Читать книгу Das Gleichnis oder Michas Welt der Smybole - Alexander Kopitkow - Страница 16

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"Schneller als die Zeit?" fragte der Großvater beim Frühstück, als Micha ihm von seiner Idee erzählte, "wie schnell ist denn die Zeit?"

"Ich weiß", überlegte Micha, "das hört sich seltsam an."

"Keineswegs", meinte der Großvater. "Überlegen wir doch mal: Zeit messen wir in Stunden beispielsweise. Einverstanden? Und eine Stunde ist der 24. Teil jener Bewegung, die unsere gute, alte Erde braucht, um sich einmal um sich selbst zu drehen. Also ist Zeit Bewegung im Raum. Und zwar", fuhr der Großvater fort, "Bewegung auf der Erde in Relation zur Bewegung der Erde um sich selbst und um die Sonne. Einverstanden?"

Micha nickte.

"Nennen wir die Bewegungen auf der Erde den 'kleinen Raum' im Unterschied zur Bewegung der Erde selbst im 'großen Raum'.

Will man nun die Zeit in ihrer Geschwindigkeit verändern, sie beispielsweise langsamer laufen lassen, so muss man die Bewegung des 'kleinen Raumes' - in dem wir die Zeit manipulieren wollen - dem Tempo der Bewegung des 'großen Raumes' ein bisschen mehr annähern - und sie läuft langsamer!“

„Und wie geht das?“ fragte Micha und schaute den Großvater ungläubig an.

„Würdest du in einem Superflieger mit Lichtgeschwindigkeit von hier nach Los Angeles starten, du wärst in null-komma-nix dort angekommen - und acht Stunden jünger wärst du auch. Würdest du aber in die andere Richtung flitzen, nach Tokio zum Beispiel, du würdest in der gleichen Zeit acht Stunden älter geworden sein." antwortete der Großvater mit einem süffisantem Lächeln.

"Wenn ich also in die Vergangenheit will, muss ich in Richtung Los Angeles starten, und in die Zukunft geht es über Tokio?" spekulierte Micha.

"Das ist mir neu." gab der Großvater zurück und schaute Micha fragend an.

"Oder jedenfalls... wenn ich in die Zukunft reisen will", grübelte Micha weiter, "müsste dann meine Bewegung auf der Erde schneller sein als die Bewegung der Erde selbst? Wäre ich dann schneller als die Zeit?"

"Interessanter Gedanke", nickte der Großvater; "wir werden gleich darauf zurückkommen. Halten wir aber zunächst fest: Zeit ist eine Eigenschaft des Raumes."

"Ich denke, der Bewegung." stellte Micha fest.

"Ohne Raum ist keine Bewegung möglich. Bewegung ist Raum."

"So wie Breite, Höhe und Tiefe?" fragte Micha weiter.

"Exakt. Und wie Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft. - Aber es gibt noch ein drittes Prinzip. Nämlich jenes, welches Raum und Zeit überhaupt erst möglich macht... "

Micha sah den Großvater nachdenklich an.

"Du meinst jetzt nicht die Symbole?" fragte er vorsichtig.

"Nicht direkt. Das Prinzip, das ich im Augenblick meine, hatten wir aber auch schon erwähnt. Es äußert sich als Raum, wenn es in den Ebenen von Höhe, Breite und Tiefe schwingt. Und es äußert sich als Zeit, wenn es in den Ebenen von Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft schwingt..." antwortete der Großvater und strich sich sinnend durch den Bart.

"Schwingt?! Ich rate es nicht, sag's mir, bitte."

"Ganz einfach: ich meine das Prinzip der Bewegung - oder Schwingung. Ohne dieses Prinzip gäbe es weder Zeit noch Raum." gab der Großvater zurück.

"Hmm... aber was ist denn Bewegung? Und was ist Schwingung? Ist das nicht ziemlich abstrakt?" Micha schaute ungläubig.

"Bewegung ist Schwingung unter einem Zeitmikroskop betrachtet, gewissermaßen. Damit will ich sagen, dass letztlich alles Schwingung ist. Und Schwingung ist das schöpferische Prinzip, aus dem alles hervorgeht und das in allem enthalten ist - Materie, Raum, Zeit, Symbolik, die gesamte Schöpfung in all ihren Facetten. Insofern ist 'Schwingung' wirklich etwas Abstraktes. Wenn du so willst, sind 'Schwingung' oder 'Bewegung' andere Bezeichnungen für Energie oder Geist."

"Was hat denn Geist mit Schwingung zu tun?" dachte Micha laut.

Der Großvater nickte aufmunternd.

"Du weißt es bereits“, sagte er.

„Ahh so... weil Raum und Zeit Schwingung sind, ist Geist auch Raum und Zeit. Richtig?"

Michas Augen leuchteten.

