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Ich pirschte mich über das Treppenhaus ein Stockwerk höher und stand sogar schneller vor der Wohnungstür als Rudi, was daran lag, dass er die Liftkabine erst aus dem obersten Stock hatte holen müssen.

Neben dem Ausgang durch die Galerie gab es auch noch einen separaten Zugang für die Wohnungen in den oberen Stockwerken, die deutlich kleiner ausfielen als der von Bykow bewohnte Bereich.

Die Wohnungstür war nicht abgeschlossen. Ein Kameraauge war auf den Flur gerichtet. Allerdings war es starr. Ich fragte mich, ob die Überwachungsanlage abgeschaltet war.

Mit der Dienstwaffe in der Hand gingen wir hinein und sahen uns um. Schon im Eingangsbereich waren die Spuren des Einbruchs zu sehen. Die Schubladen waren ausgezogen und der Inhalt auf dem Boden verstreut worden. In dem sehr großen Wohnzimmer fanden wir die Polstermöbel aufgeschlitzt vor. Zum Teil großformatige Gemälde mit moderner Kunst waren ebenso wie in der Galerie von den Wänden gerissen und achtlos auf dem Boden liegen gelassen worden.

Auf einer der Leinwände war etwas zu sehen, was vielleicht Fußabdrücke waren.

Hinter einem der Bilder war ein weiterer Safe verborgen gewesen, dessen Stahltür weit offen stand. Er war genauso leer wie der Safe in der Galerie.

Nachdem wir alle Räume durchsucht hatten, steckten wir die Dienstwaffen ein. Hier war niemand mehr.

Rudi fand ein Display samt Tastatur, von dem aus die gesamte Überwachungsanlage für die Wohnung die Galerie zu regeln war.

„Abgeschaltet“, stellte Rudi fest.

„Wie praktisch für den Einbrecher.“

„Da es von Bykow keine Spur gibt, müssen wir das Schlimmste befürchten, Harry.“

„Jedenfalls waren an den Türen keinerlei Spuren für ein gewaltsames Eindringen zu sehen“, gab ich zu bedenken. „Bykow könnte den Täter selbst hereingelassen haben. Der hat ihn dann umgebracht, die Wohnung durchsucht und anschließend die Leiche entsorgt.“

„Warum hat er dann nicht dafür gesorgt, dass der Blutfleck verschwindet?“, fragte ich.

„Gute Frage. Vielleicht wurde er gestört, und es war nicht mehr möglich, noch einmal in die Wohnung zu gehen.“

„Und was könnte der Täter hier gesucht haben?“

„Jedenfalls nicht die moderne russische Kunst, die hier überall hängt. Ich nehme an, es war der Inhalt der Safes.“

„Was könnte da drin gewesen sein?“

„Wenn unser Kollege Meinhart Dommacher mit seiner Hypothese Recht hat und Bykow auf einer Säuberungsliste der Kunstmafia steht, würde ich sagen, dass nach belastendem Material gesucht wurde.“

Ich ließ den Blick schweifen.

Die zertrümmerte Telefonanlage fiel mir auf. Offenbar sollte es erschwert werden, herauszubekommen, mit wem Bykow zuletzt telefonischen Kontakt hatte. Aber früher oder später würden wir die Verbindungsdaten über die Telefongesellschaft schwarz auf weiß vor uns haben.

Ich streifte mir Latexhandschuhe über.

Die Kollegen des Erkennungsdienstes sehen es im Allgemeinen nicht gerne, wenn sich die Ermittler im Außendienst am Tatort allzu gründlich umsehen. Zu viele Spuren konnten dadurch vernichtet werden. Andererseits war der Zeitfaktor nicht zu unterschätzen, denn der arbeitete grundsätzlich für den Täter. Je mehr Zeit verging, desto schwieriger wurde es, die Tat aufklären zu können.

Ich betrat einen Raum, der offenbar als Arbeitszimmer diente.

