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Kapitel 2

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Das neue Hauptquartier des PROJECTS befand sich in bester ländlicher Lage auf dreihundert Quadratmetern im Bezirk Fairfax, Virginia, unweit der Hauptstadt Washington.

Ein dreieinhalb Meter hoher Maschendrahtzaun um das gesamte Gelände sorgte dafür, Tiere und Neugierige fernzuhalten. Die eigentlichen Sicherheitsmaßnahmen aber waren automatisiert und unsichtbar. Das Hauptgebäude sah wie ein Wohnhaus aus. Mit seiner von Säulen getragenen Veranda, der weißen Fassade und dem grünen, schrägen Schindeldach erinnerte es entfernt an den Kolonialstil. Künstliche grün angestrichene Fensterläden akzentuierten die Fenster.

Eine breite, gepflasterte Auffahrt führte von dem Zufahrtstor mit Wachhäuschen zu dem Haus hinauf. Gegenüber des Hauses stand ein flacher Betonbau mit Rolltoren. Es war leer und wartete noch auf eine Bestimmung. Die Auffahrt endete an einem betonierten Hubschrauberlandeplatz, der mit einem großen gelben Kreis markiert war. Washington und das Weiße Haus waren mit dem Hubschrauber in nur wenigen Minuten zu erreichen.

Während des Kalten Krieges war das Anwesen ein Startplatz für Nike-Raketen gewesen, mit drei 450-Quadratmeter großen unterirdischen Munitionslagern aus Beton und Stahl. Zwei der Munitionslager waren aufgeschüttet und landschaftlich gestaltet worden, sodass nur noch ein paar Lüftungsrohre, die aus dem Rasen ragten, von ihrer Existenz kündeten. Das Wohnhaus befand sich direkt über dem dritten Lager.

Der Vorbesitzer hatte das Munitionslager unter dem Haus in eine zweite Notfall-Behausung umgebaut. Diese besaß eine Küche, ein Bad, Schlafzimmer, einen Swimmingpool und eine unabhängige Stromversorgung. Der Wohnbereich diente als Operationszentrum. Das zweite unterirdische Lager beherbergte die Cray-Computer des PROJECTS und die gesamte Kommunikationseinrichtung. Im dritten Lager waren ein Trainingsraum, eine Waffenkammer und ein Schießstand untergebracht. Der Zutritt zu den unteren Bereichen erfolgte über eine Wendeltreppe im Wohnhaus. Und der Werkzeugschuppen im Blumengarten vor dem Haus verbarg einen Notausgang aus dem unterirdischen Bereich.

Selena und Nick waren direkt vom Flughafen aus hierhergekommen. Selena saß am Steuer ihres burgunderroten Mercedes. Nick musterte das Haus, als sie die Einfahrt passierten. Nachdem das alte Hauptquartier zerstört worden war, hatte Harker einen sichereren Standort für sie gesucht.

»Daran werde ich mich erst noch gewöhnen müssen«, sagte er. »Als Harker meinte, wir sollten in den Untergrund verschwinden, dachte ich nicht, dass sie es wortwörtlich meint.«

»Aber du musst zugeben, dass die Tarnung perfekt ist. Lamont liebt den Pool. Und ich auch.« Lamont Cameron, der nach seinem Dienst bei den Navy Seals rekrutiert worden war, war Teil ihres Teams.

Sie parkte vor dem Haus. Gemeinsam betraten sie die Stufen, die zu der Veranda hinaufführten. Eine Kamera über ihren Köpfen folgte ihnen. An der Tür befanden sich ein biometrisches Lesegerät und ein Gesichtserkennungsscanner. Selena legte ihren Daumen auf das Lesegerät und beugte sich an den Scanner heran. Die Tür öffnete sich mit einem geölten Flüstern, als sich die Schließriegel zurückzogen.

Das neue Büro von Direktorin Elizabeth Harker befand sich am anderen Ende des Erdgeschosses. Elizabeth saß an ihrem Schreibtisch und blickte durch eine breite Front aus Verandatüren in einen großen Blumengarten hinaus. Die Fenster sahen wir gewöhnliche Fenster aus, aber selbst Geschosse mit 50mm-Kaliber hätten Schwierigkeiten damit, sie zu durchschlagen. Elizabeth hatte beschlossen, das Risiko einzugehen. In ihrem alten Gebäude hatte sie jahrelang ohne Fenster auskommen müssen.

Harker war eine kleine Frau. Sie trug ihr gewohntes Outfit aus einem schwarzen Kostüm und einer blütenweißen Bluse. Ihre Haut war milchweiß, und die smaragdgrünen Ohrringe griffen die Farbe ihrer Augen auf. Ihr Haar war tiefschwarz, mit grauen und weißen Strähnen. Eine gekräuselte Narbe verlief an der Stelle über ihrem linken Auge, wo die Kugel eines Attentäters sie nur knapp verfehlt hatte.

Für Nick war sie die kompetenteste Frau, die er je kennengelernt hatte. Ihr Aussehen und ihre geringe Körpergröße gab ihren Mitmenschen hin und wieder den Eindruck, dass sie leicht zu manipulieren wäre. Doch für gewöhnlich dauerte es nicht lange, bis sie sich dieses Irrtums bewusst wurden. Denn mit Elizabeth Harker war nicht zu spaßen.

Ein großer Flachbildschirm nahm den größten Teil der Bürozimmerwand ein. In der Nähe des Schreibtischs waren eine Ledercouch und drei Sessel angeordnet. Auf Harkers Schreibtisch befanden sich die Nostradamus-Akte, ein Stift nebst Notizblock und ein Bild ihres Vaters in einem silbernen Rahmen. Das Foto hatte die Aufnahme der Twin Towers am elften September ersetzt, welches zusammen mit der gesamten restlichen Einrichtung am Tag des Angriffs auf ihr altes Hauptquartier zerstört worden war.

