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XIII

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Seelenheilungshaus zu Telvenkeskua, 5.Juli 2.325, 9.Stunde

„Nun, meine Liebe, ihr seid seit fast zehn Tagen hier, Euer Zustand ist stabil. Sieht frau von Eurer fehlenden Erinnerung ab, seid ihr völlig gesund.“

„Aber ihr wolltet mir doch helfen, was die Erinnerung angeht.“

„Wie erkläre ich es einer Laiin wie Euch? Es gibt auch für uns Grenzen, und manchmal schaden die Heilungsversuche nur. Denkt an Eure Albträume. Ich fürchte, unsere Maßnahmen zur Überwindung Eurer Amnesie haben sie ausgelöst.“

Ashexee blieb äußerlich ruhig, doch tief in ihr brodelte ein finsterer Zorn, dessen Ausmaß sie selbst erschreckte. Was hauste dort verborgen in ihr?

Die arrogante Heilerin auf der anderen Seite des fein verzierten Schreibtisches merkte nichts vom inneren Aufruhr ihrer Patientin. Ihre lederverhüllten schlanken Finger spielten mit einem perlmuttfarbenen Brieföffner, die Lippen hatte sie in scheinbarer Nachdenklichkeit gespitzt, während sie vermutlich darüber nachsann, welches Kleid sie zum Restaurantbesuch am Abend tragen sollte.

„Also gut. Und das heißt für mich?“

„Oh, wir werden Euch entlassen. Ihr könnt gehen.“

„Aber… ich meine, ich habe keine Kleider, kein Geld, keine Wohnung, bin völlig fremd in dieser Stadt, ja Fenlora selbst. In der Kürze der Zeit konnte ich unmöglich genug lernen, um…“

„Ach, Ihr seid eine intelligente, entschlossene junge Person, sprecht die Sprache fließend. Könnt sogar lesen und schreiben. Was meint Ihr, wie viele Einwanderinnen täglich ins Zarijat kommen, die Nichts davon vorweisen können? Und dennoch passen sie sich schnell dem Leben hier an und finden sich zurecht. Ich bin sicher, was ein schmutziges rayatshisches Bauermädchen vollbringt, dürfte Euch kaum Schwierigkeiten bereiten.“

Rassistin sind wir also auch noch, dachte Ashexee angewidert. Blond und blauäugig war die Heilerin, an der rechten Schulter ihres gelben Seidengewandes prangte eine Brosche, ein weißgefaßter blauer, ovaler Edelstein. Die Bedeutung der Brosche, wenn sie denn mehr als ein Schmuckstück war, kannte Ashexee nicht.

Würde mich nicht wundern, wenn es der Orden für zehn zu Tode Geheilte Farbige ist, ging ihr durch den Sinn.

„Aber ich habe doch überhaupt keine Mittel, keine Arbeit, meinen Lebensunterhalt zu bestreiten…“

„Ach so, natürlich, Ihr wisst es nicht. Der Begriff HOF ist Euch noch nicht untergekommen?“

„Nein, zufällig nicht. Bitte, habt die Güte, mich aufzuklären.“

„Kein Grund, schnippisch zu werden, meine Liebe.“

„Verzeiht, ist mir so rausgerutscht.“

Ashexe verspürte plötzlich den Drang, aufzuspringen, diese Kuh mit der Rechten am Kragen zu packen und über den Tisch zu zerren. Ihre Linke würde zeitgleich vorschnellen, die Handkante den Kehlkopf am schlanken Schwanenhalse zerschmettern, und…

Was dachte sie da? Ihr wurde übel, dunkle Flecken tanzten vor ihren Augen. Kleine Splitter stürzten durch den Abgrund, sie zeigten…

