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„Carringo, wir haben die Pferde der Banditen gefunden!“, rief Henry Duncan.

Ich stand immer noch an der Ecke der Phoenix Street und blickte von Sorgen erfüllt zu meinem Haus. Die Banditen ließen sich nicht blicken, feuerten auch nicht, verlangten nichts, zeigten die Geiseln nicht – nichts, nichts, nichts.

Das Warten zermürbte mich mehr, als ich mir eingestehen wollte, und erhöhte bei mir die Spannung, während es den anderen langweilig wurde und wenigstens ein Teil der Schaulustigen verschwand.

Ich schaute mich um.

Mit Henry Duncan und einem seiner schwerbewaffneten Transportbegleiter näherte sich der Mietstallbesitzer Hugh Judd.

„Es sind drei“, sagte der Mann. „Sie tauchten schon gestern auf. Ich dachte, das sind ganz gewöhnliche Fremde und hab deswegen heute noch mal die Saloons nach denen durchstöbert. Im Silver Bell erzählten die Mädchen, die hätten nach Ihnen gefragt, Carringo.“

„Das sind sie“, setzte Duncan hinzu.

„Was sind es für Männer?“, fragte ich.

„So zwischen fünfundzwanzig und dreißig ungefähr. Nicht sehr vertrauenerweckende Typen.“ Judd verzog säuerlich das Gesicht. „Danach kann ich aber nicht gehen, das wissen Sie ja.“

„Irgend etwas Besonderes?“

„Der eine sieht so hässlich aus, dass es selbst mir schwerfiel, ihn anzuschauen. Hat ein schmales Gesicht wie ein Pferd, wulstige Lippen, ein spitzes Kinn, lange, blonde Haare und dazu einen zerzausten Backenbart, Also wirklich, so was Hässliches sieht man nicht jeden Tag. Der Anführer hat eine Messernarbe im Gesicht. Seine Augen erinnern an einen Fisch. Der dritte sieht auch mehr oder weniger wie ein Killer aus. Aber wie gesagt, danach kann man nicht gehen.“

„Sie haben diese Männer bestimmt noch nie vorher gesehen?“

„Ganz sicher nicht!“

Ich überlegte, ob ich mir die Pferde der Halunken ansehen sollte, verwarf den Gedanken jedoch gleich wieder.

„Ich sagte ihnen noch, dass sie die Gewehre bei den Pferden lassen könnten, weil in meinem Stall nichts gestohlen wird. Das taten sie dann auch.“

„Sagt Ihnen das Aussehen der Kerle nichts?“, fragte Duncan.

„Nein.“

„Aber die wussten offenbar von ihrem Auftauchen in Prescott an genau, was sie hier wollten.“

„Stimmt“, gab ich zu. „Ich habe Feinde auch aus einer lange zurückliegenden Zeit, Henry. Manche davon bedienen sich gekaufter Killer.“

„Verstehe“, brummte Duncan.

Von der Südseite der Stadt bewegten sich im Schatten der westlich gelegenen Häuserzeile Männer langsam immer weiter in die Phoenix Street.

„Ist denn da hinten niemand, der sie zurückhält?“, fragte ich.

„Von uns nicht“, entgegnete Henry Duncan. „Übrigens haben wir den Marshal immer noch nicht gefunden.“

Bevor ich entscheiden konnte, ob ich das Viertel umgehen oder den neugierigen Leuten direkt entgegen gehen sollte, wurde in unserem Haus ein Fenster geöffnet und Manuela in das Rechteck gedrängt. Ich sah ihr bleiches Gesicht und die Fesseln an den Handgelenken. Schräg hinter ihr ließ sich ein weiteres, finsteres Gesicht mit funkelnden Augen und einer Messernarbe am Kinn erkennen.

„Zurück!“, befahl eine bellende Stimme. „Räumt die Straße, oder die Geiseln werden erschossen!“

Die Menschen hasteten entsetzt zurück. Leer gähnte eine Minute später die Straße.

Da tauchte Doc Walter am Südende der Phoenix Street auf und marschierte mitten auf der Fahrbahn unserem Haus entgegen.

„Zurück!“, schrie die wütende Stimme hinter der bleichen Mexikanerin

„Ich bin der Arzt!“ Doc Walter blieb nur ein paar Dutzend Yards vom offenen Fenster entfernt stehen.

„Hauen Sie ab, Mann!“

„Die Frau ist schwanger, Mister. Was Sie tun, kann sie töten! Lassen Sie mich ins Haus, damit ich mich um sie kümmern kann!“

„Verschwinden Sie!“

Ein Revolver schob sich aus dem Fenster und entlud sich. Eine Kugel streifte den Hut des Arztes und versetzte ihm einen Stoß zur Seite.

Das Donnern hallte durch die Stadt, Pulverrauch breitete sich vor der Hauswand aus.

„Das ist unmenschlich!“, rief der Arzt empört.

„Ich zähle bis drei, Knochenflicker. Wenn du dann nicht die Beine schwingst, brauchst du dich um die Mexikanerin nie mehr zu kümmern. Hast du kapiert?“

„Sie sind eine Bestie!“, schrie der Arzt.

