Читать книгу Der Graf von Monte Christo - Александр Дюма - Страница 27

Sechstes bis zehntes Bändchen
Viertes Kapitel.
Die Erzählung

Оглавление

»Vor Allem, mein Herr,« sagte Caderousse, »vor Allem muß ich Sie bitten, mir Eines zu versprechen.«

»Was?«

»Daß man, wenn Sie von den Umständen Gebrauch machen, welche ich Ihnen mitteilen werde, nie erfahre, von wem diese Mitteilung herrührt; denn die Leute, von denen ich zu sprechen habe, sind reich und mächtig, und wenn sie mich nur mit dem Finger berührten, würden sie mich wie Glas zerbrechen.«

»Seien Sie unbesorgt, mein Freund, ich bin Priester, und die Bekenntnisse sterben in meiner Brust. Erinnern Sie sich, daß wir keinen andern Zweck haben, als den, den letzten Willen unseren Freundes würdig zu erfüllen. Sprechen Sie also ohne Schonung, wie ohne Haß, sagen Sie die Wahrheit, die volle Wahrheit. Ich kenne die Personen nicht, von denen die Rede sein wird, und werde sie wohl nie kennen lernen; überdieß bin ich Italiener, und nicht Franzose; ich gehöre Gott und nicht den Menschen, und kehre in mein Kloster zurück, das ich nur verlassen habe, um den letzten Willen eines Sterbenden zu vollziehen.«

Diesen bestimmte Versprechen schien Caderousse etwas Sicherheit zu verleihen.

»In diesem Falle,« versetzte Caderousse, »will ich, ich sage noch mehr, muß ich Ihnen die Täuschung über die Freundschaften benehmen, welche der arme Edmond für treu und redlich hielt.«

»Fangen Sie mit seinem Vater an, wenn es Ihnen beliebt. Edmond hat viel mit mir von dem Greise gesprochen, für welchen er eine tiefe Liebe hegte.«

»Diese Geschichte ist traurig, mein Herr,« erwiderte Caderousse den Kopf schüttelnd, »Sie kennen wahrscheinlich den Anfang?«

»Ja,« versetzte der Abbé, »Edmond hat mir die Sache bis zu dem Augenblick erzählt, wo er in einer kleinen Schenke in der Nähe von Marseille verhaftet wurde.«

»In der Reserve. Oh, mein Gott! ja, ich sehe es vor mir, als ob es in diesem Augenblick geschehen würde.«

»Geschah es nicht gerade bei seinem Verlobungsmahle?«

»Ja, das Mahl hatte so heiter begonnen und nahm ein so trauriges Ende. Ein Polizeikommissär trat, gefolgt von vier Füsilieren, ein, und Edmond wurde verhaftet.«

»So weit geht das, was ich weiß,« sprach der Priester. »Dantes erfuhr nichts Anderes, als was ihn persönlich traf; denn nie hat er eine von den fünf Personen wiedergesehen, welche ich Ihnen nannte, nie hat er von ihnen sprechen hören.«

»Nun wohl, als Dantes einmal verhaftet war, lief Herr Morrel weg, um Erkundigungen einzuziehen; sie fielen sehr traurig aus. Der Greis kehrte allein nach Hause zurück, legte weinend seinen Hochzeitsrock zusammen, schritt den ganzen Tag in seinem Zimmer auf und ab, und ging Abends nicht schlafen; denn ich wohnte unter ihm und hörte ihn die ganze Nacht umhergehen; ich muß sagen, ich schlief selbst auch nicht: der Schmerz dieses armen Vaters that mir sehr wehe, und jeder von seinen Tritten zermalmte mir das Herz, als ob er wirklich seinen Fuß auf meine Brust gesetzt hätte. Am andern Tage kam Mercedes nach Marseille, in der Absicht, Herrn von Villefort um seinen Schutz anzuflehen: sie erreichte nichts; doch sie besuchte zugleich auch den Greis. Als sie sah, wie er so düster und niedergeschlagen war, daß er die Nacht, ohne sich zu Bette zu legen, zugebracht und seit dem vorhergehenden Tage nichts gegessen hatte, wollte sie ihn mit sich nehmen, um ihn zu pflegen; aber der Greis willigte nicht ein. »»Nein,«« sagte er, »»ich werde das Haus nicht verlassen, denn mich liebt mein armer Sohn vor allen Andern, und wenn er aus dem Gefängnis kommt, wird er zuerst zu mir laufen. Was würde er sagen, wenn ich ihn nicht hier erwartete?«« Ich belauschte alles Dies durch die Wand, denn es wäre mir lieb gewesen, wenn Mercedes ihn bestimmt hätte, ihr zu folgen; der Tag und Nacht über mir erschallende Tritt ließ mir nicht einen Augenblick Ruhe.«

»Aber gingen Sie denn nicht selbst zu dem Greise hinauf, um ihn zu trösten? fragte der Priester.

