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Fallbeispiel: Fast Fashion – von Zara zu Zalando

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Zara hat um die Jahrtausendwende Supply-Chain-Management und kundenorientierte Beschaffung auf eine völlig neue Art zusammengeführt: Nicht nur wird jeder einzelne Kauf geloggt und direkt an die Zentrale übermittelt, sondern die gesamte Produktpalette wird nach Verkäufen ausgerichtet. Zara produziert schließlich selbst und kann in kürzester Zeit auf Verkaufshöhen bei gewissen Kleidungsstücken mit Mehrproduktion reagieren – und mit einer erhöhten Produktion bei ähnlichen oder passenden Stücken. Welche Vorteile dieses Vorgehen genau mitbringt, wird im Folgenden erläutert.

Zara-Geschäfte weltweit geben mehrfach in der Woche eine Bestellung in der Zentrale in Spanien ab und bekommen pünktlich neue Ware geliefert. Gekoppelt mit einem hohen Anteil an eigener Produktion eröffnet diese effiziente, rapide, zentral gesteuerte Lieferkette ganz neue Möglichkeiten: Zara kann beispielsweise Kleidungsstücke in geringer Stückzahl produzieren und zum Test ausliefern. Verkauft sich die neue Ware gut, wird die Produktion hochgestuft und die nächste Lieferung liegt bereits sechs Wochen später in den Regalen. Erst wenn sich ein Kleidungsstück zu einem Dauerbrenner entwickelt hat, wird es aus der lokalen Produktion neben der Konzernzentrale in Galizien nach Marokko oder in die Türkei ausgelagert, allein Basics wie T-Shirts oder Unterwäsche werden weiter weg in Asien produziert. Denn aus Konzernsicht kann über diese Entfernung auf den kapriziösen, modebewussten westlichen Konsumenten nicht reagiert werden. Und Zara hat entdeckt, dass diese Konsumenten durchaus Bereitschaft zeigen, für gerade in Mode gekommene Stücke eine höhere Summe zu zahlen, die die höheren Kosten der agilen, flexiblen Beschaffung abdeckt. So stören die Schwankungen der Mode und des Geschmacks das System von Zara keineswegs: Ohne solche Schwankungen hätte der Konzern einen teuren Beschaffungsapparat ohne jeglichen Marktvorteil.

Zugespitzt formuliert drängt sich die philosophische Frage auf, ob Zara damit auf Modetrends reagiert – oder diese selbst mit seiner Agilität mitentwickelt. Fest steht aber, dass dieses System so erfolgreich ist, dass H & M, Topshop, Forever 21 und einige andere Kleidungsketten mitgezogen sind: Obwohl sie nicht wie Zara selbst produzieren, wird die Produktion der Kleidung in immer engerer Abstimmung mit tatsächlichen Verkäufen gestaltet.

Zara feierte vor dem E-Commerce Erfolge im herkömmlichen Einzelhandel, tat dies aber mit Methoden, die auch für den Online-Handel richtungweisend sind:

Echtzeitauswertung, schnelle Logistiklösungen, zentral gesteuerte Agilität. Das sind alles technologiegestützte Werkzeuge, die in der DNA des Internets festgeschrieben sind.

Wo Zara zum Beispiel zunächst kleine Mengen an neuen Designs herstellt, um deren Verkauf auszuwerten, perfektionieren Google und Facebook ihre leistungsfähigen Algorithmen dadurch, dass neue Varianten erst als Beta-Version in kleinen Testgruppen eingesetzt werden. Was sich im kleinen Rahmen in der Praxis nicht bewährt, wird nicht großflächig umgesetzt: Es ist ein System fast ohne Risiko.

Und es ist ein System, das sich erst online mit voller Kraft entfaltet. Zara gelang im stationären Handel mit diesem Efficient-Consumer-Response-Ansatz so etwas wie eine Revolution. Zalando zeigt die weitere Evolution dieses Modells – und zwar in dem für das Internet charakteristischen Zeitraffer und mit dem für E-Commerce üblichen Hochdruck.

