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Kapitel 8
ОглавлениеWir hatten den ganzen Tag über eine schöne Zeit. Nachdem wir Volleyball gespielt hatten, brachen wir auf, weil es zu regnen anfing. Kevin brachte mich noch zurück. Dann blieb ich allein zurück. Da morgen wieder Schule war, ging ich früh ins Bett. Meine Mum hatte sich bereits in ihr Zimmer zurückgezogen. Ich machte mir ein Wurstbrot und nahm es mit auf mein Zimmer. Nachdem ich es gegessen hatte, legte ich mich ins Bett. Mr. Duddle durfte mit einer Decke auf meinem Schreibtisch schlafen.
Ich lag in der Wiese auf einer roten Decke. Drei Meter von mir entfernt erstreckte sich ein Wald. Die Sonne schien und es zog mich magisch zu den Bäumen hin. Ich ging so lange, bis ich auf einer Lichtung angelangte. Vereinzelte Sonnenstrahlen bahnten sich einen Weg durch das saftig grüne Blätterdach. Magie lag in der Luft. Es war friedlich. Während ich in der Mitte der freien Fläche stand, näherten sich mir die Waldbewohner. Ein brauner Hase kam hüpfend auf mich zu und auch ein Eichhörnchen blickte mich neugierig von einem Baum aus an. Hinter einem Strauch erkannte ich ein Rehkitz, das mich an Bambi erinnerte. Ich kniete mich hin, um den niedlichen Hasen anzulocken. Die weißen Gänseblümchen auf der Wiese verströmten einen süßlichen Duft. Eine leichte Brise wehte durch mein Haar und ließ mich frösteln. Das Eichhörnchen spitzte die Ohren und verschwand, auch das Bambi schaute sich ruckartig um und eilte mit weiten Sprüngen davon. Der Hase, der sich zuvor auf mich zu bewegt hatte, trat die Flucht an und auch die Vögel verstummten abrupt. Eine Kälte ersetzte die Wärme, die mich zuvor erfasst hatte. Der Himmel verdunkelte sich schlagartig. Nebel kroch aus den Tiefen des Waldes auf mich zu. Plötzlich hörte ich ein Rascheln. Ich drehte mich um, konnte aber nicht bestimmen aus welcher Richtung es kam. Mein Blick huschte zum Ende der Lichtung, wo ich eine Bewegung wahrnahm. Dann ein Aufblitzen roter Augen. Auf einmal war ein hohes grausames Heulen zu hören. Es war zurück. Bevor ich aufstehen konnte, warf sich die Mutation auf mich. Sein raues Fell drückte es auf meine Nase und ich zog den verfaulten Duft von Aas ein. Es zog seine Lefzen hoch und biss in meine Kehle, ich spürte einen unaufhaltbaren Schmerz. Ich stieß einen gequälten Schrei aus und versuchte nach Luft zu ringen, doch es ging nicht. Mein Körper zuckte unkontrolliert. Langsam verschwamm alles vor meine Augen. Ich versuchte die Augen offenzuhalten aber es ging nicht. Eigentlich hoffte ich, dass mich die Dunkelheit von den grausamen Qualen erlöste, doch sterben wollte ich noch nicht. Ich spürte wie mich die Lebensenergie verließ. Doch bevor mir das Vieh die Augen auskratzte und Blut aus meinen Augenhöhlen spritzte, konnte ich eine Gestalt erkennen. Ich sah nicht viel, doch die grünen mit orange gesprenkelten Augen und auch die rot glühende verfolgten mich bis in die Früh.
*
Wieder einmal wachte ich schweißgebadet auf mein ganzes Bett war davon feucht. Ich lag zitternd in meinem Bett. Der Eichelhäher starrte mich treuherzig an, als er mich sah. Ich glitt aus meinem Bett und verweilte vor dem Spiegel im Bad. Ich hatte dunkle Augenringe und meine Haare standen wild vom Kopf ab. Bevor ich aus diesem Haus ging, musste ich erst mal unter die Dusche. Etwas war anders gewesen, als die letzten Male: Diese Person oder besser gesagt diese Augen. Ich ließ mich an der Duschwand hinuntergleiten und setzte mich, während ich versuchte mit dem heißen Wasser die Überreste des Albtraums zu verscheuchen. Im Hintergrund hörte ich A thousand years. Als dieses Lied von Enriques Subeme La Radio abgelöst wurde, stemmte ich mich auf und zog mich an. Ich entschied mich für eine lange luftige Schlabberhose mit blau-schwarzen Muster darauf, die meine Schrammen verdeckte und ein türkises Top. Dazu trug ich einen Hauch an rosa-roten Lippenstift auf. Für meine Augen musste eine große Menge an Concealer herhalten. Ich beschloss heute früher loszufahren, so konnte ich in der Schule noch lernen. Mein Zimmer schloss ich vorsichtshalber ab, nicht dass meine Mum den Vogel finden würde. Da ich trotzdem ein Frühstück brauchte, fuhr ich zuvor noch zu I-Hop. Dort bestellte ich mir Rührei, Würstchen und Pancakes. Für Mr. Duddle nahm ich Pommes mit, die konnte er dann zu Abend essen.