»Ah! mein Herr,« erwiderte Caderousse, »man tröstet nur diejenigen, welche getröstet sein wollen, er aber wollte es nicht sein. Überdies kam es mir, ich weiß nicht warum, vor, als hätte er einen Widerwillen gegen meinen Anblick. In einer Nacht jedoch, da ich sein Schluchzen hörte, konnte ich nicht widerstehen und ging hinauf; als ich jedoch an die Thüre kam, schluchzte er nicht mehr, er betete. Ich kann Ihnen nicht wiederholen, welche beredte Worte, welche erbarmenswerte Bitten er fand: es war mehr als Frömmigkeit, es war mehr als Schmerz; ich, der ich kein Heuchler bin und die Jesuiten nicht liebe, sagte mir auch an diesem Tage: Es ist ein Glück, daß ich allein bin und daß der liebe Gott mir keine Kinder geschenkt hat, denn wenn ich Vater wäre und empfände einen Schmerz, ähnlich dem des armen Greises, und könnte weder in meinem Gedächtnis noch in meinem Herzen Alles finden, was er dem guten Gotte sagt, so stürzte ich mich geraden Weges in das Meer, um nicht länger zu leiden.«

»Armer Vaters!« murmelte der Priester.

»Von Tag zu Tag lebte er einsam und abgeschieden; Herr Morrel und Mercedes kamen oft, um ihn zu besuchen, aber seine Thüre war verschlossen, und er antwortete nicht, obgleich ich bestimmt wußte, daß er zu Hause war. Als er eines Tages, wider seine Gewohnheit, Mercedes einließ und das arme Kind, selbst in Verzweiflung, ihn zu trösten suchte, sagte er:

»»Glaube mir, meine Tochter, er ist tot . . . und statt daß wir ihn erwarten, erwartet er uns. Ich bin sehr glücklich, denn ich bin älter und werde ihn folglich zuerst wiedersehen.««

»So gut man sein mag, so hört man am Ende doch auf, die Menschen zu besuchen, durch welche man traurig gemacht wird. Der alte Dantes blieb zu Letzt ganz allein. Ich sah nur noch von Zeit zu Zeit unbekannte Leute zu ihm hinausgehen, die mit irgend einem schlecht verborgenen Päckchen zurückkamen; ich begriff, welche Beschaffenheit es mit diesen Päckchen hatte, er verkaufte nach und nach, was er hatte, um zu leben. Endlich nahm es bei dem guten Mann ein Ende mit seiner armseligen Habe . . Er war drei Miethzinse schuldig, man bedrohte ihn mit dem Wegschicken; er verlangte noch acht Tage, man bewilligte sie ihm. Ich erfuhr diesen Umstand, weil der Hauseigenthümer bei mir eintrat, als er ihn verließ. Während der drei ersten Tage hörte ich ihn wie gewöhnlich auf- und abgehen; am vierten . . . vernahm ich nichts mehr . . . Ich ging hinauf, die Thüre war verschlossen; durch das Schlüsselloch sah ich den Greis jedoch so bleich und entstellt, daß ich ihn für sehr krank hielt, Herrn Morrel benachrichtigen ließ und zu Mercedes lief. Beide eilten herbei; Herr Morrel brachte einen Arzt, der Arzt erkannte eine Magendarmentzündung und verordnete Diät. Ich war dabei, mein Herr, und werde nie das Lächeln des Greises bei dieser Verordnung vergessen. Von nun an öffnete er seine Thüre, er hatte eine Entschuldigung, daß er nicht mehr aß: der Arzt hatte Diät verordnet.«

Der Abbé stieß einen Seufzer aus.

»Diese Geschichte interessiert Sie, nicht wahrt mein Herr?« sagte Caderousse.

»Ja,« erwiderte der Abbé, »sie ist rührend.«

»Mercedes kam wieder; sie fand ihn so verändert, daß sie ihn wie das erste Mal in ihr Haus bringen lassen wollte. Es war dies auch die Ansicht von Herrn Morrel, welcher die Überschaffung mit Gewalt durchsetzen wollte, doch der Greis schrie dergestalt, daß sie bange bekamen. Mercedes blieb an seinem Bette. Herr Morrel entfernte sich, nachdem er Mercedes durch ein Zeichen bedeutet hatte, er lasse eine Börse auf dem Kamine. Aber bewaffnet mit der Verordnung des Arztes, wollte der Greis nichts zu sich nehmen. Endlich nach neun Tagen der Verzweiflung und Enthaltsamkeit verschied der Greis, diejenigen verfluchend, welche sein Unglück verursacht hatten. Zu Mercedes aber sprach er noch:

»»Wenn Du meinen Edmond wiedersiehst, so sage ihm, ich sei ihn segnend gestorben.««

Der Abbé stand auf und ging zweimal im Zimmer auf und ab, wobei er eine zitternde Hand an seine trockene Kehle legte.

