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Sechstes bis zehntes Bändchen
Drittes Kapitel.
Das Wirthshaus zum Pont du Gard

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Diejenigen, welche wie ich, den Süden von Frankreich zu Fuß durchwandert haben, konnten zwischen Bellegarde und Beaucaire, ungefähr halbwegs von dem Dorfe zur Stadt, aber dennoch näher bei Beaucaire, als bei Bellegarde, ein kleinen Wirthshause wahrnehmen, woran auf einer Platte von Eisenblech, welche bei dem geringsten Winde schauerlich ächzt, eine groteske Darstellung des Pont du Gard hängt. Dieses kleine Wirthshaus liegt, wenn man sich nach dem Laufe der Rhone richtet, links von der Straße und kehrt dem Flusse den Rücken zu; es ist von dem begleitet, was man in Languedoc einen Garten nennt, das heißt: die Seite der entgegengesetzt, welche ihre Thüre den Reisenden öffnet, geht auf ein Gehege, worin einige verkrüppelte Olivenbäume und ein paar wilde Feigenbäume stehen, deren Blätterwerk vom Staube versilbert ist; in ihren Zwischenräumen wachsen, statt aller anderer Gemüse, Knoblauch, Taubenkraut und Schalotten; in einer von den Ecken streckt endlich, wie eine verlorene Schildwache, eine Fichte schwermütig ihren biegsamen Stamm empor, während ihr fächerartig ausgebreiteter Gipfel unter einer Sonne von dreißig Graden kracht. Alle diese Bäume, groß oder klein, beugen sich natürlich in der Richtung gegeneigt, wo der Mistral, eine von den drei Geißeln der Provence, hinstreicht. Die zwei andern waren, wie man weiß oder vielleicht nicht weiß, die Durance und das Parlament. Da und dort in der umliegenden Ebene, welche einem großen Staubsee gleicht, vegetieren einige Weizenstängel, welche die Gartenliebhaber der Gegend ohne Zweifel nur der Seltenheit wegen ziehen, und von denen jeder als Aufsitzstange einer Grille dient, welche mit ihrem schrillen, eintönigen Gesange die in diesem Thebais verirrten Reisenden verfolgt.

Seit etwa sieben die acht Jahren wurde diese kleine Wirthschaft von einem Manne und einer Frau geführt, deren einzige Dienerschaft ein Stubenmädchen genannt Toinette und ein Hausknecht Namens Pacaud waren, eine doppelte Beihilfe, welche indessen für die Bedürfnisse des Dienstes genügte, seitdem ein von Beaucaire nach Aigues-Mortes gegrabener Canal siegreich die Kähne auf die Eil fuhr und das Marktschiff auf die Diligence hatte folgen lassen. Dieser Canal lief, als wollte er das Bedauern des unglücklichen Gastwirthes, den er zu Grunde richtete, noch lebhafter machen, zwischen der Rhone, die ihn ernährt, und der Landstraße, die er entkräftet, etwa hundert Schritte von dem Wirthshaus, von dem wir eine kurze, aber getreue Schilderung gegeben haben. Vergessen wir nicht einen Hund, einen alten Nachtwächter, der nun gegen die Vorübergehenden sowohl am Tage, als während der Dunkelheit bellte, so wenig war er mehr gewohnt, Fremde zu sehen.

Der Mann, welcher diese kleine Wirthschaft führte, war ungefähr vierzig bis zwei und vierzig Jahre alt, groß, trocken und nervig, der wahre südliche Typus, mit seinen tiefliegenden, glänzenden Augen, seiner adlerschnabelförmigen Nase und seinen Zähnen, so weiß wie die eines fleischfressenden Tieres; seine Haare, welche sich dem ersten Hauche des Alters zum Trotz, nicht zum Weißwerden entschließen zu wollen schienen, waren, wie sein dichter, krauser Bart, kaum mit etwas Grau durchstreut, sein natürlich bräunlicher Teint hatte sich mit einer neuen Lage von Nußbraun dadurch bedeckt, daß sich der arme Teufel vom Morgen bis zum Abend auf seiner Thürschwelle aufzuhalten pflegte, um zu sehen, ob ihm nicht zu Fuß oder zu Wagen ein Kunde zukäme, eine Erwartung, in der er beinahe immer getäuscht wurde, indes er den ganzen Tag hindurch der sengenden Sonnenhitze kein anderes Präservativ entgegensetzte, als ein nach der Weise der spanischen Maulthiertreiber um seinen Kopf gewickeltes rotes Sacktuch. Dieser Mann war unser alter Bekannter Gaspard Caderousse. Seine Frau, welche sich als Mädchen Madeleine Radelle nannte, sah im Gegenteil bleich, mager und kränklich aus.. In der Gegend von Arles geboren, hatte sie, obwohl die ursprünglichen Spuren der traditionellen Schönheit ihrer Landsleute bewahrend, ihr Gesicht langsam in einem beinahe beständigen Anfall von einem jener dumpfen Fieber, welche unter den Nachbarn der Teiche von Aigues-Mortes und des Marschlandes der Camargue so gewöhnlich sind, in Verfall geraten sehen. Sie hielt sich beinahe immer vor Kälte schnatternd in ihrem im ersten Stocke liegenden Zimmer auf, entweder in einem Lehnstuhle ausgestreckt, oder an ihrem Bette lehnend, während ihr Mann an der Thüre seine gewöhnliche Wache bezog, die sich um so länger ausdehnte, als ihn seine magere Ehehälfte, so oft er sich wieder mit ihr zusammenfand, mit ihren ewigen Klagen gegen das Schicksal verfolgte, welche er gewöhnlich nur mit den philosophischen Worten erwiderte: Schweige, Carconte, Gott will es so!«