Bücher waren aus Regalen herausgerissen und auf dem Boden verstreut worden. Etwa ein Drittel davon war in russischer Sprache, der Rest auf Deutsch und Englisch, einige wenige in Französisch. Neben ein paar Science Fiction-Romanen fanden sich dort vor allem Bücher zur Kunstgeschichte und Kataloge mit Werkverzeichnissen. Außerdem Werke zum Steuer- und Bilanzrecht Deutschlands, der Cayman Islands und der Schweiz.

Die Schubladen des Schreibtischs lagen umgedreht auf dem Boden.

Auf der Holzplatte war ein Abdruck zu sehen, der dafür sprach, dass hier noch vor kurzem ein Computer gestanden hatte. Die Täter hatten ihn offenbar einfach mitgenommen.

„Eine Leiche und ein Computer sind verschwunden“, stellte ich fest. „Das muss doch jemandem aufgefallen sein, zumal man vor der Haustür nicht parken kann.“

„Das heißt, die Täter haben beides – und wer weiß, was sonst noch – mit dem Aufzug in die Parkgarage der Mieter gebracht. Wahrscheinlich haben sie dort auch ihren Wagen abgestellt, Harry.“

„Was bedeutet, dass sie in irgendeiner Form registriert gewesen sein müssen, um dort hinein und wieder hinauszukommen!“, zog ich einen meiner Meinung nach logischen Schluss.

Rudi war derselben Ansicht.

„Wir werden mit der Hausverwaltung und dem privaten Sicherheitsdienst sprechen müssen, der für dieses Haus zuständig ist, Harry.“ Mein Kollege schüttelte den Kopf und machte ein nachdenkliches Gesicht. „Da wohnt jemand schon unter einer Adresse, die sicherheitstechnisch mit allen nur erdenklichen Schikanen ausgestattet ist und dann geschieht so etwas!“

„Jedenfalls scheint der Security Service nichts bemerkt zu haben“, nickte Rudi.

Wir nahmen uns anschließend noch das Schlafzimmer vor.

Sowohl der Inhalt der Kleiderschränke, als auch die Utensilien im Bad zeigten, dass hier zumindest zeitweilig auch eine Frau gelebt haben musste.

„Wir werden Frau Matuschka danach fragen“, schlug Rudi vor. „Ich würde ja lachen, wenn Bykow gleich gesund und munter zurückkehrt, nach dem er im Café Kaputt gefrühstückt hat!“

„Den Laden werden wir uns auch noch vornehmen müssen“, kündigte ich an.

Rudi nickte. „Das tun wir, sobald die Kollegen der Ermittlungsgruppe Erkennungsdienst hier das Terrain übernommen haben.“

Ich hatte damit begonnen, systematisch die Taschen von Bykows Anzügen zu durchsuchen. Ich fand einen Zettel mit einer Handynummer. „Mal sehen, vielleicht bringt uns das hier ja weiter, Rudi.“

Ich tippte die Nummer in meine Handytastatur und wartete ab. Aber niemand nahm das Gespräch entgegen. „Der Teilnehmer ist vorübergehend nicht erreichbar“, wurde mir mitgeteilt.

Wir kehrten zu Dommacher zurück.

Unser Kollege deutete auf ein Loch in der Wand.

„Hier hat eine Kugel dringesteckt“, meinte er. „Sie muss durch den Körper Bykows gegangen sein und ist dann hier gelandet.“

„Der Täter scheint ein Profi gewesen zu sein“, sagte Rudi.

Ich hob die Augenbrauen. „Trotzdem ist es doch seltsam, dass die Kugel in der Wand und die Leiche beseitigt wurden und der Blutfleck nicht. Dafür gibt es einen Grund!“

„Warten wir ab, was die Kollegen dazu sagen!“, schlug Rudi vor.

Nach fünf Minuten trafen Kollegen der Schutzpolizei ein, um den Tatort zu sichern. Nach zwanzig Minuten erreichten unsere Erkennungsdienstler Sami Oldenburger und Pascal Horster den Tatort.

