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In Prescott tauchte Henry Duncan vor den stämmigen Kutschenbegleitern der Wells Fargo an der Ecke der Phoenix Street auf.

Ich blickte den bis an die Zähne bewaffneten rauen Männern mit reichlich gemischten Gefühlen entgegen.

Zu allem Überfluss kehrte Marshal Jones von seiner ersten Runde um das Viertel zurück. „Das Haus ist lückenlos umstellt, Leute. Keine Maus kann ungesehen entwischen.“

Jones grinste mich überlegen an und zerrte ständig an seinem Patronengurt herum, als wolle er meine Aufmerksamkeit und die der anderen Leute auf seinen schweren Revolver lenken, den er fast vor dem dicken Bauch trug.

Ich wollte mich zurückziehen, um dem aufgeblasenen Marshal aus dem Wege zu gehen. Aber die Kutschenbegleiter standen wie eine Mauer hinter mir und vereitelten diese Absicht.

„Alles hört auf mein Kommando!“, verkündete der Marshal großspurig.

Zorn stieg in mir auf. Wie üblich würde Jones letzten Endes unbedacht vorgehen und seine fast krankhafte Sucht nach Selbstdarstellung dabei mehr im Auge haben als die Sicherheit der Geiseln.

„Sollten wir es nicht Carringo überlassen, über die Art unseres Vorgehens zu entscheiden?“, wandte Duncan, der Agenturleiter, ein.

„Ist er in Prescott der Marshal?“, fauchte Jones ihn an. Sein nächster Blick galt wieder mir. „Ich bin hier der Marshal!“ Er schlug sich gegen die Brust.

„Aber es sind seine Leute, die sich in Lebensgefahr befinden“, sagte der Wagenbegleiter schräg hinter mir.

„Wer sind Sie denn? Gehören Sie in diese Stadt, oder halten Sie sich nur zufällig hier auf?“

„Jetzt reicht es“, sagte ich. „Sie übernehmen kein Kommando, verdammt noch mal. Gehen Sie in Ihr Office und schließen Sie sich am besten ein, damit Sie kein Unheil anrichten.“

Jones holte tief Luft.

Ich packte ihn an der Jacke und riss ihn dicht an mich heran. „Plustern Sie sich nicht künstlich auf! Sie haben hier nichts zu melden, kapiert!“ Heftig stieß ich den Mann zurück. Er prallte gegen den Schmied und fluchte.

„Los, hauen Sie ab!“, herrschte ich ihn an. „Und lassen Sie sich keine eigenmächtige Aktion einfallen!“

„Ich bin der Marshal!“

Drohend ging ich auf ihn zu.

Jones zog sich zurück. „Das ist ungesetzlich! Dazu haben Sie kein Recht!“

„Hauen Sie ab, Jones, oder es passiert ein Unglück!“

Die Angst des Marshals war groß genug, ihn alle seine kühnen Pläne vergessen zu lassen. Er wandte sich um und eilte zeternd in Richtung auf sein Office davon.

„Hoffentlich hält er sich wirklich raus!“ Henry Duncan seufzte vernehmlich. „Bei dem muss man auf alles gefasst sein.“

Ich wollte nicht weiter über den aufgeblasenen Marshal nachdenken, weil wichtigere Aufgaben vor uns lagen. „Sorgen Sie dafür, dass zunächst niemand die Straße betritt, Henry. Unsere Leute sollen im Schutz der Station bleiben.“

Der Agenturleiter schien nicht zu begreifen, warum ich das verlangte.

„Es ist sicher besser, wenn die Banditen nicht das Gefühl kriegen, ihre Lage sei inzwischen aussichtslos geworden und sogar ihr Fluchtweg abgeschnitten.“

„Ach so. Sie denken, das könnte zu einer Kurzschlussreaktion führen, wie?“

„Ja, Henry. Ich sehe mir inzwischen die Lage auf der anderen Seite an.“

„Gut. Also, Leute, ziehen wir uns ein paar Schritte zurück!“

Während der Agenturleiter und die schwerbewaffneten Kutschenbegleiter den Schutz der Wells-Fargo-Station aufsuchten, ging ich zur anderen Straßenseite hinüber und halb um das Häuserviertel herum.

Überall standen Menschen mit Revolvern und Gewehren in Bereitschaft und bekundeten mir ihr Mitgefühl mit der dramatischen Entwicklung. Ich sah ihnen an, dass sie es ehrlich meinten.

