Читать книгу Der Chevalier von Maison-Rouge - Александр Дюма - Страница 12

01 – 04. Bändchen
XII.
Liebe

Оглавление

Maurice lebte in der That nach einiger Zeit sehr glücklich und sehr unglücklich. Es ist immer so beim Anfang großer Leidenschaften.

Seine gewöhnliche Arbeit bei der Section Lepelletier, seine Besuche am Abend in der Rue Vieille-Saint-Jacques, sein Erscheinungen da und dort im Club der Thermophylen füllten alle seine Tage aus.

Er verleugnete sich nicht, daß Geneviève jeden Abend in langen Zügen eine hoffnungslose Liebe trinken hieß.

Geneviève war eine von den züchtigen, aber scheinbar leichten Frauen, welche treuherzig einem Freunde die Hand reichen, unschuldig ihre Stirne seinen Lippen mit den, Vertrauen einer Schwester oder der Unwissenheit einer Jungfrau nahem, vor denen aber Liebesworte Blasphemie, und materielle Begierden Ruchlosigkeiten zu sein scheinen.

Gibt es in den reinsten Träumen, welche die erste Weise von Raphael auf die Leinwand befestigt hat, eine Madonna mit lächelnden Lippen, mit keuschen Augen, mit dem himmlischen Ausdrucke, so ist sie es, die man dem göttlichen Schüler von Perugnio entlehnen muß, um daraus das Portrait von Geneviève zu machen.

Inmitten dieser Blumen, deren Frische und Wohlgeruch sie besaß, abgesondert von den Arbeiten ihres Gatten und von ihrem Gatten selbst, erschien Geneviève Maurice so oft er sie sah, wie ein lebendiges Räthsel, dessen Sinn er nicht errathen konnte, und dessen Schlüssel er nicht fordern wagte.

Eines Abends, als er wie gewöhnlich mit ihr allein geblieben war, als sie Beide an dem Fenster saßen, durch welches er einst so geräuschvoll und hastig eingedrungen als die Wohlgerüche des blühenden Flieders mit dem sanften Abendwinde herbeischwammen, der auf den strahlenden Sonnenuntergang folgt, wagte es Maurice, nach eine langen Stillschweigen, und nachdem er während dieses Stillschweigens dem verständigen, andächtigen Auge von Geneviève gefolgt war, das einen aus dem Azur des Himmels hervortretenden silbernen Stern betrachtete, wagte es, sie zu fragen, wie es käme, daß sie so jung wäre, während ihr Gatte bereits das mittlere Lebensalter überschritten hatte, so erhaben in ihrem Wesen, während Alles bei ihrem Gatten eine gewöhnliche Erziehung, eine niedrige Geburt bezeichnete; so poetisch endlich, indeß ihr Gatte seine Aufmerksamkeit ganz allein dem Geschäfte des Abwägens des Ausbreitens und des Färbens der Häute seiner Fabrik widmete.

»Warum,« fragte Maurice, »warum bei einem Gerbermeister diese Harfe, dieses Piano, diese Pastellemalereien von denen Sie mir zugestanden haben, sie seien Ihr Wert. Warum endlich diese Aristokratie, die ich bei Andern verabscheue, während ich sie bei Ihnen anbete?«

Geneviève heftete auf Maurice einen Blick voll Unschuld und antwortete:

»Ich danke für diese Frage; sie beweist mir, daß Sie der zartfühlender Mann sind, und daß Sie sich nie bei irgend Jemand nach mir erkundigt habe.,«

»Nie, Madame: ich habe einen ergebenen Freund, der für mich sterben würde, ich habe hundert Kameraden, welche bereit sind, überallhin zu marschieren, wohin ich sie führen werde; doch wenn es sich um eine Frau handelt und besonders um eine Frau wie Geneviève, so kenne ich von allen diesen Herzen nur ein einziges, dem ich mich anvertraue, und das ist das meinige.«

»Ich danke, Maurice,« sprach die junge Frau. »Ich werde Sie also selbst von Allem unterrichten, was Sie zu wissen wünschen.«

»Zuerst Ihr Name als Mädchen?« fragte Maurice; »ich kenne Sie nur unter Ihrem Frauennamen.«

Geneviève begriff den verliebten Egoismus dieser Frage und lächelte.

