Читать книгу Verbrechen und Wahrheit (eBook) - Alex Marzano-Lesnevich - Страница 18

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New Jersey, 1985

Wochen vergehen, Monate, ein Jahr. Die Erinnerung an diesen seltsam falschen Nachmittag, an dem meine Mutter schreiend über den Rasen lief, und die an das Geräusch meines Großvaters auf den Treppenstufen in der Nacht – sie sitzen beide in meinem Inneren wie in einem Kokon, der sie vor der Hitze des Sommers schützt. Ich halte von innen her den Atem an, damit das, was darin ist, nicht in Flammen aufgehen kann.

Kurz bevor wir an Ostern zum Haus meiner Großeltern fahren, wo wir um ihren großen Holztisch herum sitzen, um von meinem Großvater zubereitete Manicotti zu essen, die er in dünne Scheiben Rindfleisch eingeschlagen hat wie in Geschenkpapier, geben meine Eltern uns jedes Jahr Körbe mit jeweils einem Ei darin. Die Schalen der Eier sind aus weißem Zucker, der an den Rändern gefärbt und glasiert ist. In ihrem Inneren verbergen sich winzige Szenen aus Zuckerwerk: ein Küken im Nest oder ein Osterhase mit einem Korb. Jede dieser kleinen Szenerien ist ein delikates Kunstwerk. Aber die Schale ist, obwohl aus Zucker gemacht, nicht zerbrechlich. Sie ist hart und fest.

Das Schweigen ist genauso. Es beschützt die leuchtenden Momente ebenso wie die verwirrenden. Zum Beispiel die Nächte, in denen mein Mund ganz trocken ist vor Durst und ich meinen Mut zusammennehme und die dunkle Treppe hinuntersteige, um mir in der Küche ein Glas Wasser zu holen. Dort sitzt mein Vater mit einer großen Glasschüssel voller Kartoffelchips am weißen Küchentisch. Vor ihm steht eine leere Weinflasche und daneben eine zweite, angebrochene. Auf dem Boden zu seinen Füßen liegen leere Eisverpackungen herum. Der Fernseher kündigt lauthals ein neues Programm an. Mein Vater lächelt schief, als ich den Raum betrete.

»Alles in Ordnung, Schatz?«, fragt er dann.

So milde ist er sonst nie, und deshalb erzähle ich es ihm manchmal. »Ich habe schlecht geträumt«, sage ich. Ich habe von Hexen geträumt, die mich im Schlaf holen kommen.

»Geh wieder ins Bett. Ich hab dich lieb. Komm her«, sagt er, und ich gehe zu ihm und küsse ihn auf die Wange.

So ist er mir am liebsten, er ist sanfter als zu irgendeinem Zeitpunkt tagsüber. Aber ich weiß, dass er sich am Morgen an nichts davon erinnern wird. Am Morgen werden diese Augenblicke schon verwischt, nichts anderes als ein ferner, unwirklicher Traum sein.

Der Morgen, voll Licht und greifbarer Wirklichkeit, ist die Zeit des Handelns. Er kauft ein neues Lautsprecherset und installiert es im Haus, mit einer gesonderten Fernbedienung für Küche und Wohnzimmer. Er putzt oben seine Schuhe, weigert sich, die Anrufe von Gläubigern entgegenzunehmen, und lässt seine Opernmusik durchs ganze Haus schallen, manchmal so laut, dass mir die Ohren wehtun. Er und meine Mutter sitzen am Küchentisch und planen Feiern, mit denen sich mein Vater bei den Menschen in dieser Stadt einen Namen machen will, und meine Mutter bringt mir bei, wie man Brie in die Mitte eines Endivienblattes schmiert, Sauerrahm auf einem Cracker anrichtet und ein perfektes Nest aus Kaviar in die Mitte setzt. Auf diesen Partys grinsen die Leute übertrieben breit, zeigen ihre Zähne, und jedermanns Atem riecht nach Wein.