Denn: Damit dieses System aufgeht, muss ein Online-Händler wie Zalando sogar schneller zur Stelle sein als ein Hersteller wie Zara, der gefragte Ware teilweise Wochen vor seinen Konkurrenten anbietet. Bestellt ein Online-Händler zu knapp, müssen die Logistikzentren auf Nachlieferung warten – und der Kunde klickt sich währenddessen einfach zum nächsten Anbieter durch, der das Produkt gerade vorrätig hat. Kunden im stationären Einzelhandel dagegen sind noch in den Gesetzen von Zeit und Raum gefangen. Noch schlechter sieht es aus, wenn der Online-Händler den gefragten Artikel überhaupt nicht im Sortiment führt: Die nächste Webseite, auf der er käuflich zu erwerben ist, ist wieder einmal nur einen Klick entfernt.

Ganz wie Zara testet Zalando also erst Produkte in kleinen Mengen im Sortiment. Verkauft sich der Bestand schnell, so weiß dies Zalando auch in Echtzeit und kann das gefragte Produkt nachbestellen, bevor das letzte Exemplar verkauft wurde. Zudem – wieder ganz wie Zara – hat Zalando früh angefangen, eigene Marken aufzubauen: Ist doch die Marge, die sich als Händler mit eingekauften Waren einnehmen lässt, selbst bei einem Netzwerk an sehr großen, sehr günstigen Logistikzentren, sonst zu dünn. Durch die allgegenwärtige Bedrohung, dass der Kunde ein Preisgefälle schnell entdeckt und einfach zum Konkurrenten weiterklickt, ist der Preiskampf im Internet knallhart, bisweilen ruinös.


Abbildung 2.4: Schematische Gegenüberstellung von Push- und Pull-Supply-Chain

Quelle: in Anlehnung an Michael Levi et. al, Retailing Management, McGraw-Hill, 2013, S. 261

Die Eigenmarke ist aber auch deswegen eine wichtiger Evolutionsschritt bei Zalando, weil sie einen weiteren Mechanismus der Beschaffung im E-Commerce offenlegt: Wer online als Händler auftritt, sammelt massenhaft Daten über Verkaufserfolge sowie stark gesuchte Produkte. Merkt also Zalando, dass sich etwa Markenstiefel in einer besonderen Optik gut verkaufen, so kann der Händler über eine seiner Eigenmarken wie „Stups“ zum Hersteller werden und anfangen, ähnliche Stiefel zu produzieren. Noch interessanter sind gegebenenfalls die Daten über teure Markenartikel, die sich Kunden zwar oft anschauen, aber nicht kaufen. Der gewiefte Beschaffer sieht, dass Nachfrage zwar vorhanden, das bestehende Angebot jedoch wohl unerschwinglich ist – und kann selbst eine günstigere Variante in Auftrag geben. Im Frühjahr 2019 gab Zalando allerdings bekannt, sich vom Eigenmarkengeschäft zu verabschieden, da sich dieses nicht mit den strategisch übergeordneten Plattform-Plänen vereinbaren lasse. In diesem Gatekeeper-Ansatz als „Ökosystem“ für Fashion geht es dann stärker um die Vermittlung von Aufträgen an Partner, und eigene Labels sind hier möglicherweise hinderlich.3

Amazon ist seit Jahren für solche „Rosinenpickerei“ auf seinem Marktplatz bekannt: Verkauft sich ein Artikel eines dritten Händlers dort gut, wandert er – oder ein sehr ähnlicher – bald ins Amazon-eigene Sortiment rüber. So hat sich Amazon in der Testphase die Kapitalbindung für den Einkauf gespart und steigt erst dann ein, wenn sich das Produkt nachweislich gut verkauft. Zalando ist hier aber einen ganzen Schritt weiter vorn in der Wertschöpfungskette: Verkauft sich ein Artikel gut, kann er in sehr ähnlicher Aufmachung von Zalando selbst hergestellt werden. Inzwischen beginnt auch Amazon verstärkt mit der Produktion von Eigenmarken – seien es Elektronik-Zubehörprodukte unter „Amazon Basics“ oder Heimtextilien unter der Eigenmarke „Pinzon“ (siehe auch 2.4.2 Online-Vertriebskanäle).

Kundenorientierte Beschaffung im Netz ist also keine Frage des Gefühls, sondern der Datenlage. Der Händler, der auch mal Hersteller ist, hat als Händler genaue Verkaufsdaten der Konkurrenz, an die man als konkurrierender Hersteller so nicht herankommen würde. Aber selbst ein reiner Händler hat im E-Commerce einen gewaltigen Datenvorteil.

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