Читать книгу Romantic Thriller Sommer 2020: 9 Romane um Liebe und Geheimnis - Alfred Bekker - Страница 28

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Es kam mir schon komisch vor, als wir Rosemont Hall betraten. Es war still, viel zu still. Normalerweise tauchte sofort Henson oder sonst jemand vom Personal auf, um mich oder wen auch immer zu begrüßen und nach den Wünschen zu fragen. Aber nichts geschah. Nur das Ticken der großen Standuhr hier in der Halle durchbrach die Stille. Ich schaute James an, und der schüttelte den Kopf. Offenbar hatte er das gleiche ungute Gefühl.

„Hier stimmt etwas nicht“, stellte auch er fest.

Automatisch schlugen wir gemeinsam den Weg zur Bibliothek ein, und hier erwartete uns die Überraschung – allerdings keine angenehme.

Mein Vater saß an seinem Schreibtisch, die Hände auf die Lehnen an seinem Stuhl gefesselt. Von seiner Schläfe lief Blut herab. Doch er zeigte fast keine Angst, sondern nur grimmige Entschlossenheit, und natürlich eine gehörige Portion Wut.

Das Personal, heute nur aus drei Leuten und dem Butler bestehend, stand eng an eine Wand gepresst, Angst tief in die Gesichter eingegraben. Außer bei Henson, dem anzusehen war, dass er vor Zorn fast platzte.

Und vor dem Schreibtisch, auf dem sich das kostbare Buch befand, stand mit überlegenem Gesichtsausdruck Gordon McBride. In der Hand hielt er eine Waffe und bedrohte damit die Leute.

James griff nach meiner Hand und trat einen Schritt vor.

„Wohin hat Sie Ihr verblendeter Ehrgeiz gebracht, Gordon? Was soll diese Dummheit? Wollen Sie sich tatsächlich um jeden Preis unglücklich machen? Bis jetzt ist noch nichts passiert, was man nicht wieder in Ordnung bringen könnte. Ich bin sicher, dass Seine Lordschaft von einer Strafanzeige absehen wird, wenn Sie auf der Stelle die Waffe beiseite liegen und diesen Unsinn beenden.“

„Schluss jetzt mit dem Geschwafel, darauf habe ich viel zu lange gehört“, fuhr Gordon auf und machte heftige Bewegungen mit der Waffe. „Ich will dieses dumme Geschwätz nicht mehr länger hören. Ich werde mir den Schatz holen und dann irgendwo im Ausland ein geruhsames Leben führen. Das dürfte noch um einiges besser sein als ein paar Publikationen zu veröffentlichen, die in irgendwelchen verstaubten Fachzeitschriften erscheinen, rasch wieder vergessen sind und ohnehin nur von wenigen Leuten gelesen werden.“

„Sie können den Schatz meinetwegen gerne haben, ich habe Ihnen schon einmal gesagt, dass von meiner, beziehungsweise unserer Seite kein Interesse daran besteht“, mischte ich mich ein und fiel automatisch in die förmliche Anrede zurück. Dieser Mann verdiente es einfach nicht mit dem vertraulichen Du angesprochen zu werden. „Also los, gehen Sie schon, holen Sie sich, was Sie glauben zu brauchen, und lassen Sie uns in Frieden.“ Mein Herz schlug bis zum Halse, doch meine Stimme klang kühl und beherrscht. Irgendwie musste ich diesen Mann zur Vernunft bringen, sonst würde er vielleicht meinem Vater etwas antun, und das konnte und durfte ich mich zulassen.

Gordon lachte böse auf. „Das hättest du wohl gern. Ich wäre kaum aus dem Zimmer, und schon hättet ihr die Polizei alarmiert. Nein, so geht das nicht. Du, Jessica, wirst mich begleiten. Das gibt mir die Sicherheit, nicht sofort verfolgt zu werden.“

„Nein“, widersprach James und hielt noch immer meine Hand umklammert. Gordon bemerkte diese beschützende Geste und grinste hämisch.

