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Micha sah gelangweilt aus dem Abteilfenster: Wiesen, Bäume, wiederkäuende Kühe und jede Menge flaches Land. Und darüber ein trostlos schwarzgrauer, mit dicken Wolken behangener Himmel, der jeden Moment seine Schleusen öffnen würde.

Das monotone Rattern der Waggons, das Quietschen und Kreischen der Räder in den Kurven, das laute Geschnatter und Lachen im Nachbarabteil - all das trug dazu bei, dass Micha lieber jetzt als irgendwann später ausgestiegen wäre, denn irgendwie schien ihn im Moment jegliche Geräuschkulisse auf die Nerven zu gehen. Hätte er doch seinen Gameboy mitgenommen, wäre die Zeit schneller vergangen. Aber mehr als eine Stunde musste er sich noch gedulden, bis der Zug am Zielbahnhof ankam. Micha war 14 Jahre alt und wirkte eigentlich wie 16, denn er war recht groß für sein Alter und benahm sich meistens schon ziemlich „erwachsen“. Seine strohblonden Haare waren gerade mal zwei Zentimeter kurz und standen frech nach allen Seiten ab. Die athletische Figur hatte er sich beim Sport antrainiert, aber man konnte sie im Moment nicht sehen, denn der „Schlabber- Look“ verbarg die Figur der Jugendlichen heutzutage.

Micha streifte mit einem kurzen Seitenblick seine Mutter auf dem Sitz neben sich. Sie hielt noch immer die Augen geschlossen und saß bequem zurückgelehnt in Ihrem Sitz. Für ihr Alter wirkte sie noch sehr jung, sie war 37, schlank, trug enge Blue- Jeans und ein enganliegendes, weißes T- Shirt, das ihre jungendliche und dennoch sehr weibliche Figur betonte. Wenn sie ihre langen blonden Haare offen trug, würde man sie höchstens auf 28 schätzen. Meistens band sie die Haare, wie jetzt auch, mit einem Gummi hinten zusammen, was sie einesteils strenger und auch ein bisschen älter machte – als 28 natürlich. Dafür kam ihr wunderschönes Gesicht besser zum Ausdruck und wenn sie schwarze Haare hätte, könnte man sie durchaus mit Liz Taylor in jungen Jahren verwechseln. Mam schlief nicht - wahrscheinlich wollte sie verhindern, dass die Frau auf dem Fensterplatz gegenüber sie in ein Gespräch verwickelte.

Micha sah die alte Dame visavis absichtlich nicht an, die da so offensichtlich auf eine Gelegenheit für einen Plausch wartete. Sie war gekleidet, wie eine typische Oma aus den 60ern, mit Blümchenkleid und weißen, unmodisch wirkenden Schuhen mit halbhohen dicken Absätzen. Ihre grauen Haare waren zu einem Dutt zusammengebunden und darüber saß ein kleines rosa Hütchen, das sich wahrscheinlich schon ein halbes Jahrhundert in ihrem Besitz befand. Zudem tronte auf ihrer Knubbelnase eine Nickelbrille mit dicken Gläsern, die ihre Augen mindestens doppelt so groß wirken ließen.

"Gleich fängt es an zu regnen", sagte sie unvermittelt zu Micha und beugte sich ihm ein wenig entgegen, während sie sich auf ihrem geschlossenen Regenschirm, mit gebogenem Holzgriff abstützte, den sie wahrscheinlich auch als Gehstock benutzte. Ihre Stimme war ein wenig krächzend und zittrig und erinnerte an eine alte Hexe aus einem Märchenfilm.

Micha schaute sie kurz und verschämt an, nickte stumm, drehte seinen Kopf wieder zum Fenster und betrachtete die tief hängenden Wolken.

"Aber das ist nicht so schlimm", fuhr sie fort, "mein Sohn holt mich mit dem Wagen ab."

Wieder nickte Micha, blickte nur kurz zu ihr herüber und fixierte sofort wieder das Fenster.

"Bitte, Mam, mach die Augen auf!" dachte er, "red' du mit ihr. Ich hab wirklich null Bock."

Als hätte sie Michas Stoßseufzer vernommen, öffnete Mam die Augen. Draußen fielen die ersten schweren Tropfen, klatschten gegen die Scheiben wobei sie im Zickzack- Kurs, beinahe waagerecht, vom Fahrtwind getrieben die Fenster hinunterkullerten.