"Und wie richtig das ist." gab der Großvater zurück.

"Aber trotzdem, Großpapa, eines verstehe ich nicht: dieses Haus hier, in dem wir jetzt sitzen, nimmt ja auch einen bestimmten Raum ein, hier in diesem Garten. Stimmt das?"

Der Großvater nickte.

"Aber dieser Raum verändert sich nicht", fuhr Micha fort, "es ist hier alles ganz bewegungslos. Jeden Tag steht das Haus an derselben Stelle im Garten. Als ich vor zwei Jahren hier war, stand es genau da, wo es heute ist. Ich meine, wo bleibt denn da die Bewegung? Oder die Schwingung?"

"Du erkennst sie nicht, wenn du dein Bewusstsein auf so eine kurzwellige Schwingung wie Tag und Nacht, gestern-heute-morgen usw. fixiert hältst. - Wenn du alle zwei Sekunden auf den Stundenzeiger deiner Uhr schaust, kommt es dir vor, als würde er sich nicht bewegen, obwohl er doch zweimal täglich rund um das ganze Zifferblatt flitzt.

Wenn man die schnelle Schwingung, in der unser Bewusstsein keine Veränderungen bemerkt, verlangsamen will, muss man sich auf eine andere Schwingungsebene einstellen:

Da dieses Haus sich mitsamt seinen Bewohnern in den letzten zwei Jahren nicht verändert hat, außer dass es einen neuen Anstrich bekommen hat und die Pflanzen gewachsen sind, muss man es vielleicht aus der Ebene der Jahrhunderte betrachten - schauen wir also mal voraus. Und siehe da: schon in den ersten hundert Jahren bin ich fort, du bist auch schon ein bisschen älter, das Haus aber ist verfallen oder abgerissen, der Garten wurde planiert und betoniert - als Parkplatz für einen Supermarkt. Doch auch der wird nicht ewig stehen; in einem späteren Jahrhundert ist er der Erweiterung des Flughafens gewichen und so weiter und so fort.

Oder rückwärts in der Zeit:

Vor fünfhundert Jahren war das hier ein wunderschöner Wald, hundert Jahre später wurde daraus ein Acker, noch mal hundert Jahre später wurde aus dem Acker dieser Garten; das Haus wurde gebaut... und mit diesen Veränderungen kamen und gingen natürlich auch viele Generationen von Menschen - die in ihrer Kurzlebigkeit jeweils kaum all die Veränderungen bemerkten.

So betrachtet, gleicht unser Planet der Wartehalle eines Flughafens; hier herrscht ein ständiges Kommen und Gehen. Und auch die Halle selber verändert sich dabei, aber natürlich nicht so schnell wie die Fluggäste starten und landen.

Gibst du mir bitte den Honig rüber? Danke. - Zeit ist also Bewegung im Raum. Wollten wir demnach die Zeit anhalten, müssten wir logischerweise unsere Bewegung im Raum anhalten. Einverstanden?"

Micha nickte.

"Stell dir vor, du sitzt in einem Flugzeug und es hätte soviel Treibstoff an Bord, dass es immer mit der Sonne mitfliegen könnte oder richtig ausgedrückt entgegen der Erdrotation, also mit einer Geschwindigkeit von etwa 40.000 Kilometern in 24 Stunden oder ungefähr 1.700 Kilometern pro Stunde. Während die Erde unter dir sich weiter dreht, würdest du also deine Position zur Sonne nicht verändern. Es wäre also dort, wo du gestartet bist, meinetwegen schon Nacht, während bei dir im Flieger noch immer Mittag ist. Kannst du dir das vorstellen?"

Micha nickte und ließ seinen Toast verbrennen.

"Dein Toast verbrennt. Wenn du, wie gesagt, deinen Flieger in der Zeit still stehen lassen willst, so müsstest du natürlich auch die Jahreszeiten-Veränderung ausgleichen, die ja dadurch entsteht, dass die Erde sich - außer um sich selbst - auch noch um die Sonne bewegt. Angenommen, du bist gestartet, als die Sonne in neun Grad Schütze stand. Also müsstest du den Planeten Erde unter dir vorbeiziehen lassen, um deinen Flieger auch weiterhin auf der Position neun Grad Schütze halten zu können. Logisch?"

Micha nickte und balancierte seinen halbverbrannten, heißen Toast auf seinen Teller.

