Читать книгу DIE AKTE NOSTRADAMUS (Project 6) - Alex Lukeman - Страница 10
Kapitel 6
ОглавлениеAuf dem Arbeitstisch in Selenas luxuriöser Eigentumswohnung lagen ausgebreitet die Seiten des Nostradamus-Manuskripts. Nick verbrachte viel Zeit hier, hatte sein eigenes Appartement aber behalten. Jedes Mal, wenn er erwog, bei ihr einzuziehen, hielt ihn etwas zurück. Selena hatte ihn nicht weiter gedrängt. Vielleicht, weil sie Angst davor hatte, was danach passieren würde, oder weil sie genauso vorsichtig war wie er. Er wusste es nicht, und sie hatten auch noch nicht darüber gesprochen.
In letzter Zeit hatte es den Anschein, als hätte sich etwas zwischen ihnen verändert. Als hätten sie sich voneinander entfernt. Er konnte nicht genau sagen, was genau es war. Nur so ein Gefühl. Manchmal beschlich ihn das Gefühl, dass die Beziehung zu ihr diesem Gummiball an einem Holzschläger glich, der davonhüpfte und wieder zurückgezogen wurde.
Er betrachtete die Manuskriptseiten auf dem Tisch. Ihretwegen hatte jemand versucht, auf offener Straße in Paris ein Messer in ihn hineinzurammen. Und Selenas Freund hatte sein Leben für sie gelassen. Was machte sie so wertvoll, dass man dafür sogar mordete?
»Glaubst du, dass Nostradamus wirklich in die Zukunft sehen konnte?«
Sie fuhr sich mit der Hand über die Stirn. »Darüber streiten sich die Gelehrten, seit die Prophezeiungen 1555 veröffentlicht wurden. Ein paar seiner Verse scheinen sich auf reale Begebenheiten zu beziehen. Diese beiden zum Beispiel.«
Sie las aus ihren Notizen vor.
Eine Insel in der neuen Welt birgt Gefahren
Der junge Adler steht vor dem Bären
Donnergrollen über den Wassern
Schatten unterhalb des Meeres, grimmiger noch als Drachen
»Und?«, fragte Nick.
»Der Bär symbolisiert Russland, auch damals schon. Ich denke, es beschreibt die Kubakrise von 1962. Der Adler und der Bär könnten für Amerika und Russland stehen. Donnergrollen über den Wassern könnten Jets sein. Und die Schatten unterhalb des Meeres könnten sich auf U-Boote beziehen.«
»Du glaubst, er hat ein Ereignis vorhergesagt, dass 400 Jahre in der Zukunft lag?«
»Möglich ist es. Er sah auch den Aufstieg und Fall Hitlers und der Nazis voraus. Wenn er bei Hitler richtig lag, wieso dann nicht auch bei Kuba und den Russen?«
»Vielleicht. Du sagtest zwei Verse. Wie lautet der andere?«
Die Sonne berührt die Erde
Mit einem Wimpernschlag ist alles vorbei
Das Klagelied des Volkes
Verhallt ungehört vor dem Flammenthron
»Es gibt nur einen Flammenthron«, sagte sie, »und das ist der Chrysanthementhron in Japan. Demnach handelt dieser Vers von Hiroshima. Man könnte es so auslegen, dass das japanische Volk von ihrem Kaiser nicht erhört wurde, nachdem die Bombe gefallen war. Erst nach der zweiten gab Hirohito auf.«
Sie sah auf die Seiten hinunter. »Ich habe noch zwei weitere übersetzt, aber sie ergeben nicht viel Sinn.« Sie nahm einen Zettel mit Notizen auf und reichte ihn ihm.
Ein dunkler Prinz sucht, was gestohlen ward
Beim Klang der Trompeten
Lassen die goldenen Cherubim die Himmel erzittern
Ob sie obsiegen oder untergehen ist ungewiss
Wo Wasser mit Gold aufgewogen
Birgt eine kleine Burg unbezahlbare Schätze
Ein Kreuz und eine Kuppel weisen den Weg
Doch hüte dich vor dem roten Reiter
»Nichts davon ergibt einen Sinn«, sagte Nick. »Ein dunkler Prinz. Damit könnte er genauso gut Darth Vader meinen. Man kann diese Texte interpretieren, wie es einem gefällt.«
Selena lächelte. »Das war schon immer ein Problem mit dem lieben Doktor.«
»Nostradamus war ein Arzt?«
»Mehr oder weniger. Er besuchte nie eine medizinische Hochschule. Aber er war dafür bekannt, die Menschen während der Pest zu behandeln. Leider waren seine Mixturen nicht sonderlich erfolgreich.«
»Sieht so aus, als würdest du das so richtig genießen«, sagte er.
Sie nickte. »Es ist aufregend. Hast du eine Ahnung, was es für mich bedeutet, mit so etwas arbeiten zu können?«
»Hast du eine Ahnung, was es mir bedeuten würde, dich in dieses Manuskript aus dem 16. Jahrhundert einzuwickeln?«
Sie lachte. »Vielleicht könnte ich eine Pause vertragen.«
»Wie wäre mit Abendessen in diesem neuen indischen Restaurant?«
»Ich bin nicht besonders hungrig.«
»Wir könnten vorher noch etwas an deinem Appetit arbeiten, bevor wir gehen.«
»Woran denkst du?«
»Ich zeig’s dir.«
Er führte sie ins Schlafzimmer. Sie küssten sich. Selena begann ihre Bluse aufzuknöpfen. Dann hielt sie plötzlich inne.
»Oh«, sagte sie.
Nick wollte gerade sein Shirt ausziehen. Auch er verharrte regungslos, die Hand an seinem Gürtel. »Was ist los?«
»Mir ist gerade etwas eingefallen.«
Sie verließ das Schlafzimmer und knöpfte sich ihre Bluse wieder zu.
Nick blieb für einen Moment neben dem leeren Bett stehen. Das war der Nachteil, wenn man mit Selenas Verstand unter einem Dach lebte. Er seufzte und folgte ihr ins Nachbarzimmer. Sie lief zu einem Buchregal, zog eine Bibel heraus und lief mit ihr zu dem Tisch mit dem Manuskript. Dann setzte sie sich und begann in der Bibel zu blättern.
»Was machst du da?«
»Ich hatte eine Idee, was Jean-Paul gemeint haben könnte, als er EX 25 schrieb. Es könnte ein Verweis auf die Bibel sein.«
Sie fand das Buch Exodus und blätterte zum Kapitel 25. »Oh Gott«, stieß sie hervor.