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IN DER ABSTELLKAMMER Die ersten Schritte bei Borussia Mönchengladbach

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Der Alltag schmeckte wie altes Papier. Tagelang lag ich einfach auf meinem Bett und starrte an die Decke. Morgens musste ich mich regelrecht aus dem Haus quälen, um zur Maloche zu gehen. Der Traum vom Fußballprofi war ausgeträumt, jedenfalls für mich. Meine Zukunft würde ich nun an der Werkbank ausfechten dürfen. Knapp 14 Tage waren seit der vernichtenden Information aus Wanne-Eickel vergangen, langsam aber sicher hatte ich mich mit der neuen Situation abgefunden, da klingelte das Telefon. Ich nahm ab. »Busch hier, grüß dich Uli!« Bernd Busch, ein Mitarbeiter vom Finanzamt, fußballverrückt, ich hatte ihn während meiner Zeit beim SSV Kalthof mal kennengelernt.

»Gute Neuigkeiten, Uli. Ich kann dir ein Probetraining bei Borussia Mönchengladbach besorgen. Ich habe zufällig die Nummer vom Jupp Heynckes, kenne den auch ein bisschen. Das dürfte also kein Problem sein!«

Na klar, dachte ich mir. Noch so ein Irrer mit angeblich autobahndicken Verbindungen in die Fußball-Szene. Aber was hatte ich schon zu verlieren?

»Herr Busch, das klingt super. Machen sie mal.«

Ich hatte eigentlich fest damit gerechnet, nie wieder von Bernd Busch zu hören, doch dann klingelte zwei Wochen nach unserem ersten Gespräch tatsächlich wieder das Telefon.

»Busch hier. Uli, nächste Woche fahren wir beide zum Probetraining nach Mönchengladbach!«

Ich war viel zu perplex, um mich anständig zu bedanken, sagte nur: »Dann fahren wir da mal hin«, legte auf und konnte es nicht fassen. Noch vor wenigen Wochen schien die große weite Fußball-Welt für mich unerreichbar, jetzt sollte ich bei einem der besten Clubs der Bundesliga vorspielen. Mir wurde richtig schwindelig. Als ich mich wieder etwas beruhigt hatte, jagte ich los und klatschte meinen Kumpels die sagenhafte Neuigkeit um die Ohren. Hatte ich auf neidische Blicke oder Jubelstürme gehofft, wurde ich bitter enttäuscht.

»Na klar. Und nächste Woche unterschreibst du bei den Bayern!«

Hohn und Spott kübelten sie über mir aus. Dass ich tatsächlich zum Probetraining am Bökelberg eingeladen worden war, wollte mir niemand glauben.

Und ehrlich gesagt: Ich selbst glaubte bis zur letzten Sekunde, dass Herr Busch den Mund einfach zu voll genommen hatte und wir spätestens von der Gladbacher Empfangsdame wieder nach Hause geschickt werden würden. Aber nein, man erwartete uns tatsächlich. Steif wie ein Brett stand ich im Eingangsbereich, sah die Profis mit ihren glänzenden Wagen vorfahren, die Trainingstaschen lässig geschultert. Wolf Werner, damals Co-Trainer von Jupp Heynckes, begrüßte mich und führte mich in den Kabinentrakt. In einem kleinen Kabuff, in dem die Putzfrauen Wischlappen und Eimer lagerten, durfte ich mich umziehen. Durch die halb geöffnete Tür sah ich die Helden zu ihren angestammten Plätzen schlurfen. Lothar Matthäus, Wilfried Hannes, Hans-Günther Bruns. Weltstars für einen Frischling wie mich! Und ganz hinten, in der Abstellkammer, saß ich. 17 Jahre alt, lange Haare, Milchgesicht. Ein Niemand neben Besen und Kehrblech.

Fast ehrfürchtig zog ich mir die vom Verein bereitgestellten Trainingsklamotten über, schnürte die Schuhe und stellte mich mit den Profis von Borussia Mönchengladbach in einen kleinen Bus, der uns zum Trainingsgelände fuhr. Noch immer hatte niemand auch nur ein Wort mit mir gewechselt. Für die etablierten Fußballer schien ich nur Luft zu sein. Endlich erreichten wir den Trainingsplatz. Cheftrainer Jupp Heynckes begrüßte mich kurz und knapp und kündigte dann die Trainingsform des Tages an: »Schusstraining.«

Schusstraining! Wenn ich etwas konnte, dann ja schießen wie ein Ackergaul. Hoffnungsvoll drückte ich den Rücken durch und zog noch einmal die Schnürbänder meiner Schuhe fest. Heynckes und Wolf Werner legten uns die ersten Bälle auf. Im Tor standen abwechselnd Wolfgang Kleff und Wolfgang Kneib, knapp zwei Meter groß, ein Riesenkerl. Mein erster Schuss. Kraftvoll trat ich gegen den Ball und verfolgte entsetzt die Flugbahn. Wie eine Rakete der NASA sauste das Leder über das Tor, über die Laufbahn, über den Fangzaun, über die dahinter verlaufende Straße und rein in die angrenzenden Gärten. Der nächste Versuch, diesmal mit links, dieselbe Flugbahn. Fangzaun, Straße, Garten. Heynckes starrte mich an: »Ich habe ja schon vieles gesehen, aber das es jemand schafft mit links und rechts den Ball bis in die Gärten zu donnern, hätte ich bis heute nicht für möglich gehalten!« Verzweifelt versuchte ich anschließend die Bälle in und nicht über das Tor zu befördern, doch die Anzahl meiner Schüsse, die tatsächlich ihr Ziel erreichten, war erschreckend gering.

