Читать книгу Hanseschwestern - Historical Romance Sammelband 6020: 3 Romane - Alfred Bekker - Страница 17

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Gordula staunte nicht schlecht, als ihr berichtet wurde von ihrer Zofe, dass vor dem Haus, auch noch am Dienstboteneingang, Johann Wetken nach ihr gefragt hätte.

Sie musterte das hübsche Gesicht ihrer Zofe, um sicher zu gehen, ob sie dies nur ihr persönlich mitgeteilt hatte.

Ja, sie hatte ganz offensichtlich. Wie immer war auf sie Verlass.

Sie nickte ihr wohlwollend lächelnd zu und beeilte sich, das Haus durch diesen Dienstboteneingang zu verlassen. Wobei sie natürlich nicht jegliche Vorsicht außer Acht lassen durfte, um dabei nicht aufzufallen. Eine junge Dame ihres Standes, die nach Einbruch der Dunkelheit das Haus verließ? Das war offiziell völlig undenkbar, wenngleich nicht für die geschickt und umsichtig vorgehende Gordula Schopenbrink...

Sie hatte sich ja schon vor dem kleinen Fest mit Johann mehrmals nach Einbruch der Dunkelheit heimlich getroffen, gewissermaßen auf neutralem Boden. Ins Haus hätte sie ihn nie zu lassen gewagt. Sie wusste ja, wie ihr Vater darauf reagieren würde.

Ihr Bruder Christian würde das zwar eher gelassen sehen, denn er war ja auch beteiligt gewesen an dem kleinen Fest, aber Hieronymus Schopenbrink durfte das niemals erfahren. Er hasste zwar die Wetkens nicht, weil er niemanden hasste, aber er wollte auch nicht offiziell mit ihnen verkehren. Genauso wenig wie mit den Brinkmanns.

Wenn er sich auf ein Treffen mit irgendjemandem einließ, dann nur auf höchster Ebene. Und dann musste es dafür auch einen triftigen Grund geben. Zum Beispiel, wenn ihre trotz aller Gegensätze gemeinsam betriebenen Geschäfte in Gefahr zu geraten drohten.

Denn sie waren ja in erster Linie Hansekaufleute und keine Streithanseln, die über alle Zwistigkeiten hinaus vergaßen, was gut war für die gemeinsamen Geschäfte.

Johann Wetken war die Erleichterung jedenfalls deutlich anzusehen, als Gordula wie hoffnungsvoll erwartet bei ihm auftauchte.

Sie verließen den Bereich des Dienstboteneingangs und drückten sich beide tief in eine dunklere Ecke in der Nähe, wo kaum Licht von den vorhin erst angezündeten Petroleumlampen fiel, die sowieso die Straße nicht besonders gut erhellten. Sie gaben zwar ein wenig das Gefühl von Sicherheit, aber für viel mehr taugten sie eben nicht. Sowieso sollte eine junge Dame aus vornehmem Hansehaus um diese Zeit möglichst nicht mehr auf offener Straße erscheinen.

Und Johann unterstrich auch noch seine Erleichterung mit den Worten:

„Ach, Gott sei es gedankt, dass du doch noch die Zeit hattest zu kommen!“

„Seltsame Worte zur Begrüßung“, wunderte sich Gordula indessen. „Ich dachte eigentlich, wir wären Freunde?“

Ihr spitzbübisches Lächeln nahm diesen Worten dabei die Wirkung.

Er versuchte ebenfalls zu lächeln, doch es misslang kläglich. Gordula konnte es trotz des wenigen Lichtes sehen.

Was bedrückte ihn denn dermaßen?

„Gordula, ich muss ganz offen zu dir sein.“

„Oh, ich bitte sogar darum!“, entgegnete sie reflexartig.

