Читать книгу Hanseschwestern - Historical Romance Sammelband 6020: 3 Romane - Alfred Bekker - Страница 19
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ОглавлениеEs war klar, dass Johanns Vater bereits auf seine Rückkehr wartete. Deswegen war Johann keineswegs überrascht darüber, dass er schon an der Haustür abgefangen wurde mit der Nachricht, sofort vor Georg Wetken zu erscheinen, ohne jegliche Umschweife.
Also ging er zu ihm. Dabei war er halbwegs zuversichtlich, was das Gespräch mit seinem Vater erbringen würde. Er konnte zwar nicht wirklich so etwas wie einen Fortschritt verkünden, zumal Gordula ihm unmissverständlich klar gemacht hatte, dass sie niemals ein echtes Paar werden konnten, allein schon deshalb nicht, weil ihr Vater das verhindert hätte, aber ansonsten war es zumindest nicht negativ verlaufen. Ganz im Gegenteil: Er hatte immerhin damit reichlich Zeit gewonnen, um weitere Strategien zu überdenken.
Georg Wetken gab sich überraschend gelassen, wie er da hinter seinem wuchtigen Schreibtisch thronte. Der überbreite Durchgang von seinem Arbeitszimmer zum Nachbarzimmer war offen. Für gewöhnlich musste man dieses Nebenzimmer betreten und durfte sich erst dem Schreibtisch von Georg Wetken nähern, wenn dieser dazu unmissverständlich aufforderte. Das galt auch für seinen Sohn Johann.
Und zu reden hatte man sowieso nur, wenn man unmittelbar angesprochen wurde!
Als Johann eintrat, sah er seinen Vater zwar über den Schreibtisch gebeugt, weil er mit irgendwelchen Papieren beschäftigt war, aber Georg Wetken blickte sofort auf und lehnte sich langsam zurück, dabei seinen Sohn musternd.
Eben mit dieser überraschenden, weil ungewohnten, Gelassenheit, wie Johann fand.
Er blieb natürlich artig im Nachbarraum stehen und wartete auf das nötige Zeichen.
Georg Wetken hob nur die Hand. Das genügte. Johann trat langsam, wie vorsichtig, näher, bis vor den Schreibtisch hin.
„Na, wie ist das Gespräch mit Gordula Schopenbrink gelaufen?“, wurde er ruhig gefragt, anstelle irgendeiner Begrüßung, die sich der überaus mächtige Hansekaufmann Georg Wetken auch diesmal ersparte.
Johann wich dem sengenden Blick seines Vaters auch dieses Mal nicht aus. Er doch nicht! Obwohl Georg Wetken trotz aller zur Schau gestellten Gelassenheit immer noch dermaßen viel Autorität ausstrahlte, dass sie förmlich spürbar war. Als würde sie es schaffen, nachhaltig die Luft im Raum zu erhitzen.
„Gordula war zunächst entsetzt, als ich ihr erzählte, was geschehen ist.“
„Weswegen denn genau? Dass es herauskam mit ihrem verbotenen Fest oder was?“
„Das natürlich auch. Aber nicht nur. Sie fürchtet jetzt, dass sie auf Grund dessen keine weiteren Feierlichkeiten mehr heimlich ausrichten kann.“
„Wie kommt sie bloß darauf? Meint sie etwa, ich würde ihrem Vater Bescheid geben lassen oder wie?“
„Überhaupt wegen alledem“, beeilte sich Johann zu sagen und fragte sich im Stillen bereits, ob er vielleicht die falsche Strategie gewählt hatte. Aber es war jetzt zu spät, sie wechseln zu wollen. Er musste auf dieser Schiene bleiben.
„Und was sagt sie zu Adele Brinkmann?“, hörte er wie aus weiter Ferne.