An der Blackwood High angekommen setzte ich mich auf eine Bank auf dem Campus. Es war angenehm warm. Die Hitze würde erst gegen Mittag unerträglich werden. Ich saß im Schneidersitz und hatte mein Latein Buch vor mir aufgeschlagen, wahrscheinlich würden wir heute einen Kurztest schreiben. Nach kurzer Zeit setzten sich zwei Jungs neben mich. Zuerst hielten sie einen gebührenden Abstand, doch langsam fingen sie an immer näher an mich heranzurücken. Ihre Nähe fing an unangenehm zu werden. Einer legte plötzlich eine Hand um meine Schulter, der andere legte seine Hand auf meinen Oberschenkel. Ich sprang auf, um ihre Hände abzuschütteln »Habt ihr sie noch alle!«, fauchte ich sie ungehalten an. Was waren das denn für Schweine! »Hey, beruhig dich«, sagten sie lässig »Du bekommst dein Geld aber erst nach dem Spaß« »Was glaubt ihr eigentlich wer ihr seid!« »So bekommst du kein Cash«, erklärten sie mir. »Obwohl das auch heiß ist, wenn du aggressiv bist« »Ich bin doch keine Nutte!« Die beiden standen nun auch auf und gingen auf mich zu. »Sam, Tobi, habt ihr ein Problem?!«, rief eine Stimme die beiden streng. Schon schlängelte sich Lexi durch eine Gruppe von Schülern, die gerade in das Gebäude eintraten. Sofort hielten die Zwei inne. »Belästigt ihr etwa Jessica?«, wollte Lexi in eiskaltem Ton wissen. Sie war echt respekteinflößend. Die Jungs schüttelten vehement die Köpfe: »Nein, nein ……, das..ääh….war bloß ein Missverständnis.« »Das will ich hoffen! Das nächste Mal kommt ihr nicht so leicht davon«, sprach sie eine Drohung an die beiden Schüler aus, die gleich verschwanden. »Wow. Das war echt der Wahnsinn. Die haben ja richtig Angst vor dir. Übrigens vielen Dank«, bedankte ich mich. »Nichts zu danken. Komm, der Unterricht beginnt gleich, ich bring dich zu Kevin«, sagte sie gelassen. Wir fanden meinen Klassenkameraden vor dem Klassenzimmer. Er wartete vor der gelben Tür. »Hi, Mädels!« »Ich muss in meinen Unterricht«, rief die Schülersprecherin ihm zu und verschwand noch bevor ich bei ihm angelangt war. Vor der Tür blieben wir stehen und starrten uns erst an. Ich verlagerte mein Gewicht nervös von einem Bein auf das andere. »Sollen wir?«, durchbrach ich die Stille und deutete in Richtung Klassenraum. »Ja«, war seine einfache Antwort. Wow, wann war das denn passiert. Sonst war er doch nicht so verlegen. Als wir eintraten, hielt er mir die Tür auf. Ich saß normalerweise in der ersten Reihe und er in der Letzten, aber heute setzte er sich neben mich. Als Miss Mc Kell eintrat, geschah das, was ich vermutet hatte: wir schrieben ein Extemporal. Als uns der Gong erlöste, brachte mich der Gentleman noch zum nächsten Klassenzimmer. »Hättest du gedacht, dass sie heute ne Ex schreibt? Wie fandst du die Fragen? Ich fand sie viel zu schwer, das Thema hatten wir vor einer Woche schon abgeschlossen!«, beschwerte er sich. »Ja, ich habe damit gerechnet und so schlimm wird’s schon nicht sein«, tröstete ich ihn. Mir war es erstaunlich gut ergangen. Das Lernen vor Beginn des Unterrichts hatte wohl etwas gebracht.
*
In Geschichte musste ich wieder an meinen Vater denken und an das, was meine Mutter gesagt hatte oder besser gesagt, was sie nicht gesagt hatte. Wir behandelten gerade das Thema Mittelalter, für das ich mich nicht sonderlich interessierte. Deshalb stellte ich mein Buch wie einen Schutzwall vor mich auf und fing an mit meinem Tablett den Namen meines Vaters zu googeln, ohne andere Suchbegriffe. Keine Ahnung warum ich nicht schon früher darauf gekommen war, aber wie schon Titus Livius zu sagen pflegte : Besser spät als nie. Gleich nachdem ich auf die Suchtaste gedrückt hatte, sprangen mich die eisblauen Augen meines Vaters an. Auf dem Foto war mein Vater zu sehen, neben ihm stand Katy und ein fremder Mann, den ich als Forscherkollegen erkannte. In seiner linken Hand hielt Geronimo die Hand meiner Mum und in der rechten einen weißen Laptop. Und plötzlich hatte ich einen Geistesblitz. Diesen Computer hatte ich letztens erst gesehen. Bloß wo? Vielleicht waren dort Informationen gespeichert. Sicherlich auch welche über diesen Cayden. Möglicherweise sogar Chatverläufe. Ich sprang auf und wollte mich schon auf den Weg machen, als: »Miss Flynn, möchten sie meine Frage beantworten?«, scharf von Mr. Brand gerufen wurde. »Wir hören …« »Ääähhhhhmmmm…….« »Das hatte ich mir schon gedacht. Setzen Sie sich sofort und bauen Sie diese Buchwand ab!«, befehligte er mich. Ich ließ mich zurück auf meinen Stuhl plumpsen. Das war was. Aber ich hatte noch Glück gehabt. Mr. Brand war beider US-Armee gewesen, so führte er sich auch auf. Sein Aussehen und Verhalten entsprachen vollkommen dem Klischee eines Generals in Filmen. Kurz geschorenes Haar, Muskeln, strenger Blick und donnernder Stimme. Man könnte meinen er würde süße Kätzchen zum Frühstück verspeisen Außerdem machte er immer den Eindruck, als hätte er einen Stock verschluckt. Jeder der sich nicht benahm, dazu gehörte auch lachen, würde bestraft. Meist mit extra Sportstunden, in denen man sich fühlte, als wäre man bei der Armee und würde seine ersten grauen Haare bekommen. »Wer kann mir sagen, wann das Mittelalter beendet war?«, fragte er. Ich meldete mich, um ein paar Pluspunkte zu bekommen. »Miss Flynn« »1500 nach Christus«, antwortete ich. »Richtig. Es freut mich, dass Sie sich wieder auf den Unterricht konzentrieren«, erklärte er »In den nächsten Stunden werden wir uns mit den Germanen beschäftigen. Lesen Sie daher bis zum nächsten Mal die Seiten 67-69 in ihrem Buch.« Damit schloss er die Stunde.