In diesem Sommer beschließt mein Vater, für den Stadtrat zu kandidieren. Sie haben uns passende T-Shirts für die Parade am 4. Juli machen lassen: Sie sind rot, und die daraufgebügelten, flauschigen weißen Buchstaben formen die Worte »Mein Daddy für den Stadtrat«. Das T-Shirt meiner Mutter passt ebenfalls dazu, aber auf ihrem steht nur »Drew«. Auf dem Bild von uns, das während der Parade aufgenommen wurde, blinzeln wir in unseren roten T-Shirts, die in den Bund unserer Shorts gesteckt sind, in die Sonne. Meine Schwester Nicola schwenkt eine winzige amerikanische Flagge. Ich stehe ein bisschen abseits vom Rest der Familie, die reflektierende Sonne auf meinen Brillengläsern verbirgt meine Augen. Meine Locken sind zu kurz geschnitten und ringeln sich um meinen Kopf. Einen Arm habe ich um meinen Oberkörper geschlungen; ich lächle nicht. Ich halte meinen Ellbogen mit der anderen Hand, versuche, mich selbst zusammenzuhalten.

Ich bin in jenem Sommer steif und unbewegt wie eine Schmetterlingslarve im Kokon. Wie verpuppt. Spüre ich, dass das Schweigen nicht ewig dauern kann? Ist es das, worauf ich warte? An den Nachmittagen, an denen mein Vater den Rasen mäht, ist die Luft plötzlich schwer vom grünen Staub des Grasschnitts, sie riecht streng und modrig, drückend und lauernd. Das Warten fühlt sich ebenso an. Es legt sich auf meine Lungen. Es drückt auf meinen Brustkorb.

Dann überschreitet der Sommer seinen Zenit und beginnt seinen langsamen Abstieg in Richtung Herbst. Im Gemüsegarten, den mein Vater angelegt hat, schießt das Basilikum in die Höhe. Die Rankgitter biegen sich unter dem Gewicht der Bohnen, deren Samen schwer herabhängen, und die Salatköpfe in ihren ordentlich angepflanzten Reihen werden fett und rund. Der Mais steht aufrecht, während die Sonnenblumen die Köpfe hängen lassen. Eine nach der anderen schneiden wir sie ab, und meine Mutter röstet die Blüten im Ofen, bis die Sonnenblumenkerne die Küche mit ihrem nussigen Duft erfüllen. Jeden Abend kommt jetzt das, was wir gemeinsam essen, aus dem Garten; es ist wie ein Wettrennen, bei dem wir versuchen, der Überfülle Herr zu werden, ehe alles verdirbt.

An einem dieser Abende sitzt meine Mutter in einem ärmel­losen weißen Sweatshirt am Ende des Campingtischs. Ihre Arme sind braun von der Sonne. Ich bekomme als Kind immer Sonnenbrand, aber als ich etwa dreißig bin, werde auch ich auf einmal braun, egal, wie oft am Tag ich mich mit Sonnencreme einreibe – als ob sich meine Haut plötzlich zu meiner Mutter bekennen wollte. Mein Vater hat ihr gegenüber auf einem Stuhl Platz genommen, den wir herangezogen haben. Meine Geschwister und ich sitzen auf den Bänken, zwei auf jeder Seite. Mir fällt auf, dass das immer so ist, dass wir perfekt um unsere Besitztümer passen, dass da niemals mehr Platz ist, als wir sechs brauchen. Meine Mutter tischt Nudeln auf, Pesto, Zucchini mit Parmesan und Oregano. Der Geschmack – süß und klar und würzig – bleibt sich immer treu: Es ist der Geschmack des vergangenen Sommers und des Sommers davor und der Sommer, die kommen werden.

Aber diesmal legt sie den Servierlöffel plötzlich fort und sieht in die Runde.