Er musste es schaffen, sich besser zu konzentrieren:
„Es hat sie noch mehr entsetzt, denn sie hat offenbar gar nicht gewusst, dass diese damals überhaupt eingeladen war. Wie schon vermutet. Aber sie wusste dafür, dass ich gar nicht mit ihr hätte zusammen kommen können, weil ich beinahe die ganze Zeit über bei ihr gewesen war, also bei Gordula. Und es hat sie gekränkt, dass es jetzt heißt, ich hätte mich statt mit ihr eben mit Adele Brinkmann getroffen in den letzten Wochen.“
„Aha? Und was ist nun dein Fazit von alledem, mein Sohn? Lass hören!“
Johann senkte den Blick und tat so, als würde es ihn Überwindung kosten, die folgenden Worte auszusprechen, und dann tat er es trotzdem, ohne dabei jedoch den Blick wieder zu heben:
„Sie sagte mir, dass unter diesen Umständen ihr Vater es niemals zulassen würde, dass aus uns beiden ein richtiges Paar werden wird.“
„Aha? Dann hast du also auf der ganzen Linie doch noch verloren?“
Es war schon ein wenig beängstigend, dass sein Vater bei dieser Frage so ruhig blieb. Oder war diese Ruhe und Gelassenheit tatsächlich nur gespielt, wie Johann es gleich vermutet hatte, schon beim Eintreten? Wenn ja, wozu eigentlich?
Ja, was wollte sein Herr Vater damit jetzt erreichen?
„Keineswegs!“, widersprach Johann der Vorhaltung seines Vaters und hob zugleich wieder den Blick. „Gordula ist nach wie vor ganz auf meiner Seite. Es geht ja lediglich darum, dass sie Sorge hat, was ihren Vater betrifft.“
„Eine Sorge, die du nicht teilst?“
„Doch, ich teile diese Sorge, allerdings nur zum gegenwärtigen Zeitpunkt. Es war mir sowieso schon klar, dass ich viel Zeit benötigen werde, um meine Absicht in die Tat umsetzen zu können. Ich habe Gordula ganz für mich gewinnen können. Jetzt erst recht. Allerdings nur als platonische Freundin. Vorerst. Mehr ist derzeit noch nicht möglich, wie es sich erwiesen hat. Aber wir haben uns andererseits wirklich noch nie so gut verstanden wie ausgerechnet jetzt in dieser Krisenzeit.“
„Eine Krisenzeit? So nennst du das also? Nun gut, für dich vielleicht, aber doch nicht für alle anderen, genauer betrachtet.“
Mit scheinbar nur noch mühsam gezügelter Leidenschaft erklärte ihm sein Sohn daraufhin:
„Hast nicht du selbst mir immer wieder klar gemacht, dass wir eine hohe Verantwortung tragen, nicht nur für uns selber, sondern vor allem in unserer Rolle für die Gilde, also im Grunde genommen sogar für ganz Hamburg?
Und wenn ich Krisenzeit sage, dann meine ich tatsächlich nicht nur mich, denn dieses infame Intrigenspiel des Hauses Brinkmann hat mit Sicherheit auch noch Auswirkungen auf alles, wofür wir einstehen, wofür unsere Vorfahren dermaßen viel gekämpft und gelitten haben.
Allein der ehemalige Bürgermeister damals von Hamburg, dein Urgroßvater, der mir nicht nur seinen guten Namen hinterlassen hat: Nachdem zunächst verschiedene Strömungen der Reformation eine Einigung verhindert hatten, war genau er es gewesen, der Martin Luther im Jahre 1528 höchstselbst um die Entsendung von Bugenhagen bat – und sich damit sogar durchsetzte. Damit nämlich unter dessen Leitung eine Kirchenverfassung entstand. Deshalb nur wurde Hamburg bereits ein Jahr darauf evangelisch. Ein wahrer Meilenstein in der Geschichte der Hansestadt Hamburg, fürwahr!
Es war ja nicht der einzige Meilenstein in der Geschichte unserer geliebten Stadt, bei dem ein Wetken zumindest eine wichtige Rolle spielte. Wenn also ein Wetken in der heutigen Zeit in eine persönliche Krise gerät, wirkt sich das halt zusätzlich aus auf das Wohl der Stadt. Zumal diese Krise nicht von mir selbst verursacht wurde, sondern eben durch jene schändlichen Verleumdungen aus dem Hause Brinkmann.“
Es war mal wieder eine lange Rede gewesen, der Georg Wetken geduldig beigewohnt hatte. So geduldig war er für gewöhnlich niemals. Aber es schien für ihn ganz besonders wichtig zu sein, wieder mit seinem Sohn ins Reine zu kommen.