"Eben hab' ich es zu dem jungen Mann gesagt", wandte sich die alte Dame nun mit einem freundlichen Lächeln an Mam, 'gleich wird es regnen'."

Mam nickte bestätigend und nahm zugleich eine aufrechtere Sitzposition ein:

"Kein Wunder. Es soll sogar richtig stürmisch werden, laut Wetterbericht!" Mam deutete mit den Augen zum Fenster, als sie das sagte und die alte Dame musste unvermittelt den Kopf drehen, um das Wettergeschehen zu betrachten.

"Nein, tatsächlich? Was für ein abscheuliches Wetter." Sie schaute mit großen Augen wieder zu Mam und klopfte sie ein paar Mal mit der Schirmspitze auf den Boden und schüttelte zudem ihr ergrautes Haupt.

Mam nickte schweigend und hob dabei leicht die Augenbrauen, als wolle sie sagen: da kann man nichts machen!

Micha sah unbeteiligt aus dem Fenster. Die Landschaft zerfloss hinter dem grauen Regenschleier zu etwas Unbestimmtem, geheimnisvoll Unwirklichem. Er war seiner Mutter dankbar, dass sie ihn von der Last eines so faden Gespräches befreit hatte.

"Wir müssten jetzt bald in Elmsbüttel sein", fuhr die alte Dame fort und spielte nervös an dem Griff ihres Schirmes herum.

"Ach?" fragte Mam und nickte leicht mit dem Kopf.

"Da habe ich vor vielen Jahren meinen ersten Mann kennengelernt", fuhr die alte Dame mit einem freundlichen Lächeln fort, "er war ein gebürtiger Elmsbüttler. Er hatte dort die Metzgerei seines Vaters übernommen."

"Tatsächlich?" entgegnete Mam und setzte höflichkeitshalber einen interessierten Blick auf.

"Seine Familie und die Familie meines Onkels mütterlicherseits waren Nachbarn. Ich war früher oft zu Besuch dort, solange wir Kinder waren. Und nie ist er mir begegnet. Obwohl er doch im Nachbarhaus lebte. Aber als ich dann als Backfisch - oder Teenager, wie man heute sagt - " fügt sie mit einem verständnisvollen Lächeln in Michas Richtung hinzu- "nach Hamburg wollte und noch ein letztes mal nach Elmsbüttel kam, um mich von meinen Verwandten zu verabschieden - da traf ich ihn! Das war Schicksal. Oder höhere Fügung."

Micha tat, als hörte er nicht zu und beobachtete die Regentropfen, die immer neue bizarre Figuren auf die Fensterscheibe zeichneten.

"Ja, das Schicksal geht oft seltsame Wege", sagte Mam, drehte den Kopf in Richtung Fenster und blickte nachdenklich anmutend ins Leere.

"Wie bitte?!" dachte Micha.

Wenn das die Unterhaltung erwachsener Leute war, wollte er lieber ein Schweigegelübde ablegen und sein Leben im Kloster beenden. Obwohl - ein Leben im Kloster...

Das Rumpeln der Abteiltür riss ihn aus seiner Überlegung.

"Hier noch jemand zugestiegen?" fragte der Schaffner, dessen blaue Uniform bestimmt nicht maßgeschneidert war, eher zwei Nummern zu groß. Er schaute einmal kurz, routinemäßig in die Runde und man sah an seinem gelangweilten Gesichtsausdruck, dass er diesen Job schon viele Jahre absolvierte.

Die Antwort war ein Schweigen.

Ein erneutes Rumpeln - und die Tür war wieder zu.

"Mam, krieg ich ‘ne Cola?" Micha legte ein freundlich charmantes Gesicht auf, während er sie fragend und mit großen Augen, denen man nichts abschlagen kann, anblickte.

"Da wirst du dich gedulden müssen, bis der Mann mit dem Getränkewagen vorbeikommt", erwiderte Mam.

"Oh, ich glaube, in Glückstadt wurde ein Speisewagen angängt", sagte die alte Dame ziemlich bestimmt und klopfte erneut mit ihrem Schirm auf den Boden.

"Wunderbar, dann werden wir mal eine kleine Kaffeepause einlegen. Würden Sie solange unsere Sachen im Auge behalten?“ Mam deutete mit einem leichten Kopfnicken auf ihren Koffer und Michas Rucksack im Gepäcknetz.

