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2020: Aus E-Commerce wird Commerce

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„And ultimately it’s essential to realize that it is rarely an online-vs.-offline battle, but a struggle that is won when we accept that it’s all just commerce.“

Steve Dennis, ehemaliger Marketingvorstand von Neiman Marcus, Leitartikler bei Forbes.com 60

2020 wird der E-Commerce in Deutschland aller Voraussicht nach ein gutes Zehntel der Gesamtumsätze des Einzelhandels ohne Lebensmittel ausmachen. Bis 2025 ist ein weiteres Wachstum des Online-Handels auf rund 100 Milliarden Euro und ein knappes Drittel der Einzelhandelsmarktanteile keineswegs unrealistisch. In US-Einzelhandel wird der Umsatz 2020 voraussichtlich bei rund 6 Billionen Dollar liegen, wovon ebenfalls mehr als 10 Prozent auf E-Commerce entfallen dürften. Viele Analysten sehen reife E-Commerce-Märkte wie die USA oder UK bei deutlich über 30 Prozent Online-Anteil bis 2025.

Dieses fortgesetzt starke Wachstum wird zum Teil dadurch kommen, dass sich die Entwicklungen der letzten Jahre weiter verschärfen: Einerseits werden Oligopole wie Amazon nach wie vor ihre Skaleneffekte nutzen, um schnell zu wachsen, und Hersteller zunehmend in den Direktvertrieb einsteigen, während andererseits Online-Händler dem Preiskampf verfallen und der traditionelle stationäre Handel verliert. Aber selbst im beachtlichen Tempo der letzten Jahre reicht ein weiteres lineares Wachstum allein nicht aus, um den E-Commerce-Anteil zu verdreifachen.

Es ist allerdings davon auszugehen, dass neue, kräftige Wachstumsschübe durch infrastrukturelle Innovationen und räumliche Neuordnungen zusätzlich ausgelöst werden. Bislang war der Begriff „E-Commerce“ stark auf den Verkauf von per Paketdienst versandfertigen Produkten beschränkt, die über Desktop- oder Mobile-Schnittstellen nach vorhergehender Kundensuche in einem Webshop oder einer App verkauft werden. Was ist es aber, wenn Amazon-Kunden die neuen stationären Flächen des Konzerns in US-Städten wie Seattle oder New York besuchen, um dorthin bestellte Ware abzuholen – und in dem Zuge auch einige ausliegende Impulskäufe mitnehmen? Ist das noch E-Commerce, oder ist das schon stationärer Einzelhandel? Ist die Amazon-Fläche lediglich so eine Art Abholstation für den E-Commerce – oder bereits ein ausgereiftes Brick-and-Mortar-Geschäft? Wenn es denn ein stationäres Geschäft ist, ist es jedenfalls eines, das ohne Kassierer auskommt – Käufe werden elektronisch registriert, wenn der Kunde mit den Produkten die Fläche verlässt, und über die App abgerechnet.

So werden in den kommenden Jahren die Grenzen zwischen Online- und Offline-Handel zunehmend verschwimmen – was allerdings überhaupt keine Entspannung für unter Druck geratene stationäre Händler mit notdürftig umgesetzten Multichannel-Konzepten bedeuten wird. Und die Tatsache, dass einige Online-Akteure mittlerweile auch offline verkaufen, bedeutet nicht, dass Pure-Plays mit schwindenden Marktanteilen im Netz nur in stationäre Flächen investieren müssen, um wieder auf den Wachstumspfad zu kommen.

Ganz im Gegenteil: Die Auflösung der Kategorien E-Commerce/stationär wird nichts anderes sein als der ultimative Siegeszug von neuen Handelskonzepten, bei denen „Handel“ im herkömmlichen Sinne kaum noch stattfindet – oder zumindest kaum noch von herkömmlichen Händlern betrieben werden wird. Große Plattformen wie Amazon, die unvorstellbare Mengen an äußerst präzisen Kundendaten besitzen, werden sich langfristig nicht damit zufriedengeben, sich sortimentstechnisch darauf zu beschränken, was von überlasteten Paketdiensten an Konsumenten ausgetragen werden kann. So werden sie zunehmend dahin gehen, wo sich die Kunden tatsächlich aufhalten. Das werden auch neue Akteure tun, die völlig kanalagnostisch vorgehen und sich erst einmal überlegen, was der Zielkunde wann und wo braucht. So können zwar freigewordene innenstädtische Einzelhandelsflächen – woran durch Insolvenzen in den kommenden Jahren kein Mangel herrschen dürfte – zum Einsatz kommen. Die Konzepte können aber auch völlig neue sein.

Der 2014 gegründete holländische Online-Supermarkt Picnic etwa stellt Lebensmittel bereits sehr erfolgreich per „Milchmann-Runde“ zu: Die Picnic-Lieferwagen fahren zu verschiedenen, festen Uhrzeiten mehrmals in der Woche ganze Stadtviertel ab. So können Kunden verbindliche, für sie passende Lieferslots von zwei Stunden buchen und während dieser Zeitfenster die Bewegungen des Lieferwagens per App verfolgen, damit sie keine Zeit unnötig damit verbringen, an der Haustür zu warten. Dieser Vertriebsweg ist nicht nur effizient, sondern ermöglicht es, auch verderbliche Lebensmittel zuverlässig auszuliefern – und baut eine Logistikinfrastruktur auf, die das Unternehmen wiederum anderen anbieten kann.


Abbildung 1.11: Prognose des jährlichen E-Commerce-Umsatzes über die Jahre

Quelle: Statista Market Outlook de.statista.com/outlook/243/ecommerce

So ist Picnic bereits von Anfang an mehr als bloß ein Online-Händler; es ist eine Plattform im Werden. Und in Städten, in denen die innovative Supermarkt-App startet, steigt der Online-Anteil am bislang stark analogen Lebensmitteleinzelhandel binnen kürzester Zeit erfahrungsgemäß auf 5 Prozent. Von solchen neuen Akteuren werden bis 2025 zweifelsohne so einige weitere Segmente revolutioniert werden, weshalb wir sicher sind, dass das Wachstum im E-Commerce keineswegs ausgeschöpft ist. Bloß: Die Definition und die Vokabel „E-Commerce“ treffen nicht mehr ganz zu.

Das E-Commerce Buch

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