Читать книгу Hanseschwestern - Historical Romance Sammelband 6020: 3 Romane - Alfred Bekker - Страница 11
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ОглавлениеGeorg Wetken war nicht der Mann kleiner Gesten. Ganz im Gegenteil: Man kannte und fürchtete ihn als jähzornigen Verteidiger von allem, was er für richtig hielt – und eine fremde Meinung hatte gegen ihn sowieso niemals eine Chance. Wenn er jemanden zu sich kommen ließ, war das immer mit sehr bedenklichen Gründen verbunden.
Diesmal rief er niemanden zu sich, sondern kam sogar selbst. Unangemeldet, wie es bei ihm normal war. Immerhin handelte es sich um seinen Sohn, sein eigenes Fleisch und Blut. Seinen Lieblingssohn obendrein, obwohl er nicht der Mann war, der jemals so etwas wie väterliche Gefühle gezeigt hätte.
Auch dieses Mal nicht. Ganz im Gegenteil. Immerhin aus aktuellem Anlass, und welcher das war, erfuhr Johann Wetken recht lautstark auf der Stelle, ohne jegliche Umschweife.
Sein Vater, gerade erst herein gebraust wie der sprichwörtliche Sturmwind, der alle Fenster und Türen eindrückte, brüllte mit hochrotem Kopf:
„Wie konntest du es wagen?“
Noch bevor Johann Gelegenheit bekam, etwas zu sagen, etwa sich zu erkundigen, worum es sich eigentlich handelte, fuhr sein Vater in seiner übertrieben jähzornigen, alles übertönenden Art fort:
„Du bist nicht mehr mein Sohn! In meinen Augen bist du schlimmer noch als der schlimmste Bastard. Wie konntest du mir das antun, dich mit einer Brinkmann einzulassen? Ausgerechnet!“
Johann blinzelte verwirrt. Er hatte ja schon befürchtet, sein Vater könnte ihn vielleicht bei seiner Heimlichtuerei irgendwann einmal ertappen, und jetzt war er definitiv bereits über alles informiert?
Aber wieso eigentlich?
Den ganzen Morgen über war doch noch alles in Ordnung gewesen. Was war geschehen?
Während er das fürchterliche Donnerwetter geduldig über sich ergehen ließ, beschäftigten sich seine Gedanken genau mit dieser Frage. Adele war aufgehalten worden. Soviel stand jetzt für ihn fest. Von wem? Das war eigentlich von zweitrangiger Bedeutung. Zunächst. Jedenfalls war sie nicht freiwillig fern geblieben. Davon konnte er ausgehen. Und jetzt, erst am Mittag, tauchte sein Vater auf, um seiner grenzenlosen Empörung dermaßen lautstark Luft zu machen?
Er wartete eine winzige Atempause ab, was sehr viel Geduld und Aufmerksamkeit von ihm abverlangte, trotz der lautstarken Beschimpfung, die er gleichzeitig über sich ergehen lassen musste, und flocht rasch ein:
„Wer behauptet denn so etwas?“
Georg Wetken vergaß, zu atmen. Aus geweiteten Augen starrte er seinen Sohn an, als würde er ihn jetzt erst erkennen. Es klappte ihm regelrecht die Kinnlade herunter.
„Willst du etwa leugnen?“, schnappte er, nachdem er sich von dem ersten Schock ob dieser in seinen Augen hanebüchenen Unverschämtheit halbwegs erholt hatte.
„Ich möchte bloß wissen, wer so etwas behauptet – und wieso!“, beharrte Johann und gab sich alle Mühe, zumindest nach außen hin ruhig und besonnen zu wirken.
Das war seine große Stärke: Ihm konnte man nicht ansehen, wie es in Wahrheit in ihm rumorte. Da war die grenzenlose Enttäuschung darüber, dass er letzte Nacht vergeblich gewartet hatte, gepaart mit der mindestens genauso grenzenlosen Sorge um seine geliebte Adele. Da konnte ihm auch das mächtigste Donnerwetter seines Vaters wahrlich nichts mehr anhaben, denn schlimmer konnte es seiner Meinung nach sowieso nicht mehr werden.
Blieb also die durchaus berechtigte Frage, wer da seinen Vater entsprechend aufgehetzt hatte und warum. Die nächste Frage würde dann gleich lauten, wieso sein Vater darauf dermaßen reagierte, ohne vorher zumindest seinen Sohn zu fragen, ob es sich überhaupt um die Wahrheit handelte.