"Aber leider ist es damit noch nicht getan. Denn da auch unser Galaxis sich um sich selbst dreht, müsste dein Flieger, um seine Position im Raum nicht zu verändern - und damit in der Gegenwart zu bleiben - auch die Bewegung der Galaxis um ihr Zentrum durch eine entsprechende Gegenbewegung ausgleichen, indem er also auch seine Position in neun Grad Schütze aufgibt - wie er auch schon die Position über der Erde aufgab - um die Bewegung unserer Galaxis mit einem Tempo von ca. 300.000 Lichtjahren innerhalb von 220 Millionen Erdenjahren auszugleichen. Nur - damit ist es leider auch noch nicht getan, denn unsere Galaxis dreht sich mit ungezählten anderen Galaxien um ein weiteres Zentrum, das sich wiederum mit vielen anderen Zentren um ein noch zentraleres Zentrum dreht, und so weiter - was es ebenfalls alles auszugleichen gilt... du verstehst?"

Micha schaute nachdenklich:

"Hmmm... du sagst, wenn wir die Zeit anhalten wollen, müssen wir logischerweise unsere Bewegung im Raum anhalten. Aber stattdessen haben wir mittlerweile doch schon ein ziemliches Tempo drauf, oder?"

"Richtig. Aber was von der Erde aus gesehen ein Wahnsinnstempo ist, bedeutet ja gleichzeitig die Annäherung an die absolute 'Ruhe', in der die Zeit stillsteht.

Das Gleiche geschieht mit dem Raum: was von der Erde aus betrachtet ausschaut wie die Durchquerung der 'unermesslichen Weiten des Universums', ist gleichzeitig die Annäherung an die vollkommene Bewegungslosigkeit... - bis der Flieger schließlich in jenes absolute Zentrum gelangte, in welchem alles ruht - und um das sich gleichzeitig alles dreht.

Dort gäbe es für ihn keine Zeit mehr, aber leider auch keinen Raum und auch kein Universum - jedenfalls für den Zeitraum, indem er sich da aufhält."

"Hmm. Das bedeutet also", überlegte Micha, "dass ich sehr viel Platz brauche, um die Zeit anzuhalten?"

"So ist es: je mehr Raum du quasi 'verbrauchst', desto weniger Zeit - und je mehr Zeit du verbrauchst, desto weniger Raum."

"Hähh? Wie kann man denn 'mehr Zeit' verbrauchen?" fragte Micha und kratzte sich am Kopf.

"Denk an unsere Betrachtung dieses Gartens hier im Tempo der Jahrhunderte: aus dem Wald wurde ein Feld, aus dem Feld ein Garten, aus dem Garten wird ein Parkplatz, aus dem Parkplatz eine Rollbahn... - immer derselbe Raum."

"Ich verstehe."

"Kennst du das grafische Symbol für 'unendlich'?" wollte der Großvater wissen.

"Die liegende Acht?" gab Micha zurück und biss in seinen Toast.

"Genau. Die Lemniskate. Ich werde dir nun ein Geheimnis - oder Arcanum - über ein ganz besonderes Symbol anvertrauen. Und du bist wiederum der Erste, der davon erfährt. Also - vor langer Zeit, lange bevor der Mensch auf der Erde erschien, existierte schon das Symbol für die Ewigkeit und den Geist der Schöpfung - in Form eines Kreises... "

"Entschuldige, Großpapa, gab es denn schon Symbole, bevor es Menschen gab?" fragte Micha während er weiter sein Toastbrot aß.

"Sicher, alles im Universum ist Symbol, ja selbst das Universum ist Symbol - ein Symbol für den 'Großen Geist', ob das nun eines seiner ungezählten Geschöpfe erkennt, oder nicht.

Wie dem auch sei - das Symbol für die Unendlichkeit des Geistes als ein Kreis existiert beispielsweise in der Form der Sonnenscheibe, es existiert in der Kreisbewegung, in welcher die Galaxien sich um ferne Zentren drehen - oder die Elektronen um ihren Atomkern, kurz es existiert überall im Universum als Symbol für reine Energie oder Schwingung, für Geist eben, ohne Anfang und ohne Ende. Das war in diesem besagten Kreis als Symbol ausgedrückt.

Würde man übrigens in die Mitte des Kreises einen Punkt zeichnen, so hätte man das Symbol für das Bewusstsein; denn Bewusstsein ist konzentrierter Geist.

Als der Mensch auf der Erde erschien, war auch sein Geist eine Schöpfung aus reiner Energie oder Schwingung. Nur war es ein winzig kleiner Geist innerhalb des gewaltig großen Geistes der gesamten Schöpfung."

"Und - hatte er einen Punkt in der Mitte?" fragte Micha.

"O ja, nur scheint es manchmal, als hätte er ihn bis heute noch nicht bemerkt." meinte der Großvater.

"Und der große Geist? Hat der auch einen Punkt in der Mitte?" wollte Micha weiter wissen.

"Selbstverständlich, aber dieser Punkt ist so groß wie der große Kreis selbst. Und der wiederum ist grenzenlos. - Nennen wir der Einfachheit halber den großen Geist des Alls 'das große Bewusstsein' - oder den großen Kreis - und den winzigen Geist des Menschen 'das kleine Bewusstsein' oder den kleinen Kreis.