„So ist das also? Dann sollte ich euch doch besser beide mitnehmen. Seine Lordschaft wird dann sicherlich die große Güte besitzen mich ungeschoren abziehen zu lassen. Natürlich mit dem Schatz, mehr will ich ja im Grunde gar nicht.“

Mir fiel ein, dass McBride gar nichts wissen konnte von dem wirklichen Auftrag, der sich mit diesem Buch verband. Sollte ich eine Bemerkung dazu machen? Wohl eher nicht, er würde mir vermutlich nicht glauben. Auch James gab mir mit den Augen ein Zeichen zu schweigen, so als hätte er wieder einmal meine Gedanken gelesen. Ja, vielleicht war das wirklich besser. Wir mussten uns der Gewalt beugen, McBride würde meinen Vater bedrohen, sollten wir uns weigern. Im anderen Fall würde er James oder mir etwas antun, sollte Dad die Polizei informieren.

„Was haben Sie nun vor?“, fragte ich mit trockenem Mund.

„Professor Hagen, der Unvergleichliche, wird den für uns wichtigen Text jetzt sofort übersetzen. Nach der Logik musste sich die wichtige Passage gegen Ende des Buches befinden, und dann machen wir uns auf den Weg. So einfach ist das.“

„Im Dunkeln?“ Mittlerweile war der Nachmittag in den Abend übergegangen, und die Dämmerung war längst hereingebrochen. Draußen war starker Wind aufgekommen, dicke Wolken türmten sich am Himmel, und Blitze zuckten über den schwarzen Horizont, offenbar die richtige Atmosphäre für eine derart düstere Situation.

James zuckte mit den Schultern. Auch er hatte die Ausweglosigkeit unserer Lage erkannt und noch keine Möglichkeit gefunden, das Unheil aufzuhalten. Er trat langsam näher an den Tisch heran und betrachtete das dicke Buch kritisch.

„Ihnen ist doch klar, dass nicht zwingend gegen Ende des Buches der Hinweis auf das Versteck zu finden sein musste? Wollen Sie im Zweifelsfall wirklich abwarten, bis ich alles durchgelesen habe?“ Die Stimme des Professors klang ruhig und beherrscht, und ich fragte mich, wie er es schaffte, sich so gut unter Kontrolle zu halten. Ich jedenfalls spürte, dass ich am ganzen Körper zitterte, mein Atem ging stoßweise, und ich vermied es, zu meinem Vater hinüberzusehen, denn dann wäre ich vermutlich verrückt geworden.

James schlug nun mit einiger Mühe das schwere Buch auf, seine Augen flogen über den Text, und er bewegte lautlos die Lippen. Offenbar hatte er keine Schwierigkeiten die alte Sprache fließend zu übersetzen.

„Es handelt sich um eine Art Chronik“, erklärte er nach einer Weile.

„So etwas habe ich mir tatsächlich auch schon gedacht“, gab McBride zynisch zurück. „Ich kann das selbst auch lesen, vergessen Sie das nicht, Professor. Man kann über Sie eine Menge sagen, und es wird sicher nicht viel Gutes dabei sein, aber die Ausbildung bei Ihnen ist tatsächlich nicht von schlechten Eltern. Also los, weiter. Ich will gar nicht wissen, was diese Leute sonst noch gemacht haben, ich will nur das Versteck.“

Die nächste halbe Stunde verging in quälendem Schweigen, unterbrochen nur vom Rascheln und Knistern, wenn James ein Blatt wendete. Die Spannung im Raum war greifbar, baute sich sogar immer noch mehr auf, was nicht nur an dem draußen tobenden Gewitter liegen konnte. Aus den Augenwinkeln heraus bemerkte ich nach einiger Zeit, dass Henson sich langsam bewegte. Er wollte doch nicht etwa...?

Er kam nicht so weit. McBride schien ein ungeheures Gespür zu besitzen, denn er wandte rasch den Kopf und richtete dann die Waffe auf den Butler.

„Versuchen Sie es gar nicht erst“, warnte er. „Mir bliebe immer noch genug Zeit, um seine erhabene Lordschaft zu treffen – oder wen auch immer. Zwei Schritte zurück, oder ist in Ihrem mickrigen Gehalt auch der Tod inbegriffen?“

Henson gehorchte.