Damit stand sie auf und schob Micha aus dem Abteil. Rumms! Die Tür war zu.

Auf dem Gang fragte Micha:

"Ich glaube, die Oma wäre am liebsten auch mitgekommen, oder?"

"Sah so aus. Aber wir waren schneller", grinste Mam und ging, Micha vor sich her dirigierend, in Richtung Zugende.


Während sie im Speisewagen saßen, war der Regen noch stärker geworden. Micha konnte von der Landschaft fast nichts mehr erkennen. Es war draußen so düster, dass man sogar die Lampen in den Waggons in Betrieb setzte.

Er genoss es jetzt doch noch, zusammen mit seiner Mutter eine Eisenbahnfahrt zu unternehmen. Noch lieber wäre ihm allerdings, wenn auch sein Vater mitgekommen wäre - schließlich hatte Micha sich eine Menge einfallen lassen, um ihn wieder zurück nach Hause zu holen.

"Natürlich funktioniert Magie!" hatte Michas Großvater früher mal auf Michas Frage geantwortet. Micha hatte diesen Satz noch genau im Ohr. Und der Großvater hatte Recht. Micha wusste es jetzt aus eigener Erfahrung. Schließlich war Paps nach 7 Jahren Trennung tatsächlich wieder nach Hause gekommen...

Aber Micha hütete sich, darüber auch nur ein Wort zu verlieren.

Er durchlöcherte die Zitronenscheibe in seiner Cola mit dem Trinkhalm und fragte sich, ob Mam wohl etwas von seinem kleinen Geheimnis ahnte.

"Ist dir eigentlich nichts aufgefallen?" fragte Mam und schaute Micha mit großen Augen an.

"Nein, was?" Micha nahm einen kräftigen Zug Cola mit dem Röhrchen.

"Die Frau in unserem Abteil... "

"Was ist mit ihr?", wieder schlürfte er mit dem Röhrchen in seiner Cola.

"Ich weiß nicht... ", Mam zupfte abwesend an ihren Haaren herum und schaute nachdenklich aus dem Fenster.

"Dass sie soviel redet?" Micha lehnte sich auf seinem Sitz zurück und schaute Mam nachdenklich an.

"Nein, das meine ich nicht. - Sie wirkt irgendwie merkwürdig, so aufgeregt..."

"Ist mir nicht aufgefallen", sagte Micha und widmete seine Aufmerksamkeit wieder ganz seinem Getränk.

"Sie guckt uns immer so von der Seite an. Und jeden, den sie draußen auf dem Gang sieht, mustert sie wie ein Polizist. Hast du das nicht bemerkt? Außerdem war sie irgendwie nervös, oder aufgeregt."

Micha schnorchelte mit dem Röhrchen die letzten Tropfen aus dem Glas, "Ist das wahr?" fragte er schluckend.

"Wenn ich's dir sage!" erwiderte Mam und schaute Micha mit großen Augen an.

"Ja und, was bedeutet das, ich meine, was denkst du?" sagte er mit erhobenen Brauen und war jetzt sichtlich an einer ernsthaften Antwort interessiert.

"Ich weiß es nicht. Ich habe nur so ein merkwürdiges Gefühl..." Mam schaute wieder aus dem Fenster und guckte eigentlich ins Leere.

"Meinst du, sie will unser Gepäck klauen?" Fragte Micha mit einem ironischen Unterton.

Mam durchwühlte plötzlich nervös ihre Handtasche.

"Was suchst du denn?" fragte Micha.

Aber seine Mutter suchte schweigend und wie es schien, recht aufgeregt, weiter.

"Mam, was suchst du!" Micha beugte sich ein wenig vor und blickte in Richtung der geöffneten Handtasche.

Mams Gesicht entspannte sich; sie klappte die Handtasche zu und legte sie auf den Sitz neben sich.

"Nichts, nichts. Alles in Ordnung. Magst du noch eine Cola?"


Eine Überraschung erwartete die beiden, als sie in ihr Abteil zurückkamen: es war leer. Die alte Dame war fort, mitsamt ihrer Reisetasche auf Rädern und dem Mantel.

Micha schaute ins Gepäcknetz. Na jedenfalls war sein Rucksack und der Koffer seiner Mutter noch da.

"Wo ist sie hin?", fragte Mam, während sie sich nachdenklich am Kopf kratzte, "ich meine, der Zug hat doch inzwischen kein einziges mal gehalten!"

