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Erstes bis drittes Bändchen
I.
Ein Grafensohn und eine Königstochter
ОглавлениеEs war am 5. Mai des Jahres 1551. Ein junger Mensch von achtzehn Jahren und eine Frau von vierzig kamen aus einem kleinen Hause von einfachem Aussehen und durchschritten nebeneinander das Dorf Montgommery, das in der Landschaft Auge lag.
Der junge Mann war von der schönen normannischen Race mit kastanienbraunen Haaren, blauen Augen, weißen Zähnen und rosenfarbigen Lippen. Er hatte den frischen, sammetartigen Teint der Bewohner des Norden, der ihrer Schönheit vielleicht ein wenig das Kräftige benimmt und sie beinahe zu einer weiblichen Schönheit macht. Er war übrigens bewunderungswürdig gestaltet in seinem zugleich starken und biegsamen Wuchse, durch den er sich ebenso zur Eiche als zum Rohr hinneigte. Sein Anzug war einfach aber zierlich; er trug ein Wamms von dunkel veilchenblauem Tuch mit Stickereien von derselben Farbe. Seine Beinkleider waren von demselben Tuch und hatten dieselben Stickereien, wie sein Wamms; lange Stiefeln von schwarzem Leder, wie sie die Edelknechte trugen, gingen ihm bis über das Knie und ein leicht auf die Seite geneigtes, von einer weißen Feder beschattetes Toquet bedeckte eine Stirne, worauf sich die Anzeichen der Ruhe und der Festigkeit erkennen ließen.
Sein Pferd, dessen Zügel er um seinen Arm geschlungen hielt, folgte ihm, hob von Zeit zu Zeit den Kopf in die Höhe, um die Luft einzuatmen, und wieherte bei den Strömungen, die ihm der Wind brachte.
Die Frau schien, wenn nicht der untersten Klasse der Gesellschaft, doch wenigstens derjenigen anzugehören, welche zwischen diese und die bürgerliche gestellt ist. Ihre Tracht war einfach, aber von einer solchen Reinlichkeit, daß ihr gerade diese außerordentliche Reinlichkeit eine gewisse Eleganz verlieh. Wiederholt forderte sie der junge Mann auf, sich auf seinen Arm zu stützen, doch sie weigerte sich beständig, als ob diese Ehre über ihrer Stellung gewesen wäre.
Während sie so fortschritten und dem äußersten Ende der Straße zugingen, welche nach dem Schlosse führte, dessen massige Thürme man den unansehnlichen Flecken beherrschen sah, war Eines zu bemerken: daß nicht nur die jungen Leute und die Männer, sondern auch die Greise sich bei seinem Vorübergehen tief verbeugten vor dem Jüngling, der ihnen mit einem freundschaftlichen Nicken des Kopfes antwortete. Jeder schien ihn, der, wie man bald sehen wird, sich selbst nicht kannte, als seinen Gebieter und Herrn anzuerkennen.
Als sie das Dorf verließen, schlugen Beide den Weg oder vielmehr den Fußpfad ein, der sich jähe an der Seite des Berges aufwärts zog und kaum für zwei Personen neben einander Raum bot. Nach einigen Schwierigkeiten und auf die Bemerkung des jungen Cavaliers gegen seine Gefährtin, es wäre gefährlich für sie hinten zu gehen, da er sein Pferd am Zügel führen müsse, entschloß sich auch die gute Frau, voranzuschreiten.
Der junge Mann folgte ihr, ohne ein Wort zu sprechen. Man sah, daß sich seine nachdenkende Stirne unter dem Gewichte einer mächtigen inneren Beschäftigung neigte.
Es war ein schönes, furchtbares Schloß, das Schloß, dem die beiden an Alter und Lebenslage so verschiedenen Pilger zuwanderten. Vier Jahrhunderte und zehn Generationen waren nöthig gewesen, damit sich diese Steinmasse von ihren Grundfesten bis zu den Zinnen erhob, und, selbst ein Berg, den Berg beherrschte, auf dem man sie erbaut hatte.