Die Worte waren ihr über die Lippen geflossen, ohne dass sie wirklich darüber nachgedacht hatte. Sie wusste ja immer noch nicht, worum es hier eigentlich ging, und deshalb fügte sie noch rasch hinzu:

„Schon seltsam, dass du dich so lange nicht mehr hast blicken lassen...“

„Ja, gewiss, so muss es dir wohl vorkommen, aber es gab Gründe dafür.“

„Worauf ich sogar wetten würde! Na, da bin ich aber mal ganz besonders gespannt. Gründe mithin, die letztlich für diese miese Laune sorgten, die du zu diesem unerwarteten Treffen mitgebracht hast? Ich meine, das letzte Mal warst du noch wesentlich fröhlicher erschienen.“

„Ich weiß. Das war ja auch auf deinem kleinen Fest. Da gab es allen Anlass zur Fröhlichkeit.“

„Das ist ja auch der Sinn meiner kleinen aber feinen Festlichkeiten, nicht wahr? Aber danke, dass du mich daran erinnerst: Was ist denn danach so Schlimmes vorgefallen, dass du keine Zeit mehr hattest für deine beste Freundin und jetzt so tust, als würde es glatt um Leben und Tod gehen?“

„Das geht es ja auch tatsächlich, genau genommen!“, betonte er ernst. „Nicht die ganze Zeit über schon, sondern eigentlich erst seit heute.“

„Die Neugierde steigt!“, vermeldete sie ungerührt.

Er schluckte schwer, ehe er hervorstieß:

„Ich – ich habe auf deinem kleinen Fest – äh - jemanden kennengelernt.“

„Aha? Und das sorgt jetzt für diese miese Stimmung bei dir oder was?“

„In Grunde genommen schon, denn dieser Jemand...“

Er machte eine Pause, während der er anscheinend erst nach Worten suchen musste, ehe er fortfahren konnte.

Und dann brachte er ziemlich mühsam und ein wenig stockend hervor:

„Ich – ich habe nämlich – äh - auf deinem Fest Adele Brinkmann kennengelernt!“

„Nicht wahr!“, rief sie entsetzt aus und schlug sogleich erschrocken die Hand vor den Mund. Hoffentlich war das jetzt nicht zu laut gewesen. Nicht dass sie dadurch bei ihrer Heimlichtuerei erwischt wurden. Zwei beinahe schon erwachsene Kinder aus bestem Hause, die sich nächtens in eine dunkle Ecke drückten? Das würde ordentlich für Ärger sorgen. Und dabei würde es sicherlich nicht bleiben.

Verstohlen sahen sich beide um, doch da war anscheinend niemand außer ihnen. Noch nicht einmal einer der Nachtwächter, die hier in der Gegend patrouillierten, um nicht nur als Rufer der Stunde zu fungieren, sondern vor allem die Obrigkeit von Hamburg vor Übergriffen zu schützen.

Überhaupt war die Einbruchsrate hier äußerst niedrig. Nicht nur dank der Nachtwächter, sondern auch deshalb, weil sich die Hansekaufleute durchaus auch selber zu schützen wussten. Da war kein Herrschaftshaus ohne entsprechendes Personal. Und so war die Rolle der Nachtwächter meist eben doch auf die Kontrolle der Petroleumlampen und die Ansage der jeweils vollen Stunde beschränkt.

Obwohl sie durchaus bereit waren, einzugreifen, sobald es erforderlich erschien. Und sei es auch nur, Hansekinder einzufangen, die um diese Zeit außerhalb der Häuser nichts mehr verloren hatten.

Dinge, die Gordula kurz durch den Kopf gingen, ehe sie sich auf die nächsten Worte Johanns konzentrierte.

Es war für sie schon ziemlich erstaunlich, dass er überhaupt Adele Brinkmann im Zusammenhang mit ihrem Fest erwähnte. Sie war ihr ja überhaupt nicht aufgefallen. Und ausgerechnet Johann Wetken, sozusagen der Thronerbe der Wetken-Gilde, ließ sich auf eine echte Brinkmann ein?

