Читать книгу Die Insel der wilden Träume - Alexander Schwarz - Страница 8
Die Knochenknackerin
Оглавление»Es kann losgehen!«, stürme ich einige Wochen später voller Tatendrang in die Klinik. »Alle Papiere sind da, die mündliche Prüfung ist bestanden, ich darf ab sofort in Island als Tierärztin arbeiten …«
»Schön«, meint Björgvin, »dann sind wir jetzt zu dritt. Egill und ich müssen gleich zu Außenterminen auf Visite. Dann kannst du hier ja auf die Praxis aufpassen.«
Irgendwie habe ich mir eine freudigere Reaktion vorgestellt – und eigentlich würde ich vor allem gern selbst mit rausfahren, aber sei’s drum.
Schon einige Tage später fragt mich Björgvin: »Willst du heute mal mit mir mitfahren, Susi?«
»Ja, natürlich«, freue ich mich. Darauf habe ich ja gewartet, seit ich in Island angekommen bin. Am liebsten möchte ich schließlich mit Pferden arbeiten, und das heißt nun mal, hinaus zu den Ställen zu fahren.
Erwartungsvoll steige ich ins Auto und bin sogar ein bisschen aufgeregt vor lauter Freude. Ab jetzt darf ich tatsächlich als Pferdeärztin in Island arbeiten. Ich kann es kaum fassen und muss mich kurz in den Arm kneifen, um es glauben zu können.
Björgvin startet den Motor seines alten Land Rovers, und schon sind wir unterwegs.
»Schau erst mal zu, dann lernst du ein bisschen die Umstände kennen, unter denen wir hier arbeiten müssen, und kannst dich damit vertraut machen, in Ordnung?«
»Okay«, antworte ich, auch wenn ich am liebsten gleich selbst Hand anlegen würde. Aber er hat wahrscheinlich recht mit seinem Ratschlag.
»Meinst du, es interessiert sich auch jemand für chiropraktische Behandlungen bei Pferden?«, frage ich vorsichtig nach.
»Du weißt doch, Isländer sind neugierig«, meint Björgvin und lächelt, »und auf der anderen Seite sind ihre Pferde ja auch ihr Kapital, mit dem sie vorsichtig umgehen. Wenn mit dem Pferd was passiert, sind sie eine Menge Geld und Prestige los. Wir erzählen von deinen Talenten einfach auf ein paar Höfen, und dann wird sich hoffentlich bald eine Gelegenheit ergeben.«
Ich kann es kaum erwarten, muss aber meine Ungeduld wohl oder übel zügeln. Ich bin auf jeden Fall schon mal sehr froh, dass sich Björgvin gegenüber meinem Vorschlag so offen zeigt. In diesem großen Land mit seinen wenigen Einwohnern ist die Mund-zu-Mund-Reklame immer noch die allerbeste und schnellste Methode.
Auch ich trage meinen Teil dazu bei und rufe die Pferdezüchter an, die ich noch aus meiner Zeit in Deutschland und auch von den Europa- und Weltmeisterschaften kenne, und informiere sie, dass ich jetzt hier sei und als Pferdetierärztin arbeite.
Ein paar Tage später fahren wir wieder zu einem Pferdebetrieb. Björgvin untersucht ein Tier mit Zahnproblemen, und ich assistiere ihm. Wir plaudern währenddessen ein bisschen mit dem Pferdezüchter Atli, bis der auf einmal meint, dass die Stute da hinten irgendwie nicht mehr gut zu Fuß sei und anscheinend Schwierigkeiten habe, sich schmerzfrei zu bewegen.
Björgvin schaut mich kurz an, zwinkert mit den Augen und sagt dann, als wäre es die normalste Sache der Welt: »Susi, geh doch mal hin und schau, was das Pferd hat.«
Jetzt kommt es darauf an, nun ist er also gekommen, der Moment, an dem ich zum ersten Mal in Island als Chiropraktikerin loslegen kann.
Ich gehe zu dem Pferd, etwas argwöhnisch betrachtet von Atli, schaue es mir von allen Seiten an, mache das Tier mit mir vertraut und taste mit meinen Händen zunächst vorsichtig die Wirbelsäule ab. Dann frage ich Atli, ob es eine Kiste oder einen Schemel gebe, auf den ich mich stellen könne.
»Einen was?«, fragt mich der Züchter verständnislos. »Wozu brauchst du das denn?«
»Ja, ja«, sagt Björgvin, der sich zu uns gesellt hat, »Susi ist nicht nur Tierärztin, sondern auch Chiropraktikerin.«
»Chiro… wie?« Unser Kunde steht vor Verwunderung mit offenem Mund vor uns.
»Na, Susi arbeitet mit den Knochen, bringt sie wieder in die richtige Stellung. Das hilft deinem Pferd, und dann kann es sich wieder besser bewegen«, erklärt Björgvin im Brustton der Überzeugung.
Auf einmal fängt Atli an zu lachen. »Was, diese schmächtige Person will an meinem 400-Kilogramm-Pferd herumdrücken und Knochen richten? Und dann ist sie auch noch so klein, dass sie sich dafür auf einen Schemel stellen muss!«
Das mit der schmächtigen Person überhöre ich einfach. Ich bin zwar schlank, aber nicht gerade klein …
»Ich brauche einen Schemel, weil ich auch den Rücken des Pferdes von oben untersuchen und dort vielleicht die Beweglichkeit der Gelenke erfühlen muss«, erläutere ich ihm ganz ruhig mein Vorgehen.
Er scheint noch nicht so ganz davon überzeugt zu sein, knurrt dann aber doch halb lachend, halb ungläubig den Kopf schüttelnd ein lang gezogenes »Ja, ja« und »Hier sollte noch irgendwo ein alter Schemel stehen«.
Er bringt ihn, schaut mich noch immer etwas skeptisch an; aber immerhin, er lässt mich an sein Pferd.
Ich steige auf den Schemel. Jetzt nur keinen Fehler machen. Ich taste das Pferd weiter ab, und die beiden Männer stehen daneben und schauen zu. Björgvin strahlt Vertrauen und Sicherheit aus, Atli noch immer Skepsis.
Ich ertaste die Beweglichkeit der gesamten Wirbelsäule und der Muskulatur des Pferdes und löse mit exakten und schnellen Handgriffen die für die Stute sehr schmerzhaften Blockaden. Es knackt! Das Pferd bleibt ruhig und entspannt merklich unter meinen Händen, das bemerkt auch sein Besitzer.
Nach einigen Minuten bin ich fertig. Ich steige vom Schemel, streichle das Pferd, das erschöpft, aber sichtlich zufrieden gähnt.
»Schauen wir mal, ob es jetzt besser läuft«, sage ich, und wir nehmen die Stute mit nach draußen.
Tatsächlich bewegt sich die Stute wieder viel geschmeidiger und freudiger als zuvor.
Ihr Besitzer blickt hocherfreut in meine Richtung.
»Du bist ja eine richtige Knochenknackerin«, sagt er anerkennend, und wir müssen alle drei lachen.
So bekomme ich als Tierärztin schon nach der ersten Behandlung meinen isländischen Spitznamen: Knochenknackerin.
Björgvin zwinkert mir wieder zu, dieses Mal anerkennend, so als wollte er sagen: »Gut gemacht, Susi!«
Wir wissen beide: Wenn Atli, der Züchter und Pferdetrainer, diese Geschichte weitererzählt, kommen die Kunden bald von ganz allein auf mich zu …
Schon in den Tagen danach melden sich dann tatsächlich die Ersten, die von meinem chiropraktischen Einsatz gehört haben und mich bitten, ob ich auch mal bei ihnen vorbeikommen könne.
Und dann kommt noch ein Anruf. »Ja, guten Tag, ich bin Journalist beim Bændablaðið, der Bauernzeitung. Wir haben gehört, du bist eine Tierärztin aus Deutschland und behandelst Pferde mit Chiropraktik. Das hat es bei uns in Island bisher noch nie gegeben. Können wir ein Interview mit dir machen?«
Aber sicher doch! Nach nur wenigen Wochen in Island habe ich schon mehr und mehr Kunden – und jetzt kommt sogar die Presse und will wissen, was ich da tue.
»Da hast du aber ins Schwarze getroffen«, meint Björgvin mit unverkennbarer Anerkennung in der Stimme. »Die Bauernzeitung liest wirklich jeder Pferdebesitzer hier. Die liegt gratis in den Supermärkten und Tankstellen im ganzen Land aus. Eine bessere Plattform kannst du dir gar nicht wünschen.«
Bald rufen auch Pferdevereine aus verschiedenen Landesteilen an, ob ich bereit sei, einen kleinen Vortrag – samt praktischer Demonstration – bei ihnen zu halten. Besser kann mein Start nicht sein. Ich reise durchs Land, gebe Interviews, führe meinen Ansatz vor und gewinne immer mehr Kunden.
Auch hier hilft mir Björgvin einmal mehr ungemein. Er ist zwar ebenfalls noch jung, aber schon ein sehr angesehener Pferdetierarzt, der eben nicht zuletzt auch die teuren Turnierpferde betreut. Auch zu diesen Ställen nimmt er mich mit und lässt mich mit den Tieren arbeiten.
Innerhalb kürzester Zeit hat sich aus einer vagen Idee mein absoluter Traumjob entwickelt, ich darf jetzt doch tatsächlich die besten der besten Islandpferde behandeln.