Wie alle Gebäude jener Zeit, bot das Schloß der Grafen von Montgommery keine Regelmäßigkeit. Die Väter vermachten es den Söhnen und jeder Eigenthümer fügte, nach seiner Laune oder nach seinem Bedürfnis, dem steinernen Riesen etwas bei. Der viereckige Thurm, die Hauptburg, wurde unter den Herzogen der Normandie erbaut. Dann fügten sich die Thürmchen mit den zierlichen Zinnen und ausgemeißelten Fenstern dem ernsten Thurme bei, ihre steinernen Zierraten im Verlaufe der Zeit vermehrend, als befruchtete die Zeit diese Granitvegetation. Gegen das Ende der Regierung von Ludwig II. und am Anfang der von Franz I. vervollständigte endlich eine lange Galerie mit Bogenfenstern die secularische Zusammenballung.
Von dieser Gallerie oder vielmehr von der Höhe des Hauptthurmes erstreckte sich der Blick an mehren Stellen über die reichen, grünen Ebenen der Normandie. Denn die Grafschaft Montgommery lag, wie gesagt, im Lande Auge, und ihre acht bis zehn Baronien, so wie ihre hundert und fünfzig Lehen gehörten zu den Gerichtsbezirken Argentan, Caen und Alençon.
Endlich kam man vor die große Pforte des Schlosses.
Seltsamer Weise war die mächtige Burg seit mehr als fünfzehn Jahren ohne Herrn. Ein alter Vogt zog die Pachtzinse ein; Diener, welche auch in dieser Einsamkeit ergraut waren, unterhielten die Burg, die man jeden Tag öffnete, als ob jeden Tag der Herr hätte zurückkommen sollen, die man jeden Abend schloß, als ob der Gebieter am andern Tag erwartet würde.
Der Vogt empfing die zwei Besuche mit derselben Freundschaft, welche Jeder gegen die Frau offenbarte, mit derselben Ehrfurcht, die Jeder dem jungen Mann zu zollen schien.
»Meister Elyot,« sagte die Frau, welche, wie wir gesehen, voranging, »wollt Ihr uns wohl Eintritt in das Schloß gewähren? Ich habe Herrn Gabriel (sie deute auf den jungen Mann) etwas mitzutheilen und kann dies nur im Ehrensaale thun.«
»Tretet ein, Dame Aloyse,« erwiderte Elyot, »sagt, wo Ihr wollt, was Ihr diesem jungen Herrn zu sagen habt. Ihr wißt, daß Euch leider Niemand stören wird.«
Man durchschritt den Saal der Wachen. Früher wachten zwölf Männer von den Ländereien der Grafschaft beständig in diesem Saale. Seit fünfzehn Jahren waren sieben von diesen Männern gestorben, ohne daß man sie wieder ersetzt hatte. Fünf blieben und lebten hier, thaten denselben Dienst, den sie zur Zeit des Grafen gethan hatten, und warteten, bis die Reihe des Sterbens auch an sie käme.
Man ging durch die Gallerie und trat in den Ehrensaal.
Er war ausgestattet und geschmückt wie am Tage, wo ihn der letzte Graf verlassen hatte. Nur war in diesen Saal, wo sich früher, wie in den Gemächern eines obersten Lehensherrn, der ganze Adel der Normandie versammelte, seit fünfzehn Jahren Niemand mehr gekommen, als die mit der Unterhaltung desselben beauftragten Diener, und ein Hund, der Lieblingshund des letzten Grafen, der, so oft er eintrat, kläglich nach seinem Herrn schrie, eines Tags nicht mehr hinausgehen wollte und sich vor dem Prachthimmel niederlegte, wo man ihn am andern Tag todt fand.