„Da ist die gesuchte Passage“, verkündete James gleich darauf. „Um das Wertvollste vor unbefugten Augen und Händen zu schützen, werden wir es an einem sicheren Ort verbergen. Ebenso die Särge. Auf diese Weise darf, darf? – dieses Wort ist etwas unverständlich – werden, dass die Unseligen für Ihre Taten büßen, indem Sie unsere Güter bewachen.“

„Und wo ist nun dieser sichere Ort?“, fragte Gordon ungeduldig.

„Augenblick noch, ich suche ja schon danach.“

Konzentriert studierte der Professor die weiteren Einträge.

„Das hier könnte es sein. Suche den Zugang im Dunklen, das zum Licht führt, folge dem Stern und öffne die Tür, die versiegelt ist mit dem Blute derer, die das Kreuz und die Wahrheit in sich tragen.“

Wir alle blickten bei diesen Worten nicht besonders intelligent aus der Wäsche. Es war doch schon eine vertrackte Angelegenheit gewesen, dieses Buch zu finden und den entsprechenden Text zu übersetzen. Aber das Rätsel hier stellte uns nun vor eine ungleich schwerere Herausforderung.

„Ich glaube, ich weiß, wovon die Rede ist“, meldete sich plötzlich mein Vater zu Wort. „Um diese ganze widerwärtige Angelegenheit endlich zu bereinigen, bin ich sogar bereit ohne Gegenleistung mein Wissen preisgegeben. Hauptsache, Sie verschwinden so schnell wie möglich aus meinem Haus. Ich finde Ihre Anwesenheit unerträglich.“

Hass und Verachtung sprachen aus Gordon, und für einen Augenblick befürchtete ich sogar, er würde meinen Vater schlagen. Doch er machte nur eine angedeutete Verbeugung, in der alles an Spott und Zynismus lag, was er aufzubringen imstande war.

„Ich empfinde den Aufenthalt in Ihrer Nähe ebenfalls als eine Zumutung, Euer Erhabenheit. Aber Sie werden mich schon noch so lange ertragen müssen, bis ich mein Ziel erreicht habe. Dann heißt es auf Nimmerwiedersehen. Je eher Sie reden, umso schneller ist alles vorbei.“

Mein Vater beherrschte sich auch weiterhin angesichts dieser Unverschämtheit, nur James ballte die Fäuste, sagte aber nichts. Dad umklammerte mit den Händen die Lehnen, dass die Knöchel weiß hervortraten.

„Die Kapelle, die zu Rosemont Hall gehört, besitzt einen verborgenen Zugang durch den Altar. Er lässt sich öffnen, indem man die Köpfe der beiden Johannes drückt, der Täufer und der Evangelist. Der Gang führt ins dunkle, doch nach etwa zweihundert Schritten geht es ziemlich steil bergauf, und durch ein Loch in der Decke strömt ein Licht. Danach verzweigen sich die Gänge, und ich hatte nie den Ehrgeiz mich dort unten zu verlaufen, um unbekanntes Gelände zu erforschen. Der Lichtstrahl könnte allerdings als Stern interpretiert werden, wenn ich mich recht entsinne.“

„Du lieber Himmel, wir leben hier auf einer ganzen Ansammlung von Labyrinthen, und ich habe das nicht einmal gewusst“, entfuhr es mir. „Dad, ich glaube, wir sollten alle diese Gänge versiegeln lassen, damit nicht womöglich etwas passiert.“

„Ganz wie du willst, Jessica. Aber all die Jahrhunderte lang ist auch nichts passiert, weil niemand von Habgier und Machtrausch getrieben wurde“, gab er zu bedenken.

