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01 – 04. Bändchen
IX.
Das Abendbrot
ОглавлениеAls Maurice mit Dirmer und Geneviève in de Speisesaal trat, der in dem Hauptgebäude lag, wohin man ihn am Anfang geführt hatte, war das Abendbrot aufgetragen, aber der Saal noch leer.
Er sah nach und nach alle Gäste, sechs an der Zahl eintreten.
Es waren insgesamt Männer von angenehmen Aeußerem, meistens jung, nach der Mode des Tages gekleidet, und zwei oder drei hatten sogar die Carmagnole um die rothe Mütze.
Dirmer stellte ihnen Maurice vor und nannte sein Titel und Eigenschaften.
Dann wandte er sich gegen Maurice und sprach:
»Sie sehen, Bürger Lindey, Sie sehen hier alle Personen, die mich in meinem Gewerbe unterstützen; in Folge der Zeitläufe, in Folge der revolutionären Grundsätze, welche die Entfernung ausgehoben haben, leben wir Alle auf dem Fuße der heiligsten Gleichheit. Alle Tage vereinigt uns zweimal derselbe Tisch und ich bin glücklich, daß Sie die Güte haben, unser Familienmahl zu theilen. Auf, zu Tische, Bürger, zu Tische.«
»Und. . . und Herr Morand,« sagte schüchtern Geneviève, »warten wir nicht auf ihn?«
»Ah! es ist wahr,« antwortete Dirmer. »Der Bürger Morand, von dem ich Ihnen schon gesprochen habe, Bürger Lindey, ist mein Associé. Er ist, wenn ich so sagen darf, mit dem moralischen Theile des Hauses beauftragt; er besorgt die Schreibereien, führt die Kasse, ordnet die Rechnungen, gibt und empfängt das Geld und hat deshalb m meisten Geschäfte von uns Allen. Daher kommt es, daß er zuweilen länger ausbleibt. Ich will ihn benachrichtigen lassen.«
In diesem Augenblick öffnete sich die Thür und der Bürger Morand trat ein.
Es war ein Mann von kleinem Wuchse, braun, mit dicken Augenbrauen; eine grüne Brille, wie sie die Menschen tragen, deren Gesicht durch die Arbeit angestrengt ist, verbarg seine schwarzen Augen, verhinderte aber den Funken nicht, hervorzuspringen. Bei den ersten Worten, die er sprach, erkannte Maurice die zugleich sanfte und gebieterische Stimme, welche beständig bei der furchtbaren Berathung, die ihm beinahe das Leben gekostet hätte, für das mildere Verfahren gewesen war; er trug einen braunen Frack mit großen Knöpfen, eine Weste von weißer Seide, und sein ziemlich feiner Jabot wurde häufig während des Abendbrotes von einer Hand geplagt, deren Weiße und Zartheit, ohne Zweifel, weil es die eines Lederhändlers war, Maurice ungemein bewunderte.
Man nahm Platz. Der Bürger Morand wurde zur Rechten von Geneviève, Maurice zu ihrer Linken gesetzt; Dirmer setzte sich seiner Frau gegenüber; die andern Gäste nahmen ohne zu wählen ihren Posten um eine längliche Tafel.
Das Abendbrot war ausgesucht: Dirmer hatte de Appetit eines Gewerbsmannes und machte mit viel Herrlichkeit die Honneurs seines Tisches. Die Arbeiter, oder diejenigen, welche für solche galten, leisteten ihm in dieser Hinsicht gute Gesellschaft. Der Bürger Morand sprach wenig, aß noch weniger, trank beinahe nichts, und lacht selten. Maurice fühlte bald, vielleicht wegen der Erinnerungen, die seine Stimme wieder erregte, eine lebhaft Sympathie für ihn; nur war er im Zweifel über sei Alter, und dieser Zweifel beunruhigte ihn; bald hielt er ihn für einen Mann von vierzig bis fünf und vierzig Jahren, bald für einen ganz jungen Menschen.
