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1. Kapitel

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Frankfurt am Main

Wozu überhaupt aufstehen? Dieser Tag würde noch trostloser werden als der gestrige. Und alles, was er vor sich sah, senkte sich schon jetzt wie eine Grabplatte über ihn. Er vergrub den Kopf noch einmal in sein Kissen, aber dort war kein Ausweg. Hans Bäumler quälte sich vorsichtig, um Tonja nicht zu wecken, aus dem Bett. In seinen mit Nashörnern bedruckten Shorts schlurfte er in die Küche. Wie aus einer anderen Zeit kamen sie ihm vor, die grellgelben Nashörner auf bordeauxrotem Satin, sie erinnerten ihn an die Tage, als alles noch gut gewesen war. Hans stellte den Kaffeeautomaten an, stapfte ins Arbeitszimmer und ließ den Rechner hochfahren. Donnerstag, 8.02 Uhr. Hans schaute auf den leuchtend roten Kreis, den er mit einem Marker auf den Kalender an der Wand gemalt hatte – in einer Woche war Schluss, dann musste er Insolvenz anmelden.

»Spiegel online« erschien als Startseite, doch die News dieser Welt interessierten ihn nicht. Er klickte sich mechanisch zu seinem Account bei der Concom-Bank. Müde scrollte er durch die letzten Kontenbewegungen. Erst gestern waren die 197,33 Euro für die letzte Gasrechnung nicht abgebucht worden, mangels Deckung. So wie manche Abbuchung in den vergangenen Monaten.

Hans loggte sich aus reiner Gewohnheit in das zweite Konto bei der Concom ein, das er noch gemeinsam mit Friedbert Durstewitz hatte. Es erschien in Sekundenschnelle auf dem Bildschirm. Über dieses Konto war so einiges gelaufen. Früher. Nun war schon lange nichts mehr los auf diesem Account, eigentlich führte Hans das Konto nur noch aus einer Art Anhänglichkeit. Sein Blick glitt nach oben, hin zum aktuellsten Posten. Er blinzelte, rieb sich die Augen, er schaute einmal, zweimal, schüttelte den Kopf, kam sich plötzlich wie in einem Wachtraum vor. Er ging in die Küche, goss sich – seine Hände zitterten – einen Kaffee ein und kehrte wie in Trance zurück vor den Bildschirm. Was er dort sah, wirkte wie ein monströser Witz.

Vor genau fünf Minuten hatte ihm die Concom-Bank 200 Millionen gutgeschrieben. Sein Blick flatterte über die elektronischen Ziffern. Keine Frage, irgendwer hatte ihm 200 Millionen überwiesen, genau genommen waren es exakt 200.101.657,22 Euro. Die Ziffern begannen vor seinen Augen zu tanzen. Er scrollte nach unten in der Maske, sah den Absender und las ihn sich laut vor: Phoenix Ltd. Nie gehört.

Er spürte zwei zarte Hände auf seinen Schultern, Tonja war ins Arbeitszimmer gekommen. Sie trug nur sein Oberhemd von gestern, sonst nichts. Sie schien noch halb zu schlafen.

»Musst du dich schon am Morgen quälen? Was soll denn drauf sein auf dem Konto?«, flüsterte sie und küsste ihn am Hals.

»Lies mir doch bitte die Zahl hier ganz oben beim Zahlungseingang vor.«

Sie tauschten die Plätze.

Tonja kniff die grünen Augen zusammen. Lange musterte sie den Bildschirm, murmelte leise vor sich hin. Dann pfiff sie durch die Zähne: »Wahrscheinlich bist du seit heute früh eine mehr als gute Partie.« Tonja sprang auf, warf ihre füllige schwarze Mähne zurück und umarmte Hans. »Wir sind reich. REICH!«

»Aber ich kenne keine Gesellschaft namens Phoenix. Ich muss bei der Concom nachfragen. Am besten persönlich. Gleich wenn die Filiale öffnet, gehe ich rüber«, sagte Hans.

Sie zog ihn am Ohrläppchen wie ein begriffsstutziges Kind. »Bist du verrückt?«

»Zu verrückt, um es zu verstehen.«

»Versteh, was du willst. Es kann nur ein Fehler der Concom-Bank sein. Ich vermute, die haben dir eine Zahlung gutgeschrieben, die für jemand anderen gedacht war. Ein kapitaler Fehler mit einer Riesensumme. Das kommt unter Milliarden Buchungen nur alle paar Jahre mal vor. Ein Zahlendreher, eine falsch eingescannte Ziffer und schon ist es passiert. Fat finger error, ein Wurstfinger-Fehler, heißt das in der Branche. Die Zeitungen sind dann voll davon. Ach, Bäumler.« Wenn Tonja ihm das Leben erklärte, nannte sie ihn gerne mit Nachnamen.

Hans ging wieder in die Küche, ließ einen zweiten Kaffee in seine Tasse tröpfeln, seine Hände zitterten noch immer. Er war froh, ihr nicht in die Augen schauen zu müssen, und rief ihr von der Küche aus zu: »Na, da trifft es sich ja gut, dass du aus dem Bankwesen kommst.« Er schleppte sich zurück ins Arbeitszimmer, umarmte sie von hinten und flüsterte: »Nur dass 200 Millionen etwas zu viel sind für meine Fantasie. Außerdem gehört mir das Geld gar nicht.«

Tonja tippte mit einem Zeigefinger auf den Bildschirm. »Doch, doch. Immerhin steht hier schwarz auf weiß geschrieben, dass du nicht mehr pleite bist.« Sie stand auf und stemmte ihre Hände in die Hüften. »Haben wir die Bank gezwungen, uns das Geld gutzuschreiben? Nein! Wir haben uns nicht aufgedrängt. Sieh es einfach als nettes Angebot.«

Hans brauchte frische Luft und öffnete ein Fenster zur Straße hin. Aber es half nichts. Die Augusthitze war längst auf dem Weg nach oben. Ihm wurde schwindlig.

Tonja trat an ihn heran, ihr warmer Atem strich über seinen Nacken. Sie gurrte: »Lass uns die Millionen als Leihgabe betrachten, als Überbrückung in großer Not. Die kriegen es zurück, irgendwann. Wenn wir was draus gemacht haben. Wir lassen das Geld arbeiten. Selbst wenn die Concom später Zinsen haben will, erzielen wir noch ein kräftiges Plus obendrauf.«

Hans ließ sich auf der Récamiere in seinem Arbeitszimmer nieder, seiner Lieblingsruhestätte. Er war wie gelähmt, nun zitterten auch seine Knie. Er sagte matt: »Das habe ich noch nie erlebt, das geht doch alles gar nicht.«

Tonja ging in die Hocke vor ihm, das Oberhemd klaffte auf und ihre Haut duftete nach Pfirsich. »Versuchen wir es mal ganz rational. Denk an deine fünf besten Freunde.«

»Wozu?«

»Was würden die tun, wenn sie zwei Millionen auf ihrem Konto vorfänden, die ihnen nicht gehören?«

Hans überlegte. »Zurückgeben, wenn auch mit einem gewissen Bedauern.«

»Richtig. Und bei 20 Millionen?«

»Das Bedauern wäre intensiver.«

»Wieder richtig. Und bei 200 Millionen?«

»Da kämen alle fünf ins Grübeln.«

Tonja erwiderte: »Wenn sie Mumm haben, würden sie sagen: ›Jetzt oder nie.‹«

Brillanter Abgang

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