Wie sie anfängt, welche Worte sie genau benutzt, weiß ich nicht mehr. In unserem Haushalt ist mein Vater sowohl der tragende Balken als auch die Axt, sowohl der zerklüftete Felsen als auch die Brandung, die sich dagegenwirft, und als Kind sind meine Antennen immer auf ihn eingestellt, auf seine Worte und seinen Gemütszustand, niemals auf meine besonnene Mutter. Der Abendbrottisch untersteht seinem Kommando, hier hält er Hof, erklärt er uns die Welt, redet er über Politik und fremde Länder und die Werte, die er uns vermitteln will. Meine Mutter ist ruhig. Jahre werden vergehen, ehe mir klar wird – mit einem Ruck, als ob mein Blick auf die eigene Welt plötzlich einen neuen, scharfen Fokus bekommt –, wie klug sie ist.

»Hörst du mir zu?«, fragt sie mich an diesem Abend. »Dein Vater und ich haben euch etwas zu sagen.«

Was für ein gewichtiger Satz. Seine Ernsthaftigkeit ist wie ein Warnschild. Etwas in ihrer Stimme sagt mir ganz deutlich: Was immer sie zu sagen hat, ich will es nicht hören. Die Luft schwirrt ohnehin schon von so viel Ungesagtem, und ich bin bis zum Rand angefüllt mit meinem eigenen Geheimnis. Etwas schnürt mir die Kehle zu. Kann sie nicht sehen, dass diese Nacht licht ist, mit einer sanften Brise und dem Widerschein der untergehenden Sonne? Geigenmusik von Vivaldi strömt aus den Lautsprechern, die mein Vater in den Zweigen der Bäume angebracht hat. Niemand streitet, mein Vater schreit nicht, und meine Großeltern sind weit weg, jenseits der Brücke in New York.

Mach es nicht kaputt, denke ich.

»Ich brauche einen Pullover«, sage ich. Ich stürze mich mit triumphierender Stimme in diese Erwiderung, die mir wie ein Erfolg vorkommt.

»Muss das gerade jetzt sein?«, fragt sie.

»Mir ist kalt.«

Sie seufzt. »Beeil dich.«

»Mir ist auch kalt«, sagt meine kleine Schwester Elize.

»Dann bring deiner Schwester auch einen Pullover mit«, fordert meine Mutter mich auf. »Nimm einfach den erstbesten, den du finden kannst, es ist nicht so wichtig.« Ihre Stimme ist abgehackt und barsch – es ist die Spannung, denke ich später, der Versuch, noch eine Minute lang zurückzuhalten, was schon viel zu lange unterdrückt worden ist.

Das Haus versinkt um mich herum in formlosen Schatten. Im Halbdunkel ist das einzige Geräusch, das ich hören kann, das immer gleiche geisterhafte Knarren in den Wänden, die sich setzen, und das ständige Schwirren des Deckenventilators, dessen metallene Rillen sich oben über dem Treppenabsatz öffnen und schließen. Ich gehe diese Treppe im Dunkeln niemals alleine hinauf. Es ist undenkbar. An den Abenden, an denen wir unten in der Küche essen und eines meiner Geschwister das untere Bad benutzt, sagt mir meine Mutter manchmal, ich solle nach oben gehen. Dann verlasse ich die Küche und warte still in der Dunkelheit des Esszimmers, zähle langsam bis vierzig und gehe dann wieder hinein. Manchmal trete ich mit den Füßen fester und dann weniger stark auf, dann wieder stärker, damit es klingt, als ob ich mich entferne und wieder näher komme. Manchmal sagt sie, wenn ich mich wieder an den weißen Küchentisch setze: »Das ging ja schnell«, und dann warte ich beim nächsten Mal länger. Ich kann ihr nicht erzählen, warum ich einfach nicht nach oben gehen kann.

Ein paar Jahre später, wenn ich in der fünften Klasse bin, werde ich im Zimmer der Schulpsychologin sitzen. Es ist eine Routine­angelegenheit, eine Besprechung mit jeweils zwei Kindern, die nach dem Alphabet ausgewählt wurden. Der Junge, der mit mir im Raum ist, gehört zu den beliebten Schülern: hochgewachsen, agil und braun gebrannt, einer, der den Fußball genau so trifft, dass er hoch und weit durch die Luft fliegt.

»Und, seid ihr aufgeregt, dass ihr nächstes Jahr in die Mittelschule kommt?«, will die Psychologin wissen.

