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Ohiutochlan, Yoltekucza, 30.Juni 2.325, 10.Stunde

„Das kommt überhaupt nicht in Frage, Liebes.“

„Aber Mutter, ich bin eine Oquibal – Bardin meines Volkes – ich MUSS ausziehen und singen und erzählen, Geschichten geben und sammeln. So verlangt es die Tradition der Zunft. Soll ich mein ganzes Leben hier in der Stadt bleiben, immer in den gleichen Suslahäusern auftretend, bis ich vertrockne?“

„Bitte, dann zieh aus und bereise das Land, Du bist alt genug, das wohl will ich zugestehen. Auch gegen die Tradition Deiner Zunft, die Du, nebenbei bemerkt, damals gegen meinen Willen gewählt, will ich mich nicht stellen. Allein, nirgendwo heißt es, Du solltest zum Singen Dein Land verlassen und hinaus übers Meer in die Welt der Blasshäute gehen. Das werde ich auf keinen Fall erlauben.

Denk nur, was alles geschehen kann. Die bleichen Männer halten Frauen als Sklavinnen, Du weißt es. Du vermagst jedoch nicht zu erschauen, bist blind wie ein Slumjiqux, wie schön Du bist, Tochter. Zart und anmutig. Männer werden Dich besitzen wollen, Dich einfach nehmen, Deine Glieder binden, Deine schöne Stimme mit einem Knebel ersticken und Dich schänden. Niemals kann ich derlei zulassen.“

Nahuaxamiqui zog eine Schnute, stampfte gar mit dem Fuß auf. Ihre Mutter schienen derlei Ausbrüche, wie stets, gleichgültig zu lassen wie der Furz eines Gurub-Luk. Ungerührt knetete sie den Teig für den Globaqui-Kuchen.

„Reich mir doch bitte mal die Globaquis, Schatz.“

„Mutter!“

Die junge Yoltekin wandte sich abrupt um, ihre Goldarmreifen klapperten, die Perlen und Fransen an ihrem Ledergewand wippten, Spiegelbild ihrer wirbelnden Emotionen.

Zum Vater wandte sie sich, der mit dem jüngsten Sohne am Tisch saß, ihm die Kunst des Handpuppenschnitzens, des Marnaquibaxel, zu lehren. Der Junge, zarte Fünf, hantierte mit einem Messer und bearbeitete eifrig ein Stück Holz, die kleine Zunge ausgestreckt vor Konzentration. Der Vater beäugte ihn mit Raptoraugen, bereit, eine Verletzung zu verhindern.

Er war der beste Marnaquibal, Puppenspieler und –schnitzer ganz Pokholoquans, und gerne hätte er seine Kunst an seine Lieblingstochter Nahuaxamiqui weitergegeben, jedoch Frauen war diese Zunft verwehrt.

„Vater, so sag Du doch etwas. Ich muß hinaus, die Welt sehen, ich habe es geschworen bei Fixaquukibam, der gütigen Echse der Kunst. Soll ich meinen Schwur brechen?“

Der Angesprochene sah nicht auf, ruhig und sicher korrigierte seine Linke die Schnitzhand des Sohnes.

„Die Globaqui, Schatz.“

Die junge Oquibal ignorierte ihre Mutter, fixierte mit wachsender Ungeduld Vater am Tisch. Der Bardin Mutter seufzte nachsichtig und griff selbst nach der verzierten Holzschale mit den gelben, maisähnlichen Hülsenfrüchten, Hauptnahrungsmittel in Yoltekucza.

Mißtrauisch warf sie ihrem Gatten einen schnellen Blick zu. Er war genau der Mann, ihr in den Rücken zu fallen und der Tochter Launen zu willfahren. War nicht auch er ein Künstler? Sie war gewarnt worden, einen solchen zu ehelichen, doch seinem Lächeln, den schönen Händen und der Güte seine Wesens zu widerstehen, war ihr damals unmöglich erschienen – und war es auch heute noch. Sie lächelte gegen ihren Willen und schüttete die Globaqui in den Teig.

„Vater, bitte, erkläre es ihr. Läßt Du mich im Stich? Deinen Sonnenschein?“

Die kleine Bardin eilte flink an des Vaters Seite, ihn ungestüm herzend. Wie aus einem Traum sah er auf, blinzelte, legte der Tochter einen Arm um den schlanken Leib, seine Rechte strich durch ihr schulterlanges, rabenschwarzes Haar.

„Natürlich musst Du gehen.“

Nahuaxamiqui jauchzte erfreut und drückte ihm einen schmatzenden Kuß auf, die Mutter fuhr herum, funkelte den Gatten zornig an.

