Читать книгу Die beiden Dianen - Александр Дюма - Страница 2
Erstes bis drittes Bändchen
II.
Eine Vermählte, welche noch mit der Puppe spielt
ОглавлениеUm schneller fortzukommen, wählte Gabriel ihm wohl bekannte Fußpfade.
Und dennoch ließ er sein Pferd zuweilen langsamer gehen, und man kann sogar sagen, daß er das schöne Thier den Gang seiner Träumerei nehmen ließ. In der That, sehr verschiedenartige Gefühle, bald leidenschaftlich, bald traurig, bald stolz und bald niedergeschlagen, durchzogen abwechselnd das Herz des jungen Mannes. Bedachte er, daß er der Graf von Montgommery war, so funkelte sein Blick und er gab seinem Pferde den Sporn, als wollte er sich in der Luft berauschen, die um seine Schläfe her pfiff, und dann sagte er sich wieder:
»Mein Vater ist getödtet worden und noch nicht gerächt.«
Und er ließ die Zügel in seiner Hand sinken. Doch plötzlich dachte er daran, daß er sich schlagen, daß er sich einen furchtbaren und gefürchteten Namen machen, daß er alle seine Ehren– und Blutschulden bezahlen sollte, und er jagte im Galopp fort, als ob er in der That dem Ruhm entgegen reiten würde, bis er, bedenkend, daß er deshalb seine kleine, so liebenswürdige und so hübsche Diana verlassen müßte, wieder in Schwermuth versank und allmälig nur noch im Schritt ritt, als hätte er dadurch den grausamen Augenblick der Trennung verzögern können. Doch er würde wiederkommen, hatte er die Feinde seines Vaters und die Eltern von Diana gefunden . . . Und Gabriel gab seinem Pferde beide Sporen und flog so rasch als seine Hoffnung. Als er an Ort und Stelle kam, hatte in dieser jungen, ganz für das Glück geöffneten Seele die Freude offenbar die Traurigkeit verjagt.
Ueber die Hecke, die den Obstgarten des alten Enguerrand umgab, erblickte Gabriel unter den Bäumen das weiße Gewand von Diana. Bald hatte er sein Pferd an einen Weidenstamm gebunden, bald hatte er mit einem Sprunge über die Hecke gesetzt; strahlend und triumphierend fiel er dem jungen Mädchen zu Füßen.
Doch Diana weinte.
»Was gibt es, liebe kleine Frau,« sagte Gabriel, »und woher rührt dieser bittere Kummer? Sollte uns etwa Enguerrand gezankt haben, weil wir ein Kleid zerrissen, oder unser Gebet schlecht gesprochen? Oder ist etwa unser Dompfaff entflogen? Sprich, Diana, meine Geliebte, Dein treuer Ritter ist hier, um Dich zu trösten.«
»Ach! nein, Gabriel, Ihr könnt nicht mehr mein Ritter sein,« sprach Diana, »und gerade deshalb bin ich traurig, weine ich.«
Gabriel glaubte, Diana sei durch Enguerrand von dem Namen ihres Spielgefährten unterrichtet worden und wolle ihn vielleicht prüfen.
»Und welches Unglück,« erwiderte er, »oder welches, Glück, Diana, könnte mich je bewegen, auf den süßen Titel zu verzichten, den Du mich hast annehmen lassen und den ich so freudig und so stolz führe? Siehst Du, ich liege vor Dir auf den Knieen.«
Doch Diana schien nicht zu begreifen, und heftiger weinend als je verbarg sie ihre Stirne an der Brust von Gabriel und rief schluchzend:
»Gabriel! Gabriel! wir dürfen uns fortan nicht mehr sehen.«
»Und wer wird uns daran hindern?« versetzte er rasch.
Sie erhob ihr blondes, reizendes Haupt und schlug ihre blauen, in Thränen gebadeten Augen auf; dann sprach sie mit einer ganz feierlichen und ernsten Miene und mit einem tiefen Seufzer:
»Die Pflicht.«
Ihr reizendes Antlitz hatte einen so trostlosen und zugleich so komischen Ausdruck, daß Gabriel, darüber entzückt, sich eines Lachens nicht erwehren konnte; er nahm zwischen seine Hände die reine Stirne des Kindes und küßte sie wiederholt; doch sie entfernte sich lebhaft und rief:
»Nein, mein Freund, keine Schäkereien mehr. Mein Gott! mein Gott! sie sind mir nun verboten.«
»Was wird Enguerrand ihr Alles erzählt haben?« sagte Gabriel, in seinem Irrthum verharrend, zu sich selbst. »Liebst Du mich denn nicht mehr, meine theure Diana?« fügte er bei.