In der Pause setzte ich mich zu Ava, Severin und den anderen vom Strand. Sie hatten mich wild gestikulierend zu sich gewunken, als ich in die Mensa gekommen war. Die Mensa befand sich im Westflügel des Gebäudes, daher konnte man von ihr aus in den kleinen begrünten Innenhof gelangen. Nur eine Glasfront trennte uns von der Wiese. Ich hatte eigentlich gar keinen Hunger, weswegen ich lustlos in meinem Essen herum stocherte. »Also, was sagst du dazu?«, wurde ich von Lena aus meinen Gedanken gerissen. »Was? Ich hab gerade nicht aufgepasst«, erklärte ich entschuldigend. »Sie hat dich gefragt, ob du auch zu ihrer Feier kommst«, klärte mich Taylor auf. »Wann ist die denn?« »Dieses Wochenende«, sagte Lena »Du darfst natürlich auch jemanden mit bringen.« »Das ist nett, also Zeit hab ich aber ich bringe niemanden mit.« »Jessy, Tom, habt ihr es schon gelesen? Bei uns fällt heute Mathe aus«, sagte Kevin, der sich gerade auf einem Stuhl neben mir niederließ. »Juppi jay jey«, lachte Tom. »Wer kommt heute nach der Schule mit zu Starbucks?«, wollte Ava wissen. » Ich kann nicht, weil ich mich doch um Mr. Duddle kümmern muss«, sagte ich schnell. Es war nicht ganz richtig aber gelogen war es auch nicht. Ich wollte nach der Schule nämlich nur nach Hause, um diesen Laptop zu suchen, der mir hoffentlich Informationen bringen würde. Das musste ich auf jeden Fall machen, noch bevor meine Mutter von der Arbeit kommen würde. Das Läuten zum Unterricht löste unsere Gruppe auf, da jeder in einen anderen Kurs musste. Ich hatte jetzt Kunst, was mich total freute, denn dort konnte ich malen und nebenbei ungestört meinen Gedanken nachhängen. Was würde passieren, wenn ich diesen Computer fand? Wahrscheinlich war er sowieso mit einem Passwort gesichert. Das bedeutete, ich brauchte einen Hacker. Aber wo bekam ich einen her? Vielleicht einen aus der Computer AG aber das Problem war, dass ich dort keinen kannte. Doch selbst wenn ich in die Dateien käme, was würde ich dann mit ihnen machen? Oder hätte ich gleich Mr. Lockwood informieren sollen, dass ich seinen Sohn gesehen hatte, und dass er nicht normal war? Warum war mir der Gedanke nicht schon früher gekommen? Jedes Elternteil freute sich doch zu erfahren, dass sein Kind am Leben war. Oder? Obwohl … würde er mir überhaupt glauben, ich war schließlich die Tochter des vermeintlichen Kidnappers. Aber mein Vater war ja jetzt tot. War es Zufall, dass Cayden auf einmal wieder da war und Geronimo nicht? »Miss Flynn?« Ich blickte verwirrt von meiner Zeichnung, einem trauerndem Engel, auf. Mrs. Mondi saß am Pult und nahm einen Schluck Kaffee aus ihrer selbst bemalten Tasse. Ich blickte mich im Kunstraum um und bemerkte den Fehler. Kein Schüler außer mir war noch hier. »Entschuldigung, bin schon weg«, sagte ich und packte schnell meine Malutensilien in meine Tasche. Diese schulterte ich und lief an einer Außentreppen, die mit Efeu überrankt war, vom Keller hinauf zum Parkplatz. Es war niemand außer mir dort, was verständlich war, denn ich hatte ja früher aus. Ich fuhr auf kürzestem Weg in meine Straße. Es gab wenig Verkehr, da ich mich nicht wie üblich zur Mittagszeit auf den nach Hause Weg machte.
*
»Mr. Duddle, ich hab dir was mitgebracht«, trällerte ich. Er stieß einen fröhlichen Laut aus, als ich ihm die Fritten unter den Schnabel hielt. »Na, wie war dein Tag? Ich habe heute einen Test geschrieben, wurde ermahnt aber habe etwas Neues herausgefunden«, teilte ich ihm mit. Ich brachte ihn kurz nach draußen, damit er sein Geschäft verrichten konnte. »Mr. Duddle ich vertraue dir und da ich glaube, du kannst ein bisschen verstehen was ich sage, sage ich dir: du musst hier bleiben und nicht, ich betone das nicht, weggehen, fliegen oder was du noch alles kannst. Okay?«, trichtert ich ihm ein. Ich glaubte ernsthaft, dass ein Eichelhäher mich verstand. Es wäre wohl besser, wenn ich nicht nur den Vogel noch mal zum Arzt brachte. Ich vergewisserte mich, dass meine Mutter nicht doch daheim war und dann legte ich los. Zuerst stellte ich das Wohnzimmer auf den Kopf. Ich wühlte mich durch Schubladen und das große Bücherregal an der Wand, doch ohne Erfolg. Ich war so dumm! Wer bitte versteckte wichtige Sachen im Wohnzimmer, wo jeder sie sehen konnte? Das Durchsuchen hatte mich Zeit verschwenden lassen, die ich brauchte. Deshalb versuchte ich es mit Köpfchen. In der Küche stand der Laptop bestimmt nicht, da würde er durch die Feuchtigkeit und die ständige Hitze kaputt gehen. Womit wir auch das Bad von der Liste streichen konnten. Auch in meinen Räumen befand sich der Laptop nicht, das hätte ich bemerkt. Damit blieben nur noch das Schlafzimmer meiner Eltern und das Büro meiner Mutter. Ich wusste, dass sie ihr Büro immer absperrte, weshalb ich es zuerst im Schlafzimmer versuchen wollte. Ich schlich in den Raum meiner Eltern. Alles darin war aus dunklem Kiefernholz. Außer einem Bett und einem Schrank befanden sich nur noch zwei Nachtkästchen neben je einer Bettseite. Ich ging zur Schrankhälfte meines Vaters und hatte Glück! Tatsächlich stand der Laptop dort, wie auch andere Sachen meines Dads. Katy hatte noch nichts weggeschmissen. Wahrscheinlich weigerte sie sich immer noch, sich den endgültigen Tatsachen zu stellen. Geronimo war tot. Er kam nicht wieder und doch warteten seine Sachen hier auf ihn. Aber mich ging es nichts an was Mum tat. Sie war alt genug. Ich ging in mein Zimmer und zu meiner Überraschung wartete dort mein Haustier auf mich. Ich stieß einen Quietscher aus. »Du bist ja so schlau!«, rief ich freudig. Irgendwie war ich stolz auf mein neues Haustier. Draußen hatte es angefangen zu stürmen, das hatte der Wetterbericht nicht kommen sehen, deshalb schaltete ich das Licht ein. Nun wirkte der ganze Raum, weil er in goldenes Licht getaucht wurde, gemütlicher. Ich setzte mich auf mein Bett und der Vogel hüpfte näher. Ich klappte den Computer auf, doch wie ich vermutet hatte, war er gesichert. Nach drei Eingaben gab ich den Versuch auf das Kennwort zu knacken. Genau in diesem Moment kam eine Nachricht von Kevin.