Weil nun der Mensch diesen unendlich großen Geist - das Universum, in dem er existiert - mit seinem winzigen, engen Bewusstsein irgendwie zu erfassen - d.h. zu verstehen - suchte, gelang ihm das schließlich dadurch, dass er den großen Kreis auf die Winzigkeit menschlichen Begreifens zusammenquetschte. Aber - durch dieses Kunststück erschien ihm der große Geist leider ziemlich deformiert, zusammengequetscht zu einem ‘Achter’, den er in der Mitte, an seiner schmalsten Stelle also, halbwegs zu umfassen vermochte, wenn auch ziemlich verformt, wie gesagt.

Die Energie des großen Kreises floss nun nicht mehr im Kreis, sondern in Form der liegenden Acht: einmal links herum und einmal rechts herum - dann wieder links herum und wieder rechts herum.

Und genau in der Mitte, dort wo das sehr kleine Bewusstsein das sehr große Bewusstsein zu 'umfassen' glaubte - es in Wirklichkeit aber nur verformte -, erschien dem Menschen die immer gleiche Energie, wenn sie links herum strömte als 'Raum' und wenn sie rechts herum strömte ... "

"... als Zeit." ergänzte Micha.

"Richtig. Dieses äußerst seltsame Gebilde, die 'Unendlichkeit in Raum und Zeit', beschäftigte nun ungezählte Generationen kleiner Bewusstseins-Zentren, die sich alle bemühten, zu erfassen, was es wohl mit diesem merkwürdigen Raum-Zeit-Universum auf sich haben könnte.

Man begann schließlich zu experimentieren: man verschob den kleinen Kreis, der ja den großen Kreis zu der liegenden Acht verdreht hatte - mal ein bisschen nach links, mal ein bisschen nach rechts... und machte die seltsame Entdeckung, dass sich das Raum-Zeit-Verhältnis dadurch auch ein wenig verschob. Aber nur ein kleines bisschen, nicht der Rede wert eigentlich. Und dennoch - mit diesem Phänomen sind wir heute noch beschäftigt."

"Aber wie kann denn so ein kleiner Geist den großen Geist so verdrehen? Ist er so stark?" fragte Micha während er noch eine Toastbrotscheibe in den Toaster steckte.

"Keine Angst, er hat in Wirklichkeit natürlich nichts verdreht, außer in seinem eigenen, kleinen Bewusstsein.- Wenn du dich später einmal mit dem Rätsel von Raum und Zeit beschäftigen willst und du bist vielleicht ein Physiker geworden, so wirst du wohl deinen Bewusstseinskreis in die Außenwelt verschieben wollen und dort - möglicherweise in einer Rakete - versuchen, die Zeit zu erforschen.

Bist du dagegen ein Metaphysiker geworden, so wirst du den Bewusstseinskreis zur anderen Seite hin, in die Innenwelt, verschieben und dort, durch inneres Reisen, versuchen, dir Klarheit zu verschaffen. Und dann kommt jenes kleine Geheimnis ins Spiel, von dem ich schon gesprochen habe: nicht durch horizontales Bewegen wird man das Rätsel lösen, sondern durch vertikales Bewegen. Nicht die Außenwelt der Materie sondern die Innenwelt unseres Geistes bringt uns voran. Man muss den engen Kreis seines kleinen Bewusstseins vertikal zu erweitern lernen - soweit, bis die gequetschte Acht wieder ihre wahre Gestalt zurückgewinnt..."

"... den Kreis!" ergänzte Micha treffend.

Micha biss nachdenklich in seinen Käse-Toast.

"Und dann? Ich meine, ist das dann die Lösung des Rätsels?" fragte Micha.

"Es gibt kein Rätsel und es gibt keine Lösung." erwiderte der Großvater.

"Hmm. - Aber... Ich verstehe. Was ist eigentlich ein Metaphysiker, Großpapa?"

"Ein Metaphysiker geht einem 'unhintertreiblichen Bedürfnis' nach - wie Kant das formulierte, nämlich dem Wesen der Schöpfung nachzuspüren. So gesehen ist der Metaphysiker der Vater aller Philosophen und das obwohl man ihm gelegentlich vorwirft, er verfälsche die Wirklichkeit. Aber das stimmt natürlich nur, wenn man 'Wirklichkeit' aus der Perspektive eines Flachdenkers betrachtet.

Doch kommen wir noch mal auf die Lemniskate zurück, den gequetschten Kreis..."

"Also, wenn ich das richtig verstanden habe", überlegte Micha, "lässt sich mit meinem Flieger die Zeit nur verlangsamen, aber nicht anhalten oder rückwärts drehen. Und außerdem...", sinnierte er, "was nützt mir das Stillstehen der Zeit, wenn ich dann gar nicht mehr auf der Erde bin? Und überhaupt - wo bin ich dann?"