»Ich Dich nicht mehr lieben!« rief Diana. »Wie kannst Du solche Dinge annehmen und sagen, Gabriel? Bist Du nicht der Freund meiner Kindheit und der Bruder meines ganzen Lebens? Hast Du mich nicht stets mit der Güte und Zärtlichkeit einer Mutter behandelt? Wenn ich lachte und wenn ich weinte, wen fand ich da unablässig an meiner Seite, um meine Heiterkeit oder meinen Kummer zu theilen? Dich, Gabriel! . . . Wer trug mich, wenn ich müde war? wer half mir meine Lectionen lernen? wer schrieb sich meine Fehler zu und theilte meine Strafe, wenn er sie nicht auf sich allein nehmen konnte? abermals Du! Wer erfand tausend Spiele für mich? wer machte mir schöne Sträuße auf den Wiesen? wer nahm mir Stieglitznester aus? immer Du! ich habe Dich aller Orten und jeder Zeit gut, freundlich und mir ergeben gefunden. Gabriel, Gabriel, ich werde Dich nie vergessen, und so lange ich lebe, wirst Du in meinem Herzen leben; ich hätte Dir gern mein Dasein und meine Seele gegeben, und ich träumte nie von Glück, als indem ich von Dir träumte: doch dessen ungeachtet müssen wir uns leider trennen, um uns ohne Zweifel nie wiederzusehen.«
»Und warum? Um Dich dafür zu bestrafen, daß Du boshafter Weise den Hund Phylar in den Hühnerhof geführt hast?« fragte Gabriel.
»Oh! aus einem ganz andern Grunde.«
»Und warum denn?«
Sie erhob sich und ließ ihren Arm an ihrem Kleide herab und ihren Kopf auf die Brust fallen und sprach:
»Weil ich die Frau eines Andern bin.«
Gabriel lachte nicht mehr und eine seltsame Unruhe schnürte ihm das Herz zusammen; mit bewegter Stimme fragte er:
»Was soll das bedeuten, Diana?«
»Ich heiße nicht mehr Diana,« erwiderte sie, »ich heiße Frau Herzogin von Castro, denn mein Gemahl heißt Horazio Farnese, Herzog von Castro.«
Und das kleine Mädchen konnte nicht umhin, ein wenig durch ihre Thränen zu lächeln, als es sagte: Mein Gemahl, mit zwölf Jahren! In der That, es war glorreich, Frau Herzogin! Doch ihr Schmerz erfaßte sie wieder, als sie den Schmerz von Gabriel wahrnahm.
Der Jüngling stand vor ihr, bleich und mit erschrockenen Augen.
»Ist es ein Spiel? Ist es ein Traum?« sagte er.
»Nein, mein armer Freund, es ist die traurige Wirklichkeit,« versetzte Diana. »Hast Du nicht auf dem Wege Enguerrand begegnet, der vor einer halben Stunde nach Montgommery abgegangen ist?«
»Ich habe kürzere Pfade gewählt. Doch vollende.«
»Warum bist Du auch vier Tage lang nicht gekommen, Gabriel? Das ist nie geschehen und hat uns Unglück gebracht, wie Du siehst. Vorgestern Abend konnte ich kaum einschlafen. Ich hatte Dich zwei Tage lang nicht gesehen, war unruhig und ließ mir von Enguerrand versprechen, wenn Du am andern Tage nicht kämest, so würden wir an dem darauffolgenden Morgen nach Montgommery gehen. Und dann hatten wir, Enguerrand und ich, wie in einem Vorgefühl, von der Zukunft, von der Vergangenheit, von meinen Eltern gesprochen, die mich vergessen zu haben schienen. Es ist schlimm, was ich Dir sagen werde, aber ich wäre vielleicht glücklicher gewesen, wenn sie mich in der That vergessen hätten. Diese ganze ernste Unterredung hatte mich, wie sich von selbst versteht, ein wenig betrübt und angegriffen, und ich brauchte, wie gesagt, lange, um einzuschlafen, weshalb ich gestern Morgen etwas später erwachte als gewöhnlich. Ich kleidete mich in aller Eile an, verrichtete mein Gebet und wollte eben hinabgehen, als ich ein gewaltiges Geräusch unter meinem Fenster vor der Hausthüre