Читать книгу Der Graf von Monte Christo - Александр Дюма - Страница 30

Sechstes bis zehntes Bändchen
Siebentes Kapitel.
Der fünfte September

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Die von dem Mandatar des Hausen Thomson und French in dem Augenblick, wo es Morrel am wenigsten erwartete, bewilligte Frist glaubte der arme Reeder als eine von jenen Wiederscheinungen des Glückes betrachten zu dürfen, welche dem Menschen verkündigen, das Schicksal sei endlich müde geworden, auf sein Verderben los zuarbeiten. An demselben Tage erzählte er das, was ihm begegnet war, seiner Tochter, seiner Frau und Emmanuel, und es kehrte ein wenig Hoffnung, wenn nicht Ruhe, in die Familie zurück. Leider aber hatte es Morrel nicht allein mit dem Hause Thomson und French zu tun, das sich so nachsichtig gegen ihn zeigte. Im Handel hat man, wie er selbst sagte, Correspondenten und keine Freunde. Bei schärferer Überlegung konnte er sogar das edelmüthige Benehmen der Herren Thomson und French gegen Ihn gar nicht begreifen, und er erklärte sich dasselbe nur durch folgende selbstsüchtige Betrachtung, welche dieses Haue angestellt haben dürfte: Besser einen Mann unterstützen, der uns beinahe dreimal hunderttausend Franken schuldig ist, und diese dreimal hunderttausend Franken nach Verlauf von drei Monaten haben, als seinen Untergang beschleunigen und sechs bis sieben Procent vom Kapital bekommen.


Zum Unglück stellten, sei es aus Haß, sei es aus Verwendung, nicht alle Correspondenten von Morrel dieselben Betrachtungen an, und einige machten sogar den entgegengesetzten Schluß. Die von Morrel unterzeichneten Tratten wurden daher mit ängstlicher Strenge an der Kasse präsentiert, aber von Cocles, in Folge der von dem Engländer bewilligten Frist, ohne Verzug bezahlt; Cocles verharrte fortwährend in seiner prophetischen Ruhe. Herr Morrel allein sah mit Schrecken, das er, wenn er am 15. die hunderttausend Franken von Herrn von Boville, und am 30. die zweiunddreißig tausend fünfhundert Franken, für welche er, wie für die Schuldforderung des Inspektors der Gefängnisse, eine Frist erhalten, hätte bezahlen müssen, schon am Ende dieses Monats ein verlorener Mann gewesen wäre.

Der ganze Handelsstand in Marseille war der Meinung, nach den Unglücksfällen, welche Herrn Morrel hintereinander getroffen, könnte dieser sich nicht halten. Man staunte daher nicht wenig, als man sah, daß sein Monatsschluß sich mit der gewöhnlichen Pünktlichkeit bewerkstelligte. Doch das Vertrauen kehrte darum nicht in die Geister zurück, und man verschob einstimmig auf das Ende des nächsten Monats die Insolvenzerklärung des unglücklichen Reeders.

Der ganze Monat verging in unerhörten Anstrengungen von Seiten Morrels, um alle seine Mittel aufzubieten. Früher wurde sein Papier, auf welches Datum es auch ausgestellt sein mochte, mit Vertrauen angenommen, und sogar gesucht. Morrel wollte Papier auf neunzig Tage negociren, und fand alle Bauten geschlossen. Zum Glück hatte Morrel selbst einige Heimzahlungen zu erwarten, auf welche er rechnen konnte, und die erwarteten Gelder gingen auch wirklich ein; Morrel fand sich dadurch abermals in den Stand gesetzt, seinen Verbindlichkeiten zu entsprechen, als das Ende des Juli erschien.

Den Mandatar des Hauses Thomson und French hatte man übrigens nicht mehr in Marseille gesehen, Er war am ersten oder zweiten Tage nach seinem Besuche bei Herrn Morrel verschwunden, und da er in Marseille nur mit dem Maire, dem Inspector der Gefängnisse und Herrn Morrel verkehrt hatte, so ließ seine Anwesenheit keine andere Spur zurück, als die verschiedenen Erinnerungen, welche diese drei Personen von ihm bewahrten. Die Matrosen des Pharaon hatten, wie es scheint, irgend ein Unterkommen gefunden, denn sie waren ebenfalls verschwunden,

Von der Unpäßlichkeit, die ihn in Palma zurückgehalten, wiedergenesen, kehrte der Kapitän Gaumard ebenfalls zurück. Er zögerte, sich bei Morrel zu zeigen, aber dieser erfuhr seine Ankunft und suchte ihn selbst auf. Der würdige Reeder kannte vorher schon, durch die Erzählung von Penelon, das mutige Benehmen des Kapitäns während des unglücklichen Ereignisses, und er war es nun, der den Seemann zu trösten suchte. Er brachte ihm den Betrag seines Soldes, den der Kapitän Gaumard nicht zu erheben gewagt hätte.