Hast du heute Abend Zeit? Ich hatte Zeit, denn was sollte ich schon großartiges tun? In meinem Zimmer hocken und auf einen gesicherten Startbildschirm schauen? Nein, auf keinen Fall.
Ja, aber es darf nicht zu spät werden, weil wir morgen Schule haben. Kennst du jemanden der Hacker kann?
Es konnte nicht schaden ihn zu fragen.
Ja, meinen Bruder. Warum?
Hab einen Laptop und davon das Keyword vergessen.
Er musste ja nichts von meinem Vater wissen, immerhin kannten wir uns nicht so gut. Nur wegen ein wenig Nachhilfe letztes Jahr und einem Date, vertraute man niemanden seine Geheimnisse an.
Muss es noch heute sein?
Ja, schrieb ich sofort
Dann bring ich ihn mit. Ich hol dich ab, dann können wir essen gehen und dann ins Kino (ohne Bruder ;))
Passt. Um wie viel Uhr?
17 Uhr. Ich freu mich.
Um fünf Uhr also. Ich konnte es kaum erwarten Kevins Bruder kennenzulernen. Er war quasi der Schlüssel zu meinen Fragen oder zu mindestens konnte er die Truhe, in dem der Schlüssel war öffnen. Ich war schon wieder ganz hibbelig. Um mich zu beruhigen überlegte ich mir was ich zu unserem zweiten Date anziehen konnte. Doch heute fiel mir die Wahl recht einfach, da es regnete und es in Kinos meist kalt war. Ich zog eine schwarze, hautanliegende Lederhose an und einen weißen Strickpullover. Dazu wollte ich eigentlich wieder die schwarzen Heels anziehen, bis mir einfiel, dass ich sie auf der Flucht vor der Bestie verloren hatte. Konnten sie immer noch in der Gasse sein? Aber nein. Es waren teure Schuhe gewesen. Umso größer auch mein Verlust. Niemand würde sie nicht mitnehmen. Deshalb zog ich dunkle Lackschuhe mit Keilabsätzen dazu an. Jetzt war es gerade mal halb drei. Was sollte ich noch machen? Mit Hausaufgaben konnte ich die Zeit nicht verbringen, denn wir hatten keine auf. Konnten Eichelhäher eigentlich singen? Singvögel gab es schließlich, außerdem war er nicht so dumm, wie man meinen konnte. »Mr. Duddle mach mir nach«, forderte ich ihn auf. Zuerst versuchte ich es mit einer Tonleiter: »C-D-E-F-G-A-H-C« Ich schaute mein Haustier erwartungsvoll an. Er gab keinen Piep von sich. Vielleicht musste man ihm etwas vor pfeifen, damit er es nach ahmen konnte. Mit dieser neuen Erkenntnis versuchte ich ihm Beethovens fünfte Sinfonie beizubringen. Doch es war zwecklos, er legte einfach nur den Kopf schief. Was dachte er wohl von mir? Ich hörte ein Poltern. Das musste meine Mutter sein. Ich fand es war an der Zeit mich mit ihr zu versöhnen. Ich setzte Mr. Duddle in einen Orangen-Karton, den ich zum Bett für ihn umfunktioniert hatte. Dann eilte ich die Treppen runter. Sie saß gerade auf der Küchenbank und aß eine Pizza. Ich setzte mich ihr gegenüber und schaute ihr in die Augen: »Mum, es tut mir leid. Ich wollte dich nicht so anfauchen. Bitte verzeih mir.« Ich senkte den Blick. »Natürlich verzeih ich dir und jetzt nimm dir ein Stück«, sie deutete auf die Margaritha. Ich ließ mich nicht zwei Mal bitten, schließlich hatte ich noch nichts zu Mittag gehabt. Das war das Gute an meiner Mutter, sie gab zwar nie zu, dass sie im Unrecht war, aber sie verzieh einem schnell. Zwar erst nach dem sie beleidigt gespielt hatte aber immerhin gab es bei der Versöhnung kein Drama. »Jessy, was hält´s du davon, wenn wir uns zusammen Down Town Abbey anschauen? Wie war die Schule?«, fragte sie. »Ja, find ich gut. Wir haben heute einen Test in Latein geschrieben, da ging es mir gut und dann hatten wir noch eine Stunde früher aus«, erklärte ich. Ich musste ihr die Stimmung nicht mit Mr. Brand verderben. Mama setzte sich schon auf die Couch während ich einen Tee für uns machte. »Dieses Wetter ist schrecklich«, jammerte meine Mutter. »Eigentlich wollte ich mit dir Blumen pflanzen« »Na das ist wortwörtlich ins Wasser gefallen«, machte ich einen Wortwitz.
»Ist es schlimm, wenn ich heute auswärts mit Kevin esse?« »Ausnahmsweise. Aber nur bis neun Uhr«, erklärte sie. »Danke«, ich umarmte sie und setzte mich neben sie aufs Sofa, während ich ihr eine Tasse Tee reichte. Endlich war die eine Baustelle geklärt.
Einige Minuten bevor ich Junior Ballister erwartete, zog ich mich um. Ein wenig Wimperntusche und ein Hauch Rouge setzte meinem Look die Krone auf. Der Vogel bekam seine Medikamente und ein paar Körner, dann sperrte ich die Tür ab und schritt die Treppen hinunter. Und schon klingelte es. »Mum, bleib sitzen, ich mach schon«, rief ich ihr zu, »Bis später. Hab dich lieb.« Dann öffnete ich die Tür und Kevin strahlte mich an. Er hielt mir einen Arm entgegen und ich hakte mich bei ihm ein. Er führte mich zur Beifahrer Tür und setzte sich selbst auf den Fahrersitz. »Jessy, das hier«, er deutete auf den Rücksitz, auf dem ich erst jetzt erkannte, dass ein Junge dort saß, »Ist Leon. Leon das ist Jessy.« Ich hielt ihm meine Hand entgegen, doch er ergriff sie nicht. Auch gut. Die beiden ähnelten sich kaum, soweit ich es einschätzten konnte. Kevin´s kleiner Bruder hatte blonde Haare, braune Augen, eine Zahnspange und Pickel. So hatte ich ihn mir nicht vorgestellt, er war vielleicht fünfzehn Jahre alt. Es fehlte nur noch eine Hornbrille, dann hätte er die perfekte Nerd-Optik. Noch ehe wir die Auffahrt verlassen konnten, merkte ich was fehlte. »Stopp!« »Was hat die denn jetzt?«, fragte Leon. »Reiß dich zusammen! Was ist Jess?«, ermahnte Kevin seinen Bruder. Ich riss die Tür auf. » Ich hab den Laptop vergessen«, sagte ich entschuldigend. Ich raste in mein Zimmer. Da meine Mutter nicht wissen durfte, dass ich den Computer besaß schnappte ich mir eine Tasche und packte ihn rein. »Hast du was vergessen?« »Ja Mama, meine Tasche. Bin schon wieder weg«, teilte ich ihr mit und eilte schon wieder an ihr vorbei, zurück zum Auto. Völlig außer Atem saß ich im Wagen. »Wir …können …los«, sagte ich schwer atmend. »Gut. Was hältst du von Chick a Filey?«, fragte mich Kevin freundlich. »Eine super Idee«, antwortete ich ihm. »Können wir nicht zu Mc Donalds?«, fragte Leon in gelangweilter Stimme. »Nein, das können wir nicht«, erwidert Kevin streng. Er schaltete den Motor an und fuhr los. Kevin steuerte auf die Filiale am Columbia Circle zu.