Nicht ohne eine gewisse Bewegung seines Gemüths trat Gabriel, – man erinnert sich, daß man dem Jüngling diesen Namen gegeben hatte, – trat Gabriel, sagen wir in diesen Saal mit den alten Erinnerungen. Doch der Eindruck, den er von diesen düsteren Wänden, von diesem majestätischen Prachthimmel, von diesen Fenstern empfing, welche so tief in die Mauer einschnitten, daß der Tag, obgleich es zehn Uhr Morgens war, außen stille zu stehen schien, dieser Eindruck war nicht mächtig genug, um ihn auch nur einen Augenblick von der Ursache abzuziehen, die ihn hierher geführt hatte, und sobald man die Thüre hinter ihm geschlossen, sagte er:
»Nun, meine gute Aloyse, meine liebe Amme, in der That, obgleich Du mehr bewegt scheinst als ich selbst, hast Du doch keinen Vorwand, das Bekenntniß zu verschieben, das Du mir versprochen. Du mußt nun ohne Furcht und besonders ohne Verzug sprechen, Aloyse. Hast Du nicht lange genug gezögert, gute Amme, und habe ich nicht als gehorsamer Sohn lange genug gewartet? Wenn ich Dich fragte, welchen Namen ich zu führen berechtigt, welche Familie die meinige, welcher Edelmann mein Vater wäre, da antwortetest Du mir: »Gabriel, ich werde Euch dies Alles an dem Tage sagen, wo Ihr achtzehn Jahre alt seid, und damit das Alter der Volljährigkeit für Jeden, der den Degen zu führen berechtigt ist erreicht habt.« Heute, am 5. Mai 1551 habe ich mein achtzehntes Jahr zurückgelegt, ich bin gekommen, meine gute Aloyse, um Dich aufzufordern, Dein Versprechen zu halten, doch mit einer Feierlichkeit, die mich beinahe erschreckte, antwortetest Du mir: »Nicht im Hause der Witwe eines armen Stallmeisters darf ich Euch Euch selbst entdecken; es muß in dem Schloß des Grafen von Montgommery, und zwar im Ehrensaale dieses Schlosses geschehen.« Wir haben den Berg erstiegen, gute Aloyse, wir haben die Schwelle des Schlosses der edlen Grafen überschritten, wir sind in dem Ehrensaale, sprich also.«
»Setzt Euch, Gabriel, denn Ihr werdet mir erlauben, Euch noch einmal diesen Namen zu geben.«
Der junge Mann ergriff ihre Hände mit einer Bewegung tiefer Zärtlichkeit.
»Setzt Euch,« fuhr sie fort, »nicht auf diesen Sessel, nicht auf diesen Lehnstuhl.«
»Wohin soll ich mich denn setzen, gute Amme?« unterbrach sie der junge Mann.
»Unter diesen Prachthimmel,« antwortete Aloyse mit einer Stimme, der es nicht an einer gewissen Feierlichkeit gebrach.
Der junge Mann gehorcht.
Aloyse machte ein Zeichen mit dem Kopf.
»Nun hört mich,« sprach sie.
»Aber setze Dich doch wenigstens,« sagte Gabriel.
»Ihr erlaubt mir?«
»Spottest Du, Amme?«
Die gute Frau setzte sich auf die Stufen des Thronhimmels, zu den Füßen des jungen Mannes, der aufmerksam einen Blick voll Wohlwollen und Neugierde auf sie heftete.
»Gabriel,« sagte die Amme, endlich entschlossen, zu sprechen, »Ihr waret kaum sechs Jahre alt, als Ihr Euren Vater verloret und ich meinen Mann; Ihr waret mein Säugling gewesen, denn Eure Mutter starb, als sie Euch zur Welt brachte. Die Milchschwester Eurer Mutter, liebte ich Euch von jenem Tage an wie mein eigenes Kind. Die Witwe weihte ihr Leben der Waise. Wie sie Euch ihre Milch gegeben, so gab sie Euch auch ihre Seele, und Ihr werdet mir die Gerechtigkeit widerfahren lassen, nicht wahr Gabriel, daß nach Eurer Ueberzeugung mein Geist nie aufgehört hat, über Euch zu wachen.«
»Theure Aloyse,« erwiderte der junge Mann, »viele, wahre Mütter hätten weniger gethan, als Du, das schwöre ich, und keine einzige, das schwöre ich ebenfalls, hätte mehr gethan.«
»Übrigens beeiferte sich Jeder um Euch, wie ich mich zuerst beeifert hatte,« fuhr die Amme fort. »Dom Jamet von Croisic der würdige Kaplan dieses Schlosses, lehrte Euch die Buchstaben und die Wissenschaften, und Keiner, wie er sagte, vermöchte Euch einen Vorwurf in dem zu machen, was Lesen und Schreiben und Kenntniß der Geschichte der vergangenen Zeit und besonders der großen Häuser Frankreichs betrifft. Enguerrand Lorien, der vertraute Freund meines verstorbenen Mannes, Perrot Travigny und der ehemalige Stallmeister der Grafen von Vimoutiers, unserer Nachbarn, unterrichteten Euch in den Waffen, in der Handhabung der Lanze und des Schwertes, im Reiten, kurz, in allen Dingen des Ritterthums, und bei den Festen und Spielen, welche in Alençon bei der Vermählung und Krönung unseres gnädigsten Herrn Heinrich II. gehalten wurden, habt Ihr schon vor zwei Jahren bewiesen, daß Ihr die guten Lectionen von Enguerrand benützt. Ich, eine arme Unwissende, konnte Euch nur lieben und Gott dienen lehren. Dies zu thun, war ich stets bemüht. Die gute Jungfrau unterstützte mich, und heute mit achtzehn Jahren seid Ihr ein frommer Christ, ein gelehrter Herr und ein vollkommener Waffenmann, und ich hoffe, mit Gottes Hilfe werdet Ihr nicht unwürdig sein Eurer Ahnen, erlauchtester Gabriel, Herr von Lorge, Graf von Montgommery.«
Gabriel stand auf und stieß einen Schrei aus.
