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XI

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Wildnis Zentralgromien, 2.Juli 2.325, 12.Stunde

Es war vor allem Wut, die sie trieb. Wut auf die tumben Terkonnier, die sie und die Mädchen gefangen hatten, Wut auf sich selbst, dass sie sich so einfach überrumpeln hatte lassen. Wut, Fesseln und Knebel nicht loswerden zu können. Der Knebel wurde von Minute zu Minute unerträglicher, der knebelnde Ballen voll gesogen mit ihrem eigenen Speichel, der Knoten des Sicherungstuchs an ihrem Nacken ebenso unangenehm. Schließlich Wut, in dieser Lage, wo es um ihre Freiheit, ihr weiteres Leben ging, ständig sich nach einer Zigarette zu verzehren, in den Fängen der Sucht so bindend wie Seil und Tuch um ihren Körper.

Die Wut gab ihr jedoch auch Kraft, und wo die junge Offizierin und die wehrpflichtigen Miepbabies sich in ihrer Hilflosigkeit suhlten, hatte sie gehandelt, als die Chance kam.

Gamma-Legilalita – Feldwebelin 3.Grades – Malesha Smirnov war eine entschlossene, zielstrebige Person, die in der Legion ihr Khakumon so fest im Griff hatte wie die jungen, ihr anvertrauten Mädchen im Wehrdienst und ihre, nominell vorgesetzte, Offizierin.

Auf ihr Reittier zumindest war Verlass, und dies war ihr auch als hilfloses „Paket“, wie die Männer gefangene Frauen so gerne nannten, geblieben, ein Fehler der Feinde, den sie bedauern sollten. Klug, schnell und ausdauernd war Sakasha – „Wind“ auf fenlorisch – und emphatisch wie die Khakumons waren, spürte es der Herrin Freiheitsdrang und flog dahin über die gromische Ebene.

Der Wald, mächtige Ollvonen-Bäume und Riesenfarne, war nah, und dort konnte sie die Verfolger abzuschütteln hoffen. Allein, die Bande musste sie irgendwie loswerden. Das Messer in ihrem Stiefelschaft hatten die Terkonnier gleich entfernt, den Trick kannten sie leider nur zu gut, zu alt war er.

Doch auch sie kannte das Geschäft. Wohlbekannt war es, dass die Phallokraten ihre weiblichen Feinde lieber fingen als erschlugen, und ihre Obsession mit Fesseln war auch nicht neu. Eine kluge Kriegerin stellte sich darauf ein, und so war Malesha wohl geübt in der Kunst des Entfesselns.

Jeden Morgen vor dem Aufbruch hatten die Krieger ihre Gefangenen kurz befreit, damit sie sich recken und strecken und die Glieder massieren konnten, natürlich bedroht von aufgelegten Pfeilen allzeit. Genau beobachtet hatte die Fenlora die Feinde, geschickt Sorge getragen, dass der offensichtliche Pechvogel der Gruppe, ein appetitlicher Blonder, jedes Mal ihre erneute Fesselung besorgte.

Er war ein Mann, also hielt er sich für besser als er war, zudem ein Gewohnheitstier wie die Kerle alle. Jedesmal gleich die Fesselung, exakt geknüpft die Knoten. Sie war sicher, sich frei winden zu können, sollte sie nur einige Minuten Zeit haben.

In immer schnellerem Rhythmus zerfurchten Sakashas Klauen den fruchtbaren Boden, grasbewachsene Erdbrocken flogen hinter Tier und Reiterin auf. Maleshas Nasenflügel blähten sich, schwer war es, mit dem Knebel tief Luft zu holen. Sie sah zurück. Ihr Vorsprung wuchs. Sie war nun sicher, den Wald zu erreichen weit vor den beiden Kriegern, die ihr folgten. Groß und schwer waren die Männer, trugen zudem die Ankylo-Brustpanzer, viel leichter zwar als die Metallrüstungen alter Zeiten, doch schwer genug, um einen Unterschied auszumachen. Außerdem waren ihre Tiere natürlich Männchen.

Männer waren oft so dumm, ein Wunder, dass die Legionen des Zaijats ganz Terkonnia nicht schon vor Jahrhunderten in Schutt und Asche gelegt hatten. Jeder, der ein Tierkundebuch auch nur flüchtig durchblätterte, musste wissen, dass bei allen Saurierarten, so auch den Khakumons, die Weibchen größer und stäker waren als die Männchen. War das Tyrannopärchen, dessen Auftauchen die Legilalita ihre Fluchtmöglichkeit verdankte, dafür nicht ein Beispiel gewesen?