Dieser Spottname kam davon her, daß Madeleine Radelle in dem Dorfe la Carconte, welches zwischen Salon und Lambèse liegt, geboren war. In Folge einer Gewohnheit dieser Gegend, die Leute beinahe immer mit einem Beinamen statt mit ihrem wahren Namen zu bezeichnen, hatte ihr Mann diese Benennung mit Madeleine vertauscht, war für seine rohe Zunge vielleicht zu sauft und zu wohlklingend war.

Trotz dieser vorgeblichen Fügsamkeit in die Beschlüsse der Vorsehung, darf man indessen nicht glauben, daß unser Wirth den armseligen Zustand nicht tief erkannte, in welchen ihn der elende Canal von Beaucaire versetzt hatte, und daß er unverwundbar gegen die ewigen Klagen blieb, mit denen ihn seine Frau verfolgte. Er war, wie alle Südländer, ein mäßiger Mensch und ohne große Bedürfnisse, aber eitel für äußere Dinge. So ließ er in den Zeiten seines Wohlstandes nie eine Prozession der Tarasque5 vorübergehen, ohne sich dabei mit der Carconte zu zeigen, er in der malerischen Tracht des Südfranzosen, welche die Mitte zwischen dem Andalusier und Catalonier hält, sie in dem reizenden Gewande der Frauen von Arten, das Griechenland und Arabien entlehnt zu sein schien. Allmälig aber waren Uhrketten, Halsbänder, tausendfarbige Gürtel, gestickte Leibchen, Sammetwesten, Strümpfe mit zierlichen Zwickeln, buntscheckige Kamaschen, Schuhe mit silbernen Schnallen Verschwunden, und Gaspard Caderousse, der sich nicht mehr in seinem ehemaligen Glanze zeigen konnte, hatte für sich und seine Frau Verzicht geleistet auf alles weltliche Gepränge, dessen freudigen Geräusch er, sich dumpf das Herz zernagend, bis in dem armseligen Wirthshause hörte, das er mehr als ein Schirmdach, denn als Speculation behielt.

Caderousse hatte sich seiner Gewohnheit gemäß einen Teil des Morgens vor der Thüre aufgehalten und seinen schwermütigen Blick von einem kleinen kahlen Rasen, worauf ein paar Hühner marodirten, nach den zwei Enden der öden Landstraße spazieren lassen, welche einer Seits nach Süden und anderer Seits nach Norden lief, als ihn plötzlich die spitzige Stimme seiner Frau seinen Posten zu verlassen nötigte. Er ging brummend hinein und stieg in den ersten Stock hinauf, ließ aber nichtsdestoweniger seine Thüre weit offen stehen, als wollte er die Reisenden einladen, ihn im Vorbeigehen nicht zu vergessen.