Der Junge sieht sie an, als wäre sie verrückt. Er weiß schon jetzt, dass er nie wieder so beliebt sein wird wie jetzt.

»Ich freue mich«, platze ich heraus. »Da werden so viele Kinder sein.«

Sie lächelt mich an.

»Da kann ich mich unsichtbar machen«, sage ich.

Mich unsichtbar machen können, das ist es, was ich mir jedes Mal wünsche, wenn mein Großvater sich auf meine Bettkante setzt. Seine braunen Augen blicken in meine, dann verzieht er das Gesicht und spuckt seine Zähne auf seine Handfläche. Er hält sie mir hin. Die Prothese glänzt wie eine Kreatur aus dem Meer. Er grinst. Sein Mund ist plötzlich ein feuchter, pinkfarbener Rand um ein schwarzes, leeres Loch herum. »Siehst du«, sagt er, obwohl er mir das schon oft gezeigt hat. »Ich bin eine Hexe. Vergiss das nicht. Wenn du irgend­jemandem etwas verrätst, werde ich kommen und dich holen. Immer. Sogar, wenn ich tot bin.«

Ich drehe meinen Kopf weg und richte meine Augen auf den gelben Rock einer Puppe, die gleichzeitig eine Lampe ist. Ihr Körper erhellt den Rock, lässt ihn zu einem formlosen, hellen Gelb verschwimmen. Es brennt im Dunkel des Raumes, und während er seine falschen Zähne auf den Nachttisch legt und seine Hände nach dem Saum meines Nachthemds tasten und dann den Stoff von meinen plötzlich ganz kalten Beinen heben, starre ich in das Gelb und versuche, in der Flamme aufzugehen, mich aufzulösen. Seine Hand wandert auf meinem Bein nach oben. Mit der anderen zieht er den Reißverschluss seiner Hose herunter. Ich blicke das Licht so starr an, dass die Luft um mich herum in Stücke bricht, zerbirst. Ich fühle, wie er meine Unterhose herunterzieht. Ich fühle seine Finger. Die Luft zersplittert in einzelne Moleküle. Es ist wieder kalt zwischen meinen Beinen, seine Hand hat sich bewegt – und dann ist sie zurück, umklammert einen dicken Teil von ihm. Er hält meine Beine auseinander. Er reibt sich an mir.

Um mich herum drehen sich die Moleküle in einem wilden Strudel. Ich fühle, wie ich mit ihnen zerbreche.

Noch heute hasse ich die Farbe Gelb.

Aber als das Kind, das barfuß in dem dunklen Esszimmer steht, während draußen der Sommerabend langsam sein Licht verliert, habe ich mehr Angst vor dem, was meine Mutter sagen wird. Und deshalb gehe ich.

Ich haste die Treppe hinauf und versuche, das Knarren der Stufen nicht zu hören. Stattdessen zwinge ich mich, mich auf das Surren des Ventilators zu konzentrieren. Seine Rillen öffnen und schließen sich in einem langsamen Brüllen, sein Atem ist ein kaltes Nichts da­runter. Das Schlafzimmer meiner kleinen Schwester erinnert an einen Dachboden; es hat eine schräge Wand und ist eigentlich ein Korridor. Ich muss durch ihr Zimmer hindurchgehen, um in meines zu kommen. Es ist derselbe Weg, den mein Großvater nimmt, wenn er nachts nach oben kommt. Auf ihrer Kommode liegt ein flauschiger Pullover von der Farbe eines Kükens; seine Ärmel sind nach hinten gefaltet wie Flügel. Ich bleibe stehen. Das Gefühl, mit dem ich ihn anstarre – sein fahles Gelb in der Dunkelheit, mein Körper, der still und leer sein muss –, dieses Gefühl wird für immer da sein. Dann treffe ich eine Entscheidung: Ich werde meiner Mutter sagen, dass ich nicht gleich einen Pullover finden konnte. Ich werde ihr sagen, dass ich erst danach suchen musste. Hinter mir ist Elizes Kinderbett. In meiner Vorstellung presst sich dieses Bett gegen meinen Rücken, ich kann es spüren. Das Wissen, dass auch er hier steht. All die Male, die ich ins Zimmer meiner Schwester gekommen bin und gesehen habe, wie er sich über sie beugte. Ich kämpfe gegen die Gedanken, will ganz leer sein.