Der Regen hörte auch nicht auf, als wir parkten. Einen Regenschirm hatte ich vergessen. »Bleib mal kurz sitzen«, sagte mein Schulkamerad. Ich blieb wie gewünscht hocken, während Kevin auf meine Seite kam, die Tür öffnete und mir einen Schirm hinhielt. »My Lady, wenn ich bitten darf?«, sagte er und hielt mir seine Hand hin. Ich lächelte ihn amüsiert an, dann legte ich meine Hand sehr elegant in seine. »Vielen Dank.« Leon zerstörte das ganze Ambiente, indem er lustlos aus dem Auto stieg und die Tür zuknallte. »Leon! Was hab ich dir gesagt«, schimpfte Kevin den Junior Junior. »Ja, ja. Türen nicht zu schlagen. Bla bla bla. Schon verstanden. Wollen wir rein gehen oder nicht?«, sagte Leon. Er ging vor. Kevin verdrehte genervt die Augen, was mir ein weiteres Lächeln entlockte. »Tut mir Leid. Er hat zurzeit seine Trotzphase«, flüsterte er mir zu. »Macht nichts, schließlich wollte ich, dass er mit kommt«, beruhigte ich ihn. »Ins Kino nehme ich ihn nicht mit«, erklärte er mir. »Auf geht’s, ich hab Hunger und es wird kalt«, jammerte ich. Wie aufs Stichwort verstärkte sich der Regen. Wir rannten ins Geschäft. Sein Bruder wartete schon an der Kasse auf uns. »Ich nehme einen Chickenburger«, bestellte Kevin. Er sah mich an. »Ich nehme bitte einen Chickenwrap mit Honeymustard«, erklärte ich dem Kassierer. »Was nehmen sie zum Trinken«, fragte er. Die zwei Jungs nahmen jeweils Limo, ich nahm einen Schokoladeshake. Freundlicherweise wurde ich eingeladen. Wir setzten uns an einen freien Platz. »Soll ich dir den Laptop einfach geben?«, fragte ich Leon. Er biss in seinen Burger. »Ja, gib mal her«, antwortete er mampfend. Er sah nicht sehr professionell aus. Ich fing an zu zweifeln, ob ich ihm wirklich etwas so Wichtiges für mich übergeben sollte. »Nun gib schon her«, forderte er. Ich überreichte ihm den Computer und biss dann in meinen Rap. Er nahm eine Art Nintendo und schloss ihn an. »Und wie lang dauert das?«, wollte ich wissen, doch es kam keine Antwort. Er tippte seelenruhig auf dem Gerät herum. »Hallo. Jessica hat dich etwas gefragt und auf Fragen einer Dame antwortet man!«, kritisierte Kevin seinen kleinen Bruder. »Beruhig dich ….«, sagte er abwesend. Wir schauten ihn an. Er tappte mit einer Hand nach seinem Getränk, mit der anderen blieb er an der Tastatur. Auch sein Gesicht wandte er nicht vom Bildschirm ab. Ich schaute Kevin fragend an, der zuckte nur mit den Schulter. Da Leon die Limo nicht erreichte schob ich seinen Becher in Griffweite. Er packte ihn, schlürfte daran, dann setzte er ihn wieder ab. »Mmmhhh. Nicht wie gedacht. Ahhhh. Hier die B-Abwehr«, murmelte er in sich selbst hinein. Waren alle Computer-Freaks so begeistert? Kevin und ich schwiegen und starrten ihn weiter ungeniert an. Seine Augen weiteten sich teilweise. Was hatte das wohl zu bedeuten? Nach fünf Minuten lehnte er sich lässig nach hinten, kippelte ein wenig und ließ seine Arme hängen. »Fertig«, erklärte er uns gelassen. What! Er hatte, wenn überhaupt, fünf Minuten gebraucht. Ich dachte es würde so eine Stunde dauern. Auch gut. »Und was ist das Passwort?«, fragte ich ihn fordernd. Er kapselte sein Gerät von dem meines Vaters ab. »Es ist…..«, machte er eine dramatische Pause, in der ich die Luft anhielt »..Soll ich das wirklich hier, vor allen, sagen?«, fragte er. Ich wollte es wissen, warum konnte er es nicht einfach sagen?! Seine Art nervte! »Sag es einfach, okay?«, bat ich ihn mit ruhiger Stimme. »Na gut …..Aber das ist bestimmt nicht dein Laptop. Hast du ihn geklaut?«, fragte er grinsend. Wie konnte er das wissen? »Wie bitte?«, fragte ich ihn mit hoher Stimme. »Ich mein bloß. Dieser Computer ist mit der neusten Sicherheitsstufe ausgestattet und da du scheinbar nichts von Technik verstehst, ist es naheliegend, dass es nicht deiner ist«, erklärte er mit einem Funkeln in den Augen. Das hatte ich nicht erwartet. Es mussten also wirklich wichtige Daten auf der Festplatte sein. Da Angriff die beste Verteidigung war, und Leon mich beschuldigt hatte, fauchte ich ihn ungehalten an: »Unterstellst du mir ihn gestohlen zu haben?! Das ist das Höchste! Du hast keinen Anstand, hat dir nie jemand beigebracht Respekt zu zeigen?! Antworte mir!« Ich suchte Augenkontakt. »Doch hat man«, sagte er sichtlich bestürzt über meinen Ausraster und senkte den Blick. »Schau mich an, wenn ich mit dir Rede!«, herrschte ich ihn an, da ich wusste, dass Leute in seinem Alter Augenkontakt mieden. So konnte man sie richtig einschüchtern. »Ich erwarte eine anständige Entschuldigung!«, befahl ich. »Sorry, Jess«, sagte er leise. »Ist das für dich anständig! Du besitzt ein großes Vokabular, mit dem man ganze Sätze bilden kann! Außerdem kann ich mich nicht erinnern dir gestattet zu haben meinen Spitznamen zu benutzten oder kennen wir uns gut?!«, donnerte meine Stimme. »Es tut mir leid, Jessica«, entschuldigte er sich. »Du bist keine Maus. Rede lauter«, sagte ich kalt. »Es tut mir Leid, Jessica. Ich wollte dich nicht beschuldigen«, sagte er nun lauter und schaute mir sogar in die Augen. »Und weiter?!« »Das wird nicht noch einmal vorkommen.« »Gut so. Ich nehme deine Entschuldigung an. Und nun sag mir das Passwort«, forderte ich ihn auf. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass uns schon einige Personen anschauten. Ich schenkte ihnen ein falsches Lächeln, um ihnen zu vermitteln, dass alles gut war. »Es gibt mehrere. Um überhaupt erst reinzukommen lautet es Covidy6038. Das Zweite, Elisabeth1987, benötigst du um in einzelne Dateien zu gelangen«, erklärte er mir. »Dankeschön«, antwortete ich ihm. Es ging doch auch freundlich. Glücklich schlürfte ich an meinem Shake. Wir schwiegen solange, bis wir alle gegessen hatten. Ich schielte zu Kevin rüber, er hatte noch Pommes. »Schau ein Elefant!«, rief ich ihm zu. »Wo?« Den Moment, als er wegschaute, nutzte ich und stibitzte ihm eine Fritte. »Hey, Finger weg!«, schimpfte er belustigt. Er schaute auf die Uhr. »Es ist schon fünf Uhr fünf und vierzig. Der Film geht in einer halben Stunde los. Wenn wir unsere Zicke hier loswerden wollen, müssen wir jetzt fahren«, erklärte Kevin und deutete auf seinen Bruder. Der nickte nur und stand unaufgefordert auf. Der Regen hatte nachgelassen und es nieselte nur noch. Die Sonne war aber leider immer noch hinter dunklen Wolken verschleiert. Wir stiegen in seinen Ferrari. Die Ballisters wohnten nicht weit entfernt an der Marcella Road. Bevor Kevins kleiner Bruder ausstieg musste ich noch etwas klären: »Ach Leon…« »Ja, Jessica?« »Du verstehst, dass die Sache vertraulich behandelt werden muss, oder?« »Natürlich«, bestätigte er, öffnete die Tür und war blitzschnell verschwunden. »Hut ab«, meinte Kevin. »Was?«, fragte ich unschuldig. »Na, du hast ihn richtig zur Schnecke gemacht. Nicht mal Mum schafft das«, erklärte er mit Bewunderung in der Stimme. »Ach das, das war nichts Besonderes, er hat mich nur richtig wütend gemacht« (Und hätte fast mein >Geheimnis< ausgeplaudert.), erklärte ich ihm. »Dann will ich dich auf keinen Fall wütend machen.« Er hatte seinen Bruder eine Straße vor seinem Haus aussteigen lassen. Dann schaltete er den Motor ein und fuhr los. »Welchen Film schauen wir uns überhaupt an?«, fragte ich. »Ich wäre für Kissing Booth. Und du?«, meinte er. »Du stehst auf solche Filme?«, fragte ich grinsend. »Ich hatte gehofft du magst den Film. Aber wenn nicht können wir uns auch einen anderen anschauen«, erwiderte er sofort. »Welche stehen denn zur Auswahl«, wollte ich wissen. »Also, da gäbe es einmal: Toy Story, Friedhof der Kuscheltiere, Maleficent und Kissing Booth«, zählte er auf. »Kissing Booth hört sich echt am besten an«, stimmte ich seiner Idee zu. »Dann mal los«, forderte ich ihn euphorisch auf.
*
Schon wenige Minuten später standen wir vor dem großen altmodischen Kino. Auf der Leuchtreklame standen die Filme des heutigen Abends und in großen Lettern war das Wort CINEMA geschrieben. Im Inneren war ein roter Teppich ausgelegt. Kevin holte eine Tüte Popcorn und wir besorgten die Tickets für den Film. »Dieser Film läuft im Kinosaal 4«, erklärte uns die Kassiererin. Es war ein kleinerer Saal und außer uns waren kaum Menschen drinnen. Wir hatten einen Platz in der der dritten Reihe. Ich saß auf dem Platzt 17 und Kevin saß zu meiner Rechten. Ich griff in die Popkorntüte und nahm mir einen großen Schwung heraus. Es war gesüßt. Wie lecker! Mir entfuhr ein Seufzer. »So gut? Bekommst du gleich einen Süßigkeiten Orgasmus?«, neckte er mich. Ich gab ihm einen Klaps auf die Schulter, musste aber lachen. »Shhhh!«, hörte ich aus einen der Reihen vor uns. Das ließ mich nur noch mehr lachen, ich versuchte es zu unterdrücken und wurde ganz rot. Jetzt konnte sich Kevin auch nicht mehr zurück halten und wieherte los. »Shhh!«, flüsterte ich ihm zu, damit nur er es hören konnte und zog eine strenge Grimasse. Dies brachte ihn soweit, dass ihm vor Lachen die Augen weit aus der Höhle heraus traten. Es hörte sich vielleicht eklig an, sah aber irre lustig aus, sodass mir sogar die Tränen kamen. Das Licht wurde gedimmt. Wir kriegten uns immer noch nicht ein. Ich fing an langsam und tief die Luft einzuatmen und wieder auszuatmen. Und langsam wurde es besser. Mein Mitschüler bekam es nicht so schnell hin wie ich. Doch kurz nachdem wir uns beruhigt hatten, mussten wir bei einer Szene schon wieder loslachen. Ich beugte mich nach unten, mein Bauch tat schon so weh. Auch Kevin kam zu mir runter. Er atmete schwer. »So viel hab ich schon lang … nicht mehr gelacht«, erklärte ich ihm. »Da geht bestimmt noch mehr«, flüsterte er mir zu, um das Filmpublikum nicht zu stören. Er nahm ein Popcorn. Als er es in dem Mund nahm, stöhnte er auf. Beim zweiten gab er einen langen Seufzer von sich. Er war echt der Wahnsinn. Ich prustete los. »Das kann ich auch«, prahlte ich. Auch ich schnappte mir ein Korn aus unserer Tüte und gab ein lang gezogenes Stöhnen von mir. »Na, wie war ich?«, fragte ich gespielt stolz. Er gab ein Glucksen von sich. »Ja, ziemlich gut«, gab er zu. »Was? Das war der Wahnsinn«, erwiderte ich mit gespielter Empörung. »Okay, war schon richtig gut«, gestand er. Wir kicherten noch ein bisschen in gebückter Haltung, dann reckten wir die Köpfe, um dem Film weiter zu folgen. Ein paar hatten sich zu uns umgedreht. Oh, Oh, was die wohl gedacht hatten. Wir waren nicht zu sehen und hatten Stöhngeräusche von uns gegeben. Ach, was sollte es. Man lebte nur einmal. Die restliche Zeit blieben wir ruhig. Und er legt sogar kurzzeitig seinen Arm um meine Rückenlehne. Der Film war echt gut. Liss und ich hatten zwar nie Regeln in unserer Freundschaft gehabt, allerdings war sie auch kein Junge und hatte keinen Bruder.