Vielleicht vertraute er Johann noch nicht völlig, doch er kannte ja selber die Machenschaften von Margarethe Brinkmann, also musste er durchaus in Betracht ziehen, dass er falschen Informationen aufgesessen war. Wobei, wie Johann es ihm geschickt beigebracht hatte, ja nicht unbedingt seine ansonsten anscheinend hundertprozentig verlässliche Informationsquelle schuld daran war, sondern möglicherweise war eben sogar seine Informationsquelle selbst betrogen worden.
Und das gab er jetzt sogar auch noch zu, zur größten Überraschung seines Sohnes:
„Ich kämpfe gegen Margarethe Brinkmann an, solange ich denken kann. Noch habe ich mich an der Spitze behaupten können, aber es ist durchaus in Betracht zu ziehen, dass sie mit dieser Vorgehensweise endgültig einen Keil zwischen uns beide treiben wollte. Letztlich nicht nur, um dich zu vernichten, sondern vor allem, um mir zu schaden, indem sie mich dadurch schwächt in meiner Rolle.
Aber es bedeutet für mich auch, dass meine bislang so überaus verlässliche Informationsquelle von ihr erkannt wurde. Denn wie anders wäre es möglich, dass Margarethe Brinkmann sie missbrauchen könnte, um mir solch schändliche Scheininformationen zuspielen zu lassen?
Mit anderen Worten: Ich muss in Zukunft noch viel vorsichtiger sein als ich es ohnedies längst schon bin!“
Johann dachte unwillkürlich, dass er das selber in seinem eigenen Sinne nicht besser hätte formulieren können.
Und in der Tat, was sein Vater durchaus richtig sah: Diese Variante des unaufhörlichen Intrigenspiels hatte damit im Grunde genommen erst begonnen. Zumindest eben was diese Art von Strategie betraf, nämlich Vater und Sohn auf Dauer zu entzweien.
Sicherlich war da auch noch viel mehr zu erwarten, jetzt und in der Zukunft. Falls sie es überhaupt zuließen, hieß das. Denn wenn sie es schafften, wieder gemeinsam am gleichen Strang zu ziehen, würde jegliche Intrige dieser oder ähnlicher Art nur noch ins Leere zielen können.
Obwohl Johann ja selbst am besten wusste, dass die Vorwürfe entgegen seiner eigenen Beteuerungen nicht wirklich aus der Luft gegriffen waren, sondern tatsächlich der schnöden Wahrheit entsprachen, handelte es sich dennoch um eine raffiniert eingefädelte Intrige, wie sie ganz eindeutig der Handschrift von Margarethe Brinkmann entsprach.
Jetzt musste er nur beständig bleiben mit seiner Behauptung, es handele sich lediglich um eine der üblichen Lügen, die nur dadurch glaubwürdiger werden konnten, weil er sich tatsächlich in den letzten Wochen mehrfach und natürlich in aller Heimlichkeit mit Gordula Schopenbrink getroffen hatte. Was bei dieser Gelegenheit halt leider ans Tageslicht gekommen war, doch bei weitem nicht so schwer wog wie das Treffen mit seiner geliebten Adele.
Soweit hatte er seinen Vater jetzt also schon. Was konnte nun noch schief gehen?
Und da stellte sein Vater eine Frage, die Johann doch wieder ein Stück weit die Hoffnung verlieren ließ, wenngleich nur vorübergehend:
„Wer hat denn nun diese Adele Brinkmann zu dem Fest eingeladen? Ich meine, ohne ihr Erscheinen dort wären wir jetzt ja nicht, wo wir heute sind! Und es ist für mich kaum denkbar, dass Adele Brinkmann dort ganz ohne Einladung aus eigenem Antrieb heraus aufgetaucht sein soll.“
Genau das hatte Johann ja vergessen, Gordula zu fragen. Und wie sollte er das jetzt seinem Vater klar machen, ohne erneut wieder an Boden zu verlieren?
Er hörte sich selbst antworten, während er noch fieberhaft überlegte. Irgendwie hatte sich seine Stimme selbständig gemacht. Und es kam keine Lüge aus seinem Mund, weil ihm einfach keine passende eingefallen war in dieser verzwickten Situation, sondern die reine Wahrheit:
„Gordula weiß es selbst nicht!“
Allerdings hörte sich das in den Ohren seines Vaters nicht sehr glaubwürdig an, wie er ihm deutlich ansehen konnte.