In dem Augenblick, wo Caderousse hineinging, war die von uns erwähnte Landstraße, welche seine Blicke durchliefen, so leer, so kahl und verlassen, wie die Wüste um Mittag; sie dehnte sich weiß und unabsehbar zwischen zwei Reihen magerer Bäume aus, und man begriff vollkommen, daß kein Reisender, dem es freistand, eine andere Stunde des Tages zu wählen, sich in diese furchtbare Sahara wagte. Caderousse hätte jedoch, trotz aller Wahrscheinlichkeit, wenn er an seinem Posten geblieben wäre, in der Richtung von Bellegarde einen Reiter und ein Pferd herbeikommen sehen, welche mit dem ehrlichen, freundschaftlichen Wesen erschienen, woraus sich auf das beste Einverständniß zwischen dem Menschen und dem Tiere schließen läßt. Das Pferd war ein Wallach und ging einen ganz angenehmen Paß; der Reiter war ein Priester mit schwarzem Rock und dreieckigem Hute. Trotz der verzehrenden Sonnenhitze zogen sie doch nur sehr vernünftig einher. Vor der Thüre hielt die Gruppe an; es wäre schwer zu entscheiden gewesen, ob das Pferd den Menschen, oder ob der Mensch das Pferd anhielt; in jedem Fall stieg der Reiter ab, zog das Pferd am Zügel nach und band es an den Reiber eines verwitterten Ladens, dann schritt der Priester, seine von Schweiß triefende Stirne mit einem roten baumwollenen Sacktuche abwischend, auf die Thüre zu und that mit dem eisernen Ende des Stockes, den er in der Hand hielt, drei Schläge auf die Schwelle.

Sogleich erhob sich der große schwarze Hund und machte ein paar Schritte bellend und seine weißen scharfen Zähne fletschend, eine doppelte feindselige Demonstration, welche bewies, wie wenig er an Gesellschaft gewöhnt war. Alsbald erschütterte ein schwerer Tritt die hölzerne, an der Wand hinlaufende Treppe, welche sich bückend und rückwärts der Wirth des armseligen Hauses, an dem der Priester stand, herabstieg.

»Hier bin ich!« sagte Caderousse ganz erstaunt, »hier bin ich! Willst du schweigen, Margotin. Haben Sie nicht bange, mein Herr, er bellt, aber er beißt nicht. Sie wollen Wein, nicht wahr? denn es ist teufelsmäßig heiß. Ah! um Vergebung,« unterbrach sich Caderousse, als er sah, mit welcher Sorte von Reisenden er es zu tun hattet; »um Vergebung, ich wußte nicht, wen ich zu empfangen so glücklich war. Was wünschen Sie, was verlangen Sie, Herr Abbé? Ich stehe zu Befehl.«

Der Priester schaute diesen Menschen ein paar Secunden lang mit seltsamer Aufmerksamkeit an: er schien sogar seiner Seits die Aufmerksamkeit des Wirthes auf sich lenken zu wollen; als er aber sah, daß die Züge des letzteren kein anderes Gefühl ausdrückten, als ein Erstaunen darüber, daß er keine Antwort erhielt, dachte er, es wäre Zeit, eben diesem Erstaunen ein Ende zu machen, und sagte mit stark italienischem Acccnt:

»Sind Sie nicht Monsou Caderousse?«

»Ja, mein Herr,« antwortete der Wirth, vielleicht noch mehr über diese Frage erstaunt, als er über das Stillschweigen gewesen war; »ich bin es in der Tat, Gaspard Caderousse, Ihnen zu dienen.«

»Gaspard Caderousse?« Ja . . . ich glaube, das ist der Vorname und der Familienname. Nicht wahr, Sie wohnten einst in der Allée de Meillan, im vierten Stocke?«

»So ist es.«

»Und Sie trieben dort das Gewerbe eines Schneiders?«

»Ja, aber die Sache nahm eine schlimme Wendung. Es ist so heiß in dem spitzbübischen Marseille, daß man sich dort am Ende gar nicht mehr kleiden wird. Doch was die Hitze betrifft, wollen Sie sich nicht erfrischen, Herr Abbé?«

»Allerdings. Geben Sie mir eine Flasche von Ihrem besten Wein, und wir nehmen, wenn es Ihnen beliebt, des Gespräch wieder auf, wo wir es lassen.«

»Ganz nach Ihrem Belieben, Herr Abbé, »sagte Caderousse.

Um die Gelegenheit nicht zu versäumen, eine von den letzten Flaschen Cahors-Wein, die ihm blieben, anzubringen, beeilte sich Caderousse, eine Falle aufzuheben, welche in dem Boden des Zimmers im Erdgeschosse angebracht war, das zugleich als Speisesaal und als Küche diente. Als er nach Verlauf von fünf Minuten zurückkehrte, fand er den Abbé auf einem Schämel sitzend, den Ellenbogen auf den Tisch gestützt, während Margotin, der Frieden mit ihm gemacht zuhaben schien, als er hörte, daß dieser seltsame Reisende wider die Gewohnheit etwas zu sich nahm, auf dem Schenkel des Priesters seinen fleischlosen Hals und seinen Kopf mit dem schmachtenden Auge ausstreckte.