»Und Sie glauben, er starb . . . «

»Hungers, mein Herr, Hungers, dafür stehe ich, so wahr wir hier zwei Christen sind,« antwortete Caderousse.

Der Abbé ergriff mit krampfhafter Hand das noch halbvolle Glas, leerte es auf einen Zug und setzte sich wieder, die Augen geröthet und die Wangen bleich.

»Gestehen Sie, daß dies ein großen Unglück ist,« sagte er mit heiserer Stimme.

»Um so größer, mein Herr, als es nicht Gott herbeigeführt hat, sondern die Menschen allein Schuld daran sind.«

»Gehen wir also auf diese Menschen über, doch vergessen Sie nicht,« rief der Abbé mit einer beinahe drohenden Miene, »Sie haben mir Alles zu sagen Versprochen; wer sind die Leute, welchen es zuzumessen ist, daß der Sohn vor Verzweiflung und der Vater vor Hunger starb?«

»Zwei Menschen, welche auf ihn eifersüchtig waren, der eine aus Liebe, der andere aus Ehrgeiz, Fernand und Danglars.«

»Auf welche Weise offenbarte sich diese Eifersucht?«

»Sie gaben Edmond als bonapartistischen Agenten an.«

»Welcher von Beiden gab ihn an? welcher von Beiden war der wahre Schuldige?«

»Beide, mein Herr; der Eine schrieb den Brief, der Andere brachte ihn auf die Post.«

»Und wo wurde dieser Brief geschrieben?«

»In der Reserve selbst, am Tage vor der Hochzeit.«

»So ist es, so ist es,« murmelte der Abbé! . .»Oh! Faria! Faria! wie kanntest Du die Menschen und die Dinge!«

»Sie sagen, mein Herr?« fragte Caderousse.

»Nichts; fahren Sie fort.«

»Danglars schrieb die Anzeige mit der linken Hand, damit man seine Schrift nicht erkennen würde, und Fernand schickte sie ab.«

»Aber Sie waren dabei?« rief plötzlich der Abbé.

»Ich?« versetzte Caderousse erstaunt, »wer hat Ihnen gesagt, daß ich dabei war?«

Der Abbé sah, daß er zu weit gegriffen hatte, und erwiderte:

»Niemand; doch um alle diese Einzelheiten so genau zu kennen, müssen Sie notwendig Zeuge gewesen sein.«

»Das ist wahr,« sprach Caderousse mit erstickter Stimme, »ich war dabei.«

»Und Sie haben sich dieser Schändlichkeit nicht widersetzt? Folglich sind Sie ein Mitschuldiger.«

»Mein Herr sie hatten mich Beide in einem Grade trinken lassen, daß ich beinahe die Vernunft verlor. Ich sah nur noch durch eine Wolke. Alles, was ein Mensch in einem solchen Zustande sagen kann, sagte ich, aber Beide erwiderten, sie hatten nur einen Scherz machen wollen, und dieser Scherz hätte keine Folgen.«

»Doch am andern Tage sahen Sie, daß er Folgen hatte; Sie sagten aber nichts und waren dabei, als man ihn verhaftete.«

»Ja, mein Herr, ich war dabei und wollte Alles sagen, Danglars hielt mich jedoch zurück. »»Wenn er zufällig schuldig ist,«« sprach er zu mir, »»wenn er wirklich an der Insel Elba angehalten, wirklich einen Brief für das bonapartistische Comité in Paris mitgenommen hat, wenn dieser Brief bei ihm gefunden wird, so werden diejenigen, welche ihn unterstützt haben, als seine Mitschuldigen betrachtet werden«« Ich hatte bange vor der Politik, wie sie damals getrieben wurde, und schwieg; ich gestehe, es war eine Feigheit, aber kein Verbrechen.«

»Ich begreife, Sie ließen gewähren und sonst nichts.«

»Ja, mein Herr, und das ist mein Gewissensbiß bei Tag und bei Nacht. Ich schwöre Ihnen, ich bitte Gott sehr oft um Verzeihung, und zwar um so mehr als diese Handlung, die einzige, die ich mir in meinem ganzen Leben vorzuwerfen habe, ohne Zweifel die Ursache meines Unglücks ist. Ich büße einen Augenblick der Selbstsucht, und sage auch immer zu der Carconte, wenn sie sich beklagt: »»Schweige, Frau, Gott will es so.««

Und Caderousse neigte das Haupt mit allen Zeichen wahrer Reue.

