zwei zu gleicher Zeit angezündeten Lichter betrachtet und eines unterdrückt.

Es war ein großer Abstand von der eleganten, bisamduftenden Gesellschaft, von dem vergoldeten und mit Sammet tapezirten Saale, woher Danton und Marat kamen, zu dieser düstern, zerlumpten Versammlung, zu diesem schwarzen, rauchigen Gewölbe, unter das sie eindrangen; doch wir müssen hier sagen, sie waren durch die Ränder eines unsichtbaren Bürgerthums aus dem Paradiese der Aristokratie in die Hölle des Volkes getaucht.

Für den Augenblick schien die wichtige Person dieser unterirdischen Versammlung der Herr der Anstalt zu sein; es war wenigstens sein Name, der am öftesten, wenn nicht am harmonischsten, in der Versammlung ertönte, welche sicherlich zu dieser Stunde nicht ihres Gleichen aus der Welt hatte.

»Jourdan, Wein!« rief mit einer Stentorstimme ein colossaler Trinker mit zurückgeschlagenen Hemdärmeln, nervigen Armen und frischem Gesichte, – von jener Frische, welche den Fleischern und den Wurstmachern, das heißt den Menschen eigenthümlich, die den Dunst des Blutes einathmen.

»Man kommt schon, Herr Legendre,« sagte Jourdan, der die verlangte Flüssigkeit brachte; »doch ich muß Ihnen bemerken, daß dies die vierte Flasche ist.«

»Hast Du Angst, man bezahle Dich nicht, Thier?« versetzte der Fleischer, indem er aus seiner von Blut befleckten Schürze eine Handvoll Sous zog, unter welchen, wie jene Sterne, die uns viel größer scheinen, je näher sie der Erde sind, Thaler von drei und sechs Livres glänzten.

»Oh! das ist es nicht, Herr Legendre: man kennt Sie, und man weiß, daß Sie gut sind, um vier Flaschen zu bezahlen. Wenn Sie wollten, ich würde sogar mein Etablissement in der Rue de Valois gegen Ihre Fleischbank in der Rue des Boucheries-Saint-Germain tauschen; doch Sie sind ein Mann, der leicht aufbraust, und ich habe bemerkt, daß Ihnen von der fünften zur sechsten Flasche immer Unglück widerfuhr.«

»Mir?« sagte Legendre.

»Nein, ich irre mich,« erwiederte Jourdan, »Ihren Nachbarn.«

»So lasse ich es gelten!« rief Legendre mit seinem plumpen Gelächter, »doch da wir erst bei der vierten Flasche sind, so bediene kecklich, mein würdiger College! – denn Du hast alle Handwerke getrieben! Du bist Fleischer, Hufschmied, Schmuggler, Soldat im Regimente Auvergne, Stallknecht beim Marschall von Vaux gewesen . . . Nun bist Du in Deiner wahren Sphäre: Weinhändler! Du hast Alles vollauf . . . Zu trinken also, Meister Petit, wie man Dich jetzt nennt, oder Meister Jourdan, wie man Dich nannte, – zu trinken!«

»He! Jourdan!« rief man von einer andern Seite.

Jourdan stellte die Flasche vor Legendre und lief dem neuen Rufe zu, der an ihn von einem Menschen gerichtet wurde, welchen wir schon in dieser Geschichte erschaut haben.

»Was willst Du, mein alter Hébert?« fragte Jourdan vertraulich; »bleibt Dir noch eine kleine Contremarque, die man morgen benützen könnte?«

»Es bleibt mir nichts, nicht einmal mein Platz, weil man mich heute bei den Varietes vor die Thüre gesetzt hat, unter dem Vorwande . . . Doch es lohnt sich nicht der Mühe, den Vorwand zu nennen.«

»Und dann,« versetzte Jourdan lächelnd auf eine Weise, die nur ihm eigenthümlich, »und dann bin ich nicht neugierig.«

»Nein, Du bist aber gastfreundlich, besonders wenn man Dich bezahlt . . . Ich mache Dich also darauf aufmerksam, daß Du von morgen an uns auf Kosten der Masse zu speisen hast, – mich und diesen Herrn!«

Hierbei deutete Hébert auf einen Mann von sechsunddreißig bis achtunddreißig Jahren, mager, gelb, mit lebhaftem Auge, dessen Tracht eine seltsame Mischung von falschem Luxus und wirklichem Elend bot.