Als Herr Morrel die Treppe hinabging, begegnete er Penelon, welcher gerade heraufstieg. Penelon hatte, wie es schien, sein Geld gut angewendet, denn er war ganz neu gekleidet. Seinen Reeder erblickend, wurde der würdige Rudergänger sehr verlegen; er drückte sich in die entfernteste Ecke des Ruheplatzes, schob abwechselnd seinen Kautaback von der Rechten zur Linken und von der Linken zur Rechten, wälzte seine Augen ganz verwirrt in ihren Höhlen umher und erwiderte nur mit einer schüchternen Berührung den Händedruck, den ihm Herr Morrel mit seiner gewöhnlichen Herzlichkeit bot. Herr Morrel schrieb die Verlegenheit von Penelon seiner eleganten Toilette zu: der brave Mann hatte sich offenbar nicht auf seine Rechnung einen solchen Luxus erlaubt; er war also ohne Zweifel bereits an Bord eines anderen Schiffes angeworben und schämte sich, daß er nicht, wenn man so sagen darf, länger Trauer um den Pharaon getragen hatte. Vielleicht kam er sogar, um Kapitän Gaumard sein Glück mitzuteilen und ihm Anerbietungen im Auftrage seines neuen Herrn zu machen.

»Brave Leute!« sprach Herr Morrel sich entfernend, »möchte Euer neuer Herr Euch lieben, wie ich Euch liebte, und glücklicher sein, als ich bin!«

Der August verlief in beständig erneuerten Versuchen von Herrn Morrel, seinen alten Credit wieder zu heben und sich einen neuen zu eröffnen. Am 20.August wußte man in Marseille, daß er einen Platz auf der Mallepost genommen hatte, und man sagte sich jetzt, am Ende dieses Monates müßte die Insolvenzerklärung stattfinden, und Morrel wäre vorher schon abgereist, um nicht diesem grausamen, ohne Zweifel seinem ersten Commis Emmanuel oder seinem Kassier Cocles übertragenen Akte beizuwohnen. Als aber der 31. kam, öffnete sich die Kasse wie gewöhnlich gegen alle Voraussicht. Cocles erschien hinter dem Gitter, ruhig wie der Gerechte von Horaz, untersuchte mit derselben Aufmerksamkeit das Papier, welches man ihm präsentierte, und bezahlte die Tratten von der ersten bis zur letzten mit gleicher Pünktlichkeit. Man begriff dies durchaus nicht und verschob mit der den Propheten schlimmer Kunde eigenthümlichen Hartnäckigkeit den Bankerott auf das Ende des September.

Am 1. kam Herr Morrel zurück, er wurde von seiner ganzen Familie mit der größten Bangigkeit erwartet; auf dieser Reife beruhte die letzte Hoffnung auf ein Rettungsmittel. Morrel hatte an Danglars gedacht, der heute ein Millionär und ihm einst verpflichtet war; denn auf die Empfehlung von Morrel war Danglars in den Dienst des spanischen Banquier getreten, bei welchem er sein ungeheures Vermögen zu erwerben angefangen hatte. Heute hatte Danglars, wie man sagte, selbst sechs bis acht Millionen und einen unbegränzten Credit. Danglars konnte Morrel retten, ohne einen Thaler aus der Tasche zu ziehen; er durfte sich nur für ein Anlehen verbürgen, und Morrel war gerettet. Morrel dachte seit geraumer Zeit an Danglars: aber es gibt ein instinktartiges Widerstreben, das man nicht zu bemeistern vermag: Morrel zögerte so lange als möglich, zu diesem letzten Mittel seine Zuflucht zu nehmen. Und er hatte Recht, denn er kam gelähmt unter der Demütigung einer abschlägigen Antwort zurück.

Er stieß bei seiner Ankunft keine Klage aus, brachte keine Anschuldigung vor; er umarmte nur weinend seine Frau und seine Tochter, reichte Emmanuel freundschaftlich die Hand, verlangte nach Cocles und schloß sich mit diesem in sein Cabinet im zweiten Stocke ein.

»Diesmal,« sagten die zwei Frauen zu Emmanuel, »diesmal sind wir verloren.«

In einer kurzen Berathung, welche sie unter sich pflogen, wurde sodann beschlossen, daß Julie an ihren Bruders der in Nimes in Garnison lag, schreiben und ihn auffordern sollte, sogleich zu kommen. Die armen Frauen fühlten, daß sie aller ihrer Kräfte bedürften, um den Schlag zu ertragen, der sie bedrohte. Überdies übte Maximilian Morrel, obgleich erst zweiundzwanzig Jahre alt, doch bereits einen großen Einfluß auf seinen Vater aus.

Es war ein fester, rechtschaffener junger Mann. Als es sich darum handelte, eine Laufbahn zu wählen, wollte ihm sein Vater nicht zum Voraus seine Zukunft bestimmen, und fragte die Geschmacksrichtung des jungen Maximilian um Rath. Dieser erklärte sich für die militärische Laufbahn, machte vortreffliche Studien und trat mittelst einer Prüfung in die polytechnische Schule ein, welche er, zum Unterlieutenant im 53sten Linien-Regiment ernannt, wieder verließ. Im Regiment bezeichnete man Maximilian Morrel als strengen Beobachter, nicht nur aller dem Soldaten auferlegten Verbindlichkeiten, sondern auch aller dem Manne obliegenden Pflichten, und man nannte ihn nur den Stoiker. Es versteht sich, daß viele von denjenigen, welche ihm diesen Beinamen gaben, denselben wiederholten, weil sie ihn gehört hatten, und nicht einmal wußten, was er bedeutete. Dies war der junge Mann, den seine Mutter und seine Schwester herbeiriefen, um sie in den ernsten Umständen, in denen sie sich befinden sollten, zu unterstützen.