»Geneviève du Treilly,« sagte sie.

Maurice wiederholte:

«Geneviève du Treilly.«

»Meine Familie,« fuhr Geneviève fort, »war zu Grunde gerichtet, seit dem amerikanischen Kriege, an welchem mein Vater und mein älterer Bruder Theil genommen hatten «

»Beide Edelleute?« versetzte Maurice.

»Nein, nein,« entgegnete Geneviève erröthend.

»Sie haben mir doch gesagt, Ihr Mädchenname sei Geneviève du Treilly gewesen«

»Ohne Partikel, Herr Maurice; meine Familie war reich, gehörte aber in keiner Hinsicht zum Adel.«

»Sie mißtrauen mir,« versetzte lächelnd der junge Mann.

»Oh! nein, nein,« erwiderte Geneviève. »In Amerika war mein Vater mit dem Vater von Herrn Morand in Verbindung getreten; Herr Dirmer war der Geschäftsfreund von Herrn Morand. Dieser sah, daß wir Grunde gerichtet waren, er wußte, daß Herr Dirmer ein unabhängiges Vermögen besaß, und stellte ihn meine Vater vor, der ihn wiederum mir vorstellte. Ich bemerkte daß man zum Voraus eine Heirath beschlossen hatte, ich begriff, daß dies der Wunsch meiner Familie war, ich liebte nicht, hatte nie geliebt, und willigte ein. Seit drei Jahren bin ich die Frau von Dirmer und ich muß sagen, seit drei Jahren ist mein Gatte so gut, so vortrefflich gegen mich gewesen, daß ich trotz der von ihnen wahrgenommenen Verschiedenheit des Geschmacks und des Alters die Verbindung nicht einen Augenblick bereut habe.«

»Doch als Sie Herrn Dirmer heiratheten, stand er noch nicht an der Spitze dieser Fabrik?«

»Nein, wir wohnten in Blois. Nach dem 10. August kaufte Herr Dirmer dieses Haus und die dazu gehörigen Werkstätten; damit ich nicht mit den Arbeiten vermengt wäre, und um mir sogar den Anblick der Dinge zu ersparen, welche meine, wie Sie sagten, ein wenig aristokratischen Gewohnheiten hätten verletzen können, schenkte er mir diesen Pavillon, wo ich allein, zurückgezogen, nach meinem Geschmacke, nach meinen Wünsche und glücklich lebe, wenn ein Freund, wie Sie, Maurice, kommt, um meine Träumereien zu zerstreuen oder zu theilen.«

Nach diesen Worten reichte Geneviève Maurice ein Hand, die dieser inbrünstig küßte.

Geneviève erröthete leicht.

»Nun, mein Freund,« sagte sie, indem sie ihre Hand zurückzog, »nun wissen Sie, wie es kommt, daß ich die Frau von Herrn Dirmer bin.«

»Ja,« versetzte Maurice, Geneviève fest anschauend »doch Sie sagen mir nicht, wie Herr Morand der Associé von Herrn Dirmer geworden ist?«

»Oh! das ist ganz einfach. Herr Dirmer hatte, wie ich Ihnen sagte, einiges Vermögen, doch nicht genug, um für sich allein eine Fabrik von der Wichtigkeit dieser zu übernehmen. Der Sohn von Herrn Morand, seinem Beschützer, wie ich Ihnen sagte, von diesem Freunde meines Vaters, wie Sie sich erinnern, schoß die Hälfte der Fonds zu, und da er Kenntnisse in der Chemie besaß, gab er sich der Ausbeutung mit jener Thätigkeit hin, welche Sie selbst bemerken konnten, und durch die der Handel von Herrn Dirmer, der von ihm mit dem ganzen materiellen Theile beauftragt wurde, eine ungeheure Ausdehnung gewonnen hat.«

»Und Herr Morand ist auch einer von Ihren guten Freunden, nicht wahr, Madame?«

»Herr Morand ist eine edle Natur, eines von den erhabensten Herzen, die sich unter dem Himmel finden,« antwortete Geneviève mit ernstem Tone.