Dennoch, da die Männchen in der Regel aggressiver waren, zogen die Terkonnier männliche Reittiere vor. Auf Ausdauer, Tragkraft und Schnelligkeit kam es bei Reittieren an, zudem wurden Weibchen seltener krank und waren nicht so wehleidig. Die Zylevis, phallokratische Söhne der südlichen Wüste, waren da klüger, auch sie ritten Weibchen. Noch schlimmere Frauenunterdrücker als die Terkonnier waren sie, jedoch weniger zahlreich und mächtig. Wenn Terkonnia vernichtet war, würden auch sie noch an die Reihe kommen, Zarija Alura würde dafür sorgen.

Malesha war eine glühende Verehrerin der stolzen blonden Herrscherin mit dem passenden Namen – „Alura“ bedeutete Stolz. Jedes Kind in Fenlora kannte die Geschichte, wie die Zarjia als Teenager, bettelarm auf der Strasse lebend, bei einem Hausbrand mehrere Bewohnerinnen, ihre eigenes Leben nicht achtend, gerettet. Weniger bekannt war die Tatsache, dass die heutige Zarija in jener Nacht in diesem Haus war, um zu stehlen. Malesha wusste dies auch nicht, doch hätte sie es gewusst, es hätte sie nicht schockiert. Von der kleinen Diebin zur Lenkerin des mächtigsten Matriarchats der Welt, diese Geschichte beflügelte die Phantasie.

Das Khakumon erreichte den Waldsaum, verlangsamte ohne Maleshas zutun, suchte geschickt den Weg zwischen Baumstämmen, Farnwedeln und dichten Sträuchern. Das Ptack-Ptack zahlreicher Ptackas erklang, eine Gruppe Babysaurier schauten von der Mahlzeit an einem Talquijehain auf, aufgeregt muhten die kleinen Brontos, blieben hinter Khakumon und Reiterin zurück.

Die Spuren waren ein Problem, nicht zu vermeiden die furchigen Abdrücke der Klauen im Waldboden. Ein Wasserlauf fehlte zum Glück. Die Jikaila war bekanntlich mit den tüchtigen Schwestern, und da hörte Malesha schon das Plätschern in der Nähe, leicht links.

Sanfter Schenkeldruck lenkte Sakasha dorthin, das Tier setzte über einen Strauch, aufgeregtes „Mupp! Fuwupp!“ erklang, zwei Fuwupp-Mupps, bei intimem Beisammensein gestört, gaben ihrer Empörung Ausdruck.

Da war das kleine, munter dahin fließende Flüsschen, weiße, ragende Steine zeigten sich über der Oberfläche des klaren Wassers. Mit einem Satz war das Khakumon im seichten Flusse, von Malesha nach rechts dirigiert, nun langsamer werdend. Die Fenlora setzte sich auf, schüttelte ihre langen braunen Locken zurück und ließ Sakasha einfach ungesteuert durchs Wasser staksen.

Baumeistermieps, eine Rasse der kleinen Saurier, die aus Treibgut gewaltige Nester an Wasser baute, beäugten misstrauisch das Khakumon samt Reiterin. Sakasha beugte den Kopf und soff.

Die Fenlora lauschte auf ihre Verfolger. Nur das Plätschern des Wassers, der Ptackas Laute und angeregte Diskussionen der ansässigen Fuwupp-Mupps drangen an ihr Ohr. Sie konzentrierte sich einen Moment, und begann dann zielgerichtet mit den lederumhüllten Fingern an den Knoten zu arbeiten, die ihre Handgelenksfesseln am Sattel hielten.

Schnell lösten sie sich. Seil, zumal weißes, sah ansprechend auf der schwarzen Lederkleidung fenlorischer Soldatinnen aus, war aber viel leichter zu lösen als dünne Lederriemen, von Klebeband, an Effektivität unübertroffen, ganz zu schweigen. Eine weitere dieser typisch männlichen Dummheiten.

Einige Minuten dauerte es wohl, Malesha unterbrach sich immer wieder um intensiv zu lauschen, doch nichts deutete auf die beiden Terkonnier hin, dann waren die Seile um Handgelenke und Oberkörper gefallen. Rasch löste die Schöne mit der caramelfarbenen Haut das Tuch im Nacken, zerrte es herab. Der aufgequollene Knebel wollte ihren Mund nicht verlassen, wütend schnaubend zerrte sie ihn mit spitzen Fingern hinaus und ließ ihn ins Wasser fallen. Tat das gut, frei durchzuatmen. Sie bewegte den verspannten Kiefer, zugleich nach den Banden greifend, die ihre Beine an die Steigbügel banden.