Sie täuschten sich nicht über das Mißliche ihrer Lage, denn einen Augenblick nachdem Herr Morrel mit Cocles in sein Cabinet gegangen war, sah Julie den letzteren bleich, zitternd und mit völlig verstörtem Gesichte wieder herauskommen. Sie wollte ihn fragen, als er an ihr vorüberging, doch der brave Mann lief mit einer bei ihm ungewöhnlichen Eile unaufhaltsam die Treppe hinab und rief ihr nur, die Hand zum Himmel erhebend zu:

»Oh, mein Fräuleins welch ein furchtbares Unglück; wer hätte das je gedacht!«

Eine Minute nachher sah ihn Julie mit ein paar dicken Handlungsbüchern, einem Portefeuille und einem Sacke Geld wieder hinaufgehen. Morrel untersuchte die Bücher, öffnete das Portefeuille und zählte das Geld. Alle baaren Mittel beliefen sich auf sechs bis achttausend Franken, die Einnahmen bis zum 5ten auf vier bis fünftausend Franken, was also im höchsten Fall einen Activstand von vierzehn tausend Franken bildete, womit einer Tratte von zweimal hundert siebenundachtzig tausend fünfhundert Franken entsprochen werden sollte. Eine solche Abschlagszahlung anzubieten, war nicht möglich.

Als jedoch Herr Morrel zum Mittagessen herabkam, schien er ziemlich ruhig. Diese Ruhe erschreckte die zwei Frauen mehr, als es die tiefste Niedergeschlagenheit hätte tun können. Nach dem Mittagsbrote pflegte Morrel auszugehen, im Kreise der Phocäer seinen Kaffee zutrinken und den Semaphore zu lesen; an diesem Tage blieb er zu Hause und ging wieder in sein Bureau hinauf.

Coeles schien ganz stumpfsinnig; er hielt sich einen Teil des Tages, auf einem Steine sitzend und mit bloßem Kopfe bei dreißig Graden Wärme, im Hofe auf.

Emmanuel suchte die Frauen zu trösten; aber es mangelte ihm an Beredsamkeit. Der junge Mann war zu sehr in die Angelegenheiten des Hauses eingeweiht, um nicht zu fühlen, daß eine große Katastrophe der Familie Morrel bevorstand. Es kam die Nacht: die Frauen wachten in der Hoffnung, Morrel würde von seinem Cabinet herabgehend bei ihnen eintreten, doch sie hörten, wie er ohne Zweifel aus Furcht, man könnte ihn rufen, seine Tritte dämpfend, an ihrer Thüre vorüber schlich. Sie horchten: er kehrte in sein Zimmer zurück und schloß die Thüre von innen.

Madame Morrel hieß ihre Tochter schlafen gehen; eine halbe Stunde, nachdem sich Julie entfernt hatte, stand sie auf, zog ihre Schuhe aus und schlüpfte in den Gang, um zu sehen, was ihr Gatte machte. Im Gang erblickte sie einen Schatten, der sich zurückzog. Sie erkannte Julie, welche selbst unruhig, ihrer Mutter zuvorgekommen war. Julie ging auf Madame Morrel zu und sagte:

»Er schreibt.«

Die zwei Frauen hatten sich erraten, ohne sich zu sprechen.

Madame Morrel neigte sich zum Schlüsselloche herab. Morrel schrieb wirklich; aber was ihre Tochter nicht bemerkt hatte, das bemerkte Madame Morrel: ihr Gatte schrieb auf gestempeltes Papier. Es kam ihr der furchtbare Gedanke, er mache sein Testament; sie bebte an allen Gliedern und hatte dennoch die Kraft, nichts zusagen.

Am andern Tage erschien Herr Morrel ganz ruhig; er hielt sich wie gewöhnlich in seinem Bureau auf, kam wie gewöhnlich zum Frühstück herab; nur ließ er nachdem Mittagsbrote seine Tochter zu sich sitzen, nahm den Kopf des Kindes in seinen Arm und hielt ihn lange an seine Brust. Am Abend sagte Julie zu ihrer Mutter, sie habe, obgleich ihr Vater scheinbar ruhig gewesen, doch sein Herz heftig schlagen gefühlt. Die zwei nächsten Tage gingen ungefähr auf dieselbe Weise hin. Am 4. September Abends forderte Herr Morrel von seiner Tochter den Schlüssel seines Cabinets zurück. Julie bebte bei dieser Forderung, welche ihr Unglück weissagend vorkam. Warum forderte ihr der Vater diesen Schlüssel ab, den, sie immer gehabt hatte, und den man ihr in ihrer Kindheit nur abnahm, wenn man sie bestrafen wollte. Sie schaute Herrn Morrel an und sagte:

»Was habe ich denn Schlimmen getan, mein Vater daß Sie mir diesen Schlüssel wieder abnehmen?«

»Nichts, mein Kind,« antwortete der unglückliche Morrel, dem bei dieser einfachen Frage die Tränen in die Augen traten: »nichts, ich brauche ihn nur.«

Julie stellte sich, als suchte sie diesen Schlüssel, sprach: »Ich werde ihn in meinem Zimmer gelassen haben,« und ging hinaus, aber statt sich in ihr Zimmer zu begeben, eilte sie hinab, um Emmanuel um Rath zu fragen.

»Geben Sie ihm den Schlüssel nicht,« sprach dieser, »und verlassen Sie ihn morgen früh, wenn es möglich ist, keinen Augenblick.«

Sie suchte Emanuel auszuforschen, doch dieser wußte nicht mehr, oder wollte nicht mehr wissen.