»Graf von Montgommery, ich!«
Dann sprach er mit einem stolzen Lächeln:
»Wohl! ich hoffte es und vermuthete es beinahe; höre, Aloyse, in meinen kindischen Träumen sagte ich es einmal zu meiner kleinen Diana. Aber was machst Du denn da zu meinen Füßen, gute Aloyse? Stehe auf und komm in meine Arme, fromme Frau. Willst Du mich nicht mehr als Dein Kind anerkennen, weil ich der Erbe der Montgommery bin? Der Erbe der Montgommery!« wiederholte er unwillkührlich zitternd vor Stolz, während er seine gute Amme umarmte. »Der Erbe der Montgommery! ich führe nun einen der ältesten und glorreichsten Namen von Frankreich. Ja, Dom Jamet hat mich, Reich für Reich, Geschlecht für Geschlecht, die Geschichte meiner edlen Ahnen, – meiner Ahnen gelehrt. Umarme mich noch einmal, Aloyse! Was wird denn Diana zu Allem dem sagen? Der heilige Godegrand, Bischof von Suez, und die heilige Opportuna, seine Schwester, welche unter Karl dem Großen lebten, gehörten zu unserem Haus. Roger von Montgommery befehligte eines der Heere von Wilhelm dem Eroberer. Wilhelm von Montgommery machte einen Kreuzzug auf seine Kosten. Wir waren mehr als einmal verwandt mit den königlichen Häusern von Schottland und Frankreich, und die ersten Lords von London, die vornehmsten Edelleute von Paris werden mich: Mein Vetter, nennen; mein Vater endlich . . .«
Der junge Mann hielt inne, als ob er plötzlich traurig würde. Doch bald fuhr er fort:
»Ach! bei Allem dem bin ich allein in der Welt, Aloyse. Dieser hohe Herr ist eine arme Waise, dieser Abkömmling von so vielen königlichen Ahnen hat keinen Vater! Mein armer Vater! ich muß weinen, Aloyse. Und meine Mutter! Beide todt. O sprich mir von ihnen, damit ich erfahre, wie sie waren, nun, da ich weiß, daß ich ihr Sohn bin. Laß hören, fangen wir bei meinem Vater an: Wie ist er gestorben? Erzähle mir das.«
Aloyse schwieg. Gabriel schaute sie erstaunt an.
»Ich frage Dich, wie mein Vater gestorben sei,« wiederholte er.