Dirmer hielt sich, als sie sich zu Tische setzten, für verbunden, seinen Gästen eine Art von Grund für die Zulassung eines Fremden in ihren kleinen Kreis anzugeben.
Er entledigte sich dieser Verbindlichkeit als ein naiver und wenig an das Lügen gewöhnter Mann. Doch die Gäste schienen nicht sehr schwierig in Beziehung auf Gründen zu sein, denn trotz aller Ungeschicklichkeit, mit der der Lederhändler hierbei zu Werke ging, befriedigte seine kleine Einführungsrede Jedermann.
Maurice schaute ihn erstaunt an und sprach in seinen Innern:
»Bei meiner Ehre, ich glaube, ich täusche mich. Ist dies derselbe Mann, der mich vor drei Viertelstunden mit glühendem Auge und drohender Stimme, einen Carabiner, in der Hand, verfolgte und durchaus tödten wollte? In jenem Augenblick hätte ich ihn für einen Helden oder für einen Mörder gehalten, Alle Wetter! wie die Liebe zum Ledergeschäft einen Menschen verwandelt?«
Es walteten in der Tiefe des Herzens von Maurice während er alle diese Bemerkungen machte, ein Schmerz und eine Freude, beide so tief, daß der junge Mann sich nicht hätte genau sagen können, was die Lage seiner Seele war. Er befand sich endlich wieder bei der schönen Unbekannten die er so sehr gesucht: sie hatte, wie er es sich zuvor geträumt, einen süßen Namen. Er berauschte sich indem Glück, sie an seiner Seite zu fühlen; er verschlang ihre geringsten Worte, und der Ton ihrer Stimme, so oft sie erklang, machte die geheimsten Saiten seines Herzens vibriren. Doch dieses Herz war gebrochen durch das, was er sah.
Genevièvewar wohl so, wie er sie im Helldunkel erblickt: jenen Traum einer stürmischen Nacht zerstörte die Wirklichkeit nicht. Es war wohl die zierliche Frau mit dem traurigen Auge, mit dem erhabenen Geist. Es war wohl, was sich so oft in den letzten Jahren, die dem berüchtigten Jahre 93, in welchem man sich befand, vorhergegangen, ereignet hatte, es war wohl das Mädchen von Rang, wegen des immer tieferen Ruins, in den der Adel versunken, genöthigt, eine Verbindung mit dem Bürgerthum, mit dem Handel einzugehen. Dirmer schien ein braver Mann zu sein; er war unzweifelbar reich; sein Benehmen gegen Genevièvewar sichtbar das eines Menschen, der sich die Ausgabe stellt, eine Frau glücklich zu machen. Aber diese Gutmüthigkeit, dieser Reichthum, diese vortrefflichen Absichten, konnten sie die ungeheure Kluft ausfüllen, welche zwischen der Frau und dem Mann, zwischen dem poetischen, ausgezeichneten, reizenden Mädchen und dem Mann mit den materiellen Geschäften und dem gemeinen Aussehen befestigt war? Mit welchem Gefühle füllte Geneviève diese Kluft aus?. . . Ach! der Zufall sagte es um Maurice hinreichend, mit der Liebe. Und er mußte wohl auf die erste Meinung, die er von der jungen Frau gehabt, zurückkommen, nämlich auf die, daß sie an dem Abend, wo er ihr begegnet war, von einem Liebesrendezvous nach Hause kehrte.
Der Gedanke, daß Geneviève einen Mann liebe, marterte das Herz von Maurice.
Dann seufzte er, dann beklagte er es, daß er gekommen war, um eine noch stärkere Dose von dem Gifte zu nehmen, das man Liebe nennt.
