Читать книгу Die beiden Dianen - Александр Дюма - Страница 26

Viertes bis siebentes Bändchen
V.
Jean Peuquoy, der Weber

Оглавление

Es fand im Rathhause der Stadt Saint-Quentin eine Versammlung der militärischen Häupter und bürgerlichen Notabilitäten am 15. August statt. Die Stadt hatte sich noch nicht übergeben, doch man sprach stark von Uebergabe. Die Leiden und die Entblößungen der Einwohner hatten den höchsten Grad erreicht, und da sie ihre Stadt nicht mehr zu retten hoffen durften, da sich der Feind derselben einen Tag früher oder später bemächtigen mußte, war es nicht besser, wenigstens so viel Elend abzukürzen?

Gaspard von Coligny, der muthige Admiral, den der Connétable von Montmorency, sein Oheim, mit der Vertheidigung des Platzes beauftragt hatte, wollte den Spanier nur bei der äußersten Nothwendigkeit einlassen. Er wußte, daß jeder Tag Aufschub, so schmerzlich er auch den armen Belagerten war, die Rettung des Königreiches sein konnte. Doch was vermochte er gegen die Entmuthigung und das Gemurre einer ganzen Bevölkerung? Der Krieg außen gestattete keine Chancen eines Kampfes im Innern, und wenn die Bewohner von Saint-Quentin sich eines Tags weigerten, die Arbeiten zu verrichten, die man von ihnen ebenso gut, als von den Soldaten verlangte, so wurde jeder Widerstand unnütz, und man hatte nur noch Philipp II. und seinem General Emanuel Philibert von Savoyen die Schlüssel der Stadt und den Schlüssel von Frankreich zu übergeben.

Doch ehe es so weit kam, wollte Coligny einen letzten Versuch machen, und deshalb hatte er diese Versammlung der Vornehmsten der Stadt zusammenberufen, welche uns vollends über den verzweifelten Zustand der Festungswerke und besonders über den Zustand des Muthes, dieses besten Festungswerkes, belehren wird.

Auf die Rede, mit der der Admiral die Sitzung eröffnete, indem er an die Vaterlandsliebe derjenigen appellierte, welche ihn umgaben, antwortete man nur durch ein düsteres Stillschweigen. Dann rief Gaspard von Coligny unmittelbar den Kapitän Oger, einen von den braven Edelleuten auf, die ihm gefolgt waren. Er hoffte, mit den Officieren beginnend, die Bürger zum Widerstand nachzuziehen. Doch die Ansicht des Kapitän Oger war leider nicht die, welche der Admiral erwartete.

»Da Ihr mir die Ehre erweist, mich um meine Meinung zu fragen, Herr Admiral,« sprach der Kapitän, »so werde ich sie Euch mit Betrübnis, aber offenherzig sagen. Saint-Quentin kann nicht länger widerstehen. Wenn wir die Hoffnung hätten, uns nur acht Tage, nur vier Tage, nur zwei Tage zu halten, so würde ich sagen: »Diese zwei Tage können der Armee gestatten, sich hinter uns zu organisieren, diese zwei Tage können das Vaterland retten, lassen wir die letzte Mauer und den letzten Mann fallen, und ergeben wir uns nicht.« Doch ich bin überzeugt, daß der erste Sturm, der vielleicht in einer Stunde stattfindet, uns dem Feinde preisgeben wird. Muß man es also nicht vorziehen, da es noch Zeit ist, durch eine Capitulation das zu retten, was sich von der Stadt retten läßt, und wenn wir die Niederlage nicht vermeiden können, wenigstens die Plünderung zu vermeiden?«

»Ja, ja, so ist es; gut gesprochen, das ist der einzige vernünftige Beschluß, den man fassen kann,« murmelte die Versammlung.