hörte. Es waren herrliche Cavaliere, Gabriel, gefolgt von Stallmeistern und Edelknaben, und hinter dem Reiterzug eine glänzende, vergoldete Carrosse. Als ich neugierig den Zug anschaute und mich wunderte, daß er vor unserer armseligen Wohnung hielt, klopfte Antoine an meine Thüre und bat mich, auf Befehl von Herrn Enguerrand, sogleich hinabzukommen. Ich weiß nicht, warum ich bange hatte, doch ich mußte gehorchen und gehorchte. Als ich in den großen Saal trat, war er voll von den prächtigen Herren, die ich von meinem Fenster aus gesehen. Ich erröthete und zitterte erschrockener als je, Du begreifst das, Gabriel?«
»Ja,« antwortete Gabriel mit Bitterkeit. »Fahre nur fort, denn die Sache wird in der That interessant.«
»Bei meinem Eintritt,« fuhr Diana fort, »kam einer der gesticktesten Herren auf mich zu, reichte mir seine behandschuhte Hand und führte mich vor einen andern Edelmann, der nicht minder reich geschmückt war als er; dann sich verbeugend, sprach er:
»Durchlauchtigster Herr Herzog von Castro, ich habe die Ehre, Euch Eure Frau vorzustellen. Madame,« fügte er sich gegen mich umwendend bei, »Herr Horazio Farnese, Herzog von Castro, Euer Gemahl.«
Der Herzog grüßte mich mit einem Lächeln. Ich aber warf mich ganz verwirrt und in Thränen ausbrechend in die Arme von Enguerrand, den ich in einem Winkel erblickt hatte.
»Enguerrand! Enguerrand! Dieser Prinz ist nicht mein Gemahl, ich habe keinen andern Gemahl als Gabriel. Enguerrand, sage es doch diesen Herren, ich bitte Dich.«
Derjenige, welcher mich dem Herzog vorgestellt hatte, runzelte die Stirne und fragte Enguerrand mit strengem Tone:
»Was soll diese Kinderei?«
»Nichts, gnädiger Herr; in der That eine Kinderei,« antwortete Enguerrand ganz bleich.
Und leise sich an mich wendend: »Seid Ihr toll, Diana! was soll eine solche Widerspenstigkeit? Wie könnt Ihr Euch so weigern, Euren Eltern zu gehorchen, die Euch wieder gefunden haben und Euch zurückfordern!«
»Wo sind sie, meine Eltern?« sagte ich laut. »Mit ihnen will ich sprechen.«
»In ihrem Namen kommen wir, mein Fräulein,« erwiderte der strenge Herr. »Ich bin hier ihr Stellvertreter; wenn Ihr mir nicht glauben wollt, so seht den Befehl unterzeichnet von König Heinrich II., unserem Gebieter, und leset.«
»Er reichte mir ein Pergament, versehen mit einem rothen Siegel, und ich las oben auf der Seite: »Wir Heinrich, von Gottes Gnaden;« und unten die königliche Unterschrift: Heinrich. Ich war geblendet, betäubt, vernichtet. Ich bekam den Schwindel und das Delirium. Alle diese Menschen hatten die Augen auf mich gerichtet! Enguerrand selbst verließ mich! Der Gedanke an meine Eltern! der Name des Königs! dies Alles war zu viel für meinen armen Kopf. Und Du warst nicht da, Gabriel!«
»Doch mir scheint, meine Gegenwart konnte Euch nicht nothwendig sein,« versetzte Gabriel.
»Oh! doch Gabriel; wärest Du gegenwärtig gewesen, so würde ich noch widerstanden haben; als aber der Edelmann, der Alles zu leiten schien, zu mir sagte:
»Vorwärts, schon genug der Säumniß; Frau von Leviston, Eurer Sorge vertraue ich Frau von Castro; wir erwarten Euch, um in die Kapelle hinauf zu gehen;« da kam mir seine Stimme so gebieterisch vor, er schien so wenig Widerstand zu gestatten, daß ich mich fortführen ließ. Gabriel, verzeihe mir, ich war verwirrt, gelähmt, und hatte keinen Gedanken mehr . . . .«
»Wie! das begreift sich vortrefflich,« erwiderte Gabriel mit einem höhnischen Gelächter.