„Hast du sie denn überhaupt danach gefragt?“, hakte er sogar nach.
Jetzt musste Johann doch noch eine Lüge nachschieben. Klar, er hatte sie natürlich nicht danach gefragt, aber doch nur, weil er es in der schieren Aufregung ganz einfach vergessen hatte. Aber genau das durfte er niemals zugeben.
Deshalb behauptete er:
„Nein, habe ich nicht, weil sie eben gar nichts darüber weiß. Ich hätte sie ja auf dem kleinen Fest schon darauf aufmerksam machen können, aber warum hätte ich das eigentlich tun sollen zu diesem Zeitpunkt? Adele Brinkmann hat für mich ja keinerlei Rolle gespielt. Zwar habe ich mich leise über ihre Anwesenheit gewundert, aber diese war mir halt ganz und gar nicht wichtig erschienen.“
Er täuschte sich nicht: Sein Vater atmete daraufhin doch tatsächlich erleichtert auf.
Jetzt erhob er sich sogar von seinem thronähnlichen Ledersessel.
„Danke, mein Sohn, das genügt vorerst. Ich hebe hiermit deinen Hausarrest auf. Aber gebe dich keinen falschen Illusionen hin: Ich werde dich nach wie vor unter strengster Beobachtung halten. Nicht etwa, um dich zu unterdrücken, sondern weil du für mich und unsere Hansen-Gilde von allergrößter Wichtigkeit bist. Du bist einfach zu wertvoll, als dass ich es wagen könnte, auch nur das geringste Risiko einzugehen.“
Es sah ganz danach aus, als würde er tatsächlich das Thema Adele Brinkmann erst einmal komplett ad acta legen. Natürlich hinsichtlich eines offensichtlichen Intrigenversuches durch Margarethe Brinkmann, die dazu sogar den Ruf ihrer eigene Enkelin missbraucht hatte. Nur vielleicht weil diese, von irgendwem eingeladen, es doch tatsächlich gewagt hatte, auf jenem Fest zu erscheinen, was ihr sicherlich und sowieso ein Dorn im Auge gewesen sein musste.
Johann wertete die Entscheidung seines mächtigen Herrn Vaters jedenfalls dahingehend, dass er noch ziemlich lange benötigen würde, um auch nur halbwegs wieder so viel Vertrauen zu genießen wie vor der Angelegenheit.
Sich unter diesen Umständen bereits wieder mit Adele treffen zu wollen, verbot sich von selbst, weil es alles wieder zunichte gemacht hätte, was er nun äußerst mühsam – und dabei auch noch mit einem arg schlechten Gewissen hinsichtlich seiner geliebten Adele – hatte erreichen können.
Ja, damit hatte er jetzt zwar dennoch viel gewonnen, zumindest eben nicht alles verloren, aber von seinem eigentlichen Sehnsuchtsziel war er immer noch so weit entfernt, dass es ganz danach aussah, es niemals in diesem Leben erreichen zu können:
Ja, er konnte sich wieder halbwegs frei bewegen, aber Adele selber blieb wohl auf Dauer von ihrer Großmutter eingesperrt. Und selbst wenn er sich mit ihr irgendwann hätte treffen können, was derzeit so völlig ausgeschlossen erschien, wären sie niemals ein richtiges Paar geworden.
In der Tat, danach sah es immer noch aus, aber Johann wäre nicht der würdige Sohn seines Vaters gewesen, des derzeit erfolgreichsten Hansekaufmanns von Hamburg, wenn er an dieser Stelle schon aufgegeben hätte. Ganz im Gegenteil: Die schiere Aussichtslosigkeit weckte nur noch mehr seinen Ehrgeiz.
Natürlich ohne es jemanden wissen zu lassen, allen voran seinen eigenen Vater. Der durfte noch nicht einmal im Entferntesten überhaupt auch nur den Verdacht hegen, das mit Gordula sei gelogen und Adele sei in Wahrheit doch die große wenngleich heimliche Liebe seines Sohnes.