In anderen Augenblicken, wenn er die so sanfte, so reine, so harmonische Stimme hörte, wenn er diesen so durchsichtigen Blick befragte, der nicht zu befürchten schien man könnte durch ihn in der Tiefe der Seele lesen, gelangt Maurice zum Glauben, ein solches Geschöpf wäre durchaus unfähig, zu täuschen, und dann fühlte er eine bittere Freude bei dem Gedanken, daß dieser schöne Körper, Seele und Materie, diesem guten Bürger mit dem ehrlichen Lächeln mit den Alltagsspäßen gehörte und immer nur ihm gehören würde.
Man sprach von Politik: das konnte kaum anders sein. Was in einer Zeit sagen, wo die Politik sich in Alles mischte, auf den Grund der Teller gemalt war, all Wände bedeckte, und zu jeder Stunde in den Straße proclamirt wurde.
Plötzlich verlangte einer von den Gästen, der bis dahin geschwiegen hatte, Kunde von den Gefangenen im Temple.
Maurice bebte unwillkührlich bei dem Klange dieser Stimme. Er erkannte den Mann, der, stets für die äußersten Mittel, ihn zuerst mit seinem Dolche gestochen und dann für seinen Tod gestimmt hatte.
Dieser Mann, ein Rothgerber, ein Werkführer, so bezeichnete ihn wenigstens Dirmer, erweckte bald die gute Laune von Maurice, als er die patriotischsten Gedanken und die revolutionärsten Grundsätze aussprach. Der junge Municipal war unter gewissen Umständen durchaus kein Feind von den kräftigen Maßregeln, wie sie damals so sehr in der Mode, und deren Apostel und Held Danton war. An der Stelle dieses Mannes, dessen Waffe und Stimme so schmerzliche Empfindungen bei ihm erregt hatten und noch erregten, hätte er denjenigen, welchen er für einen Spion gehalten, nicht ermordet, sondern in einen Garten geführt und hier, mit gleichen Waffen, einen Säbel in der Hand wie sein Gegner, ohne Gnade und Barmherzigkeit bekämpft. Das hätte Maurice gethan. Doch er begriff bald, wie es zu viel verlangen hieß, daß ein Rothgerbergeselle thun sollte, was Maurice gethan hätte.
Dieser Mann mit den äußersten Maßregeln, der in seinen politischen Ansichten dieselben heftigen Systeme haben schien, wie bei seinem Privatbenehmen, sprach also vom Temple und wunderte sich darüber, daß man seine Gefangenen einem permanenten, leicht zu bestechenden Rath und Minicipalen anvertraute, deren Treue schon mehr als einmal versucht worden war.
»Ja,« sprach der Bürger Morand, »doch man muß zugeben, daß bis jetzt bei jeder Veranlassung das Benehmen dieser Municipale das Vertrauen gerechtfertigt hat, welches die Nation in sie setzt, und die Geschichte wird einst sagen, nicht nur der Bürger Robespierre allein verdiene den Namen des Unbestechlichen.«
»Allerdings, allerdings,« versetzte der Andere, »doch daraus, daß eine Sache noch nicht geschehen ist, zu schließen, sie werde nie geschehen, wäre einfältig. Es ist gerade wie in der Nationalgarde,« fuhr der Werkführer fort; »die Compagnien der verschiedenen Sectionen werden jede nach ihm Reihe zum Dienst des Temple berufen und zwar ohne Unterschied. Gebt Ihr nicht zu, daß sich in einer Coipagnie von zwanzig bis fünf und zwanzig Mann ein Kern von acht bis zehn entschlossenen Burschen finden könnte, welche in einer schönen Nacht die Schildwachen ermorden und die Gefangenen entführen dürften?«
»Bah!« versetzte Maurice, »Du siehst, Bürger, daß dies ein schlechtes Mittel ist, denn vor drei Wochen oder einem Monat wollte man es anwenden, und es ist nicht gelungen.«
»Ja,« entgegnete Morand, »aber nur weil einer von den Aristokraten, welche die Patrouille bildeten, so unklug war, als er, ich weiß nicht mit wem sprach, sich das Wort mein Herr entschlüpfen zu lassen.«
»Und dann,« sagte Maurice, der durchaus beweisen wollte, die Polizei der Republik sei gut beschaffen, »und dann, weil man bereits die Rückkehr des Chevalier von Maison-Rouge nach Paris wahrgenommen hatte.«
»Bah!« rief Dinner.
