Читать книгу Brillanter Abgang - Alexander Hoffmann - Страница 12

8. Kapitel

Оглавление

Guguljak

»Das wäre erledigt.« Nach gut zwei Stunden kehrte Tonja zurück. Alles an ihr strahlte Zuversicht und Dynamik aus.

Hans fühlte sich immer noch matt. Als sie sich in der Küche zusammensetzten, fragte er leise: »Ich würde gerne wissen, wie es konkret weitergeht?«

Tonja schmunzelte. »Polako, polako – langsam, langsam, nur keine übertriebene Hast. Daran musst du dich gewöhnen. Merk dir dieses Wort, es ist das wichtigste in unserem Land.«

Sie tranken noch einen turska kava, während der Vater unweit des Häuschens im Garten werkelte. Hans starrte trübselig die Uhr an, und Tonja versuchte ihn aufzumuntern. »Nachher gehen wir ins ›Fässchen‹, und morgen um zwölf treffen wir Drago in Zagreb, im Esplanade. Zufrieden?« Sie erhob sich.

Kurz darauf hörte Hans sie im Badezimmer rumoren. Das Wasser der Dusche plätscherte stetig, ihr war der Boiler offenbar voller Hingabe zu Diensten. Hans dachte an seinen Jaguar, an die Beletage im Frankfurter Westend, an all das Schöne und Sichere.

Ehe er ganz in der Erinnerung versank, war Tonja zurück – frisch und mit einem Hauch Rouge auf den Wangen. Betörend.

Die Luft hatte sich merklich abgekühlt, als sie vors Haus traten und den Weg Richtung »Fässchen« einschlugen. Endlich hatte Hans Appetit. Er entspannte sich zusehends und konnte wieder klarer denken.

Mitten im hohen Gras fragte er Tonja: »Was hat es eigentlich mit der Bankvollmacht auf sich?«

Sie wedelte mit den Händen. »Ich war bei der Sparkasse in Karlovac, ich kann nun das Konto der stari rokeri mitbenutzen.«

»Stari was?«

»Die Altrocker – so heißt die Band, in der mein Vater spielt. Das Foto, das du im Gästezimmer gesehen hast. Die stari rokeri sind noch oder schon wieder in, werden sogar von jungen Leuten zu Hochzeiten gebucht. In der Kirche spielen sie brav die alten Lieder, bei der Feier danach in der Kneipe geben sie dem Schwein die Freiheit.«

»Du meinst, sie lassen die Sau raus.«

»Wie auch immer. Jedenfalls kommen die Altrocker sehr gut an. Tihomir ist ihr Kassenwart, er spielt meist Bass, kann aber auch Gitarre und Mundharmonika.«

»Und wofür brauchen wir das Konto?«

Tonja blickte Hans nachsichtig an. »Schatz, dort deponieren wir ein bisschen Geld zum Leben. Außerdem möchte ich etwas für Vater tun. Und für meine Onkel.«

»Wie viele Onkel hast du denn?«

»Acht«, antwortete sie fröhlich.

»Meine Güte. Wo leben die denn alle?«

»In Guguljak.«

»Und was tun sie?«

»Nichts.« Leise fügte sie hinzu: »Aber sie sind meine Onkel.«

Hans meinte: »Dann hoffen wir mal, dass für uns noch etwas übrig bleibt.«

Tonja erwiderte: »Mehr als genug, mein Lieber.«

Im »Fässchen« empfing sie sprudelndes Leben. Gänzlich tot war das Dorf also nicht. Hans kam es so vor, als ob sich alle 244 Guguljakaner an den Holztischen der kleinen Gaststube mit ihren weiß getünchten Wänden versammelt hatten. Direkt neben der Theke stand eine Jukebox, die Hans sofort anzog.