"Dann wärst du dort, wo Raum und Zeit ihren Ausgangspunkt nehmen - also jenseits von Raum und Zeit." stellte der Großvater fest.

"Bedeutet das, ich muss, wenn ich die Zeit vorwärts oder rückwärts laufen lassen will, so schnell fliegen, dass ich in eine andere Dimension komme?" fragte Micha weiter.

"Im Prinzip ja. Aber dein irdischer Körper aus Haut und Knochen, Fleisch und Blut und ebenso dieser materielle Flieger aus Aluminium und Stahl wären eher ungeeignete Werkzeuge, die Dimension zu wechseln: sie würden sich zuerst verflüssigen müssen, dann verdampfen um sich zuletzt in reine Energie zurück zu verwandeln.

Das ist alles relativ unpraktisch und aufwendig - und obendrein auch ziemlich tödlich.

Lass uns noch einmal klarstellen: will man die Zeit anhalten, muss man sich ebenso schnell wie das Universum aber in entgegengesetzter Richtung bewegen. Will man die Zeit rückwärts oder schneller vorwärts laufen lassen, muss man sich schneller als das Universum bewegen. Oder anders formuliert: um die Zeit zu manipulieren, müssten wir das Universum zum Stillstand bringen - oder es beschleunigen. Dazu fehlt uns Menschen momentan aber noch das Know-how... glücklicherweise."

"Wie schade, dann gibt es die Zeitreisen doch nur im Kino?"

"Nicht unbedingt. Immerhin hat uns der Große Geist - außer unserem materiellen Körper - für solche Sonderfälle auch noch einen flüssigen, einen luftartigen und einen Feuer- oder Geistkörper mitgegeben, nämlich den Astralkörper, den Mental- und den spirituellen Körper, die im Normalfall alle hübsch aufgeräumt ineinander stecken, genauso wie die russischen Holzpüppchen, die Matroschki. So lehrt es jedenfalls die okkulte Philosophie.

Wollen wir demnach die Dimension wechseln, aber den strapaziösen Umweg über den Raum und die Verdampfung der Materie vermeiden, so verlagern wir unser Bewusstsein aus dem physischen Körper in einen der anderen, also vielleicht in den mentalen Körper, und siehe da... wir befinden uns jenseits von Raum und Zeit!"

"Und warum?"

"Raum und Zeit als mehr oder weniger unveränderliche Größen sind lediglich Merkmale der irdischen, mehr oder weniger unveränderlichen Welt. Ich will damit sagen, Raum und Zeit sind - ebenso wie die Materie - nur relativ stabil. Und außerhalb der materiellen Welt sind sie ganz besonders relativ, wenn du verstehst, was ich meine."

"Das bedeutet, ich kann mich außerhalb der materiellen Welt vorwärts und rückwärts in der Zeit bewegen?"

"Das genau bedeutet es - denn auf der irdischen Ebene gibt es immer nur Gegenwart..."

"Moment, Großpapa, wieso denn das?"

"Wieso denn was?"

"Du sagst, auf der Erde kann man nur die Gegenwart erleben?"

"Richtig."

"Aber den gestrigen Tag habe ich auch auf der Erde erlebt. Und der ist Vergangenheit."

"Richtig. Aber bist du jetzt auf der Erde?"

"Ja."

"Und erlebst du jetzt den gestrigen Tag?"

"Nein, das nicht... ich erlebe den heutigen Tag."

"Oder erlebst du vielleicht gerade den morgigen Tag?"

"Nein, den erlebe ich natürlich erst morgen."

"Also könnte man sagen: alles, was deine irdischen Sinne dir vermitteln, ist Gegenwart?"

"Moment, Großpapa... der Weiher da draußen... ich kann ihn jetzt nicht sehen. Und trotzdem gehört er zur Gegenwart. Er liegt jetzt da draußen, obwohl ich ihn nicht sehe."

"Woher weißt du das?"

"Ich weiß es eben... weil er gestern da war und morgen auch wieder dort sein wird."

"Aber das bedeutet ja, dass die Gegenwart dieses Sees - ebenso wie seine Verhangenheit und seine Zukunft - in deinem Kopf stattfindet, auf der Mentalebene also - und nicht auf der physischen Ebene."

"Gut, meinetwegen. Aber... wenn ich zum Beispiel nachts den Sternenhimmel da draußen betrachte, dann müsste er ja nach deiner Theorie Gegenwart sein. In Wirklichkeit sehe ich aber viele Lichtjahre alte Vergangenheit."

"Woher weißt du das mit den Lichtjahren?" fragte der Großvater.

"Das habe ich in der Schule gelernt", antwortete Micha.

