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Þetta reddast – Wird schon gut gehen!

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Jetzt ist es also Februar, und ich bin tatsächlich da! So richtig vom Hocker reißen mich die Ausstattung und Apparate noch immer nicht, als ich mit Björgvin die Klinikräume inspiziere. Von meinen Arbeitsplätzen in Deutschland bin ich wesentlich modernere und vor allem spezialisiertere Gerätschaften gewohnt.

»Ich weiß, ich weiß«, gibt Björgvin unumwunden zu, als er meinen zögernden Blick auffängt. »Bei uns ist immer noch alles etwas bescheidener als in Deutschland. Immerhin bekomme ich aber so einiges an Geräten und Instrumenten aus dem Landspítali, dem Landeskrankenhaus für Humanmedizin, was dort ausrangiert wurde. Das ist für uns Tierärzte oft die einzige Möglichkeit, überhaupt an medizinische Ausrüstung zu gelangen. Und zum Glück kenne ich da jemanden«, zwinkert er mir zu. »Wir haben aber bisher auch so alles hingekriegt. Und der Operationstisch für Pferde ist jetzt auch fertig. Hier, schau mal.«

Voller Stolz zeigt er mir den neu gebauten Tisch. Hätten wir den nur schon vor ein paar Monaten gehabt.

»Egill hat in Österreich studiert, wir können also anfangs auf Deutsch miteinander reden, dann musst du dich nicht so mit der Sprache herumquälen«, beruhigt mit Björgvin auch gleich in diesem Punkt.

Bei meinen früheren Praktika in Akureyri habe ich von meinem Ex-Schwiegervater in spe und den Bauern ein bisschen Isländisch gelernt, sodass ich einfache Gespräche führen kann. Aber für die Kommunikation mit besorgten Tierbesitzern fehlt mir wirklich das Fachvokabular. So bin ich froh, mich wenigstens mit meinen Kollegen auf Deutsch austauschen zu können.

»Komm, wir trinken erst mal eine Tasse Kaffee. Egill kommt erst später, dann lernst du ihn auch kennen«, sagt Björgvin. Eine Tasse Kaffee gehört in Island einfach dazu. An den Kundenverkehr derer, die nur zum Kaffeetrinken in unsere Klinik kommen, muss ich mich erst mal gewöhnen.

Im Übrigen liegen mir noch immer die brennenden Fragen zu meiner Arbeitserlaubnis und einer Wohnung auf der Zunge. Mit Nickis Prophezeiungen im Ohr fürchte ich mich regelrecht vor den Antworten und traue mich fast nicht, die Themen anzusprechen.

»Sag mal, Björgvin, du hast ja versprochen, dass du dich um meine Arbeitserlaubnis kümmerst. Ist die schon da?«, frage ich schließlich und halte die Luft an.

Sein lang gezogenes »Ja, ja« lässt mich ahnen, dass wir hier ein Problem haben.

Björgvin streicht mit der linken Hand an seinem Kinn hin und her. »Vielleicht sollte ich gleich mal ein paar Telefongespräche führen«, meint er dann.

Mir wird schwummrig. Das darf doch nicht wahr sein!

»Aber du hast doch gesagt, dass du das regelst, und jetzt bin ich da und darf nicht arbeiten?«, frage ich bestürzt.

»Ach«, lächelt Björgvin, »das wird schon.«

Immerhin nimmt er gleich sein Handy in die Hand, und nach ein paar Gesprächen wissen wir wenigstens, was zu tun ist. Ich muss mir tatsächlich eine kennitala besorgen, zum Einwohnermeldeamt und einigen anderen Behörden gehen. Und ich muss ein mündliches, amtsärztliches Examen ablegen, damit ich als Tierärztin in Island arbeiten darf – auf Isländisch. Wenigstens habe ich dafür ein paar Wochen Zeit.

Es gibt also noch einiges zu tun, bis ich endlich anfangen darf zu arbeiten. Irgendwie hatte ich mir das doch einfacher vorgestellt und mich blind auf Björgvins Organisationstalent im Vorfeld verlassen. Aber nicht geklagt. Und so mache ich mich gleich auf, um alle notwendigen Behördengänge zu erledigen.