»Gut, mein Herr,« sagte der Abbé, »Sie haben offenherzig gesprochen; sich so anklagen, heißt Verzeihung verdienen.«

»Leider ist Edmond tot und hat mir nicht verziehen.«

»Er wußte es nicht.«

»Aber nun weist er es vielleicht,« sprach Caderousse. »Man sagt, die Toten wissen Alles.«

Es trat ein kurzes Stillschweigen ein: der Abbé war aufgestanden und ging nachdenkend auf und ab; dann kehrte er zu seinem Platze zurück und setzte sich wieder.

»Sie haben mir schon zwei- oder dreimal einen gewissen Herrn Morrel genannt?« sagte er. »Wer war dieser Mann?«

»Der Reeder des Pharaon, der Patron von Dantes.«

»Und welche Rolle spielte er bei dieser traurigen Angelegenheit?«

»Die Rolle eines redlichen, mutigen, liebevollen Mannes. Zwanzigmal verwendete er sich für Edmond; als der Kaiser zurückkehrte, schrieb er, bat er, drohte er, dergestalt, daß er bei der zweiten Restauration als Bonapartist gewaltig verfolgt wurde. Zwanzigmal kam er, wie ich Ihnen sagte, zu dem Vater von Dantes, um ihn in sein Haus zu nehmen, und einen oder zwei Tage vor seinem Tode ließ er, wie ich ebenfalls erwähnte, eine Börse auf dem Kamine, womit man die Schulden des guten Mannes bezahlte und seine Beerdigung besorgte, so daß der arme Greis wenigstens sterben konnte, wie er gelebt hatte, ohne Jemand Unrecht zu tun. Ich habe die Börse noch, eine große Börse von roter Seide.«

»Und dieser Herr Morrel lebt noch?«

»Ja.«

»Dann muß er ein vom Himmel gesegneter Mann, er muß reich, er muß glücklich sein?«

Caderousse lächelte bitter und erwiderte:

»Ja, glücklich wie ich.«

»Wie, Herr Morrel wäre unglücklich?« rief der Abbé.

»Er ist der Armut nahe, mehr noch, er steht an der Grenze der Schande.«

»Wie so?«

»Ja es ist, wie ich sage; nach fünfundzwanzigjähriger Arbeit, nachdem er die ehrenvollste Stellung in der Handelswelt von Marseille erlangt hatte, ist Herr Morrel völlig zu Grunde gerichtet. Er hat fünf Schiffe in zwei Jahren verloren, drei Bankerotte erlitten, und seine einzige Hoffnung steht nun auf eben diesem Pharaon, den der arme Dantes commandirte, dieses Schiff soll mit einer Ladung Cochenille und Indigo aus Indien zurückkommen, bleibt es auch aus, wie die andern, so ist er verloren.«

»Hat der Unglückliche eine Frau, Kinder?« fragte der Abbé.

»Ja, er hat eine Frau, welche sich unter allen diesen Umständen wie eine Heilige benimmt; er hat eine Tochter, die einen Mann heiraten sollte, den sie liebt, den aber seine Familie ein zu Grunde gerichtetes Mädchen nicht heiraten lassen will: er hat endlich einen Sohn, der Lieutenant bei der Armee ist. Doch Sie begreifen: alles Dies verdoppelt seinen Schmerz, statt ihn dem armen Mann zu mildern. Wäre er allein, so würde er sich die Hirnschale zerschmettern, und Alles wäre abgemacht.«

»Das ist furchtbar!« murmelte der Abbé.

»So belohnt Gott die Tugend!« sprach Caderousse.

»Ich, der ich, abgesehen von dem, was ich Ihnen erzählte, nie eine schlechte Handlung begangen habe, bin im Elend; nachdem ich meine arme Frau am Fieber habe hinscheiden sehen, ohne etwas für sie tun zu können, werde ich Hungers sterben, wie der alte Dantes, während Fernand und Danglars sich auf dem Golde wälzen.«

»Wie dies?«

»Weil sich bei ihnen Alles zum Guten gewendet hat, wie sich bei ehrlichen Leuten Alles zum Schlimmen wendet.«

»Was ist aus Danglars, dem Schuldigsten, dem Anstifter geworden?«

»Was aus ihm geworden ist? er hat Marseille verlassen, und ist auf die Empfehlung von Herrn Morrel der nichts von seinem Verbrechen wußte, bei einem spanischen Banquier als Commis eingetreten. Zur Zeit des spanischen Krieges beteiligte er sich bei den Lieferungen für das französische Heer und machte Glück; mit diesem ersten Gelde spielte er in den Fonds und verdreifachte, vervierfachte sein Vermögen; selbst Wittwer von der Tochter seines Banquier heiratete er sodann eine Wittwe, Frau von Nargonne, Tochter von Herrn von Servieurx, welcher Kammerherr des gegenwärtigen Königs ist und sich der höchsten Gunst erfreut. Er hatte sich zum Millionär gemacht. man machte ihn zum Grafen, und er hat nun ein Hotel in der Rue du Mont-Blanc, zehn Pferde in seinen Ställen, sechs Lackeien in seinem Vorzimmer, und ich weiß nicht wie viel Millionen in seinen Kassen.«