"Also findet die Vergangenheit, die du bei der Betrachtung des Sternenhimmels zu beobachten glaubst, in Wirklichkeit in deinem Kopf - auf der Mentalebene - statt, während deine Augen - auf der physischen Ebene - das Eintreffen des Lichtes in diesem Moment der Gegenwart registrieren. Ist das richtig?"

"Ich glaube. Aber das Aussenden des Lichtes dieser Sterne findet doch auch auf der physischen Ebene statt - und nicht in meinem Kopf!"

"Gut. Aber das Licht, das du jetzt beobachtest, ist - wie du schon sagtest - seit Lichtjahren unterwegs, um in diesem Moment für dich Gegenwart zu sein. Folglich findet dieses 'Aussenden des Lichtes auf der physischen Ebene' auf der Mentalebene statt. Dort - auf der Mentalebene - wird die Vergangenheit zur Gegenwart. Aber die Mentalebene ist nicht die physische Ebene. Das darf man nicht verwechseln.

Vergangenheit und Zukunft finden stets außerhalb der physischen Welt unserer fünf Sinne statt, da diese uns immer nur die Gegenwart bieten können - wie fern oder nah jene Vergangenheit oder Zukunft auch immer sein mögen, die wir hier und jetzt, in diesem Augenblick, gerade erleben."

"Hmm... Wenn wir hier immer nur Gegenwart erleben, was ist dann mit diesen Filmen, wo jemand aus der Zukunft in die Vergangenheit reist, um dort etwas zu verändern, damit es in der Zukunft keine Katastrophe gibt? So jemand wüsste dann ja gar nicht, ob er überhaupt in der Vergangenheit angekommen ist - weil er ja nur Gegenwart erlebt."

"Genau so ist es. So was funktioniert nur in Hollywood. Denn er könnte die Vergangenheit überhaupt nicht als Vergangenheit erkennen. Auch an seinen Auftrag, mit dem er kam, könnte er sich nicht erinnern.“

„Und warum nicht?“

„Weil er seine Zukunft vergessen hat. Kannst du dich an deine Zukunft erinnern? Oder kannst du dich erinnern, weshalb du hier bist?“

Micha hob die Schultern und sah seinen Großvater fragend an:

„Hier, bei dir?“

„Auf dem Planeten Erde.“

„Keine Ahnung. Nur so - vielleicht?“

„Siehst du? Und so wie dir geht es den meisten. Aber - wir alle sollten uns erinnern. Und außerdem - in der Schöpfung gibt es nirgendwo ein nur so oder vielleicht. Selbst das Chaos entfaltet sich gesetzmäßig.“

„Aber wenn ich aus der Zukunft hier hergekommen bin, oder aus der Vergangenheit, müsste ich da nicht anders angezogen sein, wie... Batman vielleicht oder wie Fred Feuerstein?“

"Die einzig passende Kleidung überhaupt, um die niemand herum kommt, der unsere Zeit betreten will - egal von wann oder wo er kommt, wie bedeutend oder unbedeutend er auch immer sei -, ist nun mal ... ?"

"Ich weiß es nicht. Sag's mir."

"...der physische Körper. - Man muss in unsere Wirklichkeit geboren werden. Daran führt kein Weg vorbei - und keine Zeitmaschine.“

„Aber ich meinte doch nicht unsere Wirklichkeit sondern unsere Gegenwart, Großpapa.“

„Nur die Gegenwart ist Wirklichkeit, Sohn. - Im Übrigen... jetzt, zur Jahrtausendwende haben einige Zeitreisende diese Mühe einer irdischen Existenz nicht gescheut und sich auf unserem Planeten eingefunden, um hier und jetzt die Weichen zu stellen und eine bedrohliche Entwicklung abzuwenden. Ihr Problem ist nur - sich an ihren Auftrag zu erinnern."

"Was für eine bedrohliche Entwicklung könnte das denn sein, Großvater?"

"Der uralte Kampf zwischen Geist und Materie..."

„Ich dachte, du sagst jetzt Gut und Böse.“

„Das ist dasselbe, nur aus einem anderen Blickwinkel betrachtet.“

"...Gut und Böse... verstehe", sagte Micha, "bedeutet das, manche Menschen leben eigentlich in der Zukunft und haben es nur vergessen?"

"Es kommt auf den Standpunkt des Betrachters an - und der ist natürlich relativ."

"Und aus der Vergangenheit ist niemand zur Jahrtausendwende angereist?"

"Doch natürlich, auch aus der Vergangenheit - all die Gnostiker, Katharer, Albigenser und wie sie alle heißen, die einst zu Tausenden als Ketzer ermordet wurden, - all jene Wissenden, die seinerzeit durch die Glaubenden getötet wurden..."

"Warum wurden sie getötet?"