„Du hast recht, wir hatten es noch nie mit jemandem zu tun, dessen einziger Ehrgeiz darin besteht, sich an dem zu bereichern, was vielleicht besser verborgen bliebe und ihm auch eigentlich nicht zusteht.“

„Ruhe!“, fuhr McBride dazwischen. „Wir werden den restlichen Weg schon finden, schließlich sind zwei außerordentlich kluge, fähige Menschen bei mir. Ich gehe Ihnen damit auch aus den Augen, Euer Lordschaft, da ja mein Anblick so unerträglich ist.“

„Es ist nicht Ihr Anblick, nur das, was sie mit Ihrem Charakter und Ihrer Geisteshaltung repräsentieren. Schade nur, junger Mann, aus Ihnen hätte wirklich etwas Gescheites werden können. Aber nun gehen Sie schon endlich. Sollte meiner Tochter oder dem Professor allerdings etwas passieren, werde ich Sie bis ans Ende der Welt verfolgen. Dessen dürfen Sie sicher sein.“ Diese Worte kamen mit so großem Ernst, dass Gordon unwillkürlich zusammenzuckte. Er erwiderte allerdings nichts darauf, sondern machte zu James und mir ein Zeichen mit der Waffe.

„Los, vorwärts. Kommt nicht erst auf dumme Ideen, wenn ihr beide am Leben bleiben wollt. Einen von euch würde ich immer erwischen“, drohte er noch einmal.

„Wir wissen es“, knurrte James und griff wie selbstverständlich wieder nach meiner Hand.

„Mein Vater meinte die Kapelle, die hier noch in Gebrauch ist“, sagte ich leise, als Gordon draußen Kurs auf die Ruine nehmen wollte. Er schaute mich argwöhnisch an, nickte dann aber.

In der Kapelle hatte ich mich bisher immer geborgen gefühlt. Dass auch sie ein dunkles Geheimnis barg, hätte ich nie geglaubt. Vor dem Altar kniete ich nieder, um in den steinernen Reliefs die beiden gesuchten Figuren ausfindig zu machen. Die zwei Johannes, eigentlich ganz einfach, wenn man es wusste. Ich drückte auf die Köpfe, und erst einmal geschah gar nichts.

„Hast du auch die richtigen erwischt?“, fragte McBride hämisch.

„So gut kenne ich mich damit schon noch aus“, gab ich bissig zurück und sprang dann erschreckt zur Seite, als der ganze Altar lautlos zur Seite schwang. Ich war wieder einmal erstaunt über den Einfallsreichtum und die noch immer gut funktionierende Technik der vergangenen Erfinder.

Wir hatten beim Hinausgehen Taschenlampen mitgenommen, denn der Gang dort hinunter war wirklich stockdunkel. Glitschige Stufen, die dicht mit Moosen und Flechten bewachsen waren, zeigten an, dass dieser Weg sehr lange nicht benutzt worden war. Er entsprach jedenfalls dem, was mein Vater gesagt hatte, nur sah ich jetzt ein Problem. Draußen war es dunkel. Woher sollte also das Licht kommen, was uns wie ein Stern den Weg weisen sollte? Vermutlich machte sich James gerade die gleichen Gedanken.

Unsere Frage wurde im Näherkommen jedoch auf ungewöhnliche Weise beantwortet. Jeder Blitz, der draußen über den Himmel zuckte, brachte einen Lichtschein hier herein. Und wie ein seltsamer Spiegel war es, ein kleines Stück Kristall in Form eines Sterns, der dann jedesmal an einer Wand aufleuchtete. Dies musste also der richtige Weg sein. Es gab noch drei andere, die wir demnach aber gar nicht erst betraten.

Ich fragte mich gerade, ob Gordon McBride uns wirklich ungeschoren lassen würde. Selbst wenn Dad und ich darauf verzichteten, ihn von den Behörden verfolgen zu lassen – waren wir es nicht James und auch unseren Angestellten schuldig, ihn von der Polizei aufgreifen zu lassen? Er war ja nicht dumm und würde sich bestimmt die gleichen Gedanken machen.

Nun, wir mussten einfach abwarten. Vielleicht ergab sich ja sogar noch eine Möglichkeit ihn zu überwältigen.

Mittlerweile hatte ich jedenfalls meine Angst fast ganz verloren und war nur noch wütend. Ich durfte mich von dieser Wut aber nicht zu einer Dummheit hinreißen lassen.

Als der Geruch schärfer und intensiver wurde, rümpfte ich die Nase. Es stank wie in einer Kloake, um es deutlich auszudrücken.