"Vielleicht ist sie aufs Klo...", erwiderte Michael mit weit geöffneten Augen.

"Mit Mantel und Gepäck?" fragte Mam und schaute fragend zur Türe.

"...Oder sie hat einfach das Abteil gewechselt." überlegte Micha.

"Aber warum denn um Gotteswillen! Ich sage dir, mit dieser Frau stimmt was nicht!" Mam ließ sich langsam auf ihren Sitzplatz sinken und schaute suchend im Abteil umher, um eine Spur zu entdecken.

"Ach Mam, was soll denn an einer alten Oma nicht stimmen. Meinst du, sie hat eine Bank ausgeraubt?" Auch Micha suchte ein Zeichen oder ein Indiz, das darauf hindeuten könnte, wo die alte Dame abgeblieben sein könnte.

Er schaute auf den Boden und bemerkte etwas unter der Sitzbank. Mam folgte seinem Blick und beugte sich vor.

"Was ist?!" fragte sie beunruhigt und legte die Stirn nachdenklich in Falten.

Micha zog einen einzelnen Schuh hervor und betrachtete ihn erstaunt von allen Seiten.

"O Gott!" sagte Mam erschrocken, "das ist einer von ihren Schuhen!"

"Bist du sicher?" Micha blickte den Schuh fragend an, als könne er verraten, was geschehen sei.

"Absolut!" Mam rutsche nervös auf ihrem Sitz hin und her.

"Und was bedeutet das?" fragte Micha ziemlich kleinlaut, beinahe flüsternd.

"Schatz, ich hab' keine Ahnung. Ich weiß nur, dass hier etwas nicht stimmt!"

Micha hatte den Schuh auf die Bank gestellt und war noch mal hinunter getaucht.

"Hier ist noch was!"

"Was denn, um Gotteswillen!" Auch Mam sprach auf einmal ganz leise.

Micha hielt zwischen Daumen und Zeigefinger eine benutzte Einwegspritze, deren Kanüle eindeutig mit frischem Blut benetzt war.

"Fass' das nicht an. Du kannst dir sonst was holen!" zischte Mam erschrocken. Micha gehorchte sofort. Er legte die Spritze mit gepreizten Fingern und äußerst vorsichtig neben den Schuh und fixierte dabei mit angewidertem Blick die blutige Nadel.

"Das versteh' ich nicht", sagte er und schüttelte bedächtig den Kopf.

"Ich wusste es! Mir war die Sache von Anfang an nicht geheuer." Mam verschränkte die Arme vor der Brust und blickte ebenso entsetzt auf die gefundenen Utensilien, wie Micha.

"War sie ein Junkie?" grübelte Micha laut.

"Dummes Zeug." Mam wurde sichtlich unruhig.

"Aber wo ist sie hin?!" fragte sie sich selbst und blickte sinnend ins Leere.

Als im Nachbarabteil die Tür aufgeschoben wurde, nahm Micha eine alte Zeitung aus dem Gepäcknetz und legte sie über den Schuh und die Spritze.

"Was machst du denn da?" wollte Mam wissen und richtete sich in ihrem Sitz auf.

"Nichts", sagte Micha. Er öffnete die Abteiltür, schob nur den Kopf hinaus, schaute mehrmals in beide Richtungen.

"Wo willst du hin!" fragte Mam und spielte nervös am Verschluß ihrer Handtasche herum.

"Ich will nur mal gucken - bin gleich wieder da!"

Damit war Micha mit einem Satz auf den Gang hinaus getreten und schlenderte durch den Wagen, gaanz unauffällig, beide Hände in den Hosentaschen. In den Nachbarabteilen war alles ruhig; die Leute schliefen oder sie lasen. Alles war ganz normal. Auch das laute Reden im Abteil auf der anderen Seite hatte sich nicht verändert. Micha wollte nicht so weit weg von Mam und beschloss doch wieder umzukehren. Mam steckte gerade ihren Kopf auf den Gang hinaus, um zu sehen, wo Micha so lange blieb, als dieser zurückkehrte.

"Keine Spur von irgendwas" sagte er leise, während er hastig die Abteiltüre zuzog und sie sich wieder setzten. Mam sah ihn ratlos und mit großen Augen an und hielt ihre Handtasche mit beiden Händen fest in den Schoß gedrückt, als wolle sie sich daran festhalten.