"Weil sie sagten, Wissen, Liebe und Bewusstsein bedürfen keiner weltlichen Institution. Wir werden später noch ausführlicher auf diese sogenannten Ketzer eingehen, wenn es dich interessiert.

Wie gesagt, viele sind gekommen, um der Religion des Wassermannzeitalters - der Esoterik - den Weg zu bereiten."

"Wollen sie sich an der Kirche rächen?"

"Wo denkst du hin, Sohn?! Sie sind eher so eine Art Geburtshelfer, denn es gilt, den Geist aus seiner erstarrten, materiellen Umklammerung zu befreien, um ihn für die Generationen des kommenden Zeitalters wieder strahlen zu lassen."

"Für die Christen?"

"Für alle Menschen. Esoterik ist an keine Religion gebunden."

"Hmm... Ich glaube, ich verstehe."

"Gut. Aber kommen wir noch einmal zurück auf die Frage nach Vergangenheit und Zukunft. Wir alle leben genauso in der Zukunft, wie wir gleichzeitig auch in der Vergangenheit leben und halten das für Gegenwart. Denn, wie gesagt, die irdische Ebene unserer fünf Sinne, im Gegensatz zu den anderen Bewusstseinsebenen - oder Welten - erscheint uns immer als Gegenwart."

"Moment, Großpapa. wenn ich träume, dass die Schule brennt und ich sehe sie im Traum wirklich brennen, dann ist das doch auch Gegenwart. Aber es passiert trotzdem nicht auf der Erde."

"Dann lass es mich präzisieren: Gegenwart findet immer dort statt, wo unser Bewusstsein zentriert ist. Sei es auf der irdischen, der astralen, der mentalen oder spirituellen Ebene."

"Aber sagtest du nicht, unsere Sinne lassen uns Gegenwart empfinden?"

"Ja, denn Bewusstsein und Sinne - seien es die äußeren oder seien es die inneren - sind aneinander gekoppelt."

"Und was meintest du mit den anderen Welten?"

"Die alten Kabbalisten nannten sie die Welten von Assiah, Briah, Jetzirah und Atziluth und meinten damit die Welten der Verfestigung, der Ausgestaltung, der Schöpfung und die Welt der Ideen. Wir kennen diese Wirklichkeiten schon unter der Bezeichnung der 'klassischen' Elemente als die Ebene der Erde, des Wassers, der Luft und des Feuers, bzw. als die materielle, die astrale, die mentale und die spirituelle Welt."

"Aber ähh... die mentale Welt ist doch..."

"Ist die Welt der Gedanken."

"Wenn ich also denke, benutze ich meinen Mentalkörper, stimmt das?"

"Das will ich zumindest hoffen."

"Ja, aber... wenn ich mir ein vergangenes Ereignis vorstelle - dann muss es doch noch lange nicht real stattgefunden haben, in der Vergangenheit. Es ist doch vielleicht reine Einbildung."

"Ja. Warum fragst du?"

"Weil du sagst, wir erleben Gegenwart, wo unser Bewusstsein konzentriert ist. Aber wenn diese Gegenwart gar nicht stattfindet, weil sie nur eingebildet ist..."

"Die Einbildung auf der Luft- oder Mentalebene entspricht den möglichen Ereignissen auf der physischen oder Erdebene: wir sind in unserer materiellen Welt eingebettet in eine unüberschaubare Fülle von Möglichkeiten.

Und je nach unseren - zumeist unbewussten - Aktivitäten auf der Gedankenebene formen wir unsere Realität, für uns selbst und für unsere Mitgeschöpfe.

Die Gegenwart, in der wir leben, ist also das materialisierte Ergebnis unserer mentalen Aktivitäten. So betrachtet, ist die Wirklichkeit so eine Art eingefrorener Geist, der sich von den anderen Möglichkeiten, die ja auch Realität hätten werden können, unterscheidet wie eine Erinnerung von einer Phantasie."

"Ich verstehe. Realität liegt also immer irgendwo zwischen der Phantasie und der Erinnerung?"

"Wobei die Phantasie und die Erinnerung ihre Entsprechung haben als Zukunft und Vergangenheit auf der Erde - nur mit dem Unterschied, dass man in der materiellen Welt bewusst weder Zukunft noch Vergangenheit erleben kann - sondern immer nur Gegenwart.