»Wenn er Ihnen keine andere Proben davon gegeben hat,« sagte Maurice etwas gereizt durch die Wichtigkeit, welche die junge Frau dem Associé ihres Mannes beilegte, »als die, daß er die Kosten des Etablissement mit Herrn Dirmer theilte und eine neue Farbe für den Maroquin erfand, so erlauben Sie mir, Ihnen zu bemerken, daß das Lob, das Sie ihm spenden, sehr pomphaft ist.«

»Er hat mir noch andere Beweise gegeben, mein Herr,« erwiderte Geneviève.

»Doch er ist noch jung, nicht wahr?« fragte Maurice, obgleich es bei seiner grünen Brille schwierig ist, zu sagen, welches Alter er hat.«

»Er ist fünf und dreißig Jahre alt.«

»Sie kennen sich seit langer Zeit?«

»Seit unserer Kindheit.«

Maurice biß sich aus die Lippen. Er hatte Morand stets im Verdacht gehabt, er liebe Geneviève.

»Ah!« sagte Maurice, »das erklärt seine Vertraulichkeit mit Ihnen.«

»In den Schranken gehalten, wie Sie stets gesehen haben, mein Herr,« entgegnete Geneviève lächelnd, »es scheint diese Vertraulichkeit, welche kaum die eines Freundes ist, bedurfte keiner Erklärung.«

»Oh! verzeihen Sie, Madame, Sie wissen, daß ich lebhafte Zuneigung ihre Eifersucht hat, und meine Freundschaft war eifersüchtig auf die, welche Sie für Herr Morand zu hegen schienen.«

Er schwieg. Geneviève schwieg ebenfalls. Es war an diesem Tage nicht mehr die Rede von Morand, und Maurice verließ diesmal Geneviève verliebter als je, denn er war eifersüchtig.

So blind auch der junge Mann war, welche Binde, ihm seine Leidenschaft um die Augen legte, welche Unruhe sie auch in sein Herz brachte, so fanden sich doch in der Erzählung von Geneviève viele Lücken, viele Stockungen, viele Verschweigungen, auf welche er im Augenblick nicht aufmerksam geworden war, die ihm aber später wieder den Kopf kamen, ihn seltsam peinigten, ohne daß er dabei die große Freiheit, welche ihm Dirmer ließ, mit Geneviève so oft und so lange, als es ihm gefiel, zu plaudern, und die Einsamkeit, in der sich Beide jeden Abend befanden, zu beruhigen vermochten. Mehr noch, Maurice, der der tägliche Gast des Hauses geworden war blieb nicht nur in völliger Sicherheit mit Geneviève welche übrigens gegen die Wünsche des jungen Mann durch ihre Engelreinheit beschützt zu sein schien, sondern begleitete sie auch bei den Gängen, die sie von Zeit zu Zeit im Quartiere zu machen genöthigt war.

Inmitten dieses vertraulichen Verhältnisses, das er im Hause gewonnen hatte, setzte ihn Eines in Erstaunen, dies war der Umstand, daß je mehr er, allerdings vielleicht, um die Gefühle besser bewachen zu können, die er bei ihm für Geneviève voraussetzte, daß je mehr er, sagen wir, nähere Bekanntschaft mit Morand zu machen suchte dessen Geist ihn, trotz seiner Vorurtheile, verführte, dessen erhabene Manieren ihn ungemein anzogen, dieser seltsam Mann sich absichtlich immer mehr von Maurice zu entfernen bemüht war. Er beklagte sich bitter bei Geneviève, denn er zweifelte nicht, daß Morand in ihm einen Nebenbuhler errathen hatte und daß es von seiner Seite die Eifersucht war, was ihn von ihm entfernte.