Der Colt entlud sich wieder, und die zweite Kugel stieß dem Arzt den Hut ganz vom Kopf. Er rollte auf der Krempe durch eine Fahrrinne und kippte um.

„Schieß ihm doch ins dumme Köpfchen, Luck!“, schlug einer der Banditen vor.

„Eins!“, zählte der Kerl schräg hinter der bleichen Manuela, die zu mir herunterschaute.

„Hauen Sie ab, Doc!“, brüllte ich. „Diese Halunken spaßen nicht!“

Der Arzt drehte sich um, lief zurück, hob seinen Hut auf und erreichte die Leute an der hinteren Ecke.

Über der Straße löste sich die Pulverdampfwolke langsam auf.

„Mut hat er ja, das muss ihm der Neid lassen.“ Henry Duncan rieb sich über die Stirn.

„Solcher Mut ist hier nicht angebracht“, sagte ich. „Er spitzt die Situation nur weiter zu.“

„Er denkt an seine Patienten.“ Manuela wurde zurückgezogen und das Fenster mit der eingeschlagenen Scheibe geschlossen. Die Gardine schob sich davor.

Ich befand mich in einer Erregung, die klare Überlegungen fortzuspülen drohte. Aber rechtzeitig erkannte ich das, zog mich in den Hintergrund zurück und setzte mich auf die Ladefläche eines herumstehenden Wagens.

„Dieses Warten geht an die Nerven“, brummte der Mietstallbesitzer. „Hätte ich nur gewusst, dass …“

„Sie trifft doch keine Schuld“, unterbrach ich den Mann. „Hören Sie auf, sich etwas vorzuwerfen.“

Duncan kam mit einer Whiskyflasche und drei Gläsern. „Jetzt trinken wir erst mal einen. Das können wir alle drei verdammt gut vertragen.“

Ich nahm das Glas, ließ es mir voll schenken und trank mit den beiden anderen. Dabei kreisten meine Gedanken weiterhin um eine Lösung des Dramas.

„Die wissen selbst nicht mehr, wie sie den verfahrenen Karren aus dem Dreck bringen.“ Henry Duncan schenkte noch einmal die Gläser voll.

„Das macht sie nur doppelt gefährlich.“ Ich trank das Glas leer und stellte es neben mir auf die Ladefläche des Wagens.

Die Menge versammelte sich um uns. Mir gingen die Menschen immer mehr auf die Nerven, aber ich wusste, dass ich das nicht laut sagen durfte.

Doc Walter ging an der Station vorbei auf uns zu und wurde durch die Menge gelassen.

„Sagen Sie nichts“, riet ich ihm.

„Doch, Carringo. Haben Sie gesehen, wie die arme Manuela aussieht?“

„Ja.“

„So bleich sah ich sie noch nie. In ihrem Zustand ist das lebensbedrohend.“

„Die hätten sie abgeknallt“, sagte Duncan. „Und was hätte das Manuela genutzt?“

„Nichts“, gab Doc Walter zu.

„Na also. Wollen Sie einen Drink?“

„Nein.“

Duncan stellte die Flasche neben mich.

„Ich muss irgendwie zu ihr“, murmelte der Arzt, als spreche er zu sich selbst.

„Sie haben großen Mut, Doktor.“ Ich schaute ihn offen an. „Ich danke Ihnen dafür. Aber Henry hat recht. Es sieht nicht so aus, als ob wir den Geiseln jetzt wirklich helfen könnten. Die Banditen explodieren, wenn etwas anders verläuft, als von ihnen erwartet. Und dann fliegen die Geiseln mit in die Luft.“

„So ist es“, stimmte Duncan zu. „Uns muss etwas einfallen, die Geiseln möglichst zu retten.“

„Soweit gingen meine Gedanken nicht“, erwiderte der Arzt beinahe schroff. „Ich wollte nur Manuela helfen und dafür in Kauf nehmen, selbst als Geisel angesehen zu werden.“

„Vielleicht sollten Sie doch einen trinken“, sagte Duncan freundlich. „Es ist bester Whisky. Eine exzellente Nervenstärkung, Doc!“

Walter schien nachzudenken.

Ich drückte ihm mein Glas in die Hand, griff zur Flasche und schenkte ein.

Doc Walter trank und gab mir das Glas zurück. „Ja, er ist gut, bewirkt bei mir aber nichts.“ Er wandte sich ab, durchbrach die Menschenmauer, und tauchte unter.

Duncan zuckte mit den Schultern. „Bisher dachte ich, er wäre die personifizierte Ruhe. Scheint aber nicht ganz richtig zu sein.“

„Die Situation spitzt sich immer mehr zu, aber sie treibt keiner Lösung entgegen.“ Ich stellte das leere Glas und die Flasche aus der Hand. „Was sagten Sie?“

„Nichts von Bedeutung, Henry.“

9 ungewöhnliche Western April 2020: Western Sammelband 9006

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