Ja, wie war das denn eigentlich zu verstehen? Wem vertraute er denn mehr als seinem eigenen Sohn, dem er immer wieder zu versichern pflegte, in ihm seinen einzig würdigen Nachfolger zu sehen?
Und genau das fragte sich Johann jetzt nicht mehr nur insgeheim, sondern sprach es aus, weil er anscheinend auf die Frage hin, wer denn solches behauptet hatte, gar keine Antwort bekommen sollte:
„Du hast also einen Informanten, dem du dermaßen vorbehaltlos vertraust, dass du sogleich auf mich los gehst, ohne überhaupt sicher sein zu können, ob es stimmt? Ich bin schließlich dein Sohn, dein eigenes Fleisch und Blut. Ja, was macht dich da so sicher? Und um welche der Brinkmanns soll es sich deiner Meinung nach überhaupt handeln?“
Georg Wetken schnappte nach Luft wie der sprichwörtliche Fisch auf dem Trockenen. Ihm fehlten ausnahmsweise einmal die Worte. Anscheinend hätte er dermaßen viel Unverfrorenheit von seinem eigenen Sohn niemals erwartet.
Dann blies er dick die Wangen auf und ließ anschließend die Luft zischend entweichen.
Die typische Handbewegung zu seinem wallenden Vollbart folgte, ehe er, immer noch vor kaum verhaltenem Zorn bebend, antwortete:
„Es geht nicht um die Quelle allein, von der ich diese Information habe, sondern es geht darum, dass ich definitiv weiß, wann du heute Morgen zurückgekommen bist. Glaubst du denn im Ernst, ich kümmere mich nicht darum, was mein künftiger Nachfolger so treibt?
Hast du denn überhaupt eine Ahnung davon, wie wichtig du für das Hansehaus Wetken und darüber hinaus für alle Hansekaufleute bist, die sich unserer Gilde angeschlossen haben, und was du in dieser ganz besonderen Stellung, in der du dich nun einmal befindest, mit einem solchen Fehlverhalten für Schaden anrichtest?“
„Und du bist also völlig sicher, dass ich mich auf eine Brinkmann eingelassen habe?“, beharrte jetzt Johann stur.
„Ich kenne die Umstände, weiß, dass du dich heimlich mit jemandem triffst...“, begann Georg Wetken und hatte dabei alle Mühe, nicht wieder regelrecht zu explodieren.
Ungewohnt respektlos fiel ihm sein Sohn ins Wort:
„Und wieso muss es ausgerechnet eine Brinkmann gewesen sein, mit der ich mich traf?“
„Mit wem denn sonst? Du bist erst in der Frühe zurückgekommen, weil diese Adele nicht zu eurer Verabredung gekommen ist, nicht wahr? Sie hat dich versetzt.
Aus gutem Grund, wie ich meine. Aus demselben Grund, aus dem ich gewillt bin, dich als meinen Sohn für immer zu verstoßen. Was du damit nämlich dem Hansehaus Wetken und darüber hinaus angetan hast, bleibt für alle Zeiten unverzeihlich.“
„Ja, du hast völlig recht, Vater!“, sagte Johann auf einmal zu dessen größten Überraschung.
In vielen Häusern der Hanse war es üblich, dass Kinder ihre Eltern ehrenvoll anredeten, nämlich mit einem Ihr. Umgekehrt war häufig die Anrede für die Kinder ein distanziertes Er oder Sie, je nach Geschlecht eben. Wann immer Johann jedoch mit seinem Vater allein war, taten sie das schon lange nicht mehr. Von daher gesehen wurde Georg Wetken die vertrauliche Anrede gar nicht bewusst in dieser Situation, im der er natürlich eher bemüht war, auf möglichst großen Abstand zu seinem Sohn zu gehen, zumindest gefühlsmäßig, um nur ja keine väterliche Schwäche zeigen zu müssen, wie er es sah.
Bevor Georg noch seine Sprache wiederfinden konnte, fuhr Johann unbeirrt fort:
„Würde es sich in der Tat um eine Brinkmann handeln, beispielsweise eben um Adele, wäre dies absolut unverzeihlich und würde jegliche Strafe rechtfertigen, die dir in den Sinn kommt, mein Vater. So aber...“
In Gedanken indessen tat er flehentlich Abbitte bei Adele:
Verzeih mir bitte, dass ich dich solchermaßen verleugne, aber es ist einzig und allein der besonderen Situation geschuldet. Ich kann jetzt einfach nicht anders. Wie soll ich es ansonsten schaffen, dich jemals wiederzusehen, wenn ich am Ende verstoßen bin oder mir noch Schlimmeres widerfährt?