»Gnädigster Herr, nur Gott allein weiß es,« antwortete sie. »Eines Tags verließ der Graf Jacques von Montgommery das Hotel, das er in der Rue des Jardins-Saint-Paul in Paris bewohnte . . . er ist nicht mehr dahin zurückgekehrt. Seine Freunde seine Vettern haben ihn seitdem vergebens gesucht. Verschwunden, gnädigster Herr! Der König Franz I. gab Befehl zu einer Nachforschung, welche ohne Erfolg blieb. Seine Feinde, wenn er als Opfer eines Verraths umgekommen ist, waren sehr geschickt oder sehr mächtig. Ihr habt keinen Vater mehr, gnädigster Herr, und dennoch fehlt das Grab von Jacques von Montgommery in der Kapelle Eures Schlosses; denn man hat ihn weder lebendig noch todt wiedergefunden.«
»Weil es nicht sein Sohn war, der ihn suchte!« rief Gabriel. »Ach, Amme! warum hast Du so lange stille geschwiegen? Verbargst Du mir meine Geburt, weil ich meinen Vater zu rächen oder zu retten hatte?«
»Nein, sondern weil ich Euch selbst retten mußte, gnädigster Herr. Wißt Ihr, was die letzten Worte meines Mannes, des braven Perrot Travigny, waren, der eine wahrhaft religiöse Verehrung für Euer Haus im Herzen trug? »Frau,« sagte er zu mir einige Minuten, ehe er den letzten Seufzer von sich gab, »Du wirst nicht warten, bis ich beerdigt bin, Du schließest mir nur die Augen und verlässest auf der Stelle Paris mit dem Kinde. Du gehst nach Montgommery, nicht in das Schloß, sondern in das Haus, das wir durch die Güte des gnädigen Herrn erhalten haben. Dort erziehst Du den Erben unserer Gebieter ohne Geheimniß, aber auch ohne Geräusch. Die guten Leute in unserem Lande werden ihn ehren und nicht verraten. Verbirg besonders ihm selbst seinen Ursprung; er würde sich zeigen und ins Verderben stürzen. Er soll nur erfahren, daß er Edelmann ist, das genügt für seine Würde und für das Gewissen. Hat ihn das Alter klug und ernst gemacht, wie ihn das Blut brav und rechtschaffen machen wird, hat er zum Beispiel achtzehn Jahre erreicht, so nenne ihm seinen Namen und seine Abstammung, Aloyse. Er wird dann selbst beurtheilen, was er thun soll und was er thun kann. Doch nimm Dich bis dahin in Acht, furchtbare Feindschaft, unüberwindlicher Haß würden ihn verfolgen, wenn er entdeckt wäre, und diejenigen, welche den Adler erreicht und berührt haben, würden seine Brut nicht verschonen.«
Er sagte mir das und starb, gnädigster Herr, und ich nahm, gehorsam seinen Befehlen, Euch, meine arme Waise, Euch, der Ihr kaum Euren Vater gesehen, und brachte Euch hierher. Man wußte bereits das Verschwinden des Grafen, und man vermuthete, daß furchtbare, unversöhnliche Feinde Jeden bedrohten, der seinen Namen führte. Man sah Euch, man erkannte Euch ohne Zweifel im Dorfe, doch in Folge eines stillschweigenden Vertrags befragte mich Niemand, erstaunte Niemand über mein Geheimhalten. Kurze Zeit nachher wurde mir mein einziger Sohn, Euer Milchbruder, mein armer Robert durch das Fieber entrissen. Gott wollte offenbar, daß ich ganz Euch gehöre. Der Wille Gottes sei gesegnet! Alle gaben sich den Anschein, als glaubten sie, mein Sohn wäre der Ueberlebende, und dennoch behandelten Euch Alle mit frommer Ehrfurcht, mit rührendem Gehorsam. Dies geschah, weil Ihr schon dem Gesichte und dem Herzen nach Eurem Vater glichet. Der Instinkt des Löwen enthüllte sich in Euch, und man sah wohl, daß Ihr als Herr und Meister geboren waret. Die Kinder der Umgegend nahmen schon die Gewohnheit an, sich unter Eurem Befehl in Truppen zu bilden. Bei allen ihren Spielen marschiertet Ihr an ihrer Spitze, und keiner hätte es gewagt, Euch seine Huldigung zu verweigern. Als den jungen König des Landes hat Euch das Land aufgezogen, und es bewunderte Euch, als es sah, wie Ihr stolz und schön heranwuchset. Die Güte der schönsten Früchte, der Zehnten der Ernte kamen in das Haus, ohne daß ich etwas verlangte. Das schönste Pferd der Weide ward immer Euch vorbehalten. Dom Jamet, Enguerrand und alle Knappen und Knechte des Schlosses leisteten Euch ihre Dienste als eine natürliche Schuld, und Ihr nahmt sie an als Euer