Die ganze Nacht vom 4. auf den 5. horchte Madame Morrel, ihr Ohr fester an das Täfelwerk haltend; bis drei Uhr Morgens hörte sie ihren Gatten in großer Aufregung im Zimmer umhergehen; erst um drei Uhr warf er sich auf sein Bett. Die zwei Frauen brachten die Nacht beisammen zu. Seit dem Vorhergehenden Abend erwarteten sie Maximilian. Um acht Uhr trat Herr Morrel in ihr Zimmer: er war ruhig, aber die Aufregung der Nacht zeigte sich auf seinem bleichen, verstörten Gesicht. Die Frauen es wagten nicht, ihn zu fragen, ob er gut geschlafen. Morrel war freundlicher gegen seine Frau und väterlicher gegen seine Tochter, als er es je gewesen; er konnte nicht satt werden, das arme Kind anzuschauen und zu küssen.

Julie erinnerte sich dessen, was ihr Emmanuel zu tun empfohlen hatte, und wollte ihrem Vater folgen, als er sich entfernte; er stieß sie jedoch sanft zurück und sagte:

»Bleib, bei Deiner Mutter.«

Julie drang in ihn, doch er sprach:

»Ich will es.«

Es war das erste Mal, daß Morrel zu seiner Tochter sprach: »Ich will es.« aber er sagte dies mit einem väterlich sanften Ausdruck, daß Julie keinen Schritt zu tun wagte. Sie blieb stumm und unbeweglich an ihrem Platze stehen. Eine Minute nachher öffnete sich die Thüre, und sie fühlte zwei Arme, die sie umschlangen, und einen Mund, der sich auf ihre Stirne preßte. Sie schlug die Augen auf und stieß einen Freudenschrei aus.

»Maximilian! mein Bruder!« rief sie.

Bei diesem Rufe lief Madame Morrel herbei und warf sich in die Arme ihres Sohnes.

»Meine Mutter!« sprach der junge Mann, und schaute dabei abwechselnd Madame Morrel und ihre Tochter an; »was gibt eo denn? was geht denn vor? Euer Brief hat mich erschreckt, und ich eile herbei!«

»Julie,« sagte Madame Morrel, ihrem Sohne ein Zeichen machend, »benachrichte Deinen Vater, daß Maximilian angekommen ist.«

Julie eilte hinaus, aber auf der ersten Stufe der Treppe begegnete sie einem Manne, welcher einen Brief in der Hand hielt.

»Sind Sie nicht Fräulein Julie Morrel?« fragte dieser Mann mit sehr stark italienischem Accent.

»Ja. mein Herr,« stammelte Julie; »doch was wollen Sie? Ich kenne Sie nicht.«

»Lesen Sie diesen Brief,« antwortete der Mann und reichte ihr das Billet.

Julie zögerte.

»Es handelt sich um die Wohlfahrt Ihres Vaters,« sprach der Bote.

Das Mädchen entriß das Billet seinen Händen öffnete es rasch und las:

»Begeben Sie sich sogleich in die Allées de Meillan; treten Sie in das Haus Nro. 15; verlangen Sie von dem Concierge den Schlüssel des Zimmere im 5ten Stocke: gehen Sie in dieses Zimmer, nehmen Sie von der Ecke des Kamins eine rote seidene Börse, und bringen Sie diese Börse Ihrem Vater. Es ist von großem Belang, daß er sie vor elf Uhr erhält. Sie haben mir blind zu gehorchen versprochen; ich erinnere Sie an dieses Versprechen.

Simbad der Seefahrer.«

Julie stieß einen Freudenschrei aus, schlug die Augen auf und suchte, um ihn zu befragen, den Mann, der ihr das Billet zugestellt hatte, aber er war verschwunden. Sie schaute dann wieder auf das Billet, um es zum zweiten Male zu lesen, und bemerkte, daß es eine Nachschrift hatte. Julie las:

»Es ist wichtig, daß Sie diese Sendung in Person und allein erfüllen; kämen Sie begleitet, oder es erschiene eine andere Person an Ihrer Stelle, so würde der Concierge antworten, er wisse nicht, was man wolle.«

Diese Nachschrift mäßigte bedeutend die Freude von Julie. Hatte sie nichts zu befürchten? war es nicht eine Falle, die man ihr stellte? Ihre Unschuld ließ sie in Unwissenheit darüber, welchen Gefahren ein Mädchen von ihrem Alter preisgegeben sein könnte. Aber man braucht die Gefahr nicht zu kennen, um sie zu fürchten, und es ist bemerkenswert, daß gerade die unbekannten Gefahren den größten Schrecken einflößen. Julie zögerte; sie beschloß, um Rath zu fragen; doch in Folge eines seltsamen Gefühlen nahm sie ihre Zuflucht weder zu ihrer Mutter noch zu ihrem Bruder, sondern zu Emmanuel.

Sie ging hinab und erzählte ihm, was ihr am Tage der Erscheinung des Bevollmächtigten von Thomson und French bei ihrem Vater begegnet war; sie teilte ihm die Szene auf der Treppe mit, wiederholte das Versprechen, das sie geleistet hatte, und zeigte ihm den Brief.

»Sie müssen den Gang machen, mein Fräulein,« sagte Emmanuel.