»Der Bürger Morand haßt mich,« sagte er eines Tages zu Geneviève.

»Sie,« entgegnete Geneviève, indem sie ihn mit ihrem schönen, erstaunten Auge anschaute; »Sie, mein Herr, Morand haßt Sie?«

»Ja, ich bin dessen sicher.«

»Und warum soll« er Sie hassen?«

»Soll ich es Ihnen sagen?« rief Maurice.

»Gewiß,« versetzte Geneviève.

»Nun wohl … weil ich . . .«

Maurice hielt inne. Er wollte sagen: »weil ich Sie liebe.«

»Ich kann Ihnen nicht mittheilen, warum,« sprach Maurice erröthend. Der wilde Republikaner war bei Geneviève schüchtern und verzagt wie ein Mädchen.

Geneviève lächelte.

»Sagen Sie,« versetzte sie, »sagen Sie, es finde keine Sympathie zwischen Ihnen statt, und ich werde Ihnen vielleicht glauben. Sie sind eine glühende Natur, ein glänzender Geist, ein Mann von ausgezeichnetem Charakter. Morand ist ein auf einen Chemiker gepfropfter Kaufmann. Er ist schüchtern, er ist bescheiden. Und diese Schüchternheit, diese Bescheidenheit verhindern ihn, den einen Schritt Ihnen entgegen zu thun.«

»Und wer verlangt, daß er mir den ersten Schritt entgegen thun soll? Ich habe fünfzig ihm entgegen gethan. Er hat mir nie geantwortet. Nein,« fuhr Maurice den Kopf schüttelnd fort, »nein, es ist sicherlich nicht dieses.«

»N»n, was ist es denn?«

Maurice zog es vor, zu schweigen.

Am andern Tage, nachdem er diese Erklärung mit Geneviève gehabt hatte, kam er Nachmittags um zwei Uhr zu ihr; er fand sie in einer Ausgangstoilette.

»Ah! seien Sie willkommen,« sagte Geneviève, »Sie werden mir als Ritter dienen.«

»Und wohin gehen Sie?« fragte Maurice.

»Ich muß nach Auteuil. Das Wetter ist köstlich und ich wünschte ein wenig zu Fuß zu gehen; unser Wagen wird uns bis jenseits der Barrière führen, dann gehen wir zu Fuße nach Auteuil, und wenn ich beendigt habe, was mir in Auteuil zu besorgen obliegt, kehren wir zurück und nehmen wieder unsern Wagen, der bei der Barrière auf uns wartet.«

»Oh!« rief Maurice entzückt, »welch einen herrlichen Tag bieten Sie mir!«

Die zwei jungen Leute entfernten sich. Jenseits der Barrière stiegen sie aus, sprangen leicht auf den Rand des Weges und setzten ihre Promenade zu Fuß fort.

Als sie nach Auteuil kamen, blieb Geneviève stehen.

»Erwarten Sie mich am Saume des Parkes,« sagt sie, »wenn ich meine Angelegenheiten beendigt habe, hole ich Sie wieder ab.«

»Zu wem gehen Sie?«

»Zu einer Freundin.«

»Zu der ich Sie nicht begleiten kann?«

Geneviève schüttelte lächelnd den Kopf und erwiderte:

»Unmöglich,«

Maurice biß sich aus die Lippen.

»Es ist gut,« sagte er, »ich werde warten.«

»Was denn?« fragte Geneviève.

»Nichts,« antwortete Maurice. »Werden Sie lange ausbleiben?«

»Wenn ich Sie zu belästigen geglaubt hätte, wenn ich gewußt hätte, daß Ihr Tag in Anspruch genommen ist,« versetzte Geneviève, »so hätte ich Sie nicht um den kleinen Dienst, mit mir zu kommen, gebeten; ich hätte mich von . . . .«

»Von Herrn Morand begleiten lassen,« unterbrach sie Maurice lebhaft.