Das klang zu schlimm in ihren Ohren, um wirklich wahr zu sein. Eigentlich. Und doch schien es tatsächlich so zu sein, wie Johann auch noch sich zu bekräftigen bemühte:

„Ich habe mich sehr gut mit ihr unterhalten“, beschrieb er es in verdächtig schwärmerischem Tonfall. „Und daher haben wir uns in der Folgezeit eben – äh - mehrmals heimlich getroffen.“

Jetzt war es heraus. Endgültig.

Gordula riss schreckensweit ihre Augen auf und konnte nicht verhindern, dass ihr außerdem auch noch regelrecht die Kinnlade herunterklappte.

Also, wenn sie gedacht hätte, nichts könnte sie mehr überraschen oder gar noch mehr erschüttern, war sie soeben drastisch eines Besseren belehrt worden.

Wer die Zusammenhänge kannte – und Gordula gehörte eindeutig zu den Eingeweihten -, hätte genau dieses halt niemals für möglich gehalten. Dass überhaupt Adele Brinkmann mit dabei gewesen war, erstaunte sie schon im höchsten Maße, aber dass sie dann ausgerechnet mit Johann Wetken angebandelt hatte? Das hatte sie tatsächlich gewagt?

Und dann Johann Wetken, der doch eigentlich noch vor dem Fest so getan hatte, als würden sie beide, er und Gordula nämlich, sich besonders gut verstehen, dass sie sich regelrecht in Freundschaft verbunden fühlten, was an sich schon in den Augen der Erwachsenen ein schlimmes Vergehen darstellte, weil sie das niemals hätten verstehen können... Und genau dieser Johann Wetken ließ sich seinerseits auf eine echte Brinkmann ein?

Nicht wahr!

Gordula fehlten ausnahmsweise die Worte. Sie hatte sichtlich Mühe, das alles erst einmal zu verarbeiten. In ihrem hübschen Kopf herrschte das reinste Chaos.

Wenn sie allein nur die ungeheuerliche Tragweite von all dessen in Betracht zog...

Johann ließ ihr die Zeit, die sie benötigte. Nicht jedoch ohne noch zu beteuern:

„Ich wollte das alles nicht. Adele sicherlich genauso wenig. Es ist halt einfach passiert. Wir konnten uns nicht dagegen wehren. Es ist unabwendbar gewesen, im wahrsten Sinne des Wortes. Wir haben uns gesehen und... haben uns unsterblich ineinander verliebt!“

Das hätte er jetzt wirklich nicht mehr extra betonen müssen. Es war Gordula sowieso schon klar gewesen.

Und dann fiel ihr etwas ein, das sie selber regelrecht wie ein Blitz traf:

„Moment mal, und wieso tauchst du jetzt ausgerechnet bei mir auf? Nur um mir dies mitzuteilen oder was? Gut, auch noch herzlichen Dank für die schockierende Meldung, aber was willst du jetzt tatsächlich von mir?“

Natürlich hatte sie ihn durchschaut: Er war nicht etwa gekommen, nur um ihr mal wieder zu zeigen, dass er ihre Freundschaft immer noch hoch hielt, sondern er hatte ein Anliegen.

Und was konnte dieses sein?

Johann Wetken wagte es nicht, mit der Tür ins Haus zu fallen. Er glaubte zwar, Gordula gut genug zu kennen, aber er hatte trotzdem keine Ahnung, wie sie auf die Eröffnung reagieren würde, dass er sie sozusagen für sein Strategiespiel missbraucht hatte, um vor seinem überaus strengen Vater bestehen zu können. Immerhin in einer Art und Weise, wie es nicht ohne Folgen bleiben konnte. Egal, ob er dies nun wollte oder nicht – und auch egal, ob Gordula dies noch wollte oder nicht.

Er druckste zunächst nur herum, wobei Gordula zusehends misstrauisch wurde. Sie beobachtete ihn ganz genau, soweit dies bei diesen schlechten Lichtverhältnissen überhaupt möglich war. Zwar hatten sich ihre Augen daran gewöhnt, doch es reichte natürlich nicht wirklich dazu aus, Einzelheiten erkennen zu können.

„Ich – ich bin irgendwie erwischt worden“, gab Johann zu.