„Galitox!“

„Ja, dies ist mein Name, schönste Globaquibäckerin aller Gefilde unter der großen Echse Schirm. Ich sehe, Dich erzürnt meine Ansicht. Laß es mich erklären.“

Er schob die Tochter von sich, die Mutter triumphierend anfunkelte. Halb sah Galitox immer noch nach dem Sohn, der, die Streitereien der Großen nicht achtend, dem tumben Holz das Antlitz eines starken Echsenkriegers zu entringen suchte.

„Sieh, schönes, kluges Weib. Sicher ist es reich an Gefahren, Yoltekucza zu verlassen und die Fremde jenseits des großen Wassers aufzusuchen. Das leugne ich nicht. Gefährlich ist es aber auch hier. Mit jedem Tag mehr, und das weißt Du so gut wie ich.“

Der Mutter edle Stirn umwölkte sich, Sorge und Schmerz statt Ärger brachen sich Bahn.

Widerwillig nickte sie.

„Es heißt, in Ahuatochlan, Stadt der Götter, sei der Echsengott selbst erwacht und wandle unter uns. Sein Hunger ist groß. Schon sind die Krieger, auch aus unserer Stadt, ausgezogen, neue Opfer für die Echse zu erbeuten. Seelen, die auf den Pyramiden geopfert werden. Wer weiß, wie groß der Hunger noch wird? Wann die Familien gebeten werden, ihren stärksten Sohn, die schönste Tochter der Echse zu schenken?

Wie du sagtest, unsere Tochter ist sehr schön, ihre Stimme lieblich. Sehr wohl mag es der Echse gefallen, ihr Herz zu essen, ihre Schönheit zu trinken. Oder einer der Priester oder Priesterinnen wird derlei behaupten, um unsere Tochter selbst zu kosten.“

„Soweit ist es wahrlich noch nicht.“

Leugnung, nicht Einsicht, lag in der Mutter leiser Stimme.

„Mein Gefühl sagt mir, das es so kommen wird, und noch übler mag es werden. Des Gottes Hunger ist unersättlich. Hunger nach Blut, Leid, Macht. Ein finsterer Gott ist die Echse, Du weißt es wohl. Die PriesterInnen in ihrer Gier haben ihn dazu gemacht.“

„Versündige Dich nicht!“ rief seine Gattin scharf, allein die Wahrheit in seinen Worten ließ sie frösteln.

„Wenn die Gier von Priesterschaft und Gott, körperlich hier wandelnd oder nicht, zu voller Entsetzlichkeit erblüht, wüsste ich Nahuaxamiqui gerne weit weg, unerreichbar für der Echse Klaue.“

Nahuaxamiqui schwieg, überrascht von der finsteren Wendung des Gesprächs. Nicht geachtet hatte sie auf die Gerüchte aus der Hauptstadt, zu verdrängen pflegte sie das grausige Schicksal der Opfer ihrer Religion.

Die Mutter kam hinüber zum Tisch, schenkte Nahuaxamiqui einen besorgten, liebevollen Blick, setzte sich dann dem Gatten gegenüber.

„Es schmerzt mich, es zu sagen, allein Du sprichst wohl wahr. So ist es denn beschlossen, unsere Tochter mag ziehen.“

„Juchhuh!“

Die kleine Bardin führte einen spontanen Freudentanz auf, ein Lied stieg in ihr auf. Mutter hob mahnend einen Finger.

„Tochter! Wie aber willst Du fort gelangen aus der Heimat?“

„Nichts leichter als das. In Ahuatochlan gibt es einen großen magischen Reisespiegel der Lavendrer, die mit uns Handel treiben. Er ist neu, die PriesterInnen gaben den Bleichhäuten die Erlaubnis, ihn aufzustellen, überdrüssig des Umweges über die Handelsinsel an der Westküste.“

„Ich verstehe. Sprachen wir nicht gerade davon, wie gefährlich es jetzt in Ahuatochlan ist, unter den Augen der PriesterInnen?“

„Ich werde sie begleiten bis zum magischen Spiegel,“ sprach der Vater und nickte seiner Frau ernst zu.

„Packen muß ich sogleich. Morgen wollen wir aufbrechen.“

Nahuaxamiqi schoß hinaus, überschäumend vor Begeisterung und Lebensfreude. Vater und Mutter sahen sich an. Der kleine Junge krähte, das Messer hatte in einen seiner Finger geschnitten. Rotes Blut quoll über das Holz der Figur. Der Mutter schauderte.

Jikaila, Die Splitter der Erinnerung I

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