»Nein, Sie wissen, daß Herr Morand in der Fabrik von Rambouillet ist und erst diesen Abend zurückkommen soll.«

»Ah! diesem Umstande habe ich den Vorzug zu verdanken?«

»Maurice,« sprach Geneviève mit sanftem Tone, ich kann die Person, mit der ich mich zusammen beschieden, nicht warten lassen: wenn es Ihnen lästig wird, mich zu führen, so kehren Sie nach Paris zurück, nur schicken Sie mir meinen Wagen.«

»Nein, nein, Madame,« versetzte Maurice lebhaft.

Und er grüßte Geneviève; diese stieß einen schwachen Seufzer aus und ging nach Auteuil hinein,

Maurice begab sich zu der verabredeten Stelle, spazierte auf und ab und schlug mit seinem Stocke, wie Tarquinius, alle Köpfe von Gräsern, Blumen oder Disteln ab, die er auf seinem Wege fand. Dieser Weg war indessen auf einen kleinen Raum beschränkt; wie alle sehr unruhige Menschen, drehte sich Maurice immer nach wenigen Schritten wieder um.

Was Maurice so sehr beunruhigte war, daß er durchaus hätte wissen mögen, ob ihn Geneviève liebte oder nicht liebte: ihr ganzes Benehmen gegen den jungen war das einer Schwester und einer Freundin; doch er fühlte, daß dies nicht mehr genügte. Er liebte mit seiner vollen Liebe. Sie war der einzige Gedanke seiner Tage, der unablässig erneuerte Traum seiner Nächte geworden. Früher verlangte er nichts Anderes, als Geneviève wiederzusehen, jetzt war dies nicht mehr genug: Geneviève mußte ihn lieben.

Geneviève blieb eine Stunde abwesend, die ihm ein Jahrhundert dünkte; dann sah er sie mit einem Lächeln auf den, Lippen erscheinen. Maurice trat im Gegentheil mit gefalteter Stirne auf sie zu. Unser armes Herz ist so beschaffen, daß es den Schmerz gerade aus dem Schoß des Glückes zu schöpfen trachtet.

Geneviève nahm lächelnd den Arm von Maurice.

»Hier bin ich,« sagte sie; »verzeihen Sie, mein Freund daß ich Sie habe warten lassen.«

Maurice antwortete durch eine Bewegung des Kopfes und Beide wählten den Weg durch eine weiche, reizende schattige, buschige Allee, welche sie auf einem Umweg nach der Landstraße zurückführen sollte.

Es war einer von den köstlichen Frühlingsabende wo jede Pflanze dem Himmel ihre Ausströmung zusendet, wo jeder Vogel, unbeweglich auf dem Zweige oder durch das Gesträuch hüpfend, Gott seine Liebeshymne zuwirft, einer von jenen Abenden endlich, welche in der Erinnerung zu leben bestimmt scheinen.

Maurice war stumm; Geneviève war nachdenkend, sie entblätterte mit einer Hand die Blumen eines Straußes, den sie mit ihrer andern Hand hielt, welche aus den Arm von Maurice gestützt war.

»Was haben Sie?« fragte plötzlich Maurice, »und was macht Sie heute so traurig?«

Geneviève hatte ihm antworten können: Mein Glück!