»Ah l« rief der Abbé mit einem seltsamen Ausdrücke;»und er ist glücklich?«

»Glücklich . . . wer kann das sagen? Glück oder Unglück, das ist das Geheimnis der Wände; die Wände haben Ohren, aber keine Zunge; ist man glücklich mit einem großen Vermögen, so ist Danglars glücklich.«

»Und Fernand?«

»Fernand? das ist etwas ganz Anderes.«

»Aber wie konnte ein armer catalonischer Fischer ohne Mittel, ohne Erziehung Glück machen; ich muß gestehen, das übersteigt meine Begriffe.«

»Es übersteigt die Begriffe von aller Welt, und es muß in seinem Leben ein seltsames Geheimnis obwalten, das Niemand kennt.«

»Aus welchen sichtbaren Leitern ist er denn zu diesem großen Vermögen oder zu dieser hohen Stellung hinaufgestiegen?«

»Zu Beidem mein Herr, zu Beidem: er hat zugleich Vermögen und Stellung.«

»Sie erzählen mir ein Märchen?«

»Es sieht allerdings ganz so aus, aber hören Sie und Sie werden begreifen. Fernand war einige Tage vor der Rückkehr von Dantes der Conscription verfallen. Die Bourbonen ließen ihn ruhig bei den Cataloniern; aber Napoleon kehrte zurück: eine außerordentliche Aushebung wurde decretirt, und Fernand sah sich genötigt, abzugehen. Ich ging auch ab, da ich aber älter war als Fernand und meine arme Frau kurz zuvor geheiratet hatte, so schickte man mich nur auf die Küste. Fernand wurde bei den aktiven Truppen eingereiht, kam mit seinem Regiment an die Grenze, und wohnte der Schlacht bei Ligny bei. In der Nacht, welche auf das Treffen folgte, stand er Schildwache vor der Thüre eines Generals, der eine geheime Verbindung mit dem Feinde unterhielt. In derselben Nacht sollte der General mit den Engländern zusammentreffen; er schlug Fernand vor, ihn zu begleiten; Fernand willigte ein, verließ seinen Posten und folgte dem General. Was Fernand vor ein Kriegsgericht gebracht hätte, wenn Napoleon auf dem Throne geblieben wäre, diente ihm bei den Bourbonen zur Empfehlung. Er kehrte nach Frankreich mit der Epaulette des Unterlieutenant zurück, und da ihn die Protection des Generals, welcher in hoher Gunst steht, nicht verließ, so war er Kapitän im Jahre1823, während des spanischen Krieges, das heißt in dem Augenblick, wo Danglars seine ersten Speculationen machte. Fernand war Spanier; er wurde nach Madrid geschickt, um den Geist seiner Landsleute zu erforschen. Er fand dort Danglars, verabredete sich mit ihm, verhieß seinem General eine Unterstützung unter den Royalisten der Hauptstadt und der Provinzen, erhielt Versprechungen, übernahm Verbindlichkeiten, führte sein Regiment auf Wegen, die nur ihm allein bekannt waren, in Schlünde, welche von den Royalisten bewacht wurden, und leistete endlich in diesem kurzen Feldzug solche Dienste, daß er nach der Einnahme von Trocadero zum Obersten ernannt wurde und das Offizierskreuz der Ehrenlegion mit dem Baronentitel erhielt.«

»Verhängnis! Verhängnis!« murmelte der Abbé.

»Ja, doch hören Sie, das ist noch nicht Alles. Als der spanische Krieg beendigt war, fand sich die Laufbahn von Fernand durch den langen Frieden gefährdet, welcher voraussichtlich in Europa herrschen mußte. Griechenland allein hatte sich gegen die Türkei erhoben und seinen Unabhängigkeitskrieg begonnen; Aller Augen waren auf Athen gerichtet; die Mode heischte, die Griechen zu beklagen und zu unterstützen. Ohne sie offen in Schutz zu nehmen, duldete die französische Regierung, wie Sie wissen, teilweise Wanderungen zu ihnen. Fernand erbat sich und erhielt die Erlaubnis, in Griechenland zu dienen, während er nichtsdestoweniger in den Armeelisten fortgeführt wurde. Einige Zeit nachher erfuhr man, daß der Baron von Morcerf, dies war der Name, den er führte, in die Dienste von Ali Pascha mit dem Grade eines Generalinstructors eingetreten war. Ali Pascha wurde getötet, wie Sie wissen; aber ehe er starb, belohnte er die Dienste von Fernand, indem er ihm eine beträchtliche Summe zustellen liest, mit welcher Fernand nach Frankreich zurückkehrte, wo ihm sein Grad als Generallieutenant bestätigt wurde.«