»Ich muß ihn machen?«

»Ja, ich begleite Sie.«

»Haben Sie denn nicht gelesen, daß ich allein sein soll?« entgegnete Julie.

»Sie werden auch allein sein; ich erwarte Sie an der Ecke der Rue du Musée, und wenn Sie so lange ausbleiben, daß es mir Unruhe bereitet, so suche ich Sie auf, und ich stehe Ihnen dafür, wehe denen, von welchen Sie mir sagen werden, Sie haben sich über sie zu beklagen!«

»Also, Emmanuel,« versetzte zögernd das junge Mädchen, »es ist also Ihre Ansicht, daß ich dieser Aufforderung Folge leisten soll?«

»Ja. Sagte Ihnen der Bote nicht, es handle sich um die Wohlfahrt Ihren Vaters?«

»Aber, Emmanuel, welche Gefahr läuft er denn?«fragte Julie.

Emmanuel zögerte einen Augenblick doch das Verlangen, sie mit einem einzigen Schlage und ohne Verzug zu bestimmen, gewann die Oberhand und er sprach:

»Hören Sie, nicht wahr, es ist heute der 5te September?«

»Ja.«

»Heute um elf Uhr soll Ihr Vater gegen dreimal hunderttausend Franken bezahlen.«

»Ja, wir wissen das.«

»Nun, er hat keine fünfzehntausend in der Kasse.«

»Was wird dann geschehen?«

»Es wird geschehen, daß Ihr Vater, wenn er heute vor elf Uhr nicht Einen gefunden hat, der ihm zu Hilfe kommt, um Mittag genötigt ist, sich zahlungsunfähig zu erklären.«

»Ah! kommen Sie,« rief Julie und zog den jungen Mann mit sich fort.

Mittlerweile hatte Madame Morrel ihrem Sohne Alles auseinandergesetzt. Der junge Mann wußte wohl daß in Folge seinem Vater hinter einander widerfahrener Unglücksfälle große Reformen in den Ausgaben des Hauses vorgenommen worden waren, aber er wußte nicht, daß sich die Sachen bis auf diesen Grad schlimm gestaltet hatten. Er blieb wie vernichtet; dann eilte er plötzlich aus dem Zimmer und stieg rasch die Treppe hinauf, denn er glaubte, sein Vater wäre in seinem Cabinet; aber er klopfte vergebens. Als er vor der Thüre des Cabinets stand, hörte er die untere Wohnung sich öffnen; er wandte sich um und sah seinen Vater. Statt gerade in sein Cabinet hinaufzugehen, war Herr Morrel in sein Zimmer gegangen, und kam jetzt erst aus diesem. Herr Morrel stieß einen Schrei der Überraschung aus, als er Maximilian erblickte: er wußte nichts von der Ankunft seines Sohnes. Der Vater blieb unbeweglich auf der Stelle und preßte mit dem linken Arme einen Gegenstand, den er unter seinem Oberrock verborgen hielt. Maximilian stieg rasch die Treppe hinab und warf sich seinem Vater um den Hals; aber plötzlich wich er zurück und ließ nur seine linke Hand auf der Brust von Morrel ruhen.

»Mein Vater,« sagte er bleich wie der Tod, »warum haben Sie ein Paar Pistolen unter Ihrem Oberrock?«

»O! das befürchtete ich,« versetzte Morrel.

»Mein Vater! mein Vater! im Namen des Himmels,« rief der junge Mann, »wozu diese Waffen?«

»Maximilian,« antwortete Morrel, seinen Sohn starr anschauend, »Du bist ein Mann, Du bist ein Mann von Ehre, komm, und ich werde es Dir sagen.«

Und mit sicherem Schritte stieg Morrel in sein Cabinet hinauf, während ihm sein Sohn wankend folgte. Morrel öffnete die Thüre und schloß sie wieder hinter seinem Sohne: dann durchschritt er das Vorzimmer, näherte sich dem Bureau, legte seine Pistolen auf die Ecke des Tisches und bezeichnete Maximilian mit der Fingerspitze ein offenes Buch. In diesem Buche war der Stand der Dinge genau eingetragen. Morrel hatte in einer halben Stunde zweimal hundert siebenundachtzig tausend fünfhundert Franken zu bezahlen und besaß im Ganzen fünfzehn tausend zweihundert siebenundfünfzig Franken.

»Lies,« sprach Morrel.

Der junge Mann las und war einen Augenblick völlig niedergeschmettert. Morrel sprach kein Wort: was hätte er dem unerbittlichen Urteile der Zahlen beifügen können?«

»Und Sie haben Alles getan, um diesem Unglück zu begegnen, mein Vater?« fragte der junge Mann.

»Sie haben auf keine Rückzahlung zu rechnen?«

»Auf keine.«

»Sie haben alle Ihre Quellen erschöpft?«

»Alle.«

»Und in einer halben Stunde ist unser Name entehrt?« fügte der Sohn mit düsterem Tone bei.

»Blut wäscht die Schande ab,« sprach Morrel.

»Sie haben Recht, mein Vater, ich verstehe Sie.«

Dann seine Hand nach den Pistolen ausstreckend, fügte Maximilian bei:

»Eine für Sie, eine für mich, ich danke.«

Morrel hielt seine Hand zurück.

»Und Deine Mutter . . . Deine Schwester . . . wer wird sie ernähren?«

Ein Schauer durchlief den ganzen Leib des jungen Mannes.