Vor dem Gebäude in der Pueblo Street, dessen Hof an unseren grenzte, staute sich eine Menschenmenge. Durch die Lücke neben dem Haus ließ sich ein Teil des dahinterliegenden Anwesens erkennen. Im Hof kauerten Männer mit angeschlagenen Gewehren hinter Regentonnen und einem Stapel Brettern.

Ich ging hinein. Der Schreiner ging mir sofort entgegen und sagte: „Hier ist alles dicht, Carringo.“

„Achten Sie bitte darauf, dass Ihre Leute unter keinen Umständen von drüben zu sehen sind!“

„Ich bin nicht sicher, dass sich das immer vermeiden lässt“, erwiderte der Mann mit gefurchter Stirn.

„Wollen Sie damit sagen, die Leute wären bereits bemerkt worden?“, fragte ich direkt.

„Das weiß ich nicht. Wir tun unser möglichstes, unbemerkt zu bleiben. Das können Sie mir glauben, Carringo.“

Ich nickte. „Vielleicht lässt sich wenigstens der Eindruck erwecken, als wäre hier niemand mehr. Und bitte keine eigenmächtigen Aktionen!“

„Nein, nein!“, versicherte der Schreiner augenblicklich und hob die Hand, als wolle er seine Worte beschwören.

Ich ging weiter. Überall dort, wo nur das Hausdach unseres Anwesens gesehen werden konnte, standen Menschen, und überall schärfte ich den Leuten das gleiche ein.

Als sich der Kreis schloss und ich Duncan und seine Belegschaft bei der Agentur wieder erreichte, neigte sich die Sonne bereits sichtbar über den Zenit, und auf der Straße begannen sich neue Schatten zu bilden.

„Alles unverändert“, meldete Duncan. „Die Halunken lassen sich nicht mehr sehen. Keine Forderung, nichts.“

„Die wissen offenbar selbst nicht, was sie jetzt tun sollen“, entgegnete ich.

Henry Duncan nickte. „In deren Haut möchte ich nicht stecken. Ziemlich miese Situation.“

„Um so gefährlicher sind die Kerle.“ Ich dachte an Manuela, Jellico und Chaco, die sich im Haus befanden. „Ist Jones noch mal aufgetaucht?“

„Nein.“

„Hoffentlich fällt dem nicht noch was ganz Verrücktes ein“, sagte ich.

„Was meinen Sie?“

„Seit ich ihn kenne, sucht er nach Möglichkeiten, sich aufzuspielen. Nicht immer ist dazu Gelegenheit.“

„Aber heute sieht er eine, wie?“

Ich zuckte mit den Schultern. „Das ist zu befürchten.“

„Ich werde einen Mann abstellen, der Jones in seinem Office und bei allem, was er tut, beobachtet.“

„Ja, gute Idee.“

Duncan drehte sich um und schickte sofort einen jungen Transportbegleiter los. Aber der Mann kehrte bereits nach drei Minuten zurück und berichtete, dass Jones nicht in seinem Office sei.

„Suchen Sie ihn!“, befahl Duncan. „Die Stadt hat er bestimmt nicht verlassen.“

Wieder trabte der junge Mann los.

„Wo kann der Kerl nur stecken?“, murmelte Duncan kopfschüttelnd.

Ein paar Männer wollten mit Gewehren in die Phoenix Street vordringen.

„He, ihr da, zurück!“, befahl ich, lief los und erreichte die drei noch vor dem Hoftor der Agentur.

„Wir wollten nur die nächsten Häuser besetzen“, sagte der Anführer der drei.

„Wozu das?“

„Falls den Banditen einfällt, noch mehr Geiseln zu nehmen. Das muss man doch vereiteln!“

Die beiden anderen nickten, überzeugten mich aber nicht davon, die Wahrheit zu sagen.

„Schickt euch Marshal Jones?“, fragte ich misstrauisch.

Sie wichen sofort zurück.

„Haut ab, los!“

Die Männer liefen davon.

„Ich fürchte, Jones ist schon dabei, aktiv zu werden.“ Besorgt schaute ich Henry Duncan an.

„Wir vereiteln das sicher. Er fällt auf, wenn er losschlägt, weil das mit viel Aufwand vor sich geht.“

„Hoffentlich.“ Ich blickte in die Phoenix Street. Das Sonnenlicht brach sich in zwei Fenstern meines Hauses und vermittelte den Eindruck, als herrsche tiefster Frieden. Aber das trog. Deutlicher als zuvor wurde mir bewusst, wie machtlos wir waren.

9 ungewöhnliche Western April 2020: Western Sammelband 9006

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