»Nein, nein, meine Herren,« rief der Admiral, »es handelt sich hier nicht um die Vernunft, sondern um das Herz. Daß ein einziger Sturm den Spanier in den Platz bringen soll, während wir schon fünf zurückgeschlagen haben, kann ich übrigens nicht glauben. Sprecht, Lauxford, Ihr, der Ihr die Leitung der Arbeiten und der Gegenminen habt, nicht wahr, die Festungswerke sind in hinreichend gutem Zustand, um noch lange zu halten? Sprecht offenherzig, macht die Dinge nicht besser und nicht schlimmer, als sie sind, wir haben uns versammelt, um die Wahrheit kennen zu lernen, und die Wahrheit ist es, was ich fordere.«

»Ich will sie Euch also sagen,« sprach der Ingenieur Lauxford, »oder vielleicht die Umstände werden sie Euch besser als ich und ohne Schmeichelei sagen. Hierzu wird genügen, daß Ihr mit mir im Geist die verwundbaren Punkte der Wälle untersucht. Herr Admiral, vier Thore sind zu dieser Stunde dem Feinde geöffnet, und ich wundere mich, wenn ich es gestehen soll, daß er noch nicht davon Gebrauch gemacht hat. Erstens ist auf dem Boulevard Saint-Martin die Bresche so breit, daß zwanzig Mann neben einander durchpassiren können. Wir haben dort mehr als zweihundert Mann, lebende Mauern, verloren, welche jedoch nie die steinernen Mauern werden ersetzen können. An der Porte Saint-Jean steht nur noch der große Thurm, und der beste Theil des Mittelwalles ist niedergerissen. Wohl ist dort eine ganz geschlossene und zugerüstete Gegenmine, doch ich befürchte, wenn man sie gebrauchen will, wird sie den großen Thurm einstürzen machen, der noch allein die Angreifenden im Schach hält, während seine Trümmer ihnen als Leitern dienen würden. Im Flecken Remicourt haben die Laufgräben der Spanier die Rückseite des Grabens durchbrochen, und sie haben sich dort unter dem Schutze einer Blendung festgestellt, unter der sie die Mauern ohne Unterlaß angreifen. Ihr wißt endlich, Herr Admiral, daß die Feinde auf der Seite des Faubourg d’Ile nicht nur Herren der Gräben, sondern auch des Boulevard und der Abtei sind, und daß sie sich dort so gut einquartiert haben, daß es kaum mehr möglich ist, ihnen auf diesem Punkte Schaden zuzufügen, während sie Schritt für Schritt die Brustwehr, welche nur fünf bis sechs Fuß dick ist, gewinnen, mit ihren Batterien die Arbeiter des Boulevard de la Reine in den Flanken fassen, und eine solche Verheerung unter ihnen anrichten, daß man darauf verzichten mußte, sie bei diesem Werke zurückzuhalten. Der Rest der Wälle würde sich vielleicht noch halten, doch das sind vier tödtliche Wunden, durch welche das Leben der Stadt bald entströmen muß, Herr Admiral. Ihr habt Wahrheit von mir verlangt, ich gebe sie Euch, so traurig sie auch ist, und überlasse Eurer Weisheit und Behutsamkeit die Sorge, davon Gebrauch zu machen.«

Hierüber entstand abermals ein Gemurmel der Menge, und wenn es Niemand wagte, laut das Wort zu nehmen, so sagte doch Jeder leise:

»Das Beste ist, sich zu übergeben und sich nicht den unseligen Wechselfällen eines Sturms bloßzustellen.«

Doch der Admiral sprach, ohne sich entmuthigen zu lassen:

»Meine Herren, noch ein Wort. Entgehen uns unsere Mauern, wie Ihr gesagt habt, Herr Lauxford, so haben wir, um sie zu ersetzen, muthige Soldaten, lebendige Wälle. Ist es mit ihnen und unter der eifrigen Mitwirkung der Bürger nicht möglich, die Einnahme der Stadt um einige Tage zu verzögern? Und was heute noch schmählich wäre, würde dann glorreich . . . ja, die Festungswerke sind zu schwach, das gebe ich zu, doch unsere Truppen sind zahlreich genug, nicht wahr, Herr von Rambouillet?«