*
Das Popcorn war schon vor dem Ende von Kissing Booth leer. Als das Licht wieder anging erhoben wir uns ziemlich schnell, damit uns niemand sehen konnte. Leider hatte der Regen wieder eingesetzt, weshalb wir zum Auto rannten. »Ist dir kalt«, fragte er mich im Ferrari. Ich nickte, meine Zähne hatten schon nach fünf Metern angefangen zu klappern, obwohl ich relativ warm angezogen war. Kevin drückte einen Knopf und kurz danach wurde es warm unter meinem Po. »Der Wagen ist echt toll. Er hat ja sogar Sitzheizung!«, schwärmte ich, »Meiner hat leider keine« »Klimaanlage ist bei unserer Sommerhitze eh viel wichtiger«, stellte er klar. »Da hast du wieder recht«, stimmte ich zu. »Ich hab dich noch gar nicht gefragt was deine Lieblingsfarbe ist«, erklärte er mir. »Ich find rot schön«, beantwortete ich, »Und du?« »Ich bin auch ein Rotfan, deshalb auch das rote Auto«, informierte er mich. »The same«, konnte ich ihm einfach nur zustimmen. Die Fahrt zu mir dauerte nicht lange. Trotz des strömenden Regens begleitete er mich wieder bis zur Tür. Heute gab er mir sogar einen Kuss, als wäre es selbstverständlich. Ich klingelte und meine Mama öffnete die Tür. Kevin strahlte sie liebenswürdig an: »Ich hoffe ich habe Ihre Tochter nicht zu spät nach Hause gebracht?« »Nein, es ist ja erst halb neun«, tat sie die Zeit ab. »Möchtest du noch mit rein kommen?«, bot ich ihm an. »Jessica, er muss wahrscheinlich auch zu sich nach Hause. Außerdem sollte er nicht bei Nacht fahren«, machte meine Mutter das Angebot zunichte. »Ganz genau…«, stimmte er zögernd zu, »… Es hat auf jeden Fall Spaß gemacht….Bis morgen« »Tschau«, verabschiedete ich mich und winkte ich ihm zum Abschied. »Mum, ich bin müde und gehe ins Bett. Gute Nacht, hab dich lieb und schlaf gut«, wimmelte ich sie ab. In meinem Zimmer begrüßte ich Mr. Duddle und umsorgte ihn. Dann machte ich mich schlaffertig. Ich lag schon im Bett und war schon fast eingeschlafen, da fiel es mir ein. Der Laptop! Ich hatte ihn noch in meiner Tasche. Ich hatte ihn total vergessen, bei der ganzen Aufregung im Kino. Sofort sprang ich auf. Nach wenigen Schritten war ich bei meiner grauen Tasche angelangt. Schon nach einem Handgriff hielt ich ihn. Sollte ich jetzt wirklich noch Informationen suchen? Andererseits würde ich, ohne zu wissen was auf der Speicherplatte war, nicht schlafen können. Ich griff ein zweites Mal in meine Michael Kors um den Zettel, auf den ich die Kennwörter geschrieben hatte, zu holen. Ich setzte mich an meinen Schreibtisch und knipste das schwach leuchtende Leselicht an. Mum sollte ja nicht merken, dass ich immer noch wach war oder gar erfahren, dass ich im Besitz des Computers war. Mr. Duddle an der Seite habend, schaltete ich das Gerät an. Auf dem Bildschirm erschien die Meldung, dass ich das Passwort eingeben sollte. Covidy6038. Ich hielt die Luft vor Anspannung an. Die Sekunden zogen sich. Willkommen, Geronimo! Erschien die Meldung am Startbildschirm. Juhhuu! Ich war drinnen! Was sollte ich jetzt machen? Zuerst schaute ich mir an mit wem er E-mail Verkehr gehabt hatte. Es gab einen Professor, die Zeitung, Freunde von ihm und einen Mr. Lockwood. Ich schaute in einige Mails rein. Es gab nur zwei Nachrichten mir Caydens Vater. In der ersten forderte Lockwood meinen Vater auf, ihm seinen Sohn wiederzugeben. Natürlich waren das nicht exakt die Worte, die er verwendet hatte, aber es war die Zusammenfassung davon. Die zweite hatte mein Vater geschrieben, sie beinhaltete nur fünf Wörter: WARUM SOLLTE ICH DAS TUN? Mein Vater hatte auch Hate-Mails bekommen, die den Beschuldigungen nach zu urteilen, auch von Lockwood stammten. Sie waren allerdings anonym verfasst worden. Für die Zeitung hatte er nur Statements abgegeben. In einem dieser Berichte hatte er von einer Enthüllung gesprochen. Was das wohl sein konnte? Mit dem Professor schrieb er über seine Forschungen, leider hatte ich keine Ahnung um welche es sich handelte. Wer wusste zum Beispiel etwas von einem endoplasmatischem Retikulum? Mit seinen Freunden hatte er über Sport und solche Dinge geschrieben. Daraus konnte ich keine großartige Neuigkeit erfahren. Ich ging zurück auf den Startbildschirm und klickte seine Worddateien an. Hier musste ich das zweite Kennwort eingeben: Elisabeth1987. Sofort erschienen einige Versuchsbeschreibungen, auch waren seine Erfolge gespeichert. Außerdem hatte er ein Tagebuch über ein Experiment geführt. Seit fünf Jahren. Fünf Jahre war es auch her, dass der Junge als entführt galt. Aber mein Vater war doch kein verrückter Wissenschaftler, oder doch? Hatte er wirklich an einem 15-jährigen herumexperimentiert? Ich öffnete eine der Beschreibungen.