»Sie sind allein?« fragte der Abbé seinen Wirth, während dieser die Flasche und ein Glas vor ihn stellte.

»Oh! mein Gott, ja, allein, oder beinahe so, denn ich habe eine Frau, die mich in nichts unterstützen kann, insofern sie immer krank ist, die arme Carconte.«

»Ah! Sie sind verheiratet?« sagte der Priester mit einer gewissen Teilnahme und warf einen Blick umher, der das magere Mobiliar des armseligen Haushaltes zu seinem winzigen Werte anzuschlagen schien.

»Sie finden, ich sei nicht reich, nicht wahr?« sagte Caderousse seufzend; »aber was wollen Sie, um in dieser Welt zu gedeihen, genügt es nicht, ein ehrlicher Mann zu sein.«

Der Abbé heftete einen durchdringenden Blick auf ihn.

»Ja, ein ehrlicher Mann, dessen kann ich mich rühmen,« sprach der Wirth. der, eine Hand auf der Brust und den Kopf von oben nach unten schüttelnd, den Blick des Abbé aushielt, »und in unseren Zeiten kann nicht Jedermann so viel von sich sagen.«

»Desto besser, wenn das, was Sie von sich rühmen, wahr ist,« versetzte der Abbé; »denn ich habe die Überzeugung, daß früher oder später der ehrliche Mann belohnt und der schlechte bestraft wird.«

»Es liegt in Ihrem Stande, dies zu sagen, Herr Abbé, es liegt in Ihrem Stande,« wiederholte Caderousse mit einem bitteren Ausdruck. »Doch es steht dem Menschen frei, nicht zu glauben, was Sie sagen.«

»Sie haben Unrecht, daß Sie so sprechen, mein Herr; denn vielleicht werde ich selbst für Sie der Beweis dessen sein, was ich behaupte.«

»Wie soll ich das Verstehen?« fragte Caderousse mit erstaunter Miene.

»Ich muß mich vor Allem versichern, daß Sie wirklich derjenige sind, mit welchem ich zu tun habe.«

»Welche Beweise soll ich Ihnen geben?«

»Haben Sie im Jahre 1814 oder 1815 einen Seefahrer Namens Dantes gekannt?«

»Dantes! ob ich ihn gekannt habe, den armen Edmond! ich glaube wohl: es war sogar einer meiner besten Freunde!« rief Caderousse, dessen Gesicht Purpurröte überströmte, während sich das klare, sichere Auge des Abbé zu erweitern schien, um ganz und gar denjenigen, welchen er befragte, zu bedecken.

»Ja, ich glaube, er hieß wirklich Edmond.«

»Ob er Edmond hieß, der Kleine,  . . . ich meine wohl, so wahr als ich Gaspard Caderousse heiße. Was ist aus dem armen Edmond geworden, mein Herr?« fuhr der Wirth fort: »haben Sie ihn vielleicht gekannt? Lebt er noch? ist er frei? ist er glücklich?«

»Er ist im Gefängnis gestorben, elender und verzweiflungsvoller, als die Galeerensklaven, welche ihre Kugel in dem Bagno von Toulon schleppen.«

Eine Totenblässe trat auf dem Antlitz von Caderousse an die Stelle der Röte, welche dasselbe Anfangs überströmt hatte. Er wandte sich um, und der Abbé sah, wie er eine Träne mit einer Ecke des Sacktuches trocknete, das ihm gewöhnlich als Kopfputz diente.

»Armer Kleiner, murmelte Caderousse. »Das ist abermals ein Beweis von dem, was ich Ihnen sagte, Herr Abbé, das nämlich der gute Gott nur für die Schlechten gut sei. Oh!« fügte Caderousse mit der gefärbten Sprache der Leute des Südens bei, »oh! Diese Welt wird immer schlechter. Möchte vom Himmel zwei Tage lang Pulver und eine Stunde Feuer fallen, und Alles wäre vorbei!«

»Sie scheinen diesen Jungen von ganzem Herzen zu lieben, mein Herr?« fragte der Abbé.

»Oh! ich liebte ihn ungemein« obgleich ich mir vorzuwerfen habe, daß ich ihn einen Augenblick um sein Glück beneidete. Aber seitdem, das schwöre ich Ihnen, so wahr ich Caderousse heiße, habe ich sein unseliges Geschick sehr beklagt.«

Es trat ein augenblickliches Stillschweigen ein, während dessen der feste Blick des Abbé nicht eine Secunde die bewegliche Physiognomie des Wirthes zu erforschen aufhörte.