„Ist Euch nicht wohl? Trinkt einen Schluck. Ich sagte gerade, HOF bedeutet Hashu ongarim Fenloramon, Heimat der ganzen Frauenschaft und bezeichnet eine traditionelle Politik unseres schönes Landes. Jede Schwester aus der Fremde, gleich welchen Standes und welcher Rasse, findet im Zarijat Aufnahme. Frau mag davon halten, was sie will, die Politik steht fest und unverrückbar. Da Eure Herkunft nicht ermittelt werden kann, seid Ihr technisch ebenfalls eine Einwanderin, ganz so, als wärt ihr von fremden Sphären angereist just auf diesem Friedhof materialisiert, in Fenlora Asyl zu begehren.“

„Ich gelte also als Einwanderin?“

„In juristischer Hinsicht, ja. Das Büro wird Euch ein Schreiben aufsetzen, das Euren Status erklärt und bei den fälligen Behördengängen hilfreich sein wird.“

„Behördengänge?“

„Natürlich, dort wird frau Euch helfen. Als Einwanderin habt ihr gemäß HOF Anspruch auf eine finanzielle Starthilfe, um ein Beispiel zu nennen. Ein kleiner Kredit, der Euch ermöglichen sollte, Kleidung und Wohnung zu erlangen und die Zeit zu überbrücken, bis Ihr Euer eigenes Geld verdient. Selbstverständlich werdet Ihr auch einen Tantun und die anderen nötigen Papiere erhalten.“

„Was ist ein Tantun?“

„Nun, ach so, ja, ein Tantun ist ein kleiner Ausweis mit Euren Daten und einer Zeichnung, einem Porträt Eurer selbst. Jede Fenlora trägt Ihn bei sich.“

Nicht, dass Ashexee es anders gekannt hätte, doch diese Bürokratie erfüllte sie mit Unbehagen. Wie so vieles, das nicht zu passen schien.

„Gewisslich werdet ihr auch privat schnell Anschluss finden. Euer Sexualleben während Eures Aufenthalts hier war praktisch nicht existent. Da habt ihr erheblichen Nachholbedarf. Ihr habt anscheinend nicht einmal selbst Azura geopfert.“

„Wie bitte?“

„Azura geopfert. Die Fingerchen benutzt, selbst Hand angelegt, ihr versteht.“

„Warum bei…“ Ashexee fiel kein Gott ein, die Götter dieser Welt waren ihr fremd als entstammte sie selbst einer anderen. Sie setzte erneut an.

„Warum sollte ich so etwas tun?“

„Regelmäßige sexuelle Erfüllung ist unabdingbar für Glück und Leistungsfähigkeit. Wir fürchteten schon, da sei etwas nicht in Ordnung bei Euch, doch eine Untersuchung hat bestätigt, dass ihr völlig normal seid.“

Ashexee beschloss, das Thema nicht zu vertiefen, leichte Röte bedeckte ihre Wangen.

„Und wohin wende ich mich mit diesem Brief, den Ihr mir geben wollt?“

„Ach, was weiß ich, welches Amt dafür zuständig ist. Im Büro wird frau Euch sicherlich helfen können. Dort weiß frau derlei Dinge.“

Womit wir deutlich machen wollen, dass unsere Erlauchtigkeit selbstredend noch nie irgendwelche Bittstellereien bei Behörden zu absolvieren hatte. Was für ein Herzchen. Danjas Zorn war verflogen, nun hätte sie fast gelacht. In diesem schönen Land der Frauen, die alle liebende Schwestern zu sein vorgaben, herrschten Dünkel und Klassendenken. Woher auch immer, dies war ihr wiederum nur allzu vertraut.

„Schön, damit wären wir fertig. Am Besten geht ihr gleich zum Büro. Ich wünsche Euch Glück und Erfüllung in Eurem neuen Leben, Schwester.“

Der Blonden strahlendes Lächeln war so falsch wie die Perlenkette um ihren Hals. Dennoch erwiderte Ashexee das Lächeln und erhob sich.

Eine neue Aufgabe stand an. Ashexee Krasnajal hatte sich eine eigene Existenz in diesem Land zu schaffen. Und dann würde sie selbst herausfinden, wer sie war, diese Ashexee Krasnajal.

Jikaila, Die Splitter der Erinnerung I

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