»Wer ist dieser Herr?« fragte Jourdan.

»Der Herr ist der Bürger Collot d'Herbois, der die ersten Trauerspielrollen in der Provinz spielt und in seinen verlorenen Stunden Komödien macht; da er aber in diesem Augenblicke weder die Rollen der Andern spielen, – weil er ohne Anstellung ist, – noch die seinigen spielen machen kann, – weil die Comedie-Francaise seine Stücke zurückweist, – so wendet er sich an den Clubb der Menschenrechte, und da jeder Mensch ein Recht auf Nahrung hat, so sagt er zu der Gesellschaft, zu der wir gehören: »Nähre mich!«

»Hierzu brauche ich ein Wort des Präsidenten.«

»Hier hast Du es, Dein Wort . . . Du siehst, es ist für zwei: von morgen an mußt Du uns speisen. Mittlerweile tränke uns: man ist noch nicht ganz entblößt, und man kann die Zeche von heute Abend bezahlen.«

Und lachend zog Hébert mit einem freundschaftlichen Lieblingsschwure aus seiner Hosentasche ein Dutzend Thaler, welche bewiesen, daß er, wenn man ihn von dem Platze, den er bei der Controle der Varistés einnahm, weggeschickt hatte, nicht ganz mit leeren Händen abgegangen war.

Jourdan holte den Wein, doch unter Weges wurde er aufgehalten von einer Person, die an einem von den das Gewölbe tragenden Pfeilern stand.

Es war dies ein wohl sechs Fuß hoher Mann, der einen fadenscheinigen, aber reinlichen, anständigen schwarzen Rock trug; er hatte ein durch sein feierliches Wesen fast trauriges Gesicht. »Einen Augenblick, Jourdan,« sagte er.

»Was wünschen Sie, Herr Maillard?« fragte der Wirth mit einer Art von Ehrfurcht; »nicht Wein, das weiß ich.«

»Nein, mein Freund; ich wünschte nur zu wissen, wer jener Mensch ist, der sich auf zwei Krücken stützt und mit unserem Vicepräsidenten, Fournier dem Americaner, spricht.«

Auf der andern Seite des Saales sprach in der That ein Mann von zweiunddreißig bis vierunddreißig Jahren, mit langen Haaren, mit leidendem, schwermüthigem Gesichte, mit zusammengebogenem Körper und gestützt durch zwei Krücken, mit einer Art von Bullenbeißer.

Es war der Letztere, der seitdem so berühmt geworden, – wie übrigens die Mehrzahl von denjenigen, welche wir in Scene bringen, – den der Huissier Maillard Jourdan unter dem Namen Fournier der Americaner bezeichnet hatte.

»Der, welcher mit unserem Vicepräsidenten spricht?« versetzte Jourdan; »warten Sie doch!«

»Oh! ich bin der Mann der Gesetzmäßigkeit: es ist beschlossen, daß man nur unter gewissen Bedingungen zugelassen werden soll, und ich will wissen, ob diese Bedingungen erfüllt sind.«

»Ah! ich erinnere mich! er ist vollkommen in Ordnung . . . Und sehen Sie, er zeigt eben sein Creditiv Herrn Fournier. Es ist ein Advocat oder ein Richter, – ein Richter vom Tribunal von Vermont, glaube ich; er ist mit einer Lähmung in den Beinen bedroht und kommt nach Paris, um sich Raths zu erholen. Er heißt Georges Couthon und ist von Patrioten von Auvergne empfohlen.«

»Gut, sprechen wir nicht mehr davon . . . Und jener Andere, der so schöne Kleider hat und so häßlich ist?«

»Welcher?«

»Der, welcher auf der letzten Stufe der Treppe steht, als wäre er ein zu vornehmer Herr, um auf demselben Boden zu gehen, wie wir.«

»Der dort? ich kenne ihn nicht; doch er ist mit einem unserer Bekannten gekommen.«