Dieser Fall wurde auf Grund der internationalen Dimension mit besonderer Priorität behandelt. Aus diesem Grund sollten die Kollegen der Ermittlungsgruppe Erkennungsdienst von unseren BKA-eigenen Erkennungsdienstlern unterstützt werden. Die Beamten des zentralen Berliner Erkennungsdienstes hatten im Übrigen ihre Labors am Stadtrand und brauchten um diese Zeit entsprechend lange, um den Tatort zu erreichen. Wir rechneten erst eine Dreiviertelstunde später mit ihnen.

In der Zwischenzeit unterhielten wir uns noch einmal mit Florentine Matuschka.

„Wir haben Anzeichen dafür gefunden, dass Herr Bykow mit einer Frau zusammengewohnt hat“, eröffnete ich ihr. „Was wissen Sie darüber?“

„Eigentlich lebte Herr Bykow immer sehr zurückgezogen“, erklärte sie. „Aber vor zwei Monaten zog eine junge Frau bei ihm ein. Ich schätze, sie war halb so alt wie er. Mitte zwanzig, schwarzes Haar, zierlich und immer elegant gekleidet.“

„Wissen Sie ihren Namen?“

„Er nannte sie Nora. Mehr weiß ich nicht.“

„Wann haben Sie sie zum letzten Mal gesehen?“

Florentine Matuschka wirkte nachdenklich. „Ehrlich gesagt, das letzte Mal, dass ich sie gesehen habe, war kurz bevor Herr Bykow zuletzt verreist ist.“

„Wann war das?“

„Vor anderthalb Wochen. Ich glaube, er sagte etwas von St. Peter Ording. Das liegt an der Nordsee, glaube ich. Da würde ich gerne sein. Herr Bykow ist dort öfter hingeflogen.“

„Meinen Sie wirklich St. Peter Ording“, sagte ich.

„Was weiß ich!“

„Könnte es sein, dass er nach St. Petersburg in Russland geflogen ist?“, mischte sich Rudi ein.

Florentine Matuschka wirkte etwas ratlos. „Auf den Gedanken bin ich gar nicht gekommen“, gestand sie.

„Hat Bykow irgendwann mal geäußert, dass er sich bedroht fühlt?“, fragte ich.

Sie schüttelte den Kopf. „Nein. Wir haben kaum miteinander gesprochen. Herr Bykow war immer sehr höflich, aber er hat nie viel mit mir geredet.“

„Hatte er Angestellte in seiner Galerie?“, fragte ich.

„Ja, einen Mann namens Kai-Uwe Thränhart. Aber der war nicht fest angestellt. Herr Bykow hat ihn immer dann angeheuert, wenn es viel zu tun gab.“

Ich wandte mich an Dommacher. „Sagt Ihnen der Name Thränhart etwas, Meinhart?“

„Nein, aber es würde mich nicht wundern, wenn er irgendwie aus der Szene kommen würde und wir bereits etwas über ihn im Archiv hätten. Ich werde das mal überprüfen.“

„Herr Thränhart wird heute sicher noch auftauchen“, glaubte Frau Matuschka. „Der schöne Kai-Uwe...“ Sie blickte auf die Uhr an ihrem Handgelenk. „In einer halben Stunde öffnet die Galerie. Eigentlich müsste er jetzt sogar schon hier sein – aber ich weiß natürlich nicht, was Herr Bykow für Abmachungen mit ihm getroffen hat.“ Sie seufzte hörbar und fuhr fort: „Glauben Sie, es besteht noch eine Chance, dass Herr Bykow nicht umgebracht, sondern vielleicht nur entführt wurde?“

„Beim gegenwärtigen Stand der Ermittlungen möchte ich da keine Spekulationen in die Welt setzen, Frau Matuschka“, antwortete ich ausweichend.

„Das verstehe ich“, murmelte sie tonlos.

Sie schluckte und schüttelte stumm den Kopf.

Sechs Krimis: Ferienkiller

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