»Und Sie haben ihn also gekannt, den armen Kleinen?« fuhr Caderousse fort.

»Ich wurde an sein Sterbebett gerufen, um ihm die letzten Tröstungen der Religion zu bieten.«

»Und woran starb er?« fragte Caderousse mit halberstickter Stimme.

»Woran stirbt man im Gefängnis, wenn man darin mit dreißig Jahren stirbt, wenn nicht am Gefängnis selbst?«

Caderousse trocknete den Schweiß ab, der von seiner Stirne floß.

»Das Seltsamste bei alle dem ist,« fuhr der Abbé fort, »daß mir Dantes auf seinem Sterbebette bei dem Christus, dessen Füße er küßte, wiederholt schwur, er wisse die wahre Ursache seiner Gefangenschaft gar nicht.«

»Das ist richtig, murmelte Caderousse, »er konnte sie nicht wissen; nein, Herr Abbé, der Kleine log nicht.«

»Darum beauftragte er mich, sein Unglück aufzuklären, was er nie selbst zu tun im Staude gewesen war, und sein Andenken zu reinigen, wenn dasselbe einen Flecken bekommen hätte.«

Und der Blick des Abbé wurde immer starrer und verschlang den beinahe düsteren Ausdruck, welcher auf dem Antlitz von Caderousse hervortrat.

»Ein reicher Engländer, fuhr der Abbé fort, »sein Unglücksgefährte, welcher das Gefängnis bei der zweiten Restauration verließ, war Besitzer eines Diamants von großem Wert. Als er von Dantes, der ihn während einer Krankheit, die er ausgestanden, wie ein Bruder gepflegt hatte, Abschied nahm, wollte er ihm einen Beweis seiner Dankbarkeit zurücklassen, und gab ihm diesen Diamant. Statt sich desselben zu bedienen, um die Gefängniswärter zu bestechen, welche den Edelstein überdies nehmen und ihn hernach verraten konnten, bewahrte er ihn stets als ein kostbares Kleinod, falls er aus dem Gefängnis käme: denn wenn ihm dies gelang, so war sein Glück durch den Verkauf dieses Diamants allein gesichert.«

»Es war also, wie Sie sagen, ein Diamant von großem Werte?« fragte Caderousse mit glühenden Augen.

»Alles beziehungsweise,« erwiderte der Abbé, »von großem Wert für Edmond; man hat den Diamant auf fünfzig tausend Franken geschätzt.«

»Fünfzig tausend Franken!« rief Caderousse; »er war also so groß wie eine Nuß?«

»Nein, nicht ganz; doch Sie mögen selbst urteilen, ich habe ihn bei mir.«

Caderousse schien unter den Kleidern des Abbé das Kleinod zu suchen, von dem er sprach.

Der Abbé zog aus seiner Tasche ein kleines Etui von schwarzem Saffianleder, öffnete es und ließ vor den geblendeten Augen von Caderousse den herrlichen Stein funkeln, welcher in einen Ring von bewunderungswürdiger Arbeit gefaßt war.

»Und das ist fünfzigtausend Franken wert?«fragte Caderousse gierig.

»Ohne die Fassung, welche auch ihren Preis hat,« sagte der Abbé, verschloß das Etui und steckte den Diamant, der im Innern von Caderousse zu funkeln fortfuhr, in seine Tasche.

»Aber wie kommt es, daß Sie diesen Diamant besitzen, Herr Abbé?« fragte Caderousse, »Edmond hat Ihnen denselben also gegeben?«

»Nein, sein Testamentsvollstrecker. »»Ich hatte drei gute Freunde und eine Braut,«« sagte er zu mir; »»alle Vier, ich bin es überzeugt, beklagen mich bitterlich, der Eine von diesen Freunden hieß Caderousse.««

Caderousse bebte.

»»Der Andere,«« fuhr der Abbé fort, ohne daß er die Erschütterung von Caderousse wahrzunehmen schien, »»der Andere hieß Danglars; der Dritte, obgleich mein Nebenbuhler, liebte mich ebenfalls . . . ««

Ein teuflisches Lächeln erleuchtete die Züge von Caderousse, und er machte eine Bewegung, um den Abbé zu unterbrechen.