Recht. Nichts an Euch, als Kühnes, Muthiges, Hochherziges. In den geringsten Dingen ließet Ihr sehen, von welchem Geschlecht Ihr abstammtet. Man erzählt sich noch in den Abendstunden, wie Ihr eines Tags an einen Edelknaben meine zwei Kühe gegen einen Falken vertauschtet. Doch diese Instinkte, diese Aufschwingungen verriethen Euch nur für die Getreuen, und Ihr bliebet verborgen und unbekannt für die Böswilligen. Der gewaltige Lärm der Kriege in Italien, Spanien und Flandern gegen Kaiser Karl V. trug, Gott sei Dank! nicht wenig zu Eurer Beschützung bei, und Ihr habt endlich gesund und wohlbehalten das Alter erlangt, wo mir Perrot mich Eurer Vernunft und Eurer Weisheit anzuvertrauen gestattete. Doch Ihr, der Ihr gewöhnlich so ernst und so klug, Ihr sprecht nun mit dem ersten Worte für die Verwegenheit und das Geräusch, für die Rache und den Lärmen.«
»Für die Rache, ja; für den Lärmen, nein, Aloyse! Du glaubst also, daß die Feinde meines armen Vaters noch leben?«
»Ich weiß es nicht, gnädigster Herr; nur wäre es sicherer, dies anzunehmen, und gesetzt, Ihr kämet an den Hof, noch unbekannt, doch mit Eurem glänzenden Namen, der die Blicke auf Euch ziehen wird, brav, aber unerfahren, stark durch Euer gutes Verlangen und die Gerechtigkeit Eurer Sache, doch ohne Freunde, ohne Verbündete, sogar ohne persönlichen Ruf, was wird dann geschehen? Diejenigen, welche Euch hassen, werden Euch kommen sehen und Ihr werdet sie nicht sehen; sie werden Euch schlagen und Ihr werdet nicht wissen, von wo der Schlag ausgeht; und Euer Vater wird nicht nur nicht gerächt sein, sondern Ihr habt Euch ins Verderben gestürzt.«
»Gerade deshalb, Aloyse, bedaure ich es, daß ich nicht Zeit hatte, mir Freunde und ein wenig Ruhm zu verschaffen. Ah! wenn ich zum Beispiel vor zwei Jahren Mittheilung erhalten hätte! . . . Gleichviel! das ist nur eine Verzögerung und ich werde die verlorenen Tage wieder einbringen. Auch aus anderen Gründen wünsche ich mir Glück, daß ich die letzten zwei Jahre in Montgommery geblieben bin. Ich gleiche es dadurch aus, daß ich nun den Schritt verdopple. Ich gehe nach Paris, Aloyse, und zwar ohne zu verbergen, daß ich ein Montgommery bin. Ich kann wohl nicht sagen, daß ich der Sohn des Grafen Jacques bin; die Lehen und Titel fehlen eben so wenig in unserem Hause, als im Hause Frankreich, und unsere Verwandtschaft in Frankreich und England ist zahlreich genug, daß ein Gleichgültiger sich nicht auszukennen vermag. Ich kann den Namen eines Vicomte d’Ermès annehmen, Aloyse, und dadurch verberge ich mich weder, noch zeige ich mich. Dann suche ich . . . wen suche ich am Hofe auf? Wende ich mich an den Connetable von Montmorency, an diesen grausamen Paternostersprecher? nein, ich, bin derselben Meinung wie Deine Grimasse, Aloyse . . . An den Marschall von Saint-André? er ist nicht jung und unternehmend genug . . . Eher an Franz von Guise? Ja, das ist es. Montmorency, Saint-Dizir, Bologna haben schon bewiesen, daß er etwas zu thun vermag. Zu ihm werde ich gehen, unter seinen Befehlen werde ich meine Sporen verdienen. Im Schatten seines Namens werde ich den meinigen erobern.«
»Der gnädige Herr wird mir die Bemerkung erlauben, daß der ehrliche und rechtschaffene Elyot Zeit gehabt hat, beträchtliche Summen für den Erben seiner Gebieter zurückzulegen. Ihr könnt ein königliches Feldgeräth führen, und die jungen Männer, Eure Grundholden, sind verpflichtet und werden sich eine Freude daraus machen, Euch in den Krieg zu folgen. Es ist Euer Recht, sie in Eure Nähe zu berufen, wie Ihr wißt, gnädigster Herr.«
»Und wir werden von diesem Rechte Gebrauch machen, Aloyse.«
»Will der gnädigste Herr alle Diener, Knechte und Leute seiner Lehen und Baronien, welche vor Verlangen, ihn zu begrüßen, glühen, nunmehr empfangen?«
»Noch nicht, meine gute Aloyse; doch sage Martin-Guerre, er möge ein Pferd satteln, um mich zu begleiten, habe vor Allem einen Ritt in der Gegend zu machen.«
»Vielleicht gegen Vimoutiers,« sagte die gute Aloyse, mit einer gewissen Bosheit lächelnd.