»Mein Vater,« sprach er, »bedenken Sie, daß Sie mich leben heißen?«

»Ja, ich sage es Dir, denn es ist Deine Pflicht; Du hast einen starken, ruhigen Geist, Maximilian . . . Maximilian, Du bist kein gewöhnlicher Mensch; ich befehle Dir nichts, ich schreibe Dir nichts vor, ich sage Dir nur: Untersuche die Lage der Dinge, als ob Du ein Fremder wärest, und urteile dann selbst.«

Der junge Mann dachte einen Augenblick nach, dann trat ein Ausdruck erhobener Resignation auf seinem Antlitz hervor; nur guckte er mit einer langsamen, traurigen Bewegung die Epaulette und die Contreépaulette, die Zeichen seines Grades.

»Wohl,« sprach er, Morrel die Hand reichend, »sterben Sie im Frieden, ich werde leben, mein Vater.«

Morrel machte eine Bewegung, um sich seinem Sohne zu Füßen zu werfen. Maximilian zog ihn an sich, und diese zwei edle Herzen schlugen einen Augenblick fest an einander gepreßt.

»Du weißt, daß es nicht meine Schuld ist?« sagte Morrel.

Maximilian lächelte.

»Ich weiß, mein Vater, daß Sie der ehrlichste Mann sind, den ich kennen gelernt habe.«

»Wohl, Allen ist abgemacht, kehre nun zu Deiner Mutter und zu Deiner Schwester zurück.«

»Mein Vater,« sprach der junge Mann, das Knie beugend, »segnen Sie mich.«

Morrel nahm den Kopf seines Sohnes zwischen seine zwei Hände und drückte wiederholt seine Lippen darauf.

»Ja, ja,« rief er, »ich segne Dich in meinem Namen und im Namen von drei Generationen vorwurfsfreier Menschen. Höre, was sie Dir durch meine Stimme sagen: Das Gebäude, welchen das Unglück zerstört hat, kann die Vorsehung wieder aufbauen. Wenn sie mich einen solchen Tod sterben sehen, werden die Unerbittlichsten Mitleid mit mir haben; Dir wird man vielleicht die Zeit gönnen, welche man mir verweigert hat; dann strebe vor Allem danach, daß das Wort ehrlos nicht ausgesprochen werde; schreite zum Werke, arbeite, junger Mann, kämpfe heiß und mutig; lebt, Du. Deine Mutter und Deine Schwester, vom Notwendigsten, damit Tag für Tag das Gut derjenigen, welchen ich schuldig bin, wachse und unter Deinen Händen Früchte trage. Bedenke, daß es ein schöner Tag, ein großer Tag, ein feierlicher Tag sein wird, der der Wiedereinsetzung. Der Tag, wo Du in diesem Zimmer sagen wirst: »»Mein Vater ist gestorben, weil er nicht tun konnte, was ich heute thue, doch er ist ruhig und getrost gestorben, weil er wußte, ich würde es tun.««

»Oh! Mein Vater, mein Vater, wenn Sie dennoch leben könnten!«

»Wenn ich lebe, ist Allen verloren, wenn ich lebe, verwandelt sich die Teilnahme in Zweifel, das Mitleid in Erbitterung; wenn ich lebe, bin ich nur ein Mensch, der sein Wort gebrochen hat, der seiner Verbindlichkeit nicht nachgekommen ist; ich bin nichts Anderes, als ein Bankerottirer. Sterbe ich dagegen, bedenke wohl, Maximilian, so ist mein Leichnam der eines unglücklichen, aber ehrlichen Mannes. Bleibe ich am Leben, so werden meine besten Freunde mein Haus meiden. Bin ich tot, so folgt mir ganz Marseille weinend bis zu meiner letzten Ruhestätte. Lebe ich, so mußt Du Dich meines Namens schämen; sterbe ich, so erhebe stolz das Haupt und sprich:

»»Ich bin der Sohn des Mannes, welcher sich getötet hat, weil er zum ersten Mal im Leben sein Wort nicht halten konnte.«

Der junge Mann stieß einen Seufzer aus, doch er schien sich zu fügen. Zum zweiten Male trat die Überzeugung nicht in sein Herz, aber in seinen Geist.

»Und nun laß mich allein,« sprach Morrel, »und suche die Frauen zu entfernen.«

»Wollen Sie nicht meine Schwester noch einmal sehen?« fragte Maximilian.

Eine letzte, schwache Hoffnung lag für den jungen Mann in dieser Zusammenkunft verborgen, und deshalb schlug er sie vor. Herr Morrel schüttelte den Kopf und erwiderte:

»Ich habe sie diesen Morgen gesehen und ihr Lebewohl gesagt.«

»Haben Sie mir keinen besondern Auftrag zu erteilen, mein Vater?« fragte Maximilian mit bebender Stimme.

»Allerdings, mein Sohn, einen heiligen Auftrag.«

»Sprechen Sie, mein Vater.«

»Das Haus Thomson und French ist das einzige, das aus Menschlichkeit, vielleicht aus Selbstsucht, – es kommt mir nicht zu, in den Herzen der Menschen zu lesen, – Mitleid mit mir gehabt hat. Sein Mandatar, derjenige, welcher in zehn Minuten erscheinen wird, um den Betrag einer Tratte von zweimal hundert sieben und achtzigtausend fünfhundert Franken in Empfang zu nehmen, hat mir drei Monate, nicht bewilligt, sondern angeboten, dieses Haus werde zuerst befriedigt, mein Sohn, dieser Mann sei Dir heilig.«

»Ja, mein Vater.«

»Und nun noch einmal Lebewohl, mein Sohn; gehe, gehe, ich muß allein sein. Du findest mein Testament in dem Schreibpult in meinem Schlafzimmer.«

Der junge Mann blieb stehen, denn er hatte zwar eine Kraft des Willens, aber keine der Ausführung.

