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2. Kapitel

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Frankfurt am Main

Hans stand vor dem Bankomaten an der Bockenheimer Landstraße, keine 100 Meter von seiner Wohnung in der Myliusstraße entfernt. Eine feine Wohnstraße im feinen Frankfurter Westend. Doch trotz der guten Adresse waren seine Dialoge mit dem Automaten zuletzt ziemlich unfruchtbar gewesen. Vorsichtig tippte Hans eine herzliche Bitte um Auszahlung von 1.000 Euro ein. Es knarzte und schabte, dann hatte das Gerät seinen Wunsch in handliche Scheine verwandelt. Sein Herz entkrampfte. Er ließ die angehaltene Luft aus den Lungen entweichen. Auf seinem Konto war tatsächlich Geld.

Tonja hatte ihn zum Geld holen geschickt. »Auf keinen Fall zur Bank«, hatte sie gesagt. »Wir sollten selbst prüfen, was Sache ist. Außerdem muss ich in Ruhe telefonieren.«

Als er zurückkehrte, telefonierte sie immer noch. Hans wunderte sich, denn dieses Handy hatte er noch nie gesehen.

Sie legte es kurz beiseite und flüsterte: »Ein Prepaid-Handy, habe ich immer dabei, für alle Fälle. Heute ist es so weit, keiner soll meine Nummer zurückverfolgen können.« Tonja hatte sich inzwischen angekleidet, sie trug Jeans und eine Bluse. Es stand ihr gut, wie alles, was sie anzog.

Sie hatten sich erst im Frühling – es war kaum vier Monate her – in einer Sachsenhäuser Apfelweinkneipe kennengelernt. Bei Hans hatte es sofort gefunkt, bei Tonja beim dritten Treffen. Kurz darauf begann sie, Höschen um Höschen bei ihm einzuziehen. Es ging rasch mit ihren wenigen Habseligkeiten. Eine wilde Zeit, zu der auch Durstewitz gehörte. Zumindest bis der sich mit den vier Millionen vom gemeinsamen Konto aus dem Staub gemacht hatte.

Hans riss sich aus den gedanklichen Abschweifungen und fixierte Tonja. Sie führte ein wohl wütendes Gespräch auf Kroatisch. Hans stand stumm in der Ecke des Arbeitszimmers, er verstand kein Wort. Eine seltsame Sprache. Tonja verfiel jäh in einen anschwellenden Singsang sirrender Vokale, dann kam ein Sturzbach ratternder Konsonanten – mršav, brzo, krk, trg. Hans kam es vor, als ob sie mit einem Maschinengewehr auf Kokosnüsse schoss.

Tonja hatte sich die Haare zu einem Zopf gebunden, die Haut über ihren hohen Wangenknochen glühte. Sie war konzentriert, wovon tiefe Querfalten über den hochgezogenen Brauen zeugten. Vor ihr auf dem Bildschirm die magischen 200 Millionen. Das Maschinengewehr schoss weiter, und Hans schweifte erneut ab.

Was sie wohl fand an ihm, diesem Verlierer? Er sah noch ziemlich gut aus mit seinen 40 Jahren, aber außer der Hülle hatte er im Moment – ein Moment, der sich hinziehen konnte – nichts zu bieten. Sie war bei ihm geblieben, als er ihr das Ausmaß der Katastrophe unterbreitet hatte. »Was hat das mit uns zu tun?«, hatte sie gemeint und dass vier Millionen Verlust sowieso derart unfassbar sei, dass sie sich lieber an ihm festhalte.

Endlich legte Tonja auf. Hans winkte mit den Banknoten, ihre Augen funkelten.

»Na also, wir sind wieder flüssig.«

»Mit wem hast du gesprochen? Das klang nach einem Streit.«

Tonja lachte. »Ach was, so reden wir immer. Das war Drago, ein ehemaliger Kommilitone. Arbeitet bei der Zagorska Banka in Zagreb. Praktischerweise genau dort, wo wir ihn brauchen.«

»Für was brauchen wir einen Banker in Zagreb?«

»Bäumler, wir können doch nicht zu deiner Concom gehen und deinen Kundenberater höflich bitten, uns 200 Millionen in einen Überseekoffer zu füllen.«

»Erstens«, wandte Hans ein, »entscheide ich, und ich habe noch nichts entschieden, zweitens ist es mein Geld.«

»Dein Geld – haha.«

»Zumindest eine Zahl, die viel zu lang ist, um nur kurz drüber nachzudenken.«

Tonja wedelte mit den Händen. »Egal wie viel, es muss runter von deinem Konto, und zwar jetzt. Ich transferiere es nach Zagreb, dann sehen wir weiter. Drago wird uns dabei helfen.«

»Können wir das nicht in Ruhe diskutieren?«

»Nein, jeden Augenblick kann die Concom ihren Irrtum bemerken und das Konto blockieren. Es geht um jede Minute.«

Hans hasste spontane Entscheidungen, in seinem Kopf brodelte es immer noch, ihm war übel. Zaghaft meinte er: »Hierbleiben können wir dann wahrscheinlich auch nicht?«

Sie schüttelte den Kopf. »Du nicht. Du musst erst mal weg aus Deutschland, dorthin, wo dich niemand findet. Aber ich fahre mit, ist das nichts?« Sie strahlte ihn an.

Hilflos breitete er die Arme aus. »Ich bin in Frankfurt geboren, ich habe hier mein Geschäft, die schöne Wohnung, meine Freunde, ich mag das alles hier.«

Tonja schnaubte: »Ein Deutscher! Immer auf Nummer sicher gehen. Schon bei der Abiturfeier planen, wo man die Rente verzehrt. Meinetwegen, dann mache es dir gemütlich in deinem Leben als Pleitier. Dein Geschäft wird sich die Bank greifen, und auch die Wohnung ist bald weg. Wann hast du denn das letzte Mal Miete gezahlt?«

Hans sackte in sich zusammen und bettete sich auf die Récamiere. Mit der Miete war er drei Monate im Rückstand, nach einer Insolvenz erwarteten ihn lange, graue Jahre. Über ihm schwebte erneut die Grabplatte. Ohnmächtige Wut auf Durstewitz kam hoch, mit dem er so lange so gut kooperiert hatte, auch dann noch, als die Geschäfte schwieriger wurden. Hans war für das Schöne zuständig gewesen und Durstewitz für die Finanzen. Der Vier-Millionen-Deal sollte ihr Befreiungsschlag werden. Doch befreit hatte sich nur Durstewitz. In Hans’ Innerem hallte plötzlich eine Melodie: »Jetzt oder nie«.

Er richtete sich auf und lockerte demonstrativ seine Armmuskeln. »Na dann, leg los! Mach, was gut für dich ist. Das wird auch gut für mich sein.«

Tonja umarmte ihn. »Ich wusste es. Du bist der, den ich meinen Helden nennen will! Und bitte her mit deinem Smartphone.«

Mit ihrem Handy rief sie erneut Drago an und machte sich Notizen. Anschließend nahm sie das Smartphone und loggte sich in das Konto von Hans ein.

Der streichelte sein Lieblingsmöbel und überließ seine Gedanken dem Leerlauf.

Nach wenigen Minuten klatschte Tonja in die Hände. »Es ist vollbracht.«

Hans flüsterte: »Will heißen, von meinem Konto verschwunden?«

»Sagen wir so, ich habe dem Geld den Befehl gegeben, über die Alpen Richtung Südosten zu fliegen. Bis morgen früh sollten wir die Luft anhalten.«

Brillanter Abgang

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