Ich werde dir eines Tages meine wahre Liebe beweisen können, das verspreche ich dir hiermit hoch und heilig, aber bis dahin, leider Gottes...
Sein Vater unterbrach diesen reumütigen Gedankengang brüsk:
„Und wieso erreichte mich dann der Hinweis ausgerechnet aus dem Hansehaus Brinkmann selbst, dass es sich eben genau um jene Adele Brinkmann handelt, auf die du dich eingelassen hast? Ich weiß sogar, wo du sie kennengelernt hast, nämlich im Hansehaus Schopenbrink!
Und das willst du jetzt noch leugnen? Für wie dämlich hältst du deinen Vater denn überhaupt?“
„Ich halte dich keineswegs für dämlich, mein Vater! Verzeih mir, aber ich erlaube mir zumindest darauf hinzuweisen, dass alles, was aus dem Hansehaus Brinkmann kommt, sowieso von vornherein mit aller gebührenden Vorsicht zu genießen ist. Vor allem solche Behauptungen!“
„Dann leugnest du tatsächlich, diese Adele Brinkmann auf dem Fest im Hansehaus Schopenbrink kennengelernt zu haben? Wo du dich übrigens ohne meine Billigung befunden hast?“
„Würde es auch deine Missbilligung finden, wenn ich dir sagen würde, dass ich dorthin eingeladen war von der Tochter des Hansehauses Gordula Schopenbrink? Sie ist eine wunderschöne, wahrlich gut genährte und sehr auf ihr Äußeres bedachte junge Frau, deren Anblick allein schon das Herz eines jeden aufrechten Mannes berührt.“
„Du behauptest doch nicht etwa, eine Liaison mit dieser Gordula Schopenbrink zu haben?“, rief Georg Wetken verdattert. „Ja, zugegeben, sie ist das, was man eine dralle Schönheit nennt, und scheint sich sogar alle Mühe zu geben, dem modernen Idealbild einer jungen Frau aus wohlsituiertem Hansehaus zu entsprechen, aber immerhin ist sie eben nur eine Schopenbrink, und du weißt selbst, dass dieses Haus nicht zu unserer Gilde gehört.“
„Also, wenn das wirklich das Einzige ist, was gegen sie spricht: Zumindest ist sie dann ja keine Brinkmann, nicht wahr?“
Das konnte sein Vater nicht leugnen, trotzdem wackelte er bedenklich mit dem Kopf.
„Aber nein, trotzdem, nicht doch ausgerechnet so eine Gordula Schopenbrink...“
„Wieso eigentlich nicht? Und selbst wenn es so etwas wie eine Liaison wäre: Was wäre denn grundsätzlich gegen eine solche Verbindung vorzubringen? Gordula Schopenbrink ist eine rechtschaffene junge Frau, die in der Tat nicht nur mit ihrem verführerischen Anblick das Herz eines jeden wohl erzogenen und rechtschaffenen Mannes erfreut. Weil sie ebenso wohlerzogen und rechtschaffen ist und zudem genau weiß, was für einen rechten Mann das Beste ist.“
„Moment einmal!“, rief jetzt Georg Wetken dazwischen, dem diese Schwärmerei offensichtlich zu viel wurde: „Du behauptest also, Gordular Schopenbrink habe dich zu jenem Fest eingeladen? Und wieso hast du mich davon niemals in Kenntnis gesetzt, bis heute nicht?“
„Weil ich genau diese Reaktion von dir vermeiden wollte, die du jetzt an den Tag legst. Bei allem Respekt, mein über alles verehrter Vater, ich kann es leider nicht anders sagen. Wie hätte ich dir denn erklären sollen, dass Gordular Schopenbrink geradezu ideal als Frau für deinen Sohn wäre?
Falls ich wirklich einmal in deine Fußstapfen treten sollte, könnte ich wohl kaum jemals eine Frau finden, die passender wäre. Sie stammt zwar nicht aus einem Hause, das sich unserer Gilde angeschlossen hat, aber nichtsdestotrotz aus einem besonders guten Hause, wie ich finde, zumal einem Hause, mit dem wir dennoch Geschäfte machen.
