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2.1.1. Die 10-Briefe-Sammlung – der Marcionitische Apostolos

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Die früheste Sammlung von Paulusbriefen,1 über deren Existenz wir gesicherte Informationen besitzen, ist eng mit dem Namen Marcion von Sinope verbunden, einem Reeder aus Pontus an der südlichen Schwarzmeerküste.2 Belegt ist, dass dieser in der ersten Hälfte des 2. Jahrhunderts eine Schriftsammlung benutzte, die ein namenloses Evangelium (welches bekanntermaßen eine Kurzversion des Lukasevangeliums war) sowie zehn Paulusbriefe umfasste. Diese 10-Briefe-Sammlung trug die Bezeichnung Apostolos und beinhaltete die Pastoralbriefe und den Hebräerbrief nicht. Als terminus ad quem dieser Edition kann Marcions Ausschluss aus der römischen Gemeinde gelten, der ins Jahr 144 datiert wird.3

Spätestens seit Irenäus von Lyon galt Marcion als der „Erzketzer“ schlechthin, seine Schriften als Verfälschungen und Verstümmelungen der eigentlichen (katholischen) Texte.4 Es mag daher nicht überraschen, dass von der besagten marcionitischen Bibelausgabe keinerlei Exemplare die Zeiten überdauert haben. Wenngleich also keine direkten Zeugnisse des Textes mehr existieren, so liegt doch eine umfangreiche metatextuelle Beschreibung5 des Textes durch die altkirchlichen Häresiologen vor, so v. a. durch Tertullian,6 Epiphanius7 und Adamantius8. In ihren polemischen Schriften diskreditieren sie Marcions kurzen Bibeltext als perfide Fälschung. Die inhärente Strategie dieser Streitschriften war es, Marcion auf Grundlage seines eigenen Textes zu widerlegen.9 Dazu hatten die Häresiologen Marcions Bibeltext vor sich liegen, den sie der Reihe nach durchgingen und an ausgewählten Stellen in wünschenswerter Ausführlichkeit kommentierten. Damit prägten sie zwar einerseits nachhaltig das Verständnis Marcions als Schriftfälscher des frühen Christentums, andererseits erlaubt ihre Vorgehensweise (ungewollt), Marcions Bibeltext mit hinreichender Sicherheit wiederherzustellen. Durch diese metatextuelle Bezeugung haben wir also Zugriff auf die besagte 10-Briefe-Sammlung und sind in der Lage, die Reihenfolge, den Umfang und an vielen Stellen auch den genauen Wortlaut der einzelnen Texte zu rekonstruieren.10

Wie das Zeugnis der Häresiologen zeigt, besaß die 10-Briefe-Sammlung folgende Anordnung: Gal, 1/2 Kor, Rm, 1/2 Thess, Laod (= Eph), Kol, Phil, Phlm11 bzw. Phlm, Phil.12 Auffällig ist die Position des Galaterbriefes, der an erster Stelle der Sammlung steht, sowie die Tatsache, dass der heutige Epheserbrief als Brief an die Laodizener tituliert wird.13

Fazit: Die Existenz der 10-Briefe-Sammlung kann für das 2. Jahrhundert als gesichert angesehen werden. Ob sie tatsächlich auf Marcion zurückgeht, wurde in der jüngeren Forschung immer wieder in Frage gestellt. Stattdessen wird Marcion vermehrt als Tradent eines bereits bekannten denn als Urheber eines eigenen Textes verstanden.14 Dies sollte auch in der Beschreibungssprache deutlich werden. Hier erscheint es angemessen, die Bezeichnung marcionitisches Evangelium bzw. marcionitische Paulusbriefsammlung zu vermeiden, da diese Termini implizieren, Marcion tatsächlich als Schöpfer dieser Texte bzw. Textsammlungen zu verstehen.15 In der vorliegenden Arbeit wird daher vornehmlich die neutrale Bezeichnung 10-Briefe-Sammlung benutzt. Gleiches gilt für den Römerbrief innerhalb der Sammlung: Dieser wird hier zumeist als 10Rm oder aber durch Marcion bezeugter bzw. verwendeter Römerbrief bezeichnet.16 Werden zu Zwecken der Textrekonstruktion die häresiologischen Zeugnisse bemüht, so ist auch hier die Rede vom 10Rm, selbst wenn die Kirchenväter sich freilich mit einem Text auseinandersetzen, den sie selbst Marcion zuschreiben. Anders gesagt: In der vorliegenden Arbeit wird der Text, auf den sich die Häresiologen in ihren Schriften gegen Marcion beziehen – also der marcionitische Apostolos –, mit dem Text der 10-Briefe-Sammlung gleichgesetzt. Dass dieses Vorgehen methodisch legitim ist, wird in Kap. 4.2. belegt.

Über die Textgeschichte des Römerbriefs

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