„Erwischt, als du dich mit dieser Adele getroffen hast oder was?“, hakte Gordula sogleich unbeirrbar nach.

„Nein, nicht ganz“, berichtigte Johann verdattert: „Wir waren gestern Abend das letzte Mal verabredet gewesen, doch sie konnte nicht kommen. Ich habe die ganze Nacht lang auf sie gewartet. Vergeblich. Erst am Morgen ging ich wieder heim, und das war durchaus aufgefallen.“

„Aha? Und das hat dann zu einem entsprechenden Donnerwetter deines alten Herrn geführt oder wie?“

„Schlimmer noch!“, meinte Johann bitter. „Zunächst war ja alles ruhig. Ich habe mir natürlich schreckliche Sorgen um Adele gemacht, weil ich nicht wusste, was passiert war. Und dann stürmte Vater am Mittag bei mir herein. Er - er hatte erfahren, dass ich mich mit Adele hatte treffen wollen.“

„Im Ernst? Aber wer hat ihm das denn verraten?“, fragte Gordula erschüttert.

„Er hat es mir nicht gesagt, doch ich bin überzeugt davon, dass Adeles Großmutter dahinter steckt!“

„Oh Gott, doch nicht etwa diese Margarethe Brinkmann, diese alte Hexe?“

„Sage nicht Hexe“, murmelte er warnend und warf einen ängstlichen Blick in die Runde. „Du weißt, was das für Folgen haben kann.“

„Das sagst ausgerechnet du, der du dich bereits in der schlimmsten Situation befindest, die ich mir denken kann? Und was die Bezeichnung als Hexe betrifft: Das hätte doch keine schlimmen Folgen für sie, doch nicht für Margarethe Brinkmann!

Außerdem gibt es derzeit keine aktiven Hexenverfolgungen, und um es zu betonen: Selbst wenn man Margarethe Brinkmann der Hexerei beschuldigen würde, was ich persönlich sogar nicht so ganz unrichtig finden würde, hätte sie genügend Macht, um alle Beschuldigungen wirkungsvoll von sich abzuwenden. Jede andere würde unter der Folter, am Galgen oder gar auf dem Scheiterhaufen enden, aber doch nicht sie!“

„Trotzdem!“, beharrte Johann.

Er hätte jetzt Gordula erklären können, dass er persönlich sowieso völlig gegen jegliche Hexenverfolgung war, weil er die Meinung derer teilte, dass es sich dabei in der Regel um Unschuldige handelte, die irgendwer aus möglicherweise niederen Gründen aus dem Weg haben wollte, aber das hätte jetzt zu weit geführt. Er war ja aus einem ganz anderen Grund hier.

„Wie auch immer“, wechselte Gordula kopfschüttelnd das Thema: „Deren Aufmerksamkeit sollte man trotzdem lieber nicht erregen, die Aufmerksamkeit von Margarethe Brinkmann!“

„Habe ich aber, ungewollt, allein nur, indem ich mich auf ihre Enkeltochter eingelassen habe. Dafür hat sie sich gerächt, indem sie es irgendwie meinem Vater zugespielt hat. Du kannst dir vorstellen, wie der reagierte.“

„Ja, lebhaft! Und jetzt? Was ist danach passiert?“

Sie legte wie lauernd ihren hübschen Kopf schief und betrachtete ihn aus verengten Augen.

„Was hast du sonst noch alles angestellt, mein Lieber? Gib es zu!“

„Äh, ja, dir kann man wirklich nichts vormachen, Gordula. Es – es gibt nicht viele junge Frauen heutzutage, die so klug sind wie du.“

„Überhaupt sonst keine!“, unterbrach sie ihn mit einem flüchtigen Lächeln.