Sie schaute ihn mit ihrem sanften, poetischen Blick an und, sprach:

»Aber Sie selbst, sind Sie nicht trauriger als gewöhnlich?«

»Ich,« versetzte Maurice, »ich habe ein Recht, traurig zu sein, ich bin unglücklich; doch Sie . . .«

»Sie, unglücklich?«

»Allerdings; bemerken Sie nicht zuweilen am Zittern, meiner Stimme, daß ich leide? Begegnet es mir nicht, wenn ich mit Ihnen oder Ihrem Gatten spreche, daß ich plötzlich aufstehe und genöthigt bin, vom Himmel Luft zu verlangen, weil es mir vorkommt, als zerspränge mein Brust?«

»Welchem Umstande schreiben Sie dieses Leiden zu? fragte Geneviève verlegen

»Wenn ich ein geziertes Mädchen wäre,« sagte Maurice mit einem schmerzlichen Gelächter, »so würde ich Ihnen antworten, ich leide an den Nerven.«

»Und in diesem Augenblick leiden Sie?«

»Sehr.«

»Dann lassen Sie uns nach Hause zurückkehren.«

»Schon, Madame?«

.Allerdings.«

»Ah! es ist wahr,« murmelte der junge Mann, »ich vergaß, daß Herr Morand mit Einbruch der Nacht von Rambouillet zurückkommen soll, und daß die Nacht eben anbricht.«

Geneviève schaute ihn mit einem Ausdruck des Vorwurfes an.

»Ei! abermals,« sagte sie.

»Warum haben Sie neulich Herrn Morand ein so pomphaftes Lob gespendet?« versetzte Maurice. »Es ist Ihr Fehler.«

»Seit wann darf man in Gegenwart von Leuten, die man achtet, nicht sagen, was man von einem achtbaren Manne denkt?«

»Es ist eine sehr lebhafte Achtung, welche die Schritte so sehr beschleunigen macht, wie Sie es in diesem Augenblicke thun, aus Furcht, einige Minuten zu spät zu kommen.«

»Sie sind heute unendlich ungerecht, Maurice; habe ich nicht einen Theil des Tages mit Ihnen zugebracht?«

»Sie haben Recht, und ich bin in der That zu anspruchsvoll,« versetzte Maurice, der sich dem Ungestüm seines Charakters hingab. »Wir wollen Herrn Morand wiedersehen, vorwärts.«

Geneviève fühlte den Aerger von ihrem Geiste in ihr Herz übergehen.

»Ja,« sagte sie, »wir wollen Herrn Morand wiedersehen. Dieser ist wenigstens ein Freund, der mir nie eine

Pein bereitet.

»Solche Leute sind kostbare Freunde,« sagte Maurice, vor Eifersucht erstickend, »und ich weiß, daß ich meines Theils ähnliche kennen zu lernen wünschte«

Sie waren in diesem Augenblick aus der Landstraße. Der Horizont röthete sich; die Sonne fing an zu verschwinden und ließ ihre letzten Strahlen auf den, vergoldeten Simswerk des Doms der Invaliden funkeln. Ein Stern, der erste, derjenige, welcher schon an einem anderen, Abend die Blicke von Geneviève auf sich gezogen hat, glänzte im flüssigen Azur des Himmels.

Geneviève verließ den Arm von Maurice mit duldender Traurigkeit und sprach:

»Was haben Sie mich denn leiden zu machen?«

»Ah!« versetzte Maurice, »das geschieht, weil ich minder geschickt bin, als gewisse Menschen, die ich kenne, ich nicht weiß, wie man sich Liebe erringt.«

» Maurice! . . .« rief Geneviève.

»Oh! Madame, wenn er beständig gut, beständig gleich ist, so ist dies nur der Fall, weil er nicht leidet.

Geneviève stützte abermals ihre weiße Hand auf den mächtigen Arm von Maurice.

»Ich bitte Sie,« sagte sie mit bebender Stimme, »sprechen Sie nicht mehr, sprechen Sie nicht mehr.«

»Und warum?«

»Weil mir Ihre Stimme weh thut.«

»Also mißfällt Ihnen Alles an mir, sogar meine Stimme?«

»Schweigen Sie, ich beschwöre Sie.«

»Ich werde gehorchen, Madame.«

Und der ungestüme junge Mann fuhr mit der Hand über seine von Schweiß befeuchtete Stirne.

Geneviève sah, daß er wirklich litt. Die Natur von der Art von Maurice haben unbekannte Schmerzen.

