Читать книгу Über die Textgeschichte des Römerbriefs - Alexander Goldmann - Страница 20
3.3.1. Reihenfolge
ОглавлениеDas auffälligste Spezifikum der Prologe ist zweifellos ihre Reihenfolge. Zwar tauchen die Prologe in allen Handschriften, in denen sie zu finden sind, in der kanonischen Reihenfolge auf, d.h. in derjenigen Reihenfolge, in der auch die tatsächlichen Briefe zu lesen sind, für die sie gleichsam als Vorworte fungieren. Studiert man jedoch den genauen Wortlaut der Prologe, so fällt schnell auf, dass einige argumenta Rückbezüge enthalten und an zuvor Erwähntes anknüpfen. Liest man die Prologe also hintereinander, so treten diese Verklammerungen recht offen zutage und legen es tatsächlich nahe, dass die Prologe ursprünglich als kohärenter Text verfasst wurden. Allerdings stimmt die Reihenfolge der argumenta, die sich aus ihrem Inhalt und den besagten Rückbezügen ergibt, nicht mit der Reihenfolge der kanonischen Briefe überein, denen sie beigegeben sind.
Um festzustellen, welche Reihenfolge die Prologe bzw. die Briefsammlung originär hatte, für die sie ursprünglich verfasst worden sind, soll zunächst der Prolog zum ersten Korintherbrief in den Blick genommen werden. Dabei stellt sich die Frage, wie die Wendung et hi similiter zu verstehen ist – mit wem werden die Korinther hier gleichgesetzt? Auf wen ist dieser Rückbezug ausgerichtet? Die Römer können nicht gemeint sein, denn diese haben das Evangelium nicht von Paulus verkündet bekommen – das macht bereits der Prolog zum Römerbrief selbst deutlich, in dem davon die Rede ist, dass die römische Gemeinde auf das Wirken von falschen Aposteln zurückgeht (nicht also auf Paulus). Dagegen betont der Prolog zum Galaterbrief explizit, dass die Galater das Evangelium zuerst (!) von Paulus empfangen haben (primum ab apostolo acceperunt). Der Galaterprolog muss also erstens (sehr wahrscheinlich direkt) vor dem an die Korinther gestanden haben und zweitens führte er mit einiger Sicherheit auch die Sammlung an.
Weiterhin verwirrt im Prolog zum Brief an die Kolosser die im Eingangssatz zu lesende Wendung et hi sicut Laudicenses sunt Asiani. In der handschriftlichen Überlieferung geht dem Kolosserprolog der Prolog zum Brief an die Philipper voran. Bei den Philippern handelt es sich allerdings nicht um Asiani, sondern um Macedones. Stattdessen muss dem Kolosserprolog ursprünglich (unmittelbar) ein Prolog vorangegangen sein, der ebenfalls Asiani als Adressaten nennt – wahrscheinlich ist hier an eben jene im Kolosserprolog erwähnten Laodizener zu denken, da diese (neben den besagten Kolossern) im gesamten Prologkorpus die einzigen Asiani sind.1
Zuletzt erwähnt der Prolog zum Philipperbrief, dass auch (!) die Philipper Macedones sind (Philippenses ipsi sunt Macedones).2 Da im Rahmen der Prologe allein die Thessalonicher noch als Macedones vorgestellt werden, heißt das auch hier, dass – entgegen der kanonischen Reihung der beiden Briefe – der Philipperprolog ursprünglich nach dem Thessalonicherprolog zu lesen war.
Für die altlateinischen Prologe ergeben sich also folgende Eckpunkte bzgl. ihrer ursprünglichen Reihenfolge:
1 Der Prolog zum Galaterbrief stand unmittelbar vor dem Korintherprolog und eröffnete mit großer Wahrscheinlichkeit auch die Sammlung.
2 Direkt vor dem Kolosserprolog war mit einiger Sicherheit der Prolog zu einem Brief an die Laodizener zu lesen.
3 Der (oder die) Prolog(e) zu den Thessalonicherbriefen fand(en) sich vor dem Philipperprolog.
All diese Schlussfolgerungen wurden in der Forschungsgeschichte zu den altlateinischen Paulusprologen zu keiner Zeit widerlegt. Zwar unternahm MUNDLE einen solchen Versuch, konnte allerdings nicht überzeugen.3 Nichtsdestoweniger weist er zu Recht darauf hin, dass die mutmaßliche Reihenfolge der Prologe noch lange nicht als zwingender Beweis für die marcionitische Verfasserschaft derselben gelten kann.4 Dennoch bleibt zunächst festzuhalten: die von den Prologen vorausgesetzte Reihenfolge der Paulusbriefe entspricht genau derjenigen, die anhand Tertullians und Epiphanius’ Zeugnis auch für den marcionitischen Apostolos gesichert scheint.5