»Mit wem?«

»Oh! mit Einem, der nicht verdächtig ist.«

»Mit wem ist er denn gekommen?«

»Mit Herrn Marat.«

»He! he! . . . und der Wein?« rief Hébert, indem er sich an Jourdan mit einer halb freundschaftlichen, halb drohenden Geberde wandte, welche dieser durch eine analoge Bewegung des Kopfes und der Schultern erwiederte; »unser Wein?«

Dann die Hand einer neuen Person reichend, welche in diesem Augenblicke eingetreten war und mitten durch die ehrenwerthe Versammlung mit dem anmuthigen, geschmeidigen Wesen einer Katze schlüpfte:

»Ah! komm doch, Bordier, daß ich Dich Herrn Collot d'Herbois, einem Collegen, vorstelle.«

Der Ankömmling verbeugte sich, indem er seine Hände kreuzte und eine reizende Kopfbewegung machte.

»Herr Collot d'Herbois, mein Freund Bordier, der berühmte Arlequin, der gerade im Zuge ist, das Glück der Varietes zu machen, wo er im Augenblicke: Arlequin, Kaiser im Monde spielt, ein Werk, welches sicherlich nicht den Werth der Ihrigen hat, das aber ganz Paris anzieht.«

»Ich habe den Herrn gestern gesehen,« ermiederte Collot, »und ich habe ihm mit dem größten Vergnügen Beifall zugeklascht.«

»Mein Herr. . .« sprach der Arlequin sich aufs Neue verbeugend.

»Sie sagen besonders auf eine bewunderungswürdige Weise: »»Ihr werdet sehen, daß ich bei Alle dem am Ende eines Tages gehenkt werde!««

»Sie finden, mein Herr?« versetzte Bordier.

»Oh! bei meinem Worte, es ist unmöglich, eine mehr durch die Angst komische Betonung zu finden, als es die Ihrige ist.«

»Stellen Sie sich vor, daß ich in das Stück diese Phrase habe setzen lassen, welche nicht darin war.«

»Und aus welchem Grunde?«

»Ah! hören Sie. Als Kind sah ich einen Menschen henken; das war sehr häßlich. In der folgenden Nacht träumte ich, ich werde gehenkt; das war sehr traurig. Der Traum und die Wirklichkeit sind mir so lebendig im Geiste geblieben, daß ich schaudere, so oft ich an einen Galgen denke! Sie wissen aber, man ist Künstler, oder man ist es nicht: Dugazon hat zweiundvierzig Manieren, die Nase zu bewegen, erfunden, und mit jeder macht er lachen; ich habe nur eine Manier erfunden, zu sagen: »»Ihr werdet sehen, daß ich bei Alle dem am Ende eines Tages gehenkt werde!«« und ich mache beinahe weinen . . . Doch verzeihen Sie, ich glaube, die Sitzung beginnt.«

Es war wirklich das zweite Licht, welches das Bureau zu beleuchten bestimmt, angezündet worden, und der Vicepräsident Fournier schien den Präsidenten Marat einzuladen, er möge den Stuhl einnehmen. Marat weigerte sich aber.

»Was hat denn Marat heute?« fragte Bordier; »man sollte glauben, er lehne die Ehre des Präsidiums ab.«

»Er will ohne Zweifel sprechen,« erwiederte Hébert.

»Spricht er gut?« fragte Collot d'Herbois.

»Ich glaube wohl!« antwortete Hébert.

»Wie wer spricht er?«

»Wie wer? Er spricht wie Marat.«

In diesem Augenblicke ließ sich die Glocke des Vizepräsidenten hören; ein Schauer durchlief die Versammlung. Auf ein Zeichen von Jourdan verrammelte ein Aufwärter der Schenke die Kelleröffnung. Marat nahm Danton beim Arme und führte ihn in die erste Reihe des Kreises, der sich um die Tribune bildete; auf die Töne der Glocke folgten die vom Vicepräsidenten ausgesprochenen Worte:

»Bürger, die Sitzung ist eröffnet.«

Alsbald erlosch das Gemurmel, das über dieser Menge schwebte, und es trat eine Art von Stille ein, in der man indessen alle die Volkstumulte leben fühlte, welche die Sitzung unterbrechen sollten, von der wir Rechenschaft zu geben versuchen wollen.

Ingénue

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