»Warum Sie, sagte der Abbé, »lassen Sie mich vollenden, und wenn Sie etwas zu bemerken haben, so können Sie es dann sogleich tun. »»Der Dritte, obgleich mein Nebenbuhler, liebte mich ebenfalls und hieß Fernand; der Name meiner Braut war . . . «« Ich erinnere mich des Namens der Braut nicht mehr, sprach der Abbé.

»Mercedes.«

»Ah! Ja, so ist es, versetzte der Abbé mit einem unterdrückten Seufzer.

»Nun?« fragte Caderousse

»Geben Sie mir eine Flasche Wasser«

Caderousse gehorchte eilig. Der Abbé füllte das Glas und trank einige Schlücke.

»Wo waren wir?« fragte er, sein Glas aus den Tisch stellend. »Die Braut hieß Mercedes; ja, so ist es. »»Sie werden nach Marseille gehen . . . «« Verstehen Sie, Dantes spricht immer?«

»Ich Verstehe.«

»»Sie verkaufen diesen Diamant, Sie machen fünf Teile und geben sie diesen guten Freunden, den einzigen Wesen, die mich auf Erden geliebt haben.««

»Wie, fünf Teile?« fragte Caderousse; »Sie haben mir nur vier Personen genannt!«

»Weil die fünfte tot ist, wie man mir gesagt hat . . . Die fünfte war der Vater von Dantes.«

»Ach! Ja,« sprach Caderousse, erschüttert durch die Leidenschaften, welche sich in seinem Innern durchkreuzten; »ach! Ja, der arme Mann, er ist tot.«

»Ich habe dieses Ereignis in Marseille vernommen,« erwiderte der Abbé, nicht ohne eine gewisse Anstrengung, um gleichgültig zu erscheinen; »aber der Tod ist schon so lange erfolgt, daß ich über die einzelnen Umstände nichts in Erfahrung bringen konnte . . . Sollten Sie vielleicht etwas von dem Ende des Greises wissen?«

Ei!« erwiderte Caderousse, »wer kann das besser wissen, als ich? . . . Ich wohnte Thüre an Thüre mit dem guten Mann . . . Ei! mein Gott: ja, ein Jahr nach dem Verschwinden seine Sohnes starb der arme Greis!«

»Woran starb er?«

»Die Ärzte nannten die Krankheit; er starb, glaube ich, an einer Art Magendarmentzündung; seine Bekannten sagten, er sei vor Schmerz gestorben; . . . ich aber der ich ihn beinahe verscheiden sah, sage, er starb . . . «

Caderousse hielt inne.

»Woran?« versetzte der Priester voll Angst.

»Hungers!«

»Hungers!« rief der Abbé, von seinem Schämel aufspringend; »Hungers! Die schlechtesten Tiere sterben nicht Hungers; die Hunde, welche in den Straßen umherirren, finden eine mitleidige Hand, die ihnen ein Stück Brot zuwirft, und ein Mensch, ein Christ ist vor Hunger gestorben, mitten unter anderen Menschen, die sich Christen nannten, wie er! Unmöglich! oh! das ist unmöglich!«

»Was ich gesagt habe, habe ich gesagt,« sprach Caderousse.

»Und Du hast Unrecht gehabt,« rief eine Stimme auf der Treppe: »worein mischst Du Dich?«

Die zwei Männer wandten sich um und erblickten durch das Treppengeländer den krankhaften Kopf der Carconte; sie hatte sich bis hierher geschleppt und behorchte das Gespräch auf der letzten Stufe sitzend und den Kopf auf ihre Knie gestützt.

»Worein mischst Du Dich, Frau?« entgegnete Caderousse. »Der Herr verlangt Auskunft, die Höflichkeit heischt, daß ich ihm entspreche.«

»Ja, aber die Klugheit heischt. daß Du ihm die Auskunft verweigerst. Wer sagt Dir, in welcher Absicht man Dich zum Sprechen veranlaßt, Dummkopf?«

»In einer vortrefflichen, Madame, dafür stehe ich Ihnen,« versetzte der Abbé. »Ihr Gatte hat nichts zu befürchten, falls er offenherzig antwortet.«

»Nichts zu befürchten . . . »ja, man fängt mit schönen Versprechungen an, hernach beschränkt man sich darauf, zu sagen, man habe nichts zu befürchten, dann geht man und hält nichts von Dem, was man versprochen hat, und eines Morgens bricht das Unglück über die armen Leute herein, ohne daß man weiß, woher es kommt.«

»Seien Sie unbesorgt, gute Frau,« erwiderte der Abbé, »das Unglück wird von meiner Seite nicht über Sie kommen, dafür stehe ich.«

Die Carconte brummelte ein paar Worte, welche man nicht verstehen konnte, ließ ihren Kopf, den sie einen Augenblick erhoben hatte, wieder auf die Knie sinken, zitterte, fortwährend vom Fieber geschüttelt, und stellte es ihrem Manne frei, das Gespräch fortzusetzen, jedoch in einer solchen Lage, dass sie kein Wort davon verlor.