Dann muss ich wegrennen.

Ich schnappe mir in meinem Zimmer einen blauen Pullover – meine Lieblingsfarbe. Zurück durch das Zimmer meiner Schwester, unter dem Ventilator durch, die Treppe hinunter. Ich fliehe. In dem dunklen Esszimmer halte ich an, fühle den Holzboden kühl und glatt unter meinen Füßen. Mein Körper ist reglos. In der Stille ist das Schlagen meines Herzens so laut wie der Ventilator.

Zaudern. Ich zaudere immer noch.

Dann gehe ich nach draußen.

Als ich auf die Veranda hinaustrete, bemerkt mich meine Mutter und winkt mich zu sich.

»Warum hat das so lange gedauert?«, ruft sie. »Komm, setz dich.« Nach dem glatten Boden im Haus fühlt sich das Gras uneben an und sticht in meine Fußsohlen; das helle Licht hier draußen trifft mich wie aus weiter Ferne. Ich rutsche auf die Bank mit ihrem abgesplitterten Holz und reiche meiner Schwester den flauschigen Pullover. Mein Körper sitzt da, aber eigentlich bin ich nicht hier, nicht wirklich.

»Euer Vater und ich müssen euch allen etwas sagen«, sagt sie.

Es kann nicht um meinen Großvater gehen. Sie kann nichts davon wissen. Kann es noch ein anderes Geheimnis geben?

»Ihr alle hattet eine Schwester«, sagt sie. »Ihr Name war Jaqueline. Sie war Andrews und Alexandrias Drillingsschwester.«

Meine Mutter benutzt niemals unsere vollen Namen. Mein Bruder ist Andy und ich, auch wenn ich es hasse, bin Ali. Dass sie diese Worte benutzt, zeigt mir mindestens ebenso sehr wie das, was sie sagt, wie gravierend das Ganze ist. »Erinnert ihr euch, wie wir euch gesagt haben, dass Andrew und Alexandria krank waren, als sie geboren wurden?« Nicola sitzt mit großen Augen da wie eine Schülerin im Unterricht und nickt. Das ist es, was sie uns erzählen, wenn mein Bruder ohnmächtig wird: dass er krank war, als er ganz klein war, und dass das nur die Spätfolgen davon sind. Das ist es, was sie uns erzählen, wenn plötzlich die Nachbarin auftaucht, um auf uns aufzupassen, und meine Mutter die Reisetasche aus dem Schrank zerrt. »Nun, Jaqueline war auch krank, aber bei ihr war es zu schlimm. Sie war zu klein. Sie starb, als sie fünf Monate alt war.«

Und ein höchst eigenartiges Gefühl ergreift mich: Ich wusste es bereits.

Später am Abend, nachdem unsere Eltern uns ins Bett gebracht haben, liege ich in dem Zimmer, das ich mir mit Nicola teile, wach.

»Ali?«, sagt sie. Heute Nacht lasse ich zu, dass sie mich so nennt. »Werden wir auch sterben?«

»Nein«, sage ich. »Psst. Schlaf jetzt. Wir werden nicht sterben.«

»Aber sie ist gestorben.«

Ich denke darüber nach. »Ja, aber wir nicht. An dieser Sache stirbt man nur, wenn man klein ist. Wir sind jetzt groß.« Ich bin sieben und sie fünf. »Wir sterben nicht.«

Als ich das sage, wird mir plötzlich bewusst, dass ich lüge. Dass wir alle eines Tages sterben werden. Ich hoffe, dass sie das nicht weiß. Ich hoffe, dass sie das niemals wissen wird.

»Versprochen?«, fragt sie.

»Versprochen«, antworte ich. Danach ist meine Schwester still. Aber ich liege in der Dunkelheit noch lange wach. Woher wusste ich von dem Mädchen?

Verbrechen und Wahrheit (eBook)

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