Vielleicht erinnerst du dich an unsere kleine Liste, die wir vor zwei Tagen betrachtet hatten. Dort entsprach die Gegenwart dem 'Ich', die Vergangenheit dem 'Es' und die Zukunft dem 'Über-Ich'. Warum erleben wir aber die Vergangenheit mit dem 'Es', dem Unterbewusstsein? Weil nur das 'Es' über den Gedächtnisspeicher verfügt. Das 'Ich', welches die Gegenwart erlebt, ist ohne Gedächtnis. Doch davon später. Im Augenblick wollen wir nur noch kurz die Verbindung des 'Über-Ich'-Bewusstseins mit der Zeitdimension 'Zukunft' festhalten: wir wissen ja schon, dass unsere materielle Welt sich aus den höheren Bewusstseinsebenen des Überselbst heraus manifestiert. Wenn wir also an die Planung unserer Zukunft gehen, sei es als Individuum, sei es als Kollektiv, treten wir mit der Ebene über uns, oder, wenn du so willst, mit der Ebene der Götter in Verbindung. Wohingegen Menschen, deren Bewusstsein ständig um Vergangenes kreist, auf der Ebene unterhalb ihres Bewusstseinslevels festhängen, wie die Grammophonnadel in einer verkratzten Schellackplatte."

"Ich glaube, das verstehe ich. - ... Um also die Dinosaurier nicht im Jurassicpark sondern real in der Vergangenheit zu erleben, muss ich nicht mit dem Flugzeug ganz schnell rückwärts um die Erde flitzen, sondern ich muss... ich muss..."

"Diese Erkenntnis hast du schon mal jenen voraus, die noch immer mit Flachdenken beschäftigt sind: nicht horizontal sondern vertikal musst du lernen, dich zu bewegen - du musst die Ebene deines Bewusstseins verlagern: von der materiellen Ebene auf die astrale oder mentale Ebene. Also musst du dazu deinen astralen oder mentalen Körper aktivieren."

"Und warum bin ich nicht bei den Dinosauriern, wenn ich meine Augen zumache und mich auf sie konzentriere?"

"Weil du erst lernen musst, deinen astralen oder deinen mentalen Körper zu gebrauchen. So wie du vor 14 Jahren angefangen hast, deinen neuen irdischen Körper zu gebrauchen, damit er dir halbwegs zuverlässige Informationen aus der Welt von Raum und Zeit vermittelt."

"Und wenn ich meinen mentalen Körper richtig gebrauchen kann? Kann ich dann eingebildete Sachen von wirklicher Vergangenheit unterscheiden?"

"Das gelingt nicht jedem, nebenbei bemerkt. - Es gibt auf der mentalen Ebene nach Aussagen mancher Okkultisten die so genannte 'Akasha-Chronik', so eine Art Welt-Gedächtnis für Vergangenes und Zukünftiges. Und wer in dieser Chronik zu lesen vermag, tut das so ähnlich, wie wir Normalsterblichen uns eine Kassette anhören oder ansehen. Jedenfalls behaupten das manche Hellseher oder medial begabte Menschen."

"Aber wie kann man sich denn an etwas Zukünftiges erinnern?"

"Vergiss nicht, Sohn, Vergangenheit und Zukunft sind lediglich Phänomene unserer rationalen, äußerst eingeschränkten Sichtweise. Raum und Zeit sind symbolisch verklausulierte Hinweise auf das ewige und unendliche Hier und Jetzt jenes allumfassenden Bewusstseins, in dem wir als winzigste Partikelchen existieren."


In diesem Moment schickte die Morgensonne einen Lichtstrahl in das Zimmer, der genau auf eine Konsole an der gegenüberliegenden Wand traf. Dort stand ein unscheinbares Gefäß aus Messing, eine kleine Öllampe, die schon seit Ewigkeiten nicht mehr benutzt worden war. Der Großvater folgte dem Blick Michas, dem der Reflex der Sonne ins Auge fiel.

"Volltreffer", grinste der Großvater.

"Aber genau," bestätigte Micha, "was ist das eigentlich für ein Teil?"

"Ein Öllämpchen aus Persien. Ich hab's schon lange nicht mehr benutzt. Wenn es dich so anstrahlt, vielleicht hat es dir etwas zu sagen?"

"Mir?"

"Warum nicht? Es ist immerhin ein etwas ganz besonderes. Wenn du es entzündest, weckst du nämlich seine magischen Kräfte. Ich schenke es dir."

Der Großvater nahm das alte Lämpchen vom Bord, rieb es mit seinem Ärmel und stellte es vor Micha auf den Tisch.

"Ich glaube, dass auch noch ein bisschen Öl im Hause ist. Also - willst du sie nicht mal ausprobieren? - Aber sei vorsichtig mit deinen Wünschen. Entscheide dich nur für Sachen, die du auch verantworten kannst. Und erwarte keine Wunder: die Naturgesetze kannst du damit nicht aufheben."

"Dann wird wohl auch kein Geist erscheinen und nach meinem Begehr fragen?"

"Jedenfalls kein Geist wie aus 1.001 Nacht."

"Gott sei Dank. Ich würde auch ziemlich erschrecken."

Der Großvater nickte lächelnd:

"Ich auch, fürchte ich. "

Das Gleichnis oder Michas Welt der Smybole

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