Читать книгу 9 ungewöhnliche Western April 2020: Western Sammelband 9006 - Alfred Bekker - Страница 12
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ОглавлениеZur selben Zeit erreichten Frank Merrill, Andy Grant und Tony Burton eine Ansammlung von Hütten, vor denen am Rande des Karrenwegs ein Pfahl windschief im Boden steckte. Eine alte Tafel mit der verblichenen Aufschrift „Boomtown“ hing daran genagelt.
Die Halunken zügelten die Pferde und blickten auf die im fahlen Mondschein schimmernden Dächer.
Ein Wolf heulte klagend mitten in dem verlassenen Nest, tauchte aus dem Schlagschatten einer Hütte auf und wandte sich zur Flucht.
„Niemand da in der Geisterstadt“, stellte Merrill daraufhin fest, schnalzte mit der Zunge und dirigierte sein Pferd in den verlassenen Ort.
Die beiden anderen folgten ihm.
Ein leises Pfeifen ließ Tony Burton jäh den Zügel anziehen. Sein Pferd scheute und drängte rückwärts.
Kaum zu erkennen, bewegten sich wieselflinke, kleine Tiere vom Brunnen auf der Plaza nach allen Seiten und tauchten in der Dunkelheit unter.
Merrill zügelte sein Tier und schaute zurück. „Was ist los, Tony, hast du Angst?“
„Was sind das für Tiere?“
„Ratten, was denn sonst.“
Burton lief es kalt über den Rücken. „Die greifen Menschen an, wenn sie nichts mehr zu fressen finden. Und sie übertragen Krankheiten, Seuchen!“
„Angst?“ Grant, der ebenfalls anhielt, grinste durch die Dunkelheit, wobei die Lücken zwischen seinen Zähnen sichtbar wurden.
Merrill ritt weiter, hielt aber scharf nach beiden Seiten Ausschau, um möglichst sicher vor einer Überraschung zu sein, denn immerhin sagte er sich, dass so gut wie sie auch andere Banditen hier Zuflucht gesucht haben könnten.
Doch er erreichte den Brunnen, ohne etwas Verdächtiges bemerkt zu haben, hielt an, stellte den rechten Fuß auf die Brunnenmauer und blickte in den Schacht hinunter. Ein Seil verschwand von der Holztrommel in der Tiefe.
Merrill stieg ab, bewegte die Kurbel an der Trommel und hörte im Brunnen einen Eimer klirrend gegen die Wände schlagen.
Die Ratten liefen aus den verlassenen Hütten ins Mondlicht zurück und beäugten aus kleinen, glitzernden Augen die Männer.
„Seht euch die nur an!“, sagte Burton heiser. „Die denken nicht daran, sich vor uns zu verstecken!“
Merrill zog den Eimer auf den Brunnenrand und kostete das Wasser, das ihn zur Hälfte ausfüllte. „Genießbar.“ Er schüttete das Wasser in die Tränke neben dem Brunnen und ließ sein Pferd saufen.
Die Ratten wagten sich näher heran.
Burton zog den Colt und jagte zwei Schüsse in den Boden. Augenblicklich ergriffen die Tiere die Flucht.
Das Krachen der Schüsse hallte durch die Geisterstadt. Die Banditen sahen sich um.
„Wäre es nicht besser gewesen, wenn wir alle nach Prescott …“
„Nein“, unterbrach Merrill den Komplicen schroff. „Drei Männer fallen nicht weiter auf. Sechs sind gleich verdächtig.“
„Wir konnten doch auch vor der Stadt warten.“
„Wir haben uns hier verabredet“, sagte Merrill, hängte den Zinkeimer ans Seil und ließ die Trommel abrollen. „Und das ist auch besser, weil man uns so auch nicht in der Nähe von Prescott in einem größeren Haufen sieht.“
„Und alles nur wegen der Ratten.“ Grant stieg ab und führte seinen Braunen an die Tränke.
Die vorwitzigen Nager wagten sich schon wieder aus dem Schatten der Hütten und beäugten aus ihren Glitzeraugen die Eindringlinge.
„Hier kriege ich kein Auge zu“, stieß Burton hervor.
„Um so besser, dann können wir schlafen.“ Grant lachte hämisch.
Burtons Pferd trug seinen Reiter an die Tränke und soff ebenfalls.
Merrill zog den Eimer herauf und goss noch mehr Wasser in die Tränke.