»Man wußte, daß Maison-Rouge in Paris war fragte Morand mit kaltem Tone. »Und wußte man auch durch welches Mittel er dahin gekommen war?«
»Ganz genau.«
»Ah, Teufel!« versetzte Morand, indem er sich vorwärts neigte, um Maurice anzuschauen. »Ich wäre begierig, dies zu erfahren, bis jetzt hat man uns noch nichts Bestimmtes hierüber sagen können. Aber Sie, Bürger Sie, der Secretaire von einer der bedeutendsten Sectionen von Paris, Sie müssen besser unterrichtet sein?«
»Ganz gewiß,« erwiderte Maurice, »das was ich Ihnen sagen werde, ist auch strenge Wahrheit.«
Alle Gäste und selbst Genevièveschienen dem, wie der junge Mann zu sagen im Begriffe war, die größte Aufmerksamkeit zu schenken.
»Nun wohl.!« sprach Maurice, »der Chevalier von Maison-Rouge kam von der Vendée, wie es scheint; hatte mit seinem gewöhnlichen Glück ganz Frankreich durchzogen: während des Tags an der Barrière du Roule angelangt, wartete er hier bis Abends um neun Uhr. Um neun Uhr Abends ging eine Frau, als Frau aus dem Volke verkleidet, durch diese Barrière hinaus und brach dem Chevalier die Kleidung eines Chasseur der Nationalgarde; zehn Minuten nachher kehrte sie mit ihm zurück, die Schildwache, welche sie allein hatte hinausgehen sehe schöpfte Verdacht, als sie in Begleitung zurückkam. Sie machte Lärm auf dem Posten, der Posten kam heran die zwei Schuldigen begriffen, daß es auf sie abgesehen war, und warfen sich in ein Hotel, wo sich eine zwei Thüre nach den Champs-Elysées für sie öffnete. E scheint, daß eine ganz und gar den Tyrannen ergebe, Patrouille den Chevalier an der Ecke der Rue Barre-du-Bec erwartete. Das Uebrige wissen Sie,«
»Ah! ah!« sagte Morand, »was Sie uns da erzählen, ist seltsam.«
»Und besonders genau,« sprach Maurice.
»Ja, es sieht so aus; doch die Frau, weiß man, was aus ihr geworden ist?«
»Nein, sie ist verschwunden, und man weiß durchaus nicht, wer sie ist und was sie ist.«
Der Associé des Bürger Dirmer und der Bürger Dirmer selbst schienen freier zu athmen.
Geneviève hatte diese ganze Erzählung bleich, unbeweglich, stumm angehört.
»Aber wer kann sagen,« sprach der Bürger Morand mit seiner gewöhnlichen Kälte, »wer kann sagen, der Chevallier von Maison-Rouge habe zu der Patrouille gehört, welche den Lärmen im Temple veranlaßt?«
.Einer von meinen Freunden, ein Municipal, hatte an diesem Tage Dienst im Temple und erkannte ihn.«
»Er wußte also sein Signalement?«
«Er hatte ihn früher gesehen.«
»Und was für ein Mann ist dieser Chevalier von Maison-Rouge äußerlich?«
»Ein Mann von fünf und zwanzig bis sechs und zwanzig Jahren, klein, blond, von angenehmer Gesichtsbildung, mit herrlichen Augen und prächtigen Zähnen.«
Es trat ein tiefes Stillschweigen ein.
»Nun!« sagte Morand, »wenn Ihr Freund, der Municipal, den angeblichen Chevalier von Maison-Rouge erkannte, warum hat er ihn nicht verhaftet?«
»Einmal befürchtete er, weil er nichts von, seiner Ankunft in Paris wußte, durch eine Aehnlichkeit getäuscht zu werden, und dann ist mein Freund ein wenig lau; im Zweifel that er, was die Weisen und die Lauen thun: im Zweifel enthielt er sich.«
»Sie hätten nicht so gehandelt, Bürger?« sagte Dirmer heftig lachend.