„Äh“, fuhr er verdattert fort, „ich musste mich ja irgendwie herausreden. Du weißt ja, ich soll ja irgendwann in die Fußstapfen meines Vaters treten. Und in diesen Plan passt natürlich eine Verbindung zur Enkelin von Margarethe Brinkmann nun wirklich nicht hinein. Er wollte mich sogar enterben und weiß nicht was sonst noch mit mir anstellen. Ich habe ihn jedenfalls noch niemals in meinem Leben dermaßen wütend gesehen, und du kennst ihn ja und weißt, wie jähzornig er sowieso schon ist.“

„Ich habe es zwar noch nicht persönlich erlebt, aber es wird darüber geredet“, relativierte sie seine Aussage. „Aber erzähle weiter: Was war denn deine Strategie? Könnte es denn sein, dass sie irgendwie... mit mir zu tun hat?“

Jetzt hatte sie es bereits vorweg genommen. In der Tat, Gordula konnte man nichts vormachen. Ihr nicht! Sie hatte ihn durchschaut.

Aber so einfach gab Johann nicht auf. Er musste es ihr so verpackt klar machen, dass sie nicht allzu böse darüber reagierte. Bloß, wie sollte er das jetzt noch schaffen?

Er musste es zumindest versuchen:

„Also, es ging ja darum, dass ich Adele auf deinem kleinen Fest kennengelernt habe, und das wusste er bereits.“

„Du meinst, diese Margarethe hat es ihm irgendwie gesteckt, nicht nur, dass du dich mit Adele getroffen hast, sondern auch das mit meinem Fest...?“

Gordula brach erschrocken ab.

„Ja, so ist es. Keine Ahnung, wie es herauskommen konnte. Ich weiß ja auch nicht, wie Adele und ich danach irgendwann aufgefallen waren. Immerhin nach einigen Wochen erst. Niemand außer uns wusste davon, wirklich niemand.“

„Noch nicht einmal ich!“, zeigte sich Gordula durchaus ein wenig enttäuscht.

„Ja, tut mir leid, Gordula, aber ich wollte dich da wirklich nicht mit hineinziehen.“

„Hast du jetzt aber doch!“, warf sie ihm vor.

„Ich weiß, und es tut mir unendlich leid. Das kannst du mir wirklich glauben. Aber nun, da mein Vater sowieso alles schon wusste...“

„Noch einmal: Was hast du angestellt! Gestehe, Bursche! Ich will..., ja, ich muss es wissen!“

Ihre Freundlichkeit war wie weggewischt. Gordula konnte auch ganz anders. Sie würde zwar niemals so schlimm werden wie Margarethe Brinkmann, aber niemand sollte sie unterschätzen, auch Johann nicht.

Johann wusste das längst, deshalb fiel es ihm ja so besonders schwer, mit der Wahrheit herauszurücken, obwohl Gordula ihn sowieso schon durchschaut hatte. Aber sie wollte es jetzt aus seinem eigenen Mund hören. Sie wollte Einzelheiten erfahren: Was hatte Johann seinem Vater gegenüber behauptet?

„Er hätte mich niemals mehr aus dem Haus gelassen, zumindest nicht die nächsten Wochen oder gar Monate. Deshalb habe ich ihm klar machen müssen, dass es besonders wichtig ist, mich mit dir zu treffen.“

„Moment mal, willst du damit sagen, dass dein Vater von unserem heimlichen Treffen hier weiß? Dann ist es am Ende überhaupt nicht so heimlich?“

„Es – es ging nicht anders. Ehrlich. Du musst mir das glauben. Aber keine Bange: Er mischt sich nicht ein.“

„Ach? Und das soll mich jetzt beruhigen oder was? Ja, bist du denn jetzt völlig von allen guten Geistern verlassen? Wie kannst du dich denn dermaßen hinreißen lassen? Oder soll ich jetzt gar für dich die Suppe auslöffeln, die du dir selber eingebrockt hast?