»Heute also?« fragte der Abbé.«

»Heute,« fuhr Caderousse fort, »ist er Graf, Deputierter, und besitzt ein prachtvolles Hotel in Paris, Rue du Helder N. 27.«

Der Abbé,« öffnete den Mund, zögerte einen Augenblick, und sagte dann mit einer Anstrengung gegen sich selbst:

»Und Mercedes? man hat mich versichert, sie wäre verschwunden.«

»Verschwunden, wie die Sonne verschwindet, um am andern Tage glänzender aufzugeben.«

»Sie hat also ebenfalls Glück gemacht?« fragte der Abbé mit einem ironischen Lächeln.

»Mercedes ist in diesem Augenblick eine der vornehmsten Damen von Paris,« antwortete Caderousse.

»Fahren Sie fort.« sagte der Abbé; »es ist mir, als hörte ich die Erzählung eines Traumes. Aber ich habe selbst so außerordentliche Dinge erlebt, daß mich diejenigen, welche Sie mir mitteilen, weniger in Erstaunen setzen.«

»Mercedes war Anfangs in Verzweiflung über den Schlag, der ihr Edmond raubte. Ich sprach bereits von ihren Bitten bei Herrn von Villefort und von ihrer Ergebenheit für den Vater von Dantes. Mitten in ihrer Verzweiflung traf sie ein neuer Schmerz, der Abgang von Fernand, den sie mit seinem Verbrechen nicht bekannt, als ihren Bruder betrachtete. Fernand reiste ab, Mercedes blieb allein.

»Drei Monate verliefen für sie in Tränen; keine Kunde von Edmond, keine Nachricht von Fernand; nichts vor Augen, als einen Greis, der in seiner Verzweiflung hinstarb. Eines Abends, als sie ihrer Gewohnheit gemäß den ganzen Tag an der Ecke der zwei Wege, welche von Marseille zu den Cataloniern führen, sitzen geblieben war, kehrte sie niedergeschlagener als je in ihre Wohnung zurück: weder Geliebten noch Freund erschienen auf einem von den beiden Wegen, und sie hatte weder von dem Einem noch von dem Andern Kunde. Plötzlich kam es ihr vor, als hörte sie einen bekannten Tritt; sie wandte steh ängstlich um, die Thüre ging auf und Fernand erschien in seiner Unterlieutenants-Uniform..Es war nicht die Hälfte dessen, was sie beweinte, aber es war ein Teil ihres vergangenen Lebens, was zu ihr zurückkehrte. Mercedes faßte die Hände von Fernand mit einem Entzücken, das dieser für Liebe hielt, während es nur die Freude war, nicht mehr allein auf der Welt zu sein und endlich nach langen Stunden einsamer Trauer einen Freund wiederzusehen; und dann muß man sagen, Fernand war nie gehaßt gewesen, er war nur nie geliebte ein Anderer besaß das ganze Herz von Mercedes; dieser Andere war abwesend . . . verschwunden . . . vielleicht tot. Bei diesem letzten Gedanken brach Mercedes in ein Schluchzen aus und rang die Hände vor Schmerz; aber der Gedanke, den sie verwarf, wenn er ihr von einem Andern zugeflüstert wurde, kehrte jetzt ganz allein in ihrem Geiste ein; überdies sagte der alte Dantes unabläßig zu ihr: »»Unser Edmond ist tot, denn wenn er nicht tot wäre, käme er zu uns zurück.««

»Der Greis starb, wie ich Ihnen sagte, hätte er gelebt, so würde Mercedes vielleicht nie die Frau eines Andern geworden sein; denn er wäre da gewesen, um ihr ihre Untreue vorzuwerfen. Fernand begriff dies. Als er den Tod des Greises erfuhr, kehrte er zurück. Diesmal war er Lieutenant. Bei seiner ersten Reise hatte er Mercedes kein Wort von Liebe gesprochen, bei der zweiten erinnerte er sie daran, daß er sie liebte. Mercedes forderte noch sechs Monate von ihm, um Edmond zu erwarten und zu beweinen.«

»Das machte wirklich im Ganzen achtzehn Monate,« sagte der Abbé mit bitterem Lächeln. »Was kann der angebetetste Geliebte mehr fordern?«

Dann murmelte er die Worte des englischen Dichters:

»Frailty, thy name is woman!«6

»Sechs Monate nachher,« fuhr Caderousse fort, »fand die Hochzeit in der Kirche des Accoules statt.«

»Es war dieselbe Kirche, in der sie Edmond heiraten sollte,« murmelte der Abbé, »nur war der Bräutigam verändert.«