»Höre, Maximilian,« sprach sein Vater, »denke Dir, ich sei Soldat wie Du, ich habe den Befehl erhalten, eine Schreckschanze zu nehmen, und Du wissest, ich müsse bei dem Erstürmen derselben getötet werden, würdest Du mir nicht sagen: »»Gehen Sie, mein Vater, denn Sie entehren sich, wenn Sie bleiben, und besser der Tod, als die Schande!««

»Ja, ja,« sprach der junge Mann, Morrel krampfhaft in seine Arme schließend; »ja, gehen Sie.«

Und er stürzte aus dem Cabinet

Als sein Sohn sich entfernt hatte, blieb Morrel ein paar Sekunden die Augen starr auf die Thüre geheftet, dann griff er nach einer Klingelschnur und läutete. Alsbald erschien Cocles. Es war nicht mehr derselbe Mensch, diese drei Tage der Überzeugung hatten ihn gelähmt. Der Gedanke: das Haus Morrel ist im Begriff, seine Zahlungen einzustellen, beugte ihn mehr nieder, als es zwanzig auf seinem Haupte angehäufte Jahre getan hätten.

»Mein guter Cocles,« sagte Morrel mit einem Tone, dessen Ausdruck sich nicht beschreiben läßt, »Du wirst im Vorzimmer bleiben. Wenn der Herr, der bereits vor drei Monaten hier gewesen ist, der Mandatar von Thomson und French kommt, meldest Du ihn.« Cocles antwortete nicht; er machte ein Zeichen mit dem Kopfe, setzte sich in das Vorzimmer und wartete. Morrel fiel in seinen Lehnstuhl zurück; seine Augen wandten sich nach der Pendeluhr; es blieben ihm nur noch sieben Minuten; der Zeiger rückte mit einer unglaublichen Geschwindigkeit vor; es dünkte ihm, er sehe denselben fortschreiten. Was nun in dem Geiste dieses Mannes vorging, der, noch jung, sich in Folge eines vielleicht falschen, aber wenigstens auf scheinbaren Gründen beruhenden Schlusses, von Allem, was auf der Welt liebte, trennen und das Leben verlassen wollte, vermag keine Feder zu schildern; man hätte, um einen Begriff zu bekommen, seine mit Schweiß bedeckte und dennoch ruhige Stirne, seine von Tränen befruchteten und dennoch zum Himmel aufgeschlagenen Augen sehen müssen.

Der Zeiger rückte immer vor, die Pistolen waren geladen: er streckte die Hand aus, ergriff eine und murmelte den Namen seiner Tochter; dann legte er die tödliche Waffe wieder nieder, nahm eine Feder und schrieb ein paar Worte. Es kam ihm vor, als hatte seinem geliebten Kinde nicht genug Lebewohl gesagt; dann wandte er sich wieder nach der Pendeluhr,  . . . er zählte nicht mehr nach Minuten, sondern nach Sekunden. Er faßte abermals die Waffe, den Mund halbgeöffnet und die Augen starr auf den Zeiger geheftet; und er bebte bei dem Geräusch, das er selbst, den Hahnen spannend, machte. Der Schweiß lief ihm immer kälter über die Stirne, immer tödlicher schnürte ihm die Angst das Herz zusammen; er hörte, wie die Thüre der Treppe auf ihren Angeln knarrte und sich so dann die seines Cabinetes öffnete: die Pendeluhr war auf dem Punkte, die elfte Stunde zu schlagen.

Morrel wandte sich nicht um, er erwartete von Cocles die Worte: »Der Mandatar des Hauses Thomson und French!« und näherte die Waffe seinem Munde. Plötzlich hörte er einen Schrei . . . es war die Stimme seiner Tochter.

Er kehrte sich um und erblickte Julie; die Pistole entschlüpfte seinen Händen.

»Mein Vater!« rief das Mädchen athemlos und beinahe sterbend vor Freude, »gerettet! Sie sind gerettet!«

Und sie warf sich, mit der Hand eine rote seidene Börse empor haltend, in seine Arme.

»Gerettet mein Kind,« sprach Morrel, »was willst Du damit sagen?«

»Ja gerettet! sehen Sie, sehen Sie!«

Morrel ergriff die Börse und bebte, denn es sagte ihm eine dunkle Erinnerung, daß dieser Gegenstand einst ihm gehört hatte. Auf der einen Seite fand er die Tratte von zweimal hundert und sieben und achtzigtausend fünfhundert Franken; die Tratte war quittiert. Auf der andern gewahrte er einen Diamant von der Größe einer Haselnuß, mit den auf ein Stück Pergament geschriebenen drei Worten: »Mitgift von Julie.«

Morrel fuhr mit der Hand über seine Stirne: er glaubte zu träumen. In diesem Augenblick schlug die Pendeluhr die elfte Stunde. Der Klang vibrierte für ihn, als ob jeder Schlag des stählernen Hammers an seinem eigenen Herzen wiedertönte.