Lässt sich doch tatsächlich als Wetken mit einer Brinkmann ein. Nicht zu fassen!“

„Bitte, Gordula, höre mir doch zu. Ich musste doch etwas sagen, was meinen Vater von seinen schlimmen Plänen mich betreffend abbringt. Wie soll ich denn jemals wieder Adele treffen können, wenn nicht...?“

„Wie bitte? Du hast anscheinend immer noch nicht begriffen, in welche Lage du nicht nur dich selber, diese Adele und auch mich gebracht hast, sondern in welche Lage du deine eigene Gilde noch bringst? Glaubst du denn, du könntest dich ungestraft nicht nur gegen deinen eigenen Vater wenden, der für seine Strenge weithin gefürchtet ist, sondern sogar auch noch gegen diese Margarethe Brinkmann? Und dann auch noch unter Umständen, bei denen dir wirklich jeder, der auch nur halbwegs klar ist im Kopf, jegliche Hilfe untersagen muss?“

Sehr betroffen starrte Johann zu Boden. Er brauchte eine Weile, um wieder sprechen zu können.

Er hatte diese Standpauke seiner besten Freundin wahrlich verdient. Das wusste er selber. Aber was sollte er denn machen? Konnte er denn etwas dafür, dass er Adele so sehr liebe – und sie auch ihn?

Dafür konnte niemand etwas.

Und was war denn an dieser reinen Liebe so dermaßen schlimm, dass sich alle Welt jetzt gegen sie beide wandte? Nicht nur die Familie von Adele und seine eigene Familie, sondern nun auch Gordula Schopenbrink, auf die er sozusagen seine letzte Hoffnung gesetzt hatte?

„Ich würde dich jetzt am liebsten einmal ordentlich durchprügeln“, murmelte Gordula leise. „Vielleicht würde dich das dann wieder zu Verstand bringen? Begreifst du zumindest das, Johann? Aber ich tu es nicht. Ich will nur selber endlich begreifen, was hier wirklich vorgeht.“

Er hob den Blick.

„Na, was denn wohl? Kannst du dir denn so gar nicht vorstellen, wie das ist, wenn du jemand dermaßen liebst, dass du wirklich alles tun musst für diese Liebe?“

„Wirklich alles?“

„Na, wieso glaubst du, bin ich wohl hier? Du brauchst mir nicht zu helfen, wenn du nicht willst. Natürlich nicht. Das verlange ich auch gar nicht von dir. Ich will nur, dass du mich verstehst. Das ist schon alles.“

„Aha? Und was, bitte, soll ich verstehen? Ja, ich kann mir vorstellen, wie du fühlst. Deshalb prügele ich dich ja auch nicht, obwohl ich es andererseits gern tun würde. Aber was gibt es dann da noch mehr zu verstehen? Na?“

Diesmal hielt er ihrem fragenden Blick stand.

„Ich habe Vater gegenüber behauptet, mich nicht mit Adele, sondern mit dir getroffen zu haben!“

„Mit mir?“ Ihr fehlten mal wieder die Worte. Das zweite Mal nun schon innerhalb so kurzer Zeit. Das war wahrlich ein neuer Rekord bei ihr.

Ihre Lippen malten zwar, um Worte zu bilden, doch vergeblich: Kein Laut kam mehr darüber.

Johann beeilte sich zu versichern:

„Vater wusste doch sowieso, dass ich auf deinem kleinen Fest war. Ihm ist doch klar, dass mich irgendwer dorthin eingeladen haben muss.“

„Und da hast du ihm ja nur noch zu sagen brauchen, dass ich das war?“

„Was hätte ich denn sonst sagen sollen?“

„Gut, einverstanden. Das hat die Lage für mich sicherlich nicht verschlimmert, aber für dich wohl verbessert, weil du dir dabei gedacht hast: Ach, wenn mich Gordula schon zu ihrem Fest eingeladen hat und das sowieso schon herausgekommen ist, kommt es auf den Rest auch nicht mehr an. Schlimmer kann es sowieso nicht mehr werden für sie. Ist es nicht so?“

„Äh, ja, so ungefähr...“, meinte Johann reichlich kleinlaut.

„Und was noch?“, fragte sie gerade heraus.

„Wie gesagt: Ich habe behauptet, wir hätten uns anschließend mehrmals getroffen, anstelle von Adele und mir. Weil wir richtig gute Freunde sind.“

„Und das hat dir dein Vater tatsächlich abgenommen? Einfach so?“

Es war deutlich, dass Gordula dies nun ganz und gar nicht glauben mochte.

