Читать книгу Hanseschwestern - Historical Romance Sammelband 6020: 3 Romane - Alfred Bekker - Страница 9
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Margarethe erschien an diesem Morgen im Schlafgemach ihres Ehegatten Hermann wie der Fleisch gewordene weibliche Rachegott. Aber so war sie immer, wenn sie überraschend bei ihm auftauchte. Und kein einziges Mal in den vergangenen letzten Jahren war dabei etwas Gutes herausgekommen.
Es erschreckte ihn wie jedes Mal sehr, obwohl er um diese Zeit bereits wach war und nicht mehr im Bett lag.
Was war denn dieses Mal ihr Anliegen – und das in aller Herrgotts Frühe?
Auf die Beantwortung dieser Frage, die er sich insgeheim stellte, brauchte er allerdings nicht lange zu warten:
„Es geht um Adele!“, sagte sie im sanften Ton, der absolut gar nicht zu ihrem herrischen Auftreten passte.
Doch dann änderte sich auch dieses. Sie wurde wieder ganz zu der herzensguten Oma, die sie so gern spielte, um jeden zu täuschen, der ihr wahres Gesicht noch nicht kannte.
Hermann kannte es. Er war schließlich lange genug mit Margarethe verheiratet, und er wusste schon sehr lange, dass sie das nur deshalb getan hatte, nämlich ihn zu ehelichen, um genau dorthin zu gelangen, wo sie heute war, nämlich ganz nah an der absoluten Spitze der Obrigkeit von Hamburg. Gleichsam wie eine nichtadelige Königin, die anstrebte, ihren Herrschaftsbereich immer weiter zu vergrößern, weil sie all diese Macht, die sie jetzt schon in Händen hielt, immer noch nicht für ausreichend empfand.
Hermann war genauso lange schon müde geworden, irgendetwas zu tun oder auch nur zu sagen, was ihr nicht passte. Das hatte er in all den Jahren zwar durchaus schon versucht, aber an die unmittelbaren Folgen erinnerte er sich lieber nicht mehr.
Er erhob sich halb aus seinem Lieblingssessel hinter dem wuchtigen Schreibtisch, der eigentlich gar nicht zum übrigen Ambiente seines ganz persönlichen Bereiches passte, aber den er halt dermaßen liebte, dass er ihn hier hatte aufstellen dürfen. Sogleich ließ er sich wieder zurücksinken und legte die Schreibfeder beiseite, mit der er gerade ein wichtiges Schreiben aufgesetzt hatte.
Offiziell war er ja der Hansekaufmann und darüber hinaus sogar der Gildenführer. Und er nahm dies durchaus ernst, so lange Margarethe ihn ließ, und auch nur im Rahmen dessen, was sie ihm vorschrieb natürlich.
Die Gilde hatte er selbst sogar gemeinsam mit anderen Hansehäusern gegründet. So die offizielle Version zumindest. In Wahrheit jedoch war dies alles das alleinige Verdienst seiner Frau Margarethe gewesen.
Damals war er noch viel jünger gewesen und das, was man noch als schneidig hätte bezeichnen können. Inzwischen war aus dem schneidigen Kavalier von einst ein ziemlich alter und vor allem müder Mann geworden, der neben den Routinearbeiten, die Margarethe eher verschmähte, eigentlich nur noch tätig wurde, wenn Margarethe es gezielt von ihm verlangte.
So wie dieses Mal wohl.
„Adele?“, wunderte er sich.
„Sie hat eine Liaison ausgerechnet mit diesem Johann Wetken. Wusstest du das?“, fragte sie so betont sanft, dass es schon eher bedrohlich in seinen Ohren klang.