»Sprich, mein Kind,« sagte Morrel, »erkläre Dich.Wo hast Du diese Börse gefunden?«

»In einem Hause der Allée de Meillan, Numero 15. auf der Ecke des Kamins eines armseligen Zimmers im fünften Stocke.«

»Diese Börse gehört aber nicht Dir!« rief Morrel.

Julie reichte dem Vater den Brief, welchen sie am Morgen empfangen hatte.

»Und Du bist allein in jenem Hause gewesen?«sagte er, nachdem er gelesen hatte.

Emmanuel begleitete mich, mein Vater; er sollte an der Ecke der Rue du Musée auf mich warten, war aber seltsamer Weise bei meiner Rückkehr nicht dort.«

»Herr Morrel! . . . rief man auf der Treppe, »Herr Morrel!«

»Das ist seine Stimme,« sprach Julie.

Zu gleicher Zeit trat Emmanuel, das Gesicht vor Freude und Aufregung ganz verstört, ein.

»Der Pharaon!« rief er; »der Pharaon

»Nun, was, der Pharaon? Sind Sie verrückt, Emmanuel? Sie wissen, daß er zu Grunde gegangen ist.«

»Der Pharaon! Herr, man signalisiert den Pharaon! der Pharaon läuft in den Hafen ein!«

Morrel fiel in seinen Stuhl zurück die Kräfte verließen ihn; sein Verstand weigerte sich, diese Folge unglaublicher, unerhörter, fabelhafter Ereignisse zuordnen. Aber Maximilian trat ebenfalls ein und rief:

»Mein Vater, was sagten Sie denn, der Pharaon sei zu Grunde gegangen? die Wache hat ihn signalisiert und er läuft, wie ich höre, in den Hafen ein.«

»Meine Freunde,« sprach Morrel, »wenn dies der Fall wäre, so müßte man an ein Wunder des Himmels glauben! Unmöglich! Unmöglich!«

Was aber wirklich war und nicht minder unglaublich erschien, das war die Börse, die er in der Hand hielt, das war der quittierte Wechsel, das war der prachtvolle Diamant.

»Ah! mein Herr,« sprach Cocles, »was soll das bedeuten, der P h a r a o n

»Auf, meine Kinder,« sagte Morrel sich erhebend, wir wollen sehen, und Gott sei uns barmherzig, wenn es eine falsche Nachricht ist.«

Sie gingen hinab; mitten auf der Treppe wartete Madame Morrel: die arme Frau hatte es nicht gewagt, hinaufzugehen. In einem Augenblick befanden sie sich auf der Caunebière. Es war eine Menge von Menschen versammelt. Alles Volk gab Raum vor Morrel.

»Der Pharaon! der Pharaon!« riefen alle diese Stimmen.

Wunderbar. unerhört! ein Schiff, an dessen Vorderteil in weißen Buchstaben die Worte: »Der Pharaon Morrel und Sohn von Marseille,« geschrieben waren, und das ganz die Gestalt des Pharaon hatte und wie dieser mit Indigo und Cochenille beladen war, ging in der Tat vor dem Saint-Jean Thurme vor Anker und geite seine Segel auf. Auf dem Verdecke gab der Kapiteln Gaumard seine Befehle, und Meister Penelon machte Herrn Morrel Zeichen. Es ließ sich nicht mehr zweifeln, das Zeugniß der Sinne war da, und zehntausend Menschen unterstützten diesen Beweis. Als Morrel und sein Sohn auf dem Hafendamm unter dem Beifallsgeschrei der ganzen diesem Schauspiel beiwohnenden Stadt sich umarmten, murmelte ein Mann, dessen Kopf halb von einem schwarzen Barte bedeckt war, indem er hinter einem Schilderhäuschen verborgen voll Rührung diese Szene betrachtete, die Worte:

»Sei glücklich, edles Herz; sei gesegnet für alles Gute, was Du getan hast, und noch tun wirst, und meine Dankbarkeit bleibe im Dunkeln, wie Deine Wohlthat.«

Und mit einem Lächeln, in welchem sich Freude und Glück ausprägen, verließ er den Ort, an dem er sich verborgen gehalten hatte, stieg, ohne daß Jemand auf ihn merkte, so sehr war Jedermann mit dem Ereignis des Tages beschäftigt, eine von den kleinen Treppen hinab, welche zum Landen benützt werden, und rief dreimal:

Jacopo! Jacopo! Jacopo!

Eine Schaluppe kam auf ihn zu, nahm ihn an Bord und führte ihn zu einer reich ausgerüsteten Yacht, auf deren Verdeck er mit der Leichtigkeit eines Seemannes sprang; von hier aus betrachtete er noch einmal Morrel, welcher vor Freude weinend herzliche Händedrücke an alle Welt austeilte und mit einem irrenden Blicke dem unsichtbaren Wohlthäter dankte, den er im Himmel zu suchen schien.

»Und nun,« sprach der Unbekannte, »fahret wohl, Güte, Menschlichkeit, Dankbarkeit . . . fahret wohl alle Gefühle, die das Herz ausdehnen! . . . Ich habe die Stelle der Vorsehung eingenommen, um die Guten zu belohnen . . . jetzt trete mir der rächende Gott seinen Platz ab, um die Bösen zu bestrafen!«

Nach diesen Worten machte er ein Signal, und die Yacht, als hätte sie nur auf dieses Signal gewartet, ging sogleich in See.

Der Graf von Monte Christo

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