Elizabeth schöpfte Kraft aus der Aufnahme ihres Vaters. Er hatte die praktische Angewohnheit besessen, jedem Problem mit einem Zitat oder einer ruhigen Unterhaltung auf den Grund zu gehen. Der Richter war vor Jahren schon gestorben, aber noch immer suchte sie in Gedanken seinen Rat, wenn sie wichtige Entscheidungen treffen musste.

Sie sah auf, als Nick und Selena eintraten. »Die Franzosen sind nicht besonders glücklich«, sagte sie. Harker verschwendete nie ein Wort.

Die beiden ließen sich auf der Couch nieder.

»Ebenfalls Hallo«, sagte Nick. »Wo drückt denen denn der Schuh?«

»Abgesehen von dem Umstand, dass Sie zwei ihrer Staatsbürger ins Krankenhaus geschickt haben und verschwunden sind, meinen Sie?«

»Ich hielt es für das Beste, das Land zu verlassen.«

»Sie können von Glück sagen, dass die beiden Männer, die Sie angriffen, auf der Fahndungsliste von Interpol standen. Was die Franzosen aber verstimmt hat, war, dass Bertrand an dem Nachmittag, als er ermordet wurde, noch ein Paket in Ihr Hotel schicken ließ. Sie würden gern wissen, was sich darin befand.«

Elizabeth nahm ihren neuen Stift zur Hand. Ihr silberner Kugelschreiber war zusammen mit allem anderen in dem alten Büro verlorengegangen. Sie hatte ihn durch einen Montblanc ersetzt, schwarz und mit der für die Marke typischen Kappe. Sie begann mit ihm auf die harte hölzerne Tischplatte zu klopfen.

»Wie es aussieht, pflegte Selenas Freund ein paar fragwürdige Kontakte.«

»Welche Kontakte sollen das sein?«, fragte Selena.

»In Europa gibt es einen Schwarzmarkt für seltene Bücher. Interpol hatte Bertrand in diesem Zusammenhang im Visier.«

»Ich glaube nicht, dass Jean-Paul auf dem Schwarzmarkt handelte«, sagte Selena. »Er war ein ehrbarer Mann. Seine Bücher besaßen ihre Provenienz. Seine Kontakte waren allesamt seriös.«

»Nicht alle. Die Polizei hat seine Telefongespräche überprüft. An dem Morgen seiner Ermordung bekam er einen Anruf von jemanden, der mit der Unione Corse in Verbindung steht.«

»Unione Corse? Was ist das?«, fragte Nick.

»Die französische Mafia. Sie operieren hauptsächlich auf Korsika und in Marseille, betreiben Rauschgifthandel, Kunstdiebstahl, Prostitution und Geldwäsche im großen Stil. Die Männer, die hinter Ihnen her waren, waren Gangster. Mitglieder der Mafia. Das kann kein Zufall sein.«

»Sie glauben also, dass die Unione Corse Jean-Paul umgebracht hat?«

»Ja. Ich sagte den Franzosen, dass ich mit Ihnen sprechen werde. Aber ich verriet ihnen nicht, dass wir das hier haben.« Sie tippte mit ihrem Finger auf die Nostradamus-Akte. »Haben Sie herausfinden können, was Bertrand uns mit den Zeichen auf dem Boden sagen wollte?«

Selena strich sich mit dem Handrücken eine Haarsträhne aus der Stirn. »Nein. Ich kann mir keinen Reim darauf machen.«

Harker schob die Akte über den Tisch. »Übersetzen Sie das. Vielleicht sind wir dann schlauer.«

»Ich kann sie übersetzen, aber ich kann nicht dafür garantieren, dass ich es auch verstehe. Nicht bei Nostradamus.«

»Arbeiten Sie mit Stephanie zusammen. Nehmen Sie die Computer zu Hilfe, um die Sache zu beschleunigen.«

Stephanie Willits war Harkers Stellvertreterin und das Computergenie des PROJECTS. In einem der alten unterirdischen Munitionslager waren eine Reihe von Cray-Computern untergebracht, deren Rechenpower es mit Langley aufnehmen konnte.

Harker legte ihren Stift ab und sah Selena an. »Sie haben den Angriff in Paris überstanden. Sind Sie fit genug, um wieder in den aktiven Einsatz zu wechseln?«

Im Jahr zuvor war Selena schwer verwundet worden. Eine Kugel hatte ihr Rückgrat gestreift und sie beinahe getötet. Für eine Weile hatte es so ausgesehen, als würde sie für den Rest ihres Lebens an einen Rollstuhl gefesselt sein. Seither war sie nicht wieder im Einsatz gewesen.

Selena holte tief Luft. Sie wusste, dass dieser Moment kommen würde.

»Ich muss noch etwas vorsichtig sein, aber ja, ich bin wieder einsatzfähig.«

»Sind Sie sicher?«

»Ja.«

Harker nickte. »Gut. Konzentrieren Sie sich aber zuerst auf die Übersetzung.«

»Ich würde die Akte gern mit nach Hause nehmen. Ich denke, ich kann das meiste davon übertragen, bevor ich Stephanies Hilfe brauche.«

»In Ordnung. Nick, Sie bleiben bei Selena, falls es noch mal jemandem einfallen sollte, das Manuskript an sich zu bringen. Betrachten Sie sich als überbezahlten Leibwächter.«

Er grinste Selena an und strich sich über einen eingebildeten Schnurrbart. »Und wie ich deinen Leib bewachen werde«, sagte er mit tiefer Stimme.

»Idiot«, antwortete sie.

DIE AKTE NOSTRADAMUS (Project 6)

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