Gordula Schopenbrink, da kannst du versichert sein, würde mich auf Lebzeiten in geradezu idealer Weise unterstützen bei all meinen Bemühungen geschäftlicher Art – und gleichzeitig würde eine solche Verbindung das Hansehaus Wetken eindeutig stärken.“
„Und inwiefern solches?“, erkundigte sich jetzt Georg Wetken alarmiert.
Aber sein Zorn war weitgehend verraucht, wie Johann erleichtert feststellte. Konnte es sein, dass seine Ablenkungsstrategie bereits dermaßen fruchtete? Oder würde da noch etwas kommen, was bis jetzt noch unerwartet blieb?
„Nun, dazu musst du wissen, dass tatsächlich auch Adele Brinkmann eingeladen war“, gestand Johann Wetken vorsichtig. „Ich habe sie dort zum ersten Mal gesehen.“
„Um dich danach mehrfach mit ihr heimlich zu treffen!“, fuhr Georg seinen Sohn sogleich wieder an.
„Nein!“, wies Johann dies jetzt entschieden zurück, während er in Gedanken erneut Abbitte leistete bei seiner armen Adele für diese eigentlich unverzeihliche Verleumdung und damit der Verleugnung ihrer gemeinsamen Liebe.
Und er fuhr nach außen hin ungerührt fort:
„Gerade diese Begegnung hat mir doch bewiesen, dass eben das Hansehaus Schopenbrink nicht wirklich auf unserer Seite ist. Die machen eben auch Geschäfte mit dem Hause Brinkmann, was mich zutiefst entrüstete und dies immer noch tut.“
„Tatsächlich?“ So richtig glauben wollte es Georg immer noch nicht.
„Ich habe Gordular darauf angesprochen.“
„Aha, jetzt nennst du sie sogar auch noch mit ihrem Vornamen?“
„Natürlich tu ich das, und ich will es auch nicht mehr länger leugnen, dass wir uns nahe stehen. Zwar nur in inniger Freundschaft, aber wir wissen beide, Gordular und ich, dass daraus durchaus mehr werden könnte. Dass dies noch nicht hat geschehen können, liegt ja nicht zuletzt daran, dass ich natürlich erst noch dein Einverständnis bekommen müsste.“
„Nie und nimmer!“, brüllte jetzt Georg Wetken, wurde jedoch sogleich wieder ruhiger.
Misstrauisch legte er den Kopf schief.
„Dann hast du dich wirklich heimlich mit dieser Gordular Schopenbrink getroffen?“
„Natürlich, Vater! Soll ich sie denn hierher bitten, damit sie das persönlich dir gegenüber bestätigt?“
„Und ihr Vater, Hieronymus Schopenbrink? Weiß der denn überhaupt davon?“
„Nein, natürlich nicht! Wir haben uns nur heimlich treffen können – und wie gesagt, dies taten wir beide in zutiefst empfundener Freundschaft. Wir sind in sehr vielen Dingen seelenverwandt. Als wir dies festgestellt haben, vertiefte das unser Freundschaft und machte sie wahrlich zu etwas ganz Besonderem!“
Johann sagte das mit fester Stimme, um seinen Vater endgültig zu überzeugen.
Doch der hatte noch immer nicht vergessen, dass man ihm gesteckt hatte, sein Sohn habe sich keineswegs mit Gordula Schopenbrink getroffen, sondern vielmehr mit der erst achtzehnjährigen Adele Brinkmann.
„Nein!“, verkündete Georg Wetken entschieden. „Ich glaube dir nicht. Du hast nicht nur unser Haus in einem erheblichen Maße beschmutzt und unseren Ruf regelrecht pervertiert, sondern jetzt lügst du mich auch noch dermaßen unverschämt an.“
Er schüttelte fassungslos den Kopf.
„Und du fällst tatsächlich auf das Intrigenspiel von dieser Margarethe Brinkmann herein?“, erkundigte sich Johann jetzt mit gespielter Traurigkeit. „Die alles tut, um uns zu vernichten, aus reiner Machtgier heraus?
Es fällt dir überhaupt nicht auf, dass dies alles nur einem einzigen Zweck dienen soll, nämlich uns beide auseinander zu bringen, als Vater und Sohn für immer zu entzweien und alles zu zerstören, was wir gemeinsam aufgebaut haben?“
„Gemeinsam aufgebaut? Du hast mich belogen und betrogen! Sieht das danach aus, als wärst du mein loyaler Sohn?“
„Das bin ich nach wie vor, mein Vater. Auch durch die Tatsache untermauert, dass ich mich in Wahrheit mit Gordular traf: Sie könnte meine zukünftige Frau sein, in meinen Augen einzig würdig, dies zu werden.