„Auch wenn es in seinen Ohren vielleicht ungewöhnlich geklungen hat, weil er sowieso niemals an eine Freundschaft zwischen Mann und Frau glauben könnte: Ja, er hat es wohl geglaubt, sonst wäre ich jetzt nicht hier.“

„Um mich erneut zu treffen mit mir? Zu welchem Zweck wohl?“

„Äh, ja, zu welchem Zweck...?“

„Nun, das frage ich natürlich dich!“

Sie sah ihn ziemlich böse an bei diesen Worten.

Es blieb ihm nichts anderes mehr übrig, als nun auch noch den möglicherweise ganz besonders peinlichen Rest der Geschichte zu gestehen:

„Ich habe behauptet, dass zwischen uns das durchaus auch mehr werden könnte“, platzte es regelrecht aus ihm heraus.

Überrascht sah sie ihn an.

Und dann reagierte sie in einer Art und Weise, wie Johann dies wahrhaftig niemals mehr erwartet hätte, nicht angesichts ihrer bisherigen Reaktion auf dies alles:

Sie begann nämlich zu lachen. Es schien sie köstlich zu amüsieren sogar.

Oder war das jetzt so eine Art Galgenhumor?

„Ja, na, dann...“, meinte sie schließlich, immer noch glucksend vor Heiterkeit. „Da schalten wir doch einfach mal die naive Gordula ein, um uns ein prima Alibi zu verschaffen, und dann nehmen wir sie auch gleich noch zur Braut. Bei einer dermaßen guten Partie kann sie ja wohl kaum etwas dagegen haben, nicht wahr?“

Bei den folgenden Worten war jegliche Fröhlichkeit wieder aus ihrer Stimme verschwunden. Ihre Stimme klang auf einmal dermaßen unterkühlt sogar, wie Johann sie von Gordula noch niemals zuvor gehört hatte:

„Dann halten wir nun einmal fest: Du hast mich vorgeschoben, um nicht zugeben zu müssen, dass du mit Adele Brinkmann angebandelt hast. Was für beide Häuser einem verabscheuungswürdigen Verbrechen gleich kommt. Zumindest werten diese das so.

Doch weiter: Und nun willst du mich darum bitten, dass wir gemeinsam so tun, als würden wir uns näher kommen?

Wie weit soll das dann eigentlich noch gehen? Bis zur Traumhochzeit, gefolgt von vielen kleinen gemeinsamen Kinderlein oder was?

Mein Liebster, du magst vielleicht für die meisten Frauen, außerhalb der Brinkmann-Gilde natürlich, eine gute Partie sein, wenn nicht sogar die beste, aber leider nicht für mich. Denn ich bin eine waschechte Schopenbrink. Unser Hansehaus pflegt traditionell eine gewisse Neutralität. Wir wollen Geschäfte machen mit allen, nicht nur mit der Wetken-Gilde. Wir wollen offen bleiben für alle. Und mit einer Eheschließung würden wir beide diese Erfolgsstrategie leider komplett untergraben.

Schon mal daran gedacht?“

„Ja, habe ich!“, gestand Johann jetzt zu ihrem eigenen Erstaunen. „Und noch weiß ja niemand etwas davon. Nur mein Vater und wir beide. Also muss es ja nicht zwangsläufig so weit kommen.“

„Und wie hast du dir das stattdessen gedacht?“

„Waren wir nicht tatsächlich beste Freunde? Genau das können wir bleiben.“

„Und wenn ich mich stattdessen auf einen anderen Mann einlasse? Was dann? Wie würde dann dein werter Herr Vater reagieren? Du hättest in seinen Augen total versagt.“

„Ja, gewiss, aber erstens wäre das etwas, das jetzt noch keine Rolle spielt, sondern eben erst dann, wenn es so weit kommen sollte...“