»Man führte mich in ein Zimmer,« sagte Diana. »Da nahm Frau von Leviston, unterstützt von zwei oder drei Zofen, aus großen Kisten ein weißes seidenes Kleid. Dann zogen sie mich, so sehr ich mich schämte, aus und wieder an. Ich wagte es kaum, in diesen schönen Gewändern zu gehen. Hernach befestigten sie mir Perlen an den Ohren und ein Collier von Perlen am Hals; meine Thränen rollten auf die Perlen. Doch diese Damen lachten unaufhörlich, ohne Zweifel über meine Verlegenheit und vielleicht auch über meinen Kummer. Nach Verlauf einer halben Stunde war ich bereit, und sie mochten immerhin sagen, ich wäre reizend, so geschmückt, ich glaube, sie logen nicht, Gabriel, doch ich weinte nichtsdestoweniger. Endlich überredete ich mich, ich handle in einem blendenden furchtbaren Traume. Ich schritt ohne Willen vorwärts, ich ging maschinenmäßig hin und her. Die Pferde stampften indessen vor der Thüre, Stallmeister und Edelknaben warteten stehend. Wir stiegen hinab. Die ausdrucksvollen Blicke dieser ganzen Versammlung fingen an auf mir zu lasten. Der Herr mit der rauhen Stimme bot mir abermals seinen Arm und führte mich zu einer Sänfte ganz von Gold und Atlaß, in der ich mich auf Kissen setzen mußte, welche beinahe so schön waren als mein Kleid. Der Herzog von Castro ritt am Schlage, und so zog der Cortege langsam zur Kapelle des Schlosses Vimoutiers hinauf. Der Priester war schon am Altar. Ich weiß nicht, welche Worte man um mich her sprach, welche Worte man mir dictirte; ich fühlte nur, wie in einem Augenblick in diesem seltsamen Traume der Herzog mir einen Ring an den Finger schob. Dann nach Verlauf von zwanzig Minuten oder von zwanzig Jahren, ich habe kein Bewußtsein davon, traf mich eine frischere Luft ins Gesicht. Wir verließen die Kapelle; man nannte mich Frau Herzogin, ich war verheirathet! Hörst Du wohl, Gabriel? ich war verheirathet!«
Gabriel antwortete nur durch ein wildes Gelächter.
»O Gabriel,« sprach Diana, »ich war wirklich so außer mir, daß ich zum ersten Male, als ich nach Hause zurückkehrte, nachdem ich mich etwas erholt, daran dachte, den Gemahl anzuschauen, den alle diese Fremden mir aufgenöthigt hatten. Bis dahin hatte ich ihn gesehen, aber nicht angeschaut, Gabriel. Ah! mein armer Gabriel, er ist viel weniger schön als Du! Vor Allem ist sein Wuchs mittelmäßig, und in seinen reichen Kleidern erscheint er bei Weitem nicht so zierlich als Du in Deinem einfachen braunen Wamms. Und dann hat er eine eben so unverschämte, hochmüthige Miene, als Du sanft und artig aussiehst. Füge dem brennend blonde Haare und einen eben solchen Bart bei. Ich bin geopfert, Gabriel. Nachdem er sich eine Zeit lang mit demjenigen besprochen hatte, welcher sich für den Stellvertreter des Königs ausgab, näherte sich mir der Herzog, nahm mich bei der Hand und sagte mit einem sehr feinen Lächeln:
»Frau Herzogin, verzeiht, daß ich in die harte Nothwendigkeit versetzt bin, Euch so bald zu verlassen. Doch Ihr wißt, oder Ihr wißt nicht, daß wir im heftigsten Kriege mit Spanien begriffen sind, und meine Gewappneten fordern auf der Stelle meine Gegenwart. Ich hoffe die Freude zu haben, Euch in einiger Zeit am Hofe wiederzusehen, wo Ihr von dieser Woche an in der Nähe Seiner Majestät wohnen werdet. Ich bitte Euch, einige Geschenke anzunehmen, die ich für Euch hier zurückzulassen mir erlaubt habe. Auf Wiedersehen, Madame. Erhaltet Euch heiter und reizend, wie man es in Eurem Alter ist, und lebt nach Eures Herzens Gelüste, während ich mich schlagen werde.«