Als auch diese gelöst, stieg sie ab, reckte sich und beugte sich zum Flusse, schöpfte Wasser mit den Händen, netzte ihr Gesicht, trank.

So weit, so gut. Jetzt hieß es, die Phallokraten zu finden, sie zu töten und ihnen die Waffen abzunehmen. Entschlossen war sie, ihre Kameradinnen zu befreien und alle Terkonnier zu ihrem großkotzigen Lorn zu schicken.

Sie führte Sakasha aus dem Fluss und band, hinter Sträuchern versteckt, ihre Zügel an den Ast einer mächtigen Ollvone. Die Jagd konnte beginnen. Sicher war sie, dass die beiden Verfolger nicht aufgeben würden. Stur und hartnäckig waren die Männer, das lag ihnen im Blut.

Viel hätte sie gegeben für eine Zigarette, diese jedoch trugen die Kerle bei sich. Ein Grund mehr, die beiden Holzköpfe zu finden.

Einige Minuten schlich die Legilalita durch den Wald, immer in Deckung von Farnen oder Gesträuch, dann hörte sie das Schnauben eines Khakumons in der Nähe. Sie wartete geduldig, und siehe da, die Jikaila war erneut mit ihr. Genau an ihrem Versteck vorbei führte der Weg der beiden Krieger. Vorsichtig waren sie, hatten Pfeile aufgelegt, musterten die Umgebung und den Boden, nach Spuren ihres schönen Wildes spähend.

Der Glatzkopf mit dem höhnischen Grinsen ritt voran, der dunkelhaarige Muskelberg folgte hinterdrein.

Ein Plan musste her, und rasch, bevor sie vorbei waren. Sie würde beim Muskelberg aufspringen, ihm das Genick mit der tödlichen Kante brechen, und, den toten Körper als Deckung vor des Glatzkopf Pfeilen nutzend, die Zügel ergreifen, des Kadavers Gladion ziehen und Grinsemann erledigen.

Die Jikaila half auch den Mutigen, und an Mut mangelte es der schönen Amazone wahrlich nicht.

Allein lehrte frau an den Akademien der Krosuamon die jungen Offizierinnen, die Malesha immer zu belächeln pflegte, dass kein Plan den ersten Kontakt mit dem Feind überlebt, und so verhielt es sich auch mit ihrem.

Schnell verließ sie ihre Deckung, gelangte in raptoremgleichen Satz auf das sich erschreckt bäumende Khakumon, die Linke zum tödlichen Schlag gehoben. Doch der Terkonnier zeigte keine Überraschung, reagierte mit den Instinkten eines Kriegers. Pfeil und Bogen ließ er fahren, der rechte Ellbogen rammte nach hinten, hart wie ein Schmiedehammer fuhr er Malesha in den Magen. Würgend krümmte sie sich, ihre Handkante traf nur die gepanzerte Schulter des Hünen.

Auch der Glatzkopf reagierte rasch, brachte Abstand zwischen sie, hob den Bogen.

Die Fenlora war hart im Nehmen, ihr vermeintliches Opfer jedoch ließ ihr keine Zeit, sich zu fangen. Während sie leicht vorgebeugt durch den üblen Magentreffer noch hinter ihm war, ihr Gesicht über seiner linken Schulter, riss der Terkonnier die linke Faust hoch. Sterne sah sie und verlor den Halt, als der Schlag sie an der Stirne traf.

Benommen landete sie auf dem Rücken, kämpfte gegen die Bewusstlosigkeit an – und siegte. Als dieser Sieg jedoch errungen und ihr Blick sich klärte, waren zwei Bögen samt Pfeilen aus sicherer Entfernung auf sie gerichtet.

Oh, wie gerne hätte sie den beiden Mistkerlen das selbstgefällige Grinsen aus den Gesichtern geprügelt.

Der Glatzkopf steckte den Bogen weg, kramte in einer Satteltasche. Gleich darauf flogen ein frischer Packen Stoff und ein weißes, zusammengefaltetes Tuch zu ihr hinunter.

Immer noch widerlich grinsend, befahl ihr der Glatzkopf:

„Knebel Dich wieder, Schätzchen, Ordnung muss sein.“

Nein, sie würde keinen hysterischen Anfall kriegen, ganz bestimmt nicht. Mit aller Würde, die sie aufbringen konnte, griff sie nach den Knebelutensilien.

Jikaila, Die Splitter der Erinnerung I

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