»Ja vielleicht. Bin ich nicht meinem alten Enguerrand einen Besuch und meinen Dank schuldig?«
»Und der gnädigste Herr wird sehr erfreut sein, mit den Glückwünschen von Enguerrand die eines hübschen kleinen Mädchens Namens Diana zu empfangen; nicht wahr?«
»Dieses hübsche kleine Mädchens« erwiderte Gabriel lachend, »ist meine Frau, und ich bin ihr Mann seit drei Jahren, das heißt seit meinem fünfzehnten und ihrem neunten Jahr.«
Aloyse wurde träumerisch.
»Gnädiger Herr,« sprach sie, »wenn ich nicht wüßte, wie gesetzt und aufrichtig Ihr trotz Eurer Jugend seid, wie ernst und tief jedes Gefühl bei Euch ist, so würde ich mich wohl vor den Worten hüten, die ich Euch zu sagen habe. Doch was für Andere ein Spiel ist, wird für Euch oft eine ernste Sache. Bedenkt wohl, gnädigster Herr, daß man nicht weiß, wessen Tochter Diana ist. Die Frau von Enguerrand, welcher damals seinem Herrn, dem Grafen von Vimoutiers, nach Fontainebleau gefolgt war, fand, nach Hause zurückkehrend, ein Kind in einer Wiege und eine schwere Goldbörse auf einem Tische; in der Börse war nebst einer sehr beträchtlichen Summe die Hälfte eines gravierten Ringes und ein Papier mit dem einzigen Worte: Diana. Bertha, die Frau von Enguerrand hatte kein Kind aus ihrer Ehe und nahm mit Freuden diese andere Mutterschaft an, welche man von ihr verlangte. Als sie jedoch wieder nach Vimoutiers kam, starb sie, wie mein Mann gestorben ist, dem sein Gebieter Euch anvertraut hatte, gnädigster Herr, und eine Frau erzog den verwaisten Knaben, während ein Mann das verwaiste Mädchen aufzog. Doch Beide mit einer ähnlichen Aufgabe betraut, tauschten wir unsere Fürsorge aus, und ich suchte Diana gut und fromm zu machen, wie Enguerrand Euch geschickt und gelehrt gemacht hat. Ihr habt natürlich Diana kennen lernen und seid natürlich an sie anhänglich geworden. Doch Ihr seid der Graf von Montgommery, durch authentische Papiere und öffentliche, unumstößliche Zeugschaft anerkannt, während man Diana noch nicht mit der andern Hälfte des goldenen Ringes zurückgefordert hat. Nehmt Euch in Acht, gnädigster Herr, ich weiß wohl, daß Diana ein Kind von kaum zwölf Jahren ist; doch sie wird größer werden, sie wird von einer reizenden Schönheit sein, und ich wiederhole, bei einer Natur, wie die Eurige ist, wird Alles ernst. Nehmt Euch in Acht; es ist möglich, daß sie stets bleibt, was sie noch ist, ein Findelkind, und Ihr seid ein zu vornehmer Herr, um sie zu heirathen, und zu sehr Edelmann, um sie zu verführen.«
»Aber meine liebe Amme, da ich abreisen, Dich verlassen und Diana verlassen werde . . .« sagte Gabriel nachdenkend.
»Gerade das ist es; verzeiht Eurer alten Aloyse ihre zu ängstliche Vorsicht und besucht, wenn es Euch beliebt, das sanfte, niedliche Kind, das Ihr Eure kleine Frau nennt. Doch bedenkt, daß man Euch ungeduldig hier erwartet. Auf baldiges Wiedersehen, nicht wahr, gnädiger Herr Graf.«
»Auf baldiges Wiedersehen und umarme mich noch einmal, Aloyse; nenne mich immerhin Dein Kind, und sei tausendmal bedankt, meine gute Amme.«
»Seid tausendmal gesegnet, mein Kind und mein Herr.«
Meister Martin-Guerre erwartete Gabriel vor der Thüre und Beide stiegen zu Pferde.