Vor dem Abteil ging der Schaffner vorbei und wurde direkt an der Tür von einem dicken, schwitzenden Mann mit Vollglaze, in einem hellen , zerknitterten Anzug, um eine Auskunft gebeten. Der Schaffner wälzte die Seiten eines kleinen Buches, redet mit dem Mann... alles schien ganz normal.

Micha und seine Mutter sahen wortlos zu.

"Wir werden den Schaffner fragen", sagte sie.

Der schwitzende Mann schaute, während der Schaffner zu ihm sprach, wie zufällig zu Micha und Mam ins Abteil und tupfte sich ständig mit einem weißen Taschentuch die Schweißtropfen von der Stirn. Er bedankte sich für die Auskunft mit einem Kopfnicken und ging.

„Hast du den gesehen?“ fragte Mam, zeigte mit dem Finger in Richtung Abteiltüre und schaute Micha fragend an.

Micha nickte nur stumm. Mam zog die Abteiltür auf und fragte den Schaffner, der sich schon wieder entfernen wollte, ob er wisse, warum die alte Dame das Abteil gewechselt habe.

"Welche alte Dame?" fragte der Schaffner, während er vergeblich versuchte, seinen Kuli in einem schwarzen Buch zu verstauen. „Irgendwie muss der doch da rein…na also“, zufrieden klemmte er das Buch unter die Achsel, trat ins Abteil und wandte sich zu Mam.

"Die Dame, die mit uns hier im Abteil war!" sagte Mam ungeduldig und zeigte mit dem Finger auf den leeren Fensterplatz, ohne ihren fragenden Blick vom Schaffner abzuwenden.

"Tut mir leid", sagte der Schaffner kopfschüttelnd. "In diesem Zug gibt es einige alte Damen und ich kann mir beim besten Willen nicht alle…."

"Aber Sie waren doch vorhin da und haben gefragt, ob jemand zugestiegen sei", unterbrach ihn Mam aufgeregt.

"Sicher", nickte der Schaffner.

"Und da muss Ihnen doch die alte Dame aufgefallen sein, die dort am Fenster saß!"

"Tut mir leid. Ich kann mich nicht erinnern." erwiderte der Schaffner knapp und schaute auf die Uhr am Handgelenk, als wolle er ausdrücken: ich habe jetzt keine Zeit für Geplauder.

"Aber... ", Micha schaltete sich ins Gespräch ein und wollte die Zeitung hochnehmen, um dem Schaffner den Schuh und die Spritze zu zeigen, doch er fing einen beschwörenden Blick seiner Mutter auf, so dass er mitten in der Bewegung innehielt und sich am Kopf kratzte:

" ..das verstehe ich nicht", beendete er den Satz.

"Nächster Halt Elmsbüttel", sagte der Schaffner und verließ ohne ein weiteres Wort das Abteil.

Als die Tür wieder - rumms - geschlossen war, fragte Micha:

"Was hattest du denn dagegen, ihm diese Sachen zu zeigen?!"

"Wer weiß, vielleicht steckt er mit irgendwem unter einer Decke. Man kann heutzutage niemandem trauen." Mam flüsterte leise, als hätte sie Angst davor abgehört zu werden.

"Mam, du guckst zu viele Krimis."


Als der Zug in Elmsbüttel Nord hielt, beugten Micha und seine Mutter aus dem Abteilfenster. Eine Gruppe junger Leute mit Rucksäcken stieg aus, sonst niemand. Mam setzte sich wieder und Micha schob das Fenster wieder hoch, als der Zug anrollte. Es regnete immer noch, und bis zur nächsten Station würde es fast eine halbe Stunde dauern.

Micha legte den Schuh und die Spritze mitsamt der Zeitung wieder unter die Sitzbank.

"Tun wir am besten auch so, als wäre alles okay", hatte Mam eindringlich gesagt und Micha hatte genickt.

Er überlegte. Seltsame Sache, in die sie da hineingeraten waren; und er wusste nicht, wie sie ausging. Aber er wusste, wie es begonnen hatte - nämlich mit seiner Prahlerei, seine Eltern wieder zusammenzubringen. Sandra hatte ihn zwar ausgelacht... und dennoch, es hatte geklappt - und das war exakt der Grund für diese seltsame Reise.


Das Gleichnis oder Michas Welt der Smybole

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