Bleibt noch die andere Frage: »Du hast dich aber schon um eine Wohnung für mich gekümmert?«, rücke ich zögerlich damit heraus.

»Ähm, nein, da muss ich mal ein paar Freunde kontaktieren, ob jemand gerade was frei hat oder jemanden kennt, der was weiß«, höre ich Björgvin sagen.

Oh nein, denke ich nur, zum Glück hat mir Nicki angeboten, vorläufig bei ihr wohnen zu können.

Und als ob Björgvin es geahnt hätte, fragt er mich auch gleich, ob ich im Notfall irgendwo unterkommen könne.

Das bedeutet, dass ich erst mal jeden Tag die knapp fünfzig Kilometer zwischen der Klinik in Kópavogur und Nickis Wohnung in Selfoss hin- und herfahren werde.

Tatsächlich erweist sich die Wohnungssuche als nicht ganz so einfach wie gedacht. Bis ich alle meine offiziellen Papiere beisammen habe, besuche ich Pferdezüchter, die ich von meiner Tierarztzeit aus Deutschland noch kenne oder die ich bei meinen vorigen Besuchen in Island kennengelernt habe. Die meisten freuen sich auch, mich wiederzusehen, aber leider hat gerade niemand eine Wohnung frei.

Bis mich eines Tages Palli anruft, ein alter Freund aus Deutschland, mit dem ich 1991 auf einem Islandpferdehof in der Lüneburger Heide zusammengearbeitet hatte. Er meint, dass er einen kenne, der von jemandem gehört habe, dessen Eltern wohl eine kleine Wohnung in Kópavogur zu vermieten hätten.

»Ruf da mal an, wer weiß, vielleicht ist das ja was«, meint Palli und gibt mir die Nummer der Vermieter.

Ohne zu zögern, wähle ich die Festnetznummer und hoffe inständig, dass auch jemand zu Hause ist. Nicki hat nach einigen Wochen durchschimmern lassen, dass es ihr so langsam wohl ganz recht wäre, wenn ich eine eigene Bleibe finden würde. Ich verstehe sie vollkommen, so eine Zweizimmerwohnung mit Luftmatratze im Wohnzimmer ist einfach nichts auf die Dauer. Auch mir wäre es lieber, ich hätte meine eigenen vier Wände und könnte tun und lassen, was ich will, ohne auf jemanden Rücksicht nehmen zu müssen, wenn ich nach Hause komme.

»Wenn du möchtest, kannst du nachher gleich mal vorbeikommen. Die Wohnung liegt in Kópavogur«, bietet mir Eiríkur, der Sohn der Vermieter, an, den ich am Telefon habe.

Praktisch, denke ich, dann habe ich es nicht weit bis in die Praxis. »Das wäre klasse!«, antworte ich ihm. »So um fünf heute Abend?«

»Ja, das geht«, bestätigt er, »du musst aber wissen, dass es sich um eine Souterrainwohnung handelt.«

Souterrainwohnungen sind eine Besonderheit im Einzugsgebiet Reykjavíks. Eigentlich als Waschküchen und Abstellräume gedacht, wurden diese sich halb unter der Erde befindlichen Kellergeschosse angesichts der steigenden Wohnungsknappheit vor allem seit dem Zweiten Weltkrieg mehr und mehr vermietet.

»Kein Problem«, sage ich, »das passt schon.«

»Und da wäre noch was«, klingt es langsam durch den Telefonhörer, »meine Eltern sind vielleicht, nun ja, etwas eigenartig.«

Auch das macht mir nichts aus. Eigenartige Leute passen irgendwie zu mir. Auf jeden Fall bin ich bisher recht gut mit den Leuten klargekommen, die andere für eigenartig hielten.

Die Wohnung ist groß: ein kleiner Flur mit Garderobe, eine Küche mit orange-braunen Einbauschränken bei dunkelgrün gemustertem PVC-Fußboden, ein großes Wohn-Esszimmer mit Blick auf Nachbars Garage, ein großes Schlafzimmer mit Einbauschränken und winzig kleinen Fenstern, unter denen sofort die Grasnarbe des Gartens hervorsprießt und die man leider nur eine Handbreit öffnen kann. Außerdem gibt es noch ein kleines Gäste- und Badezimmer. Und dann ist da noch eine Tür – und dahinter ist der Abstellraum. Ich ahne es schon, und tatsächlich ist er bereits angefüllt mit sehr speziellen Sachen der Familie …

»Wir möchten dich bitten, die Tür, die auf der anderen Seite deiner Wohnung zur Treppe ins Haus oben führt, nicht abzuschließen, sonst kommen wir ja nicht in unseren Abstellraum«, meint Una, die Mutter Eiríkurs, und ab sofort meine Vermieterin.

Das wird schon irgendwie gehen, bin ich überzeugt und vor allem froh darüber, endlich eine eigene Wohnung beziehen zu können. Außerdem ist die Miete wirklich günstig, und ich kann auch sofort einziehen. »Früher hat unser Sohn in dieser Wohnung gewohnt, aber er wollte doch wieder lieber oben bei uns einziehen«, erklärt Una noch den Grund, warum die Wohnung frei geworden ist.

Una und ihr Mann Leifur freuen sich, dass ich bei ihnen einziehe, und ich freue mich, dass ich mit dem älteren Ehepaar nette Vermieter gefunden habe. Eigenartig war bisher nur ihr Wunsch, die Verbindungstür zwischen unseren Wohnungen nicht abzuschließen.

Am Abend fahre ich dann zum letzten Mal nach Selfoss zu Nicki. Ab morgen kann ich in meiner neuen Wohnung schlafen.

Jetzt muss ich nur noch irgendwie an billige Möbel kommen. Björgvin hilft mir dabei. Von seinen Eltern kann ich einen Schrank und ein Bett ausleihen, von Freunden bekomme ich einen Tisch und Stühle. So kann ich mich erst mal wohnlich einrichten. Endlich habe ich eine eigene Adresse in Island.

Nicki kommt mich als eine der Ersten in Kópavogur besuchen. Doch kaum haben wir uns begrüßt, höre ich schon ein Klopfen an der Tür zur Waschküche. Der Tür, die ich nicht abschließen soll, sodass auch meine Vermieter den Abstellraum, der zu meiner Wohnung gehört, jederzeit betreten können. Und da steht auch bereits Eiríkur in der Tür. Auf ein »Herein« scheint er nicht warten zu wollen.

»Du, Susi, ich soll dich fragen, ob du morgen die Blumen bei uns oben gießen könntest. Wir gehen übers Wochenende in unser Sommerhaus«, meint er.

»Ja klar, gern«, antworte ich.

Neugierig schaut er sich um, bleibt einfach im Raum stehen und mustert Nicki. Mir bleibt wohl nichts anderes übrig, als die beiden einander vorzustellen, sonst wird der neugierige Eiríkur wohl kaum wieder nach oben zu bewegen sein.

»Nicki, das ist Eiríkur, der Sohn meiner Vermieter, Eiríkur, das ist Nicki, meine Freundin. Sie ist auch Deutsche und wohnt in Selfoss.«

»Angenehm.« Die beiden schütteln sich die Hände.

Bevor Eiríkur ein Gespräch beginnen kann, sage ich ihm, dass Nicki und ich einiges zu bereden haben und jetzt gern allein seien. Zum Glück versteht er das und macht sich wieder auf nach oben in die Wohnung.

»Was war denn das jetzt?«, fragt Nicki perplex.

»Nun, ich habe eben eine Wohnung mit Familienanschluss!«, lache ich und erkläre ihr den Haken der Souterrainwohnung mit der offenen Tür und der Waschküche.

»Und wenn du mal einen Liebhaber in deine Wohnung einlädst?«, denkt Nicki voraus.

»Tja, das kann dann unter Umständen ganz schön heikel werden«, erwidere ich, und wir lachen beide laut auf, als wir uns die Situation ausmalen.

Die Insel der wilden Träume

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