Tonja flüsterte: »Hier im Bačvica hat sich seit den 60er-Jahren nichts verändert. Da gab es mich noch gar nicht.«

Hans näherte sich dem gleißenden Plexiglas und den Bonbonfarben. Er streichelte die Jukebox. »Herrlich – das ist eine Wurlitzer. Das Jubiläumsmodell von 1956.« Tonja lächelte. »Ich weiß, früher war es schöner. Darüber kannst du dich gerne mit dem Wirt unterhalten. Der hockt oft nach Mitternacht allein vor dem Ding und spielt ›I can hear music‹ von den Beach Boys. Zur Not zehnmal hintereinander.«

Der Hit von 1969. Hans fühlte Wärme in sich aufsteigen. Er war nicht allein.

Gläser klirrten, Besteck klapperte, es roch appetitlich nach einem Braten, alle schwatzten fröhlich. Der eisgraue Schrat begrüßte sie mit einem freundlichen Kopfnicken.

Zielbewusst steuerte Tonja auf die hinterste Ecke zu, wo noch zwei Plätze frei waren – direkt neben einem runden Tisch, an dem sechs Männer die Köpfe zusammensteckten, eingenebelt von den Rauchschwaden ihrer Zigaretten.

»Das Business Center«, sagte Tonja leise, während sie sich setzten. »Hier geht es um Gälder, hier werden die großen Gäschäfte gemacht.«

Hans überließ ihr die Bestellung. Der Wirt brachte zwei Gläser gemišt: zwei Drittel Weißwein und ein Drittel Mineralwasser. Dazu gab es eine mächtige Platte mit getrocknetem Schinken und Maisbrot. Hans langte zu, es schmeckte vorzüglich. Nach dem zweiten Glas gemišt fragte er Tonja aufgeräumt: »Und was machen die Bisnissmän in diesem Bisniss Zäntar genau?«

Sie flüsterte: »Keiner von denen hat Geld, aber sie kennen Leute, die Leute kennen, die angeblich Geld haben. Oder besondere Geschäftsideen. Und das bemurmeln die jeden Abend.« Sie lauschte unauffällig, dann fasste sie das Gehörte zusammen. »Im Moment geht es darum, wie man Goldbarren herstellt, die im Kern nur aus Wolfram bestehen. Soll besser sein als Füllungen aus Blei oder Stahl, weil nicht so schnell nachweisbar.«

Hans trank seinen dritten gemišt und beobachtete den Nachbartisch. Der Wortführer trug als Einziger Anzug und Krawatte. Ein fragender Blick zu Tonja.

Die meinte, der käme sicher aus Zagreb. »Nun spricht er über garantiert echte künstliche Diamanten.«

Danach wurde laut Tonja der Verkauf von Anteilscheinen einer nichtexistenten Ölbohrplattform in der Bucht von Rijeka diskutiert, gefolgt von einem Sonderposten Benzin aus serbischen Armeebeständen und vier Lastwagen Schmuggelzigaretten aus Montenegro. Hans war auf einmal bester Laune, er wünschte sich Durstewitz in diese Runde.

Als Hans und Tonja das »Fässchen« verließen, erörterten die Bisnissmän das neueste Geschäftsmodell: den doppelten Verkauf von Ferienwohnungen an der Adria.

Unter sternenklarem Himmel spazierten Hans und Tonja Hand in Hand Richtung Schachtel. Hans freute sich darauf, mit Tonja die Jolle im Gästezimmer zu besteigen.

Er wurde nicht enttäuscht. Es schwankte und ächzte, Tonjas zärtliche Seufzer mischten sich in den Gesang der Zikaden draußen vor dem offenen Fenster. Hans war es, als höre er das 150 Kilometer entfernte Meeresrauschen. Er verlor sich im Duft ihrer Pfirsichhaut, in ihren Säften, in ihrer Weichheit und Wärme. Wonne ohne Ende. Und Vater Tihomir, der ewige Bassist, schaute aus seinem Foto heraus zu.

Brillanter Abgang

Подняться наверх