»So sprechend, küßte er mich vertraulich auf die Stirne, und sein langer Bart hat mich sogar gestochen; das ist nicht wie bei dem Deinigen, Gabriel. Und dann grüßten mich alle diese Herren und Damen, und gingen nach und nach weg und ließen mich allein mit meinem Vater Enguerrand. Er verstand nicht viel mehr als ich von diesem ganzen Abenteuer. Man hatte ihm das Pergament des Königs zu lesen gegeben, der mir, wie es scheint, den Herzog von Castro zu heirathen befahl. Der Herr, der Seine Majestät vertrat, heißt Graf d’Humières. Enguerrand, der ihn früher bei Herrn von Vimoutiers gesehen, hat ihn wiedererkannt. Alles, was Enguerrand mehr als ich wußte, war die traurige Nachricht, daß die Dame von Leviston, welche mich angekleidet hat und in Caen wohnt, in einem der nächsten Tage kommen würde, um mich an den Hof zu führen, und daß ich mich hierzu beständig bereit halten sollte. Das ist meine seltsame und schmerzliche Geschichte,« sagte Diana. »Ah! ich vergaß. Als ich in mein Zimmer zurückkam, fand ich in einer großen Schachtel, Du würdest nicht erraten was? eine herrliche Puppe, mit einer völligen Ausstattung an Weißzeug und mit drei Kleidern: weiße Seide, rother Damast und grüner Brocat, Alles zum Gebrauch der genannten Puppe. Ich fühlte mich im höchsten Maaße verletzt, Gabriel, dies waren also die Geschenke meines Gemahls! mich wie ein kleines Mädchen behandeln! Das Rothe steht indessen der Puppe am Besten, weil sie von Natur eine sehr lebhafte Gesichtsfarbe hat. Die kleinen Schuhe sind auch reizend, doch dieses Verfahren ist unwürdig, denn mir dünkt im Ganzen, daß ich kein Kind mehr bin.«
»Doch! Ihr seid ein Kind, Diana,« erwiderte Gabriel, bei dem der Zorn unmerklich der Traurigkeit Platz gemacht hatte, »ein wahres Kind! ich grolle Euch nicht, daß Ihr erst zwölf Jahre zählt, das wäre albern und unbillig. Ich sehe nur, daß ich Unrecht gehabt habe, an ein so junges und leichtes Gemüth eine so glühende und tiefe Leidenschaft zu heften. Denn ich fühle zu meinem Schmerz, wie sehr ich Euch liebte, Diana. Ich wiederhole Euch jedoch, daß ich Euch nicht grolle. Doch wenn Ihr stärker gewesen wäret, wenn Ihr in Euch die nothwendige Energie gehabt hättet, um einem ungerechten Befehle zu widerstehen, wenn Ihr nur ein wenig Zeit zu gewinnen vermocht hättet, Diana, so hätten wir glücklich sein können, da Ihr Eure Eltern gefunden habt und diese von vornehmem Geschlechte zu sein scheinen. Auch ich kam, um Euch ein großes Geheimniß mitzutheilen, das man mir diesen Morgen geoffenbart hat. Doch wozu soll es jetzt nützen? es ist zu spät. Eure Schwäche hat es zugelassen, daß der Faden meines Geschickes zerrissen ist, während ich glaubte, er würde endlich halten. Warum ihn je wieder anknüpfen? Ich sehe vorher, daß sich mein ganzes Leben Eurer erinnern, Diana, und daß meine junge Liebe stets den größten Platz in meinem Herzen einnehmen wird. Ihr jedoch, Diana, im Glanz des Hofes, im Geräusch der Feste, werdet schnell denjenigen aus dem Gesicht verlieren, der Euch in den Tagen Eurer Dunkelheit so sehr geliebt hat.«
»Nie!« rief Diana. »Und höre, Gabriel, nun, da Du hier bist und mich ermuthigen, unterstützen kannst, willst Du, daß ich mich weigere, abzureisen, wenn man kommt, um mich zu holen, daß ich den Bitten, dem Drängen, den Befehlen widerstehe, um immer bei Dir zu bleiben?«
»Ich danke, liebe Diana, doch fortan, siehst Du, gehörst Du vor Gott und den Menschen einem Andern. Wir müssen unsere Pflicht und unser Geschick erfüllen, wir müssen, wie der Herzog von Castro gesagt hat, jedes seines Wegs gehen, Du zu den Genüssen und zum Hofe, ich in die Lager und Schlachten; Gott gebe nur, daß ich Dich eines Tags wiedersehe.«
»Ja, Gabriel, ich werde Dich wiedersehen, ich werde Dich immer lieben,« rief Diana, und warf sich, in Thränen zerfließend, in die Arme ihres Freundes.
In diesem Augenblick erschien Enguerrand mit Frau von Leviston in einer nahen Allen.