»Sie sind mein Freund, Maurice,« sagte Geneviève, indem sie ihn mit einem himmlischen Ausdruck anschaute ein kostbarer Freund für mich: Maurice, machen Sie, daß ich meinen Freund nicht verliere.«

»Oh! Sie würden seinen Verlust nicht lange bedauern.«

«Sie täuschen sich, ich würde ihn lange bedauern, immer!«

»Geneviève! Geneviève!« rief Maurice, »haben Sie Mitleid mit mir!«

Geneviève schauerte.

Es war das erste Mal, daß Maurice ihren Namen mit so tiefen Ausdruck sprach,

»Nun wohl,« fuhr Maurice fort, »da Sie mich errathen haben, so lassen Sie mich Alles sagen, Geneviève; und sollten Sie mich auch mit einem Blicke tödten. . . ich schweige zu lange; ich werde sprechen, Geneviève.«

»Mein Herr,« rief die junge Frau, »ich habe Sie im Namen unserer Freundschaft angefleht, zu schweigen; mein Herr, ich flehe Sie abermals an, daß Sie meinetwegen schweigen, wenn Sie es nicht Ihretwegen thun wollen, kein Wort mehr, im Namen des Himmels, kein Wort mehr!«

»Die Freundschaft, die Freundschaft. Ah! wenn Sie eine Freundschaft der ähnlich, welche Sie für mich hegen, auch für Herrn Morand haben, so leiste ich Verzicht auf Ihre Freundschaft, Geneviève: ich brauche mehr als Andere.«

»Genug,« versetzte Madame Dirmer mit einer königlichen Geberde, »genug, Herr, Lindey; hier ist unser Wagen, wollen Sie mich zu meinem Gatten zurückführen.«

Maurice zitterte vor Fieber und Aufregung; als Geneviève, um zum Wagen zurückzukehren, der nur ein paar schritte entfernt stand, ihre Hand auf den Arm von Maurice legte, kam es dem jungen Mann vor, als wäre diese Hand von Flammen. Beide stiegen in den Wagen, fuhr durch ganz Paris, ohne daß Eines oder das Andere ein Wort gesprochen hätte. Nur hielt Geneviève auf der ganzen Fahrt ihr Sacktuch vor die Augen.

Als sie nach der Fabrik zurückkamen, war Dirmer in seinem Arbeitscabinet beschäftigt; Morand kehrte von Rambouillet nach Hause und wechselte eben die Kleider. Geneviève reichte Maurice in ihr Zimmer tretend die Hand und sagte zu ihm:

»Leben Sie wohl, Maurice, Sie haben es gewollt!

Maurice antwortete nicht, er ging gerade auf Kamin zu, wo ein Miniaturbild Geneviève vorstellt hing: er küßte es glühend, drückte es an sein Herz, brachte es wieder an seinen Platz und verließ das Zimmer.

Maurice kehrte in seine Wohnung zurück, ohne wissen wie; er durchschritt Paris, ohne etwas zu sehen ohne etwas zu hören; die Dinge waren vor ihm vorgefallen wie in einem Traum, und er konnte sich weder von seinen Handlungen, noch von seinen Worten, noch von dem Gefühl, das ihm dieselben eingeflößt, Rechenschaft ablegen. Es gibt Augenblicke, wo die heiterste, die kräftigste Seele sich zu Heftigkeiten hinreißen läßt, welche die untergeordneten Gewalten der Einbildungskraft fehlen.

Maurice ging nicht nach Hause, er lief: er entkleidete sich ohne die Hilfe seines Kammerdieners; er antwortete seiner Köchin nicht, die ihm ein bereitstehendes Abendbrot zeigte, nahm, die Briefe des Tages vom Tische, las sie alle, einen nach dem andern, oh ein einziges Wort zu verstehen. Der Nebel der Eifersucht, der Rausch der Vernunft waren noch nicht verschwunden.

Der Chevalier von Maison-Rouge

Подняться наверх