Grant verließ die Kumpane, näherte sich dem ehemaligen Drugstore und trat gegen die Tür. Sie schwang jedoch nicht nach innen, sondern fiel von den durchgerosteten Angeln und schlug dumpf in den mit staubüberzogenen Gerümpel angefüllten Laden.
Eine Eule floh mit lautem Kreischen und heftigem Flügelschlag durch das geborstene Fenster, flog über die Banditen am Brunnen hinweg und tauchte im Dunkel unter.
Die Ratten huschten unter das Gerümpel, tauchten in Löcher und krochen unter die teilweise noch vorhandenen Dielen.
Das nackte Grauen befiel den eiskalten Killer bei der Vorstellung, hier eine Weile zubringen zu müssen.
„Wollen wir nachsehen, ob in der Kneipe noch Whisky zu finden ist?“, fragte Grant.
„Nachsehen kannst du, wenn du mit der Zeit doch nichts anzufangen weißt“, entgegnete Merrill. „Aber finden wirst du mit Sicherheit nichts, Andy.“
Burton zog sich zu den anderen zurück.
„Der Wolf muss hier auch noch Beute gewittert haben“, sagte Grant. „Also liegt auch noch manches herum.“
„Unsinn. Das war ein alter Geselle, der sein Rudel verloren hat und darauf angewiesen ist, den Ratten aufzulauern.“ Abermals zog Merrill den Eimer auf den Brunnenrand, legte seinen Hut daneben, trank aus zusammengelegten Händen, wusch sich das Gesicht ab und stieß den Eimer mit dem Ellenbogen in den Schacht.
Laut scheppernd von Wand zu Wand fliegend stürzte das Gefäß in die Tiefe.
„Und ich?“, maulte Grant.
„Du kannst dich gefälligst selbst bedienen.“ Merrill stülpte den Hut auf, nahm sein Pferd am Zügel und führte es zum ehemaligen Saloon. Dem Vordach fehlten ein paar Stützen, so dass es mit einem Knick mitten drin fast bis auf die Veranda hing.
„Wir könnten doch auch außerhalb von Boomtown auf die anderen warten“, schlug Burton vor.
Grant lachte darüber lauthals: Merrill hörte gar nicht zu. Von der Seite her führte der Bandenführer sein Pferd auf die Bretter der Veranda vor der Kneipe und in das Loch hinein, an dem einmal rechts und links die Schwingflügel angeschlagen gewesen waren.
Auch in dem verlassenen Saloon drangen die Geräusche der Ratten lauter als das Knarren der Dielenbretter an die Ohren des Banditen. Sie huschten über den Boden, den Tresen, die verstaubten Regale, über Trümmer, Pfosten und Wände weg und schienen den langen Raum zu Hunderten zu bevölkern.
Draußen feuerte Burton aus seinem Revolver, was die Tiere im Saloon nicht im Geringsten störte.
Merrills Pferd wieherte und schlug krachend mit einem Eisen auf die Dielen. Das Holz brach. Unsichtbar wirbelte Staub auf.
„Hör auf, Tony, du vergeudest nur deine Patronen“, sagte Grant. „Und wenn du Pech hast, werden sie auf dich besonders neugierig!“
„Wir können so gut wie hier hinter der Stadt warten.“
„Frank hat keine Lust dazu, das kann dir doch nicht entgangen sein, Tony. Und ich auch nicht. Hier sind wir sicher. Los, vielleicht finden wir doch irgendwo eine Flasche Whisky!“
Merrill sattelte in der Kneipe sein Pferd ab. Die vielen Ratten verursachten ihm selbst ein unbehagliches Gefühl. Aber jetzt erschien ihm der Rückzug aus dem Nest ohne Prestigeverlust unmöglich.
Grant polterte mit seinem Pferd über die Veranda und führte den Braunen in den Saloon.
Indessen suchte Merrill die Decke nach einer Lampe ab und fand in der Tat einen intakten Leuchter mit zwei Armen. Als er am Pfosten ein Schwefelholz anrieb, erkannte er Petroleum in den Glasbehältern. Er zündete die Dochte an, ließ das Schwefelholz fallen und stellte den Stiefel darauf.
Die Helligkeit vertrieb die Ratten aus dem Blickfeld der Banditen.
„Tony, hier sind sie abgehauen!“, rief Grant.