Das Licht der Lampen traf auf ein Hindernis, eine schwere hölzerne Tür mit dicken Bohlen. Seltsamerweise war nirgends ein Schloss oder eine Klinke zu sehen. Etwas ratlos standen wir davor.

„Wie lautete der Spruch noch – versiegelt mit dem Blut derer, die das Kreuz und die Wahrheit in sich tragen? Dann müssen wir dieses Siegel finden und lösen“, schlug McBride praktisch vor.

James tastete das Holz ab, und auch ich strich suchend mit den Fingern darüber.

„Da ist nichts“, erklärte ich etwas enttäuscht.

„Halt, wartet mal. Was ist das?“ Der Professor hatte durch Zufall auf dem Boden herumgeleuchtet, und von dort sprang es uns förmlich ins Auge. Das Siegel!

Groß wie ein Fußball, kreisrund geformt und mit unverständlichen Schriftzeichen und Symbolen gefüllt. Wie hatte es über Jahrhunderte hinweg praktisch unbeschadet überstehen können? Nun, an der ganzen Geschichte waren viele Dinge merkwürdig, da kam es auf eines mehr nicht an.

James beugte sich nieder und strich mit den Fingerspitzen sachte drüber hinweg.

„Au“, rief er verblüfft und hielt sich die Hand. „Es ist heiß.“

„Völlig unmöglich“, behauptete Gordon McBride. Vorsichtig ging aber auch er in die Hocke, stets darauf bedacht, uns im Auge zu behalten. Als er die Finger auf das Siegel legte, schrie er nicht nur auf, vom Boden aus liefen kleine blaue Elmsfeuer über seinen ganzen Körper. Rasch stand er auf und taumelte etwas, hielt sich aber aufrecht und bewahrte genügend Konzentration, um uns keine Möglichkeit zu geben ihn zu überwältigen.

„Machen Sie es auf“, forderte er von James, der ratlos die Schultern zuckte.

„Ich habe keine Ahnung, wie ich das machen sollte“, antwortete er.

„Was steht denn da überhaupt geschrieben?“, wollte ich wissen.

James ging wieder hinunter und versuchte im Licht der Taschenlampe die uralten Zeichen zu entziffern. „Blut vom Blut der Familie. Ein wahrer Nachkomme muss sich zeigen und beweisen, dann bleibt der Weg nicht verschlossen.“

„So ein Blödsinn“, fuhr ich auf. „Woher sollen wir einen Nachkommen, von wem auch immer, bei uns haben?“

„Nun, du und deine Familie – ihr seid hier schließlich seit Generationen heimisch. Die Frage stellt sich doch gar nicht erst.“

Ich musste McBride enttäuschen. „Wir kamen aber von außerhalb“, seufzte ich. „Dieses Gebäude bestand schon lange, bevor meine Familie es in Besitz nahm. Nun gut, ich will es euch gerne beweisen, weil ich glaube, dazu gibt es nur eine Möglichkeit, auch wenn die total verrückt ist. Hat jemand ein Taschenmesser, oder so was? Wenn ich das hier recht verstehe, musste man mit einem Blutstropfen seine Identität beweisen.“

Darauf waren die beiden Männer doch wahrhaft noch nicht gekommen. Gordon reichte mir misstrauisch sein Taschenmesser.

Naja, es ist nicht jedermanns Sache, sich selbst den Finger aufzuschneiden. Meine auch nicht. Aber ich überwand meine Angst und schaffte es. Ein Tropfen Blut quoll hervor, tropfte auf das Siegel, und wir alle starrten wie gebannt darauf.

Nichts geschah. Entweder war ich wirklich nicht der rechte Nachkomme, oder meine Theorie war falsch. Oder der Mechanismus versagte.

In Gordons Gesicht zeigte sich unverhohlene Wut.

„Das ist alles Ihre Schuld“, brüllte er etwas unmotiviert den Professor an. „Wenn Sie nicht so verdammt selbstsüchtig, arrogant und überheblich wären, hätte ich niemals den Wunsch gehabt, ebenfalls reich und berühmt zu sein. Dann hätten