„Und zweitens?“

„Zweitens wissen wir beide ja, dass ich in Wahrheit Adele will - und Adele will mich!“

„Obwohl ihr beide nicht die geringste Chance habt, jemals zusammen zu kommen? Du bist ein Wetken und sie eine Brinkmann. Schon vergessen?“

„Wie sollte ich das jemals vergessen?“

„Wenn du jemals der Nachfolger deines Vaters werden willst, bleibt dies völlig unmöglich!“

„Auch das weiß ich doch. Aber kannst du denn gar nicht verstehen, dass ich es zumindest meinem Vater gegenüber erst einmal so erklären musste, das mit dir und mir?“

Jetzt lachte sie abermals.

„Oh, klar, natürlich habe ich das verstanden. Ganz ehrlich: Ich hätte an deiner Stelle wohl nicht anders gehandelt. Es blieb dir ja eigentlich gar nichts anderes übrig.“

Johann sah sie an und fragte sich, ob sie das jetzt wirklich ernst meinte oder ob es lediglich ihrem für gewöhnlich gern gepflegten Sarkasmus entsprang.

Und sie meinte es diesmal trotzdem ernst. Ja, Gordula klopfte ihm sogar auch noch beruhigend auf die Schulter wie einem alten, vertrauten Kumpan.

„Noch habe ich keinen künftigen Ehemann. Allein schon deshalb, weil ich den richtigen noch nicht gefunden habe. Auch du bist es nicht, wie ich dir versichern darf. Und das nicht erst, seit du dich auf diese Adele eingelassen hast. Und du weißt ja, wie sehr ich Spielchen liebe. Sonst würde ich ja auch keine kleinen Festlichkeiten organisieren, obwohl sie verboten sind - oder gerade weil sie verboten sind.“

„Was – was willst du denn damit jetzt sagen?“, erkundigte sich Johann bang.

Sie lachte ihn an. Oder aus?

„Na, beruhige dich wieder, Bursche. Ich weiß natürlich, was Liebe ist, obwohl ich sie noch nicht selbst erfahren habe. Ich finde das Ganze einerseits ehrlich gesagt total romantisch, obwohl es andererseits ziemlich wahnsinnig erscheint. Aber gegen seine Gefühle kommt man halt nicht an. Vor allem nicht, wenn sie so stark sind wie offensichtlich bei euch beiden Turteltäubchen.

Ich wäre ja ein wahrer Unmensch, wenn ich da nicht mitspielen würde.

Allerdings unter meinen eigenen Bedingungen, nicht unter deinen oder gar denen deines Vaters!“

Der letzte Satz würde lange noch in seinen Ohren nachhallen. Zumal er tatsächlich der abschließende Satz war, denn Gordula wandte sich grußlos ab und eilte davon, ehe Johann noch etwas sagen konnte.

Welche Bedingungen sie überhaupt zu stellen beabsichtigte, blieb damit unausgesprochen. Darüber würde er tatsächlich noch zu grübeln haben.

Er sah ihr verdattert hinterher, bis sie seinen Blicken entschwunden war.

Ja, in der Tat: Wie hatte sie das eigentlich gemeint, das mit den eigenen Bedingungen?

Und dann fiel ihm noch etwas ein, was er völlig vergessen hatte zu fragen:

Wer hatte eigentlich Adele Brinkmann zu jenem Fest eingeladen, wenn nicht sie?

Irgendwie erschien ihm diese Frage sogar von fundamentaler Bedeutung, obwohl er nicht wusste wieso. Noch nicht! Aber es war leider zu spät, Gordula danach zu fragen, denn sie war ja jetzt wieder weg.

Johann musste das auf das nächste Treffen vertagen. Falls es ihm erneut gelingen würde, Vater dazu zu überreden – und falls Gordula dann tatsächlich auch kommen würde. Ganz so sicher erschien ihm das zu diesem Zeitpunkt keineswegs.

Aber jetzt musste er erst einmal zurückkehren ins Haus seines Vaters.

Hanseschwestern - Historical Romance Sammelband 6020: 3 Romane

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