»Herr Admiral,« sprach der aufgerufene Kapitän, »wären wir dort auf dem Platze, mitten unter der Menge, welche den Erfolg unserer Berathungen erwartet, so würde ich Euch antworten: ja; denn man müßte Allen Hoffnung und Vertrauen einflößen. Doch hier im Rathe, vor diesen durch ihren Muth erprobten Männern, zögere ich nicht, Euch zu sagen, daß die Mannschaft nicht genügt für den harten, gefahrvollen Dienst, den wir zu thun haben. Wir haben Waffen allen denjenigen gegeben, welche sie zu tragen im Stande waren. Die Anderen sind bei den Vertheidigungsarbeiten beschäftigt, zu denen Kinder und Greise beitragen. Selbst die Frauen helfen uns, indem sie den Verwundeten beistehen und sie pflegen. Nicht ein Arm ist unnütz, und dennoch fehlt es an Armen. Auf keinem Punkte der Wälle ist ein Mann zu viel, und häufig sind es zu wenig. Man mag immerhin sich vervielfältigen, und kann es doch nicht machen, daß nicht fünfzig Mann mehr an der Porte Saint-Jean, und wenigstens fünfzig weitere auf dem Boulevard Saint-Martin nothwendig sind. Die Niederlage an Saint-Laurent hat uns der Vertheidiger beraubt, auf die wir hoffen konnten, und wenn Ihr keine von Paris erwartet, Herr Admiral, so ist es Eure Sache, in Betracht zu ziehen, ob in einem solchen äußersten Fall Grund vorhanden ist, die wenigen Streitkräfte, die uns bleiben, und diese Trümmer unserer muthigen Kriegsleute zu wagen, welche noch so wirksam zu Erhaltung anderer Plätze und vielleicht zur Erhaltung des Vaterlandes dienen können.«

Die ganze Versammlung unterstützte und billigte diese Worte durch ihr Gemurmel, und der Ruf der Menge, welche sich um das Rathhaus drängte, erläuterte dieselben noch viel beredter.

Doch nun rief eine Donnerstimme:

»Stille!«

Und es schwiegen in der That Alle, denn derjenige, welcher so laut und so fest sprach, war Jean Peuquoy, der Altmeister der Weberzunft, ein sehr geachteter, sehr gehörter und ein wenig gefürchteter Bürger der Stadt.

Jean Peuquoy war das Musterbild jener braven bürgerlichen Race, welche ihre Stadt zugleich wie eine Mutter und wie ein Kind liebte; sie anbetete und schmälte, für sie lebte und im Fall der Noth für sie starb. Für den ehrlichen Webermeister gab es auf der Welt nur Frankreich und in Frankreich nur Saint-Quentin. Niemand kannte, wie er, die Geschichte und die Ueberlieferungen der Stadt, die alten Gebräuche und die alten Legenden. Es gab kein Quartier, keine Straße, kein Haus, das in der Gegenwart und in der Vergangenheit etwas Verborgenes für Jean Peuquoy hatte. Er war der eingefleischte Bürgersmann. Seine Werkstätte war der zweite Marktplatz, und sein hölzernes Haus in der Rue Saint-Martin das zweite Rathhaus. Dieses ehrwürdige Haus machte sich durch ein ziemlich seltsames Schild bemerkbar: durch ein bekränztes Weberschiff zwischen dem Geweih eines Zehnenders. Einer von den Ahnen von Jean Peuquoy (denn Jean Peuquoy zählte Ahnen wie ein Edelmann!), ein Weber wie er, wie sich von selbst versteht, und dabei ein berühmter Bogenschütze, hatte auf mehr als hundert Schritte mit zwei Pfeilschüssen die Augen dieses schönen Hirsches ausgehöhlt. Man sieht noch in Saint-Quentin, in der Rue Saint-Martin, das herrliche Gestänge. Auf zehn Meilen in der Runde kannte man damals das stattliche Geweih und den Weber. Jean Peuquoy war also gleichsam die lebendige Stadt, und jeder Einwohner von Saint-Quentin vernahm, wenn er ihn hörte, die Stimme seines Vaterlandes.