»Hier ist sie, Madame,« sagte er, auf Diana deutend. »Ah! Ihr seid es, Gabriel?« rief er, als er den jungen Grafen erblickte, »ich war im Begriff, nach Montgommery zu gehen um Euch zu besuchen, als ich dem Pagen von Frau von Leviston begegnete und wieder umkehren mußte.«
»Ja, Madame,« sprach Frau von Leviston zu Diana, »der König hat meinem Gatten zu wissen gethan, es dränge ihn, Euch zu sehen, und ich beschleunigte deshalb unsere Abreise. Brechen wir, wenn es Euch gefällig ist, in einer Stunde aus. Eure Vorbereitungen werden, denke ich, nicht lange dauern, und Ihr seid wohl geneigt, mir zu folgen?«
Diana schaute Gabriel an.
»Muth gefaßt,« sprach dieser mit ernstem Tone.
»Ich habe die Freude, Euch anzukündigen,« fuhr Frau von Leviston fort, »daß Euer braver Nährvater uns nach Paris begleiten kann und will, und uns morgen in Alençon einholen wird, wenn es Euch genehm ist.«
»Ob es mir genehm ist?« rief Diana. »Ah! Madame, man hat mir meine Eltern noch nicht genannt, doch ich werde ihn stets meinen Vater nennen.«
Und sie reichte ihre Hand Enguerrand, der sie mit Küssen bedeckte, um das Recht zu haben, noch ein wenig durch den Schleier ihrer Thränen Gabriel anzuschauen, der nachdenkend und traurig, aber ergeben und entschlossen aussah.
»Vorwärts, Madame,« sagte Frau von Leviston, welche diese Abschiede und Zögerungen vielleicht ungeduldig machten, »bedenkt, daß wir vor Einbruch der Nacht in Caen sein müssen.«
Beinahe erstickt durch Schluchzen, entfernte sich Diana hastig, um in ihr Zimmer hinauf zu gehen, jedoch nicht ohne zuvor Gabriel durch ein Zeichen bedeutet zu haben, er möge warten.
Nach Verlauf einer Stunde, während der man in den Wagen die Gegenstände packte, welche Diana mitnehmen wollte, erschien diese wieder ganz reisefertig. Sie bat Frau von Leviston, die ihr wie ihr Schatten folgte, um Erlaubniß, noch einmal in dem Garten umhergehen zu dürfen, wo sie zwölf Jahre lang so sorglos und glücklich gespielt hatte. Gabriel und Enguerrand gingen während dieses Besuches hinter ihr. Diana blieb vor einem Rosenstock mit weißen Blüthen stehen, den Gabriel und sie im vorhergehenden Jahre gepflanzt hatten. Sie pflückte zwei Rosen, befestigte eine an ihrem Kleid, roch an der andern und reichte sie Gabriel. Der junge Mann fühlte, daß ihm zu gleicher Zeit ein Papier in die Hand schlüpfte, das er hastig in seinem Wamms verbarg. Nachdem Diana von allen Gängen, von allen Gebüschen, von allen Blumen Abschied genommen hatte, mußte sie sich endlich zur Abreise entschließen. Als sie vor den Wagen kam, der sie wegführen sollte, gab sie die Hand den Dienern des Hauses und sogar den guten Leuten vom Flecken, welche sie alle kannten und liebten. Die Arme hatte nicht die Kraft, zu sprechen, sie machte nur Jedem ein freundschaftliches Zeichen mit dem Kopf. Dann umarmte sie Enguerrand, und endlich Gabriel, ohne sich im Geringsten um die Gegenwart von Frau von Leviston zu bekümmern. In den Armen ihres Freundes gewann sie sogar ihre Stimme wieder, und als dieser zu ihr sagte: »Fahre wohl! fahre wohl!« da sprach sie:
»Nein, auf Wiedersehen!«
Hiernach stieg sie in den Wagen, und da die Kindheit im Ganzen ihr Recht nicht völlig auf sie verlor, so hörte sie Gabriel mit jener kleinen Mundverziehung, die ihr so gut stand, Frau von Leviston fragen:
»Man hat doch wenigstens meine große Puppe oben aufgepackt?«
Der Wagen entfernte sich im Galopp.
Gabriel öffnete das Papier, das ihm Diana gegeben hatte, und fand darin eine Locke von ihren schönen, aschblonden Haaren, die er so gern küßte.
Einen Monat nachher ließ sich Gabriel, in Paris angelangt, im Hotel Guise bei dem Herzog von Guise unter dem Namen eines Vicomte d’Ermès melden.