„Aber nein!“, beeilte er sich zu versichern. „Mit Johann Wetken? Aber woher weiß du das überhaupt?“
„Nun, mir fiel in den letzten Wochen auf, dass sie mehrmals sich aus dem Haus geschlichen hat. Heimlich wohlgemerkt, und allein! Deshalb habe ich Anordnung gegeben, sie lückenlos zu beobachten. Natürlich so, dass sie es nicht merkte.“
„Und jetzt ist es wirklich bewiesen?“
„Oh, schon seit ihrem letzten Treffen mit diesem Johann Wetken, aber angesprochen darauf habe ich sie erst gestern, denn da hatte sie wohl wieder eine Verabredung mit ihm. Ich dachte mir, es ist viel wirkungsvoller, wenn ich sie mir so kurzfristig vornehme, dass sie keinerlei Möglichkeiten mehr hat, ihn noch rechtzeitig zu warnen.
Und von einem meiner Spione bei den Wetkens habe ich erfahren, dass Johann Wetken tatsächlich heimlich das Haus verlassen hat gestern Abend, zu Einbruch der Dunkelheit, und erst nach dem Morgengrauen nach Hause zurückkehrte. Es war wohl eine sehr lange und vor allem sehr einsame Nacht gewesen für ihn.“
„Du scheinst das sogar auch noch zu genießen!“, warf ihr Hermann erschüttert vor.
„Sollte ich denn nicht? Schon vergessen, dass es sich um Johann Wetken handelt?“
„Und – und was verlangst du jetzt von mir? Soll ich ebenfalls noch mit Adele reden?“
„Als würde das etwas nutzen. Jeder hier weiß doch, dass du nur der Hanswurst bist. Du tust, was ich dir sage. Sonst nichts. Dafür gewähre ich dir deine billigen Vergnügungen, solange sie nicht unser Haus zu sehr beschmutzen.“
„Das ist wohl schon eine ganze Weile her, das mit den billigen Vergnügungen, wie du sie zu nennen beliebst. Ich bin inzwischen ein alter Mann, der daran kaum noch Interesse haben kann. Schon vergessen?“, versuchte er sarkastisch zu werden, obwohl er genau wusste, dass er damit nicht gegen seine bedeutend stärkere Frau ankam.
Ohne weitere Umschweife kam sie daraufhin auf den Kern dessen zu sprechen, was sie von ihm erwartete:
„Du wirst unserem ärgsten Gegenspieler Georg Wetken zukommen lassen, dass sein Sohn sich mit unserer Adele eingelassen hat. Dann wird sich das Problem von allein lösen, schätze ich. Georg Wetken wird alles tun, um ein weiteres Treffen nachhaltig zu verhindern. Sind wir uns darin einig?“
Nur widerstrebend stimmte Hermann ihr zu. Nicht nur, weil er selber wusste, dass sie damit wohl recht hatte: Georg Wetken hasste nichts mehr auf dieser Welt als alles, was Brinkmann hieß, Adele Brinkmann garantiert mit eingeschlossen.
Andererseits jedoch empfand Hermann eine solche Vorgehensweise als regelrecht infam. So etwas hätte er aus eigenem Antrieb niemals tun können.
Wenn aber Margarethe das von ihm forderte...
„Und was geschieht dann mit Adele?“, erkundigte er sich noch vorsichtig.
„Das lass mal ganz meine Sorge sein, mein Lieber. Und hopp, hopp, an die Arbeit. Ich will, dass dieser Georg Wetken spätestens heute Mittag weiß, was sein Herr Sohn da hinter seinem Rücken treibt!“
Sie wandte sich ab, um seinen persönlichen Bereich wieder zu verlassen. Doch in der Tür wandte sie sich ihm noch einmal kurz zu:
„Und sei ein guter Junge und funktioniere wunschgemäß! Denn wenn nicht... Du weißt sicherlich noch, was dann geschieht?“
Klar wusste er das, obwohl er sich standhaft weigerte, daran auch nur einen Gedanken zu verschwenden.
Eine Entgegnung wartete sie nicht mehr ab. Sie verschwand, wie sie gekommen war. Hinter ihr fiel die Tür laut ins Schloss.
Sekundenlang starrte er noch darauf, ehe er sich dazu aufraffen konnte, tatsächlich mit der Arbeit zu beginnen, wie seine herrschsüchtige Gemahlin es formuliert hatte.
Als Erstes rief er dazu nach seinem getreuen Kammerdiener, der einzige, dem er in diesem Hause wirklich vertrauen konnte und wollte.