Deshalb rührte sich Keiner mehr, als der Weber mitten unter dem Lärmen ausrief:

»Stille!«

»Ja, stille!« fuhr er fort, »ich bitte Euch, meine guten Landsleute und theure Gefährten, schenkt mir eine Minute Aufmerksamkeit. Betrachten wir, wenn es Euch gefällt, mit einander, was wir schon gethan haben, und es wird uns vielleicht über das belehren, was wir noch thun sollen. Als der Feind unsere Mauern zu belagern anfing, als wir unter der Anführung des furchtbaren Emanuel Philibert alle diese Spanier, Engländer, Deutsche und Wallonen wie Unglücksheuschrecken um unsere Stadt her niederfallen sahen, nahmen wir unser Schicksal muthig an, nicht wahr? Wir murrten nicht, wir klagten die Vorsehung nicht darüber an, daß sie gerade Saint-Quentin als das Sühneopfer Frankreichs bezeichnete. Der Herr Admiral wird uns in dieser Hinsicht Gerechtigkeit widerfahren lassen; von dem Tage an, wo er hier ankam und uns den Beistand seiner Erfahrung und seines Muthes brachte, suchten wir seine Pläne durch unsere Personen und durch unsere Güter zu unterstützen. Wir haben unsere Mundvorräthe, unsere Güter und unser Geld preisgegeben, und selbst die Armbrust, die Pike oder die Haue genommen. Diejenigen, welche nicht Schildwachen auf den Wällen waren, machten sich zu Arbeitern in der Stadt. Wir trugen dazu bei, die meuterischen Bauern der Umgegend, welche sich weigerten, mit ihrer Arbeit die Zufluchtsstätte zu bezahlen, die wir ihnen gegeben hatten, zu zügeln und zu disziplinieren. Alles endlich, was man von Menschen fordern konnte, deren Handwerk der Krieg nicht ist, haben wir, wie ich glaube, gethan. Wir hofften auch, der König, unser Herr, würde bald an seine braven Bürger von Saint-Quentin denken und uns schleunigst Hilfe schicken. Dies geschah. Der Connétable von Montmorency eilte herbei, um die Truppen von Philipp II. von hier zu verjagen, und wir dankten Gott und dem König. Doch der unselige Saint-Laurent-Tag hat in wenigen Stunden unsere Hoffnungen zerstört. Der Connétable wurde gefangen genommen, sein Heer vernichtet, und wir sind nun verlassener als je. Es sind seitdem fünf Tage abgelaufen, und der Feind hat diese fünf Tage benützt. Drei heftige, hartnäckige Stürme haben uns mehr als zweihundert Mann und ganze Mauerflügel gekostet. Die Kanonen hören nicht mehr auf zu donnern, und sie begleiten sogar meine Worte. Wir wollen sie jedoch nicht hören, und wir horchen nur nach der Seite von Paris, ob nicht irgend ein Geräusch uns eine neue Hilfe verkündigte. Doch nichts! Die letzten Quellen sind, wie es scheint, für den Augenblick erschöpft. Der König läßt uns im Stich und hat etwas ganz Anderes zu thun, als an uns zu denken. Er muß dort sammeln, was ihm an Kräften bleibt; er muß das Königreich vor einer Stadt retten, und wenn er zuweilen noch die Augen und den Geist gegen Saint-Quentin wendet, so thut er es, um sich zu fragen, ob sein Todeskampf Frankreich Zeit lassen werde, zu leben. Doch Hoffnung, doch Aussichten auf Rettung und Hilfe gibt es für uns jetzt nicht mehr, theure Mitbürger und Freunde. Herr von Rambouillet und Herr von Lauxford haben die Wahrheit gesprochen. Die Mauern und die Soldaten fehlen uns, unsere alte Stadt stirbt, und wir sind verlassen, in Verzweiflung, verloren! . . .«

Die beiden Dianen

Подняться наверх