Mittlerweile hatte der Abbé einige Schlücke Wasser getrunken und sich etwas gesammelt.

»Dieser unglückliche Greis,« fuhr er fort, »war also dergestalt von aller Welt verlassen, daß er eines solchen Todes starb?«

»Oh! mein Herr,« antwortete Caderousse, »nicht als ob ihn Mercedes die Catalonierin oder Herr Morrel verlassen hätten, aber der unglückliche Greis hatte einen so tiefen Widerwillen gegen Fernand gefaßt, gerade gegen den,« fügte Caderousse mit einem ironischen Lächeln bei, »welchen Dantes Ihnen als einen seiner Freunde bezeichnete.«

»Er war es also nicht?« sagte der Abbé.

»Gaspard, Gaspard,« murmelte die Frau oben von der Treppe herab, »gib Acht auf das, was Du sprichst.«

Caderousse machte eine Bewegung der Ungeduld und erwiderte dem Abbé, ohne derjenigen, welche ihn unterbrach, eine Antwort zu bewilligen:

»Kann man der Freund eines Menschen sein, nach dessen Frau man begehrt? Dantes, der ein Goldherz war, nannte alle diese Leute seine Freunde. Armer Edmond! . . . Es ist im Ganzen besser, daß er nichts erfahren hat; . . . es hätte ihn zu viel Mühe gekostet, ihnen im Augenblick des Todes zu verzeihen. Und was man auch sagen mag,« fuhr Caderousse in seiner Sprache fort, der es nicht an einer gewissen rohen Poesie gebrach, »wir graut noch mehr vor dem Fluche der Toten, als vor dem Hasse der Lebendigen.«

»Schwachkopf!« sagte die Carconte.

»Sie wissen Also, was dieser Fernand gegen Dantes getan hat?« fragte der Abbé.

»Ob ich es weiß! Ich glaube wohl!«

»Sprechen Sie!«

»Gaspard, thue, was Du willst, es ist Deine Sache,« sagte die Frau: »doch wenn Du mir Gehör schenken würdest, sagtest Du nichts.«

»Diesmal glaube ich, daß Du Recht hast, Frau,« erwiderte Caderousse.

»Sie wollen also nichts sagen?« versetzte der Abbé.

»Wozu soll es nützen?« sprach Caderousse. »Wenn der Kleine noch am Leben wäre und zu mir käme, um einmal alle seine Freunde und Feinde kennen zu lernen, dann wohl; aber er liegt unter der Erde, wie Sie mir sagen, er kann keinen Haß mehr haben, er kann sich nicht mehr rächen, folglich ausgelöscht die ganze Geschichte!«

»Ich soll also diesen Leuten, welche Sie für unmündige und falsche Freunde erklären, eine für die Treue bestimmte Belohnung geben?«

»Es ist wahr, Sie haben Recht,« erwiderte Caderousse. »Was wäre überdies für sie jetzt das Legat des armen Edmond? ein in das Meer fallender Tropfen Wasser.«

»Abgesehen davon, daß Dich diese Leute mit einer Gebärde vernichten können,« sprach die Frau.

»Wie so? diese Menschen sind also reich und mächtig geworden?«

»Sie kennen ihre Geschichte nicht?«

»Nein; erzählen Sie mir dieselbe.«

Caderousse schien einen Augenblick nachzudenken und sprach sodann:

»Nein, es wäre in der Tat zu lang.«

»Sie mögen nach Ihrem Belieben schweigen, mein Freund,« Versetzte der Abbé mit dem Tone der tiefsten Gleichgültigkeit, »und ich ehre Ihre Bedenklichkeiten; sprechen wir nicht mehr davon. Womit war ich beauftragt? mit einer einfachen Förmlichkeit. Ich werde also diesen Diamant verkaufen.«

Und er zog den Edelstein aus der Tasche, öffnete das Etui, und ließ ihn zum zweiten Male vor den geblendeten Augen von Caderousse glänzen.

»Sieh doch, Frau,« sagte dieser mit heiserer Stimme.