Was nicht nur dem Glück von mir und unseren späteren gemeinsamen Kindern dienen würde, sondern in erheblichem Maße auch unserem Hause und der ganzen Gilde. Was spräche denn dann noch dagegen, dass sich das Hansehaus Schopenbrink endgültig unserer Gilde anschließen würde?
Das würde im erheblichen Maße unsere Stellung stärken in unserem ewigen Kampf gegen unseren Erzfeind namens Brinkmann.“
Es war eigentlich ein ziemlich langer Vortrag, den Georg Wetken da zuließ, was gleichzeitig für seinen Sohn ein Hinweis darauf zu sein schien, dass er in seiner rigorosen Meinung bereits wankend geworden war.
Die Information, die er erhalten hatte, sollte ein Schachzug seiner Erzfeindin Margarethe Brinkmann sein?
Er schien die Zeit während dieses Vortrages tatsächlich genutzt zu haben, um genau darüber intensiv nachzudenken.
Schließlich kannte man Margarethe Brinkmann, die wie eine Spinne ihr Netz aus Intrigen und Verleumdungen wob, um ihre nicht immer gleich erkennbaren Ziele zu erreichen.
Andererseits...
Nachdenklich schürzte Georg Wetken die Lippen. Sein Kopf war immer noch hochrot, was sicherlich nicht mehr allein nur an seinem kaum gezügelten Zorn lag. Etwas anderes brachte ihn jetzt auch noch in Wallung:
„Es ging damals das Gerücht um“, erzählte er zum Erstaunen Johanns, „dass Margarethe, als sie noch lange nicht Brinkmann hieß, zunächst meinen Großvater hatte für sich gewinnen wollen. Allerdings ohne Erfolg. Er hat zu Lebzeiten zwar nie darüber gesprochen, aber meine Großmutter, Gott habe sie selig, hat es einmal erwähnt, obwohl sie selber nichts Genaues wusste, denn zu diesem Zeitpunkt war sie ja noch nicht mit ihm zusammen gewesen.“
„Du meinst, dein Opa hat diese Margarethe Brinkmann einst regelrecht abblitzen lassen, was ihren Hass auf uns bis heute zusätzlich beflügelt?“
„Ja, denn sie war zwar eine wirklich ansehnliche junge Frau gewesen damals, aber für einen Wetken noch viel zu jung und vor allem absolut nicht standesgemäß. Der Altersunterschied hat dabei wohl weniger den Ausschlag gegeben. Immerhin war mein Großvater seinem Vater wiederum verpflichtet, dem berühmten damaligen Bürgermeister von Hamburg Johann Wetken, dessen Namen du in Ehren tragen solltest.
Das muss Margarethe jedenfalls zutiefst verletzt haben, und es könnte sein, dass ihr Hass allein schon aus diesem Grund eben nicht allein dem rigorosen Konkurrenzdenken geschuldet ist.“
„Und trotzdem glaubst du dieser Person mehr als deinem eigenen Sohn, deinem eigenen Fleisch und Blut?“, stellte Johann daraufhin ganz geschickt die entscheidende Frage.
Eine steile Falte erschien prompt auf der Stirn seines Vaters.
„Natürlich nicht!“, regte er sich auf. „Von ihr stammt die Information ja auch gar nicht.“
„Von wem denn sonst?“
„Aus einer absolut verlässlichen Quelle“, wich Georg prompt aus.
„Verlässlicher also als ich, dein Sohn, dein eigenes Fleisch und Blut? Dann frage ich mich ernsthaft, bei allem Respekt, den ich dir gegenüber empfinde, wieso du mich überhaupt hast als dein Nachfolger aufbauen lassen, wenn du sowieso einem anderen so unübersehbar deutlich mehr vertraust?“
„Das verstehst du nicht.“
„Nein, in der Tat, mein Vater, aber ich würde es tatsächlich eben gern verstehen!“, beharrte Johann, und dann wechselte er geschickt die Strategie – so geschickt, dass seinem Vater das gar nicht auffallen würde, wie er hoffte:
„Und selbst wenn deine Quelle zu hundert Prozent glaubwürdig ist, kann es ja trotzdem sein, dass eben diese Quelle selber belogen wurde. Ich weiß ja nicht, was dort im Hansehaus Brinkmann tatsächlich vorgeht, aber möglicherweise steckt ja Margarethe Brinkmann doch dahinter?