Das Training war vorbei. Fix und fertig ließ ich das Duschwasser auf meinen Kopf trommeln. Das war meine große Chance gewesen und ich hatte es eindeutig versaut. Mit der Kraft und Streuung einer Schrotflinte in den Beinen konnte ich vielleicht auf der Kirmes auftreten, aber doch nicht in der Bundesliga! Die Kabine war längst leer, als ich noch immer mit meiner kleinen Sporttasche zwischen den Beinen auf meinem Platz hockte. Die Tür ging auf, Jupp Heynckes stand neben mir. Ein paar letzte Worte, dann würde ich mich wieder Richtung Oeser Ascheplatz verabschieden können.

»Tja, wirklich getroffen hast du ja nichts.«

Ich wollte nur noch weg.

»Aber ich habe durchaus etwas erkannt, dass sich meiner Meinung nach lohnt, zu fördern. Wäre schön, wenn du in zwei Wochen noch einmal bei uns zum Training vorbeischaust!«

Ich wäre fast in die Putzeimer gestolpert.

Zwei Wochen später stand ich wieder bei den Borussen auf der Matte. Die Pause hatte ich genutzt, um auf dem Ascheplatz vom FC Oese Sonderschichten zu schieben. Sprinttraining, Schusstraining, Ausdauertraining, mein persönliches Fitnessprogramm. Jetzt würden sie mich auch nicht mehr loswerden, das hatte ich mir auf dem Heimweg nach dem ersten Probetraining geschworen. Grußlos blickten die Profis an mir vorbei, als ich die Kabine betrat. Wieder musste ich mich in das Kabuff hocken, mein Stammplatz für die kommenden Wochen. Diesmal saß ich allerdings nicht alleine in der Abstellkammer. Mein Nebenmann hieß Peter Loontiens, ein schmaler Kerl aus Dinslaken mit ziemlich großer Klappe. Munter plauderte er vor dem Training mit den anderen Spielern, machte Scherze und verteilte Schulterklopfer, während ich stumm wie ein Fisch auf meine Fußspitzen starrte. Der musste einer von den Profis sein, auch wenn er mir beim ersten Training gar nicht aufgefallen war. Aber so selbstbewusst, wie er sich in der Kabine gab, hatte ich keine Zweifel an seiner Zugehörigkeit zur Elite.

Statt Schusstraining forderte uns Jupp Heynckes diesmal zu einem Testspielchen auf. Natürlich war ich heiß wie Frittenfett, solch eine Schande wie vor zwei Wochen sollte mir nicht noch einmal passieren. 20 Minuten waren gespielt, als Peter Loontiens den Ball bekam und in Richtung unseres Tores dribbelte. Ich setzte zur Grätsche an, kam jedoch ein paar Augenblicke zu spät und trat den guten Peter ziemlich wüst über den Haufen. Er drehte einen doppelten Salto und musste vom Platz getragen werden. Jetzt hatte ich auch noch einen der Profis verletzt, na prima! Als ich wenig später durchgeschwitzt in die Kabine zurückkehrte, lag da schon Loontiens und brüllte mich an: »Was bist du denn für ein Arsch, dass du mich hier kaputttrittst? Wie soll man sich im Probetraining anbieten, wenn man gleich ins Krankenbett gegrätscht wird?!« Von wegen Profi, Peter war auch nur auf Probe hier, genauso wie ich. Das machte die Sache natürlich nicht besser, schließlich hatte mein Einsatz einen Adduktorenanriss für Peter zur Folge. Dass sein Schaulaufen bei der Borussia trotz dieses Trainingsunfalls erfolgreich für ihn enden sollte, konnte ich zu diesem Zeitpunkt nicht wissen. Es war mir allerdings auch egal. Diesmal hatte ich es verbockt, so viel war klar. Wieder hockte ich einsam in meinem Raum und starrte Löcher in die Eimer, wieder tauchte irgendwann Jupp Heynckes auf. Wieder machte er mir neue Hoffnung.

»Nicht schlecht, Uli, nicht schlecht. Aber du musst noch einmal kommen, ich will noch mehr von dir sehen.«

Machen wir es kurz: Noch weitere drei Mal tauchte ich zum Probetraining in Mönchengladbach auf. Insgesamt fünf Trainingseinheiten absolvierte ich mit den Profis, ohne dass auch nur einer mit mir gesprochen hätte. Ich kann es den Jungs heute nicht übel nehmen, für sie war ich nur der Typ, der sich bei der Putzfrau umzog. Dann, endlich, nach Probetraining Nummer fünf, legte Heynckes die Karten auf den Tisch. Sie wollten mich haben! Ich unterschrieb einen Einjahresvertrag als Edelamateur, der mich zwar nicht zu einem vollwertigen Profi, dafür aber zu einem hoffnungsvollen Nachwuchsmann machte, der nun eine Saison lang Zeit hatte, sich mit der zweiten Mannschaft in der Oberliga zu empfehlen. Und die 2500 DM brutto erhöhten mein bisheriges Gehalt um das Fünffache. Aus dem kleinen Oese in die Abstellkammer von Borussia Mönchengladbach, von der Abstellkammer zum ersten Vertrag. So konnte es weitergehen.

Uli Borowka - Volle Pulle

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