»Ein Diamant?« sprach die Carconte aufstehend und mit ziemlich festem Schritte die Treppe herabsteigend. »Was ist es mit diesem Diamant?«

»Hast Du denn nicht gehört, Frau? es ist ein Diamant, den uns der Kleine vermacht hat, zuerst seinem Vater, sodann Fernand, Danglars, mir und Mercedes, seiner Braut. Dieser Diamant ist fünfzig tausend Franken wert.«

»Oh, der schöne Juwel!« rief sie.

»Also gehört der fünfte Teil von dieser Summe uns?« fragte Caderousse.

»Ja, mein Herr,« antwortete der Abbé, »nebst dem Teile des Vaters von Dantes, den ich unter Euch Vier zu verteilen mich berechtigt glaube.«

»Und warum unter uns Vier?« fragte Caderousse.

»Weil Ihr die Vier Freunde von Edmond seid.«

»Verräter sind keine Freunde,« murmelte dumpf die Frau.

»Ja, ja,« sprach Caderousse, »das sagte ich auch. Es ist eine Entheiligung, ein Frevel, den Verrath, vielleicht das Verbrechen zu belohnen.«

»Sie wollten es so haben,« erwiderte der Abbé und steckte ruhig den Diamant in die Tasche seiner Soutane; »nun geben Sie mir die Adresse der Freunde von Edmond, damit ich seinen letzten Willen vollstrecken kann.«

Der Schweiß floß in schweren Tropfen über die Stirne von Caderousse; er sah den Abbé aufstehen, sich nach der Thüre wenden, als wollte er seinem Pferde einen Blick zuwerfen, und zurückkommen. Caderousse und seine Frau schauten sich mit einem unbeschreiblichen Ausdruck an.

»Der Diamant wäre ganz für uns l« sagte Caderousse.

»Glaubst Du?« erwiderte seine Frau.

»Ein Geistlicher wird uns gewiss nicht täuschen wollen.«

»Thue, was Du willst. Ich, was mich betrifft, mische ich mich nicht darein.«

Und sie ging schnatternd wieder die Treppe hinauf. Ihre Zähne klapperten trotz der Glühhitze. Auf der letzten Stufe blieb sie einen Augenblick stehen und sprach:

»Bedenke wohl, Gaspard.«

»Ich bin entschlossen,« antwortete Caderousse.

Die Carconte ging, einen Seufzer ausstoßend, in ihre Stube zurück; man hörte die Decke unter ihren Tritten krachen, bis sie ihren Lehnstuhl, in den sie sich schwerfällig niederließ, wieder erreicht hatte.

»Wozu sind Sie entschlossen?« fragte der Abbé.

»Ihnen Alles zu sagen«

»Ich glaube in der Tat, daß es das Beste ist, was Sie tun können,« sprach der Priesters »nicht als ob mir viel daran gelegen wäre, die Dinge zu erfahren, welche Sie mir verbergen wollen; aber es wird besser sein, wenn Sie mich in den Stand setzen, das Vermächtnis nach dem Willen des Erblassers zu verteilen.«

»Ich hoffe dieß,« antwortete Caderousse, die Wangen von der Röte der Hoffnung und der Gierde entflammt.

»Wohl, ich höre,« sagte der Abbé.

»Warten Sie, man könnte uns an der interessantesten Stelle unterbrechen, und das wäre unangenehm; überdieß braucht Niemand zu wissen, daß Sie hier gewesen sind.«

Und er ging an die Thüre seines Wirthshauses, verschloß sie und schob zu größerer Sicherheit den Nachtquerbaum vor. Mittlerweile hatte der Abbé seinen Platz gewählt, um mit Bequemlichkeit zu hören; er saß so in einer Ecke, daß er im Schatten blieb, während das volle Licht auf das Gesicht von Caderousse fiel. Das Haupt geneigt, die Hände zusammengelegt oder vielmehr krampfhaft zusammengepreßt, schickte er sich an, mit der größten Aufmerksamkeit auf jedes Wort zu lauschen. Caderousse rückte einen Schämel vor und setzte sich ihm gegenüber.

»Erinnere Dich, daß ich Dich zu nichts antreibe,« sagte die zitternde Stimme der Carconte, als hatte sie durch den Boden die Szene sehen können, welche sich vorbereitete.

»Gut, gut!« rief Caderousse, »genug, ich nehme Alles auf mich.«

Und er fing an.

5

Tarasque ist der Name, den man in Taraocon der Darstellung eines Ungeheuers gib, welcher der Sage nach von der heiligen Martha mit ihrem Strumpfband erwürgt wurde, und das man in Prozession in dieser Stadt umherträgt. D. Übers.

Der Graf von Monte Christo

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