»Mercedes heiratete also,« sprach Caderousse, »doch obgleich sie in aller Augen ruhig erschien, wurde sie nichtsdestoweniger ohnmächtig, als sie vor der Reserve vorbeikam, wo achtzehn Monate vorher ihre Verlobung mit demjenigen gefeiert worden war, den sie noch liebte, wenn sie in den Grund ihres Herzens zu sehen gewagt hätte. Glücklicher, aber nicht ruhiger, denn ich sah ihn in jener Zeit, und er fürchtete beständig die Rückkehr von Edmond, war Fernand sogleich darauf bedacht, seine Frau aus der Gegend zu entfernen und sich selbst zu verbannen; er hatte zugleich zu viele Gefahren zu befürchten und zu viele Erinnerungen zu bekämpfen, wenn er bei den Cataloniern blieb. Acht Tage nach der Hochzeit reisten sie ab.«

»Sahen Sie Mercedes wieder?« fragte der Priester.

»Ja, zur Zeit des spanischen Krieges, in Perpignan, wo Fernand sie zurückgelassen hatte; sie beschäftigte sich damals mit der Erziehung ihres Sohnes.«

Der Abbé bebte.

»Ihres Sohnes?« sagte er

»Ja,« antwortete Caderousse, »des kleinen Albert.«

»Aber um diesen Sohn zu erziehen,« sprach der Abbé, »muß sie wohl selbst Erziehung erhalten haben? Es ist mir, als hätte ich von Edmond gehört, sie wäre die Tochter eines einfachen Fischers, schön, aber ungebildet gewesen?«

»Oh! kannte er denn seine Braut so schlecht?« versetzte Caderousse. »Mercedes hätte Königin werden können, wenn die Krone nur auf den schönsten und gescheitesten Köpfen getragen werden sollte. Ihr Vermögen nahm bereits zu, und sie nahm mit ihrem Vermögen zu. Sie lernte zeichnen, sie lernte Musik, sie lernte Alles. Dabei glaube ich, unter uns gesagt, daß sie alles Dies nur that, um sich zu zerstreuen, um zu vergessen, und daß sie nur so viele Dinge in ihren Kopf brachte, um das zu bekämpfen, was sie im Herzen hatte.Nun muß aber Alles gesagt sein, fügte Caderousse bei; »das Vermögen und die Ehre haben sie ohne Zweifel getröstet. Sie ist reich, sie ist Gräfin, und dennoch . . . «

Caderousse schwieg.

»Was dennoch?«

»Dennoch bin ich überzeugt, daß sie nicht glücklich ist.«

»Warum glauben Sie dies?«

»Als ich selbst zu unglücklich war, dachte ich, meine ehemaligen Freunde würden mich einiger Maßen unterstützen. Ich begab mich zu Danglars, der mich nicht einmal empfing. Ich ging zu Fernand, und dieser ließ mir hundert Franken durch seinen Kammerdiener zustellen.«

»Also sahen Sie weder den Einen, noch den Andern?«

»Nein« aber Frau von Morcerf hat mich gesehen.«

»Wie dies?«

»Während ich hinaus ging, fiel eine Börse zu meinen Füßen; sie enthielt fünfundzwanzig Louis d'or. Ich schaute rasch empor und erblickte Mercedes, welche den Laden wieder schloß.«

»Und Herr von Villefort?« fragte der Abbé.

»Oh! er war nicht mein Freund gewesen, ich kannte Ihn nicht und hatte nichts von ihm zu fordern.«

»Doch wissen Sie nicht, was aus ihm geworden ist, und welchen Teil er an dem Unglück von Edmond gehabt hat?«

»Nein, ich weiß nur, daß er einige Zeit, nachdem er Edmond hatte verhaften lassen, Fräulein von Saint-Meran heiratete und bald darauf Marseille verließ. Ohne Zweifel hat ihm das Glück gelächelt, wie den Andern, ohne Zweifel ist er reich wie Danglars, geachtet wie Fernand; ich allein bin, wie Sie sehen, arm, elend und von Gott vergessen geblieben.«

»Sie täuschen sich, mein Freund,« sprach der Abbé, »Gott kann zuweilen den Anschein haben, als vergäße er, wenn seine Gerechtigkeit ruht, aber es kommt immer ein Augenblick, wo er sich erinnert, und hier ist der Beweis davon.«

Bei diesen Worten zog der Abbé den Diamant aus der Tasche, reichte ihn Caderousse und sprach:

»Nehmen Sie diesen Diamant« er gehört Ihnen.«

»Wie, mir allein?« rief Caderousse; »oh! mein Herr, Sie scherzen?«

»Dieser Diamant sollte unter die Freunde von Edmond verteilt werden; Edmond hatte nur einen Freund, die Verteilung wird also unnötig. Nehmen Sie diesen Diamant und verkaufen Sie ihn, ich wiederhole, er ist fünfzigtausend Franken wert, und diese Summe wird hoffentlich genügen, um Sie der Armut zu entziehen.«

»Oh! mein Herr,« sagte Caderousse schüchtern eine Hand ausstreckend und mit der andern den Schweiß abwischend, der auf seiner Stirne perlte. »oh! mein Herr, treiben Sie nicht Spott mit dem Glücke und der Verzweiflung eines Menschen.«

»Ich weiß, was Glück und was Verzweiflung ist, und werde nie mit diesen Gefühlen Kurzweil treiben. Nehmen Sie, aber dagegen . . . «

Caderousse, der bereite den Diamant berührte, zog seine Hand zurück.

Der Abbé lächelte.

»Dagegen, fuhr er fort, »geben Sie mir die rotseidene Börse, welche Herr Morrel auf dem Kamine des alten Dantes zurückließ.«

Immer mehr erstaunt, ging Caderousse an einen großen Schrank von Eichenholz, öffnete ihn und reichte dem Abbé eine lange Börse von erbleichter roter Seide, woran zwei Ringe von ehemals vergoldetem Kupfer auf- und abglitten. Der Abbé nahm sie und gab dafür Caderousse den Diamant.

»Oh! Sie sind ein Mann Gottes,« rief Caderousse, »denn er wußte in der Tat Niemand, daß Edmond Ihnen den Diamant übergeben hatte, und Sie konnten ihn behalten.«

»Gut,« sagte der Abbé zu sich selbst, »Du hättest es getan, wie es scheint.«

Der Abbé stand auf, nahm seinen Hut und seine Handschuhe und sprach:

»Alles was Sie gesagt haben, ist wahr, nicht so, und ich kann Ihnen in allen Punkten glauben?«

»Sehen Sie, Herr Abbé,« antwortete Caderousse, »dort in jener Ecke ist ein Christus von geweihtem Holze, hier auf dieser Kiste liegt das Evangelienbuch meiner Frau, öffnen Sie dieses Buch, und ich will Ihnen, die Hand gegen Christus ausgestreckt, darauf schwören, ich schwöre Ihnen bei dem Heile meiner Seele, bei meinem christlichen Glauben, daß ich Ihnen alle Dinge so gesagt habe, wie sie vorgefallen sind, und wie sie der Engel der Menschen Gott am jüngsten Gerichte zuflüstern wird!«

»Es ist gut,« sprach der Abbé, durch den Ausdruck überzeugt, daß Caderousse die Wahrheit gesagt hatte, »es ist gut; möge Ihnen dieses Geld Nutzen bringen. Leben Sie wohl, ich kehre zurück, um fern von den Menschen zu leben, welche so viel Böses tun.«

Und mit großer Mühe sich von den begeisterten Ergüssen von Caderousse befreiend, hob der Abbé selbst den Querbaum empor, stieg zu Pferde, grüßte zum letzten Male den Wirth, der sich in geräuschvollen Abschiedsworten gleichsam verwickelte, und entfernte sich in der Richtung, in welcher er gekommen war.

Als sich Caderousse umwandte, sah er hinter sich die Carconte bleicher und zitternder als je.

»Ist es wahr, was ich gehört habe?« sagte sie.

»Was? daß er uns den Diamant für uns ganz allein gegeben hat?« entgegnete Caderousse beinahe närrisch vor Freude.

»Ja.«

»Nichts kann wahrer sein, als dies.«

»Und wenn er falsch wäre?« sagte sie.

Caderousse erbleichte und wankte.

»Falsch,« murmelte er, »falsch . . . Und warum sollte mir dieser Mann einen falschen Diamant gegeben haben.«

»Um Dein Geheimnis zu besitzen, ohne es zu bezahlen, Schwachkopf.«

Caderousse blieb einen Augenblick betäubt unter dem Gewichte dieser Mutmaßung. Bald aber nahm er seinen Hut, setzte ihn auf das rote um seinen Kopf gewickelte, Taschentuch und rief:

»Ob! wir werden das wohl erfahren.«

»Auf welche Art?«

»Es ist Messe in Beaucaire, es sind Juweliere von Paris dort, ich will ihnen den Stein zeigen. Hüte das Haus, Frau, in zwei Stunden bin ich zurück.«

Und er stürzte aus dem Hause und lief auf der Straße fort, der entgegengesetzt, welche der Unbekannte eingeschlagen hatte.

»Fünfzigtausend Franken,« murmelte die Carconte, als sie allein war, »das ist Geld . . . aber es ist kein Vermögen.«

6

Schwachheit, dein Name ist Weib.

Der Graf von Monte Christo

Подняться наверх