Wir wissen doch beide um ihre Kunst der geschickten Intrige, die natürlich als solche nicht gleich erkennbar wird, sonst könnte man ja rechtzeitig dagegen wirken und ihren Erfolg schließlich verhindern.“
Johann wandte diese Argumentation nicht nur aus reiner Strategie an, um sich damit aus dieser Situation zu retten, sondern ahnte zugleich, dass er damit der Wahrheit möglicherweise empfindlich nahe kam.
Natürlich würde Margarethe Brinkmann dahinter stecken. Wer sonst? Sie würde erfahrungsgemäß alles tun, um ein weiteres Treffen zwischen ihrer Enkelin Adele und ihm, Johann Wetken, nachhaltig zu verhindern. Nur aus diesem Grund hatte sie seinem Vater diese Information zukommen lassen, wie auch immer sie das geschafft hatte.
Es war ja tatsächlich die Wahrheit und nicht nur die reine Intrige ohne Bezug zur Wirklichkeit, aber die Möglichkeit, dass zwar Georg Wetkens geheime Informationsquelle nach wie vor integer war, jedoch selber hereingelegt wurde von Margarethe Brinkmann, war dennoch nicht ganz von der Hand zu weisen. Man kannte ja die Methoden einer Margarethe Brinkmann aus überaus bitteren Erfahrungen.
Und genau das machte indessen Georg Wetken deutlich sichtbar zu schaffen.
Ohne ein weiteres Wort noch von sich zu geben, anscheinend weil ihm sowieso kein weiteres Gegenargument mehr einfallen wollte, machte er brüsk auf dem Absatz kehrt und stürmte hinaus wie der sprichwörtliche Sturmwind. So verschwand er genauso plötzlich wie er aufgetaucht war.
Johann sah der kräftigen Gestalt seines Vaters noch lange hinterher, einerseits erleichtert, weil es wirklich hätte weitaus schlimmer werden können für ihn, aber dennoch nicht erleichtert genug, um tatsächlich aufatmen zu können.
Vor allem dachte er wieder an seine arme Adele und entschuldigte sich erneut und voller Inbrunst bei ihr für seine verleumderische Vorgehensweise, wovon sie wohl niemals erfahren würde, genauso wenig wie von seiner aus vollem ehrlichen Herzen so gemeinten Entschuldigung.
Und dann dachte er an Gordula Schopenbrink.
Natürlich kannte er sie heimlich näher. Das war nicht gelogen gewesen. Und sie hatte ihn auch persönlich zu diesem Fest eingeladen. Als Freundin wohlgemerkt, nicht etwa als seine Geliebte.
Er musste sich unbedingt mit ihr wieder treffen, um sie darüber in Kenntnis zu setzen, was abgelaufen war. Wie würde sie denn darauf reagieren? Würde sie sich wie missbraucht vorkommen? Würde sie es als Verrat an ihrer Freundschaft werten?
Jetzt wurde er auf einmal erst recht nachdenklich. Seine eigenen Worte hallten in ihm nach. Er hatte immerhin sogar behauptet, Gordula Schopenbrink möglicherweise heiraten zu wollen.
Was würde sie denn wohl dazu sagen? War er damit nicht schon wesentlich zu weit gegangen?
Es hätte ihn sehr geschmerzt, wenn sie ihm daraufhin für immer die Freundschaft aufgekündigt hätte, aber hatte er denn überhaupt eine Alternative gehabt gegenüber der Allgewaltigkeit seines zürnenden Vaters?
Er hätte dies alles gern verschwiegen Gordular gegenüber, aber das war natürlich jetzt sowieso und endgültig nicht mehr möglich, denn er musste ja damit rechnen, dass sein Herr Vater in dieser Hinsicht so bald wie möglich nachhaken würde. Eher früher als später, wie zu befürchten blieb.
Und es würde sicherlich besser sein, wenn Gordula es vorher von ihm selbst, Johann, erfuhr, bevor es ihr von anderer Seite her zugetragen wurde und sie vielleicht sogar peinliche Befragungen über sich ergehen lassen musste, ohne vorher überhaupt auch nur zu ahnen, worum es eigentlich ging für Johann.
Und dann fragte er sich noch etwas insgeheim:
Wer hatte denn damals eigentlich Adele Brinkmann zu jenem denkwürdigen Fest eingeladen, auf dem er die unbeschreibliche Adele kennengelernt hatte?
Gordula war es jedenfalls nicht gewesen. Da war er sich völlig sicher, denn das hätte er längst gewusst.
Und wer sonst?