»Nein, ich muß es gestehen, lieber würde ich mich täuscht haben, als daß ich einen so gefährlichen Mann, wie es der Chevalier von Maison-Rouge ist, hätte entwischen lassen.«
»Und was hätten Sie denn gethan, mein Herr?« fragte Geneviève.
»Was ich gethan hätte, Bürgerin?« versetzte Maurice, »oh mein Gott! das wäre kurz gewesen; ich hätte all Thore des Temple geschlossen; dann wäre ich gerade an die Patrouille zugegangen, hätte den Chevalier am Kragen gepackt und zu ihm gesagt: »»Chevalier von Maison-Rouge, ich verhafte Sie als Verräther an der Nation;'« und hätte ich ihn einmal am Kragen gehabt, so würde ich ihn nicht mehr losgelassen haben, dafür stehe ich.«
»Aber was wäre dann geschehen?« fragte Geneviève
»Man hätte ihm und seinen Mitschuldigen den Prozess gemacht und zu dieser Stunde wäre er guillotinirt.«
Geneviève schauerte und warf ihrem Nachbar einen Blick des Schreckens zu.
Doch der Bürger Morand schien diesen Blick nicht zu bemerken, leerte phlegmatisch sein Glas und sprach:
»Der Bürger Lindey hat Recht; es war nichts Anderes zu thun; doch leider hat man es nicht gethan.«
»Weiß man, was aus dem Chevalier von Maison-Rouge geworden ist?« fragte Geneviève.
»Bah!« versetzte Dirmer, »wahrscheinlich verlangte er nicht mehr und hat, als er seinen Versuch mißlungen sah, Paris unmittelbar verlassen.«
»Und vielleicht sogar Frankreich,« fügte Morand bei
»Keines Wegs, keines Wegs,« sprach, Maurice.
»Wie, er hat die Unklugheit gehabt, in Paris zu bleiben!« rief Geneviève.
»Er hat sich nicht von der Stelle gerührt.«
Eine allgemeine Bewegung des Erstaunens empfing die von Maurice mit so viel Sicherheit ausgesprochene Ansicht.
»Es ist eine Voraussetzung, was Sie da sagen, Bürger,« entgegnete Morand, »eine Voraussetzung, nichts Anderes.«
»Nein, ich behaupte eine Thatsache.«
»Oh! ich gestehe,« versetzte Geneviève, »ich meines Theils kann nicht glauben, was Sie sagen, Bürger, denn das wäre eine unverzeihliche Unklugheit.«
»Sie sind eine Frau, Bürgerin; Sie begreifen also Eines, was bei einem Mann von dem Charakter des Chevallier von Maison-Rouge alle mögliche Betrachtungen persönlicher Sicherheit überwiegen mußte.«
»Und was kann mehr Gewicht haben, als die Furcht, das Leben aus eine so schauderhafte Weise zu verlieren?«
»Ei mein Gott! Bürgerin, die Liebe,« sprach Maurice.
»Die Liebe!« wiederholte Geneviève.
»Allerdings. Wissen Sie denn nicht, daß der Chevallier von Maison-Rouge in Antoinette verliebt ist?«
Ein schüchternes, gezwungenes Gelächter der Ungläubigkeit machte sich auf zwei oder drei Seiten hörbar. Dirmer schaute Maurice an, als wollte er in der Tiefe seiner Seele lesen. Geneviève fühlte, wie Thränen ihre Augen befeuchteten, und ein Schauer, der Maurice nicht entgehen konnte, durchlief ihren ganzen Körper. Der Bürger Morand vergoß Wein von seinem Glase, das er in diesem Augenblick an seine Lippen setzte, und Maurice hätte über seine Blässe erschrecken müssen, wäre nicht die ganze Aufmerksamkeit des jungen Mannes in diesem Augenblick auf Geneviève zusammengedrängt gewesen.
»Sie sind bewegt, Bürgerin?« flüsterte Maurice.
»Haben Sie nicht gesagt, ich würde begreifen, da ich eine Frau sei? Nun wohl, uns Frauen rührt stets eine Ergebenheit, so sehr sie auch unsern Grundsätzen widersprechen mag.«
»Und die des Chevalier von Maison-Rouge ist um so größer, als man versichert, er habe nie mit der Königin gesprochen.«
»Ah! Bürger Lindey,« sprach der Mann mit den äußersten Mitteln, »mir scheint, erlaube, daß ich Dir dies sage, mir scheint, Du bist sehr nachsichtig gegen den Chevallier.«
»Mein Herr,« erwiderte Maurice, der sich vielleicht absichtlich des Wortes bediente, das gebräuchlich zu sein aufgehört hatte, »ich liebe alle stolze und muthige Naturen: was mich indessen nicht abhält, sie zu bekämpfen wenn ich ihnen in den Reihen meiner Feinde begegne, Ich verzweifle nicht, den Chevalier von Maison-Rouge eines Tags zu treffen.«
»Und . . .« machte Geneviève.
»Und wenn ich ihn treffe. . . nun so werde ich n ihm kämpfen.«
Das Abendbrot war beendigt. Geneviève gab das Beispiel zum Rückzug, indem sie zuerst aufstand.
In diesem Augenblick schlug die Pendeluhr.
»Mitternacht,« sagte Morand mit kaltem Tone.
»Mitternacht!« rief Maurice, »schon Mitternacht!
»Das ist ein Ausruf, der mir Vergnügen macht, sprach Dirmer; »er beweist mir, daß Sie sich nicht gelangweilt haben, und gewährt mir die Hoffnung, wir werden uns wiedersehen. Es ist das Haus eines guten Patrioten, das man Ihnen öffnet und, ich hoffe, Sie werde bald wahrnehmen, Bürger, daß es das eines Freundes ist.«
Maurice verbeugte sich, wandte sich gegen Geneviève und fragte:
»Erlaubt mir die Bürgerin auch, wiederzukommen?
»Ich erlaube es nicht nur, ich bitte Sie darum/ sprach lebhaft Geneviève. »Gute Nacht, Bürger.«
Und sie kehrte in ihre Wohnung zurück.
Maurice nahm Abschied von allen Gästen, grüßt besonders Morand, der ihm ungemein gefallen hatte drückte Dirmer die Hand und entfernte sich betäubt, ohne mehr freudig als betrübt über alle die so verschiedenartigen Ereignisse, welche diesen Abend belebt hatten.
»Ein ärgerliches, ärgerliches Zusammentreffen!« sagte nach dem Abgange von Maurice die junge Frau, indem sie in Gegenwart ihres Mannes, der sie in ihr Zimmer geführt in Thränen zerfloß.
»Bah! der Bürger Maurice Lindey, ein anerkannte Patriot, Secretaire einer Section rein, angebetet, volksthümlich, ist im Gegentheil eine sehr kostbare Erwerbung für einen armen Rothgerber, der eingeschmuggelte Waaren in seinem Hause hat,« entgegnete Dirmer lächelnd.
»Sie glauben also, mein Freund,« fragte schüchtern Geneviève.
»Ich glaube, daß es ein Patent des Patriotismus, ein Siegel der Absolution ist, das er aus unser Haus drück; und ich denke, von diesem Abend an wäre sogar in Chevalier von Maison-Rouge in unserem Hause in Sicherheit.«
Hiernach küßte Dirmer seine Frau mit einer viel mehr väterlichen als ehelichen Zuneigung auf die Stirne, ließ sie in dem kleinen Pavillon, der ihr allein geweiht war, und ging wieder in den andern Theil des Gebäudes, welchen er mit den Gästen, die wir an seinem Tische gesehen, wohnte.