3.4.2015
Das Versuchsobjekt ist jetzt seit zwei Monaten bei mir und kooperiert immer noch nicht.
Ich bin bis jetzt auf Stufe eins meines Trainings geblieben, wir werden sehen wie viele Phasen ich brauchen werde, um ihn zu brechen. Ich plane 40 Stufen, das sollte reichen. Mit meinen Versuchen konnte ich bis jetzt noch nicht beginnen, da ich nicht die nötigen Utensilien habe. Schon in wenigen Wochen werde ich mein Labor verlegen und kann somit einige unerwünschte Gäste fernhalten.
Okay. Das war echt irgendwie gruselig. Ich klickte einen aus späteren Jahren an.
6.9.2018
Das Versuchsobjekt ist immer noch widerspenstig, doch ich merke, wie ihn die Hoffnung verlässt.
Ich stehe kurz vor einem Durchbruch in Sachen konstante Abwehr. Ich brauche, wenn überhaupt, noch drei Monate. Danach werde ich versuchen eine vernichtende Waffe herzustellen. Wenn ich diese erst einmal haben werde, werde ich der Welt von ihnen erzählen. Da das Objekt volljährig ist, wird es vielleicht neue Kräfte entwickeln. Bis jetzt allerdings sehe ich keine Veränderungen.
In mir machte sich mehr und mehr der Gedanke breit, dass es sich wirklich um Cayden handeln könnte. Schließlich wurde er 2015 entführt und ist 2018 achtzehn geworden. »Mr. Duddle das ist ja schrecklich!«, erklärte ich dem Vogel. Der blickte mich nur verschlafen an. Ich atmete tief ein und aus. Das war eindeutig genug für eine Nacht. Ich fuhr den Laptop herunter und schob ihn unter mein Bett. ich selbst ließ mich in meine Kissen sinken. Hatte meine Mutter denn nichts davon gewusst? Und wenn ja, warum hatte sie dem Jungen nicht geholfen? Ich war geschockt und das spiegelte sich auch in meinen Träumen wieder.
Dort befand ich mich in einem Raum der mit weißen Fließen ausgestattet war. Ich selbst saß auf einem metallenen Barhocker ohne Lehne. Es war kalt, auch der Stuhl. Es fühlte sich an, als würde er mir Lebensenergie entziehen, deshalb stieg ich runter von ihm und begutachtete meine Umgebung. Eigentlich konnte man nur die Fließen, den Stuhl und eine Neonröhre sehen. Nach einem genaueren Blick in die Ecken des Raumes, lief mir ein Schauer über den Rücken. Blut. Jemand hatte zwar versucht es wegzuwischen, doch es war immer noch in kleinen Spritzern zu sehen. Plötzlich flackerte die Neonröhre. Erst ganz selten, dann ging es im Sekundentakt. Eine Tür erschien, auch sie war aus Metall. Ich wollte zu diesem Ausgang flüchten, da wurde die Tür aber schon aufgerissen und ein Arzt kam herein. Sein Kittel war weiß und an manchen Stellen mit Blut beschmutzt. Ich ließ meinen Blick höher wandern und starrte auf den Kopf. Rote Augen starrten mich gierig an, sie waren Blut unterlaufen. Die Nase war nicht mehr vorhanden und aus dem Mund quoll eine schwarze Flüssigkeit hervor. »Ahh, du bist gekommen, Jessica«, rief er oder es. Die Stimme hallte durch das Labor. Dieses Flackern hörte einfach nicht auf. Es war unheimlich. Der Doktor hatte Zuckungen. »Jessica!«, kreischte es. Er öffnete seinen Mund nicht. Sein Kopf klappte nach hinten, so entstand ein Riss in der Kehle, durch den er sprach. Als er einen Schrei ausstieß, reckte er sich so weit nach hinten, dass ich seine Wirbelsäule sehen konnte. Ich zog mich zurück Richtung Stuhl, doch er stampfte mir hinter her. »Schätzchen, du brauchst keine Angst zu haben! Es wird nicht weh tun!«, hallte seine grässliche Stimme von den Wänden wieder. Er zückte eine Spritze, die mit einer pechschwarzen Flüssigkeit gefüllt war. Ich zitterte am ganzen Körper. Ein Donner war zu hören. Ich versuchte meine Augen vom Mann abzuwenden, doch es gelang mir nicht. Als er näher kam, um mir die Spritzte in das Gesicht zu rammen, konnte ich sein Gesicht besser sehen. Und als ich es erkannte, stiegen mir die Tränen in die Augen. Es war das Gesicht meines Vaters, das zu einer Fratze verzogen war. Ein Schluchzer entfuhr mir. Seine Hand kam immer näher. Der Arm war mit Falten und Narben übersäht. Doch das Schlimmste war, dass er anstatt Fingern, Krallen hatte. Was war ihm nur passiert?! »Nein, bitte nicht«, bettelte ich. Er stieß einen markerschütternden Jubelschrei aus und stieß zu.
Ich schlug die Augen auf. Tränen flossen über meine Wangen. Ich atmete schwer. Der Eichelhäher hüpfte auf mich zu und legte sich neben mich. »Danke«, flüsterte ich ihm zu. Er war wirklich kein normaler Vogel. Irgendwie musste er mich verstehen. Ich griff zu meinem Nachttisch, auf dem ich mein Handy abgelegt hatte. Aus eine der Schubladen angelte ich mir Kopfhörer. Die Musik hatte mir schon immer bei schlechten Träumen geholfen. Zu den Tönen von Christina Perris A thousand years schloss ich meine Augen erneut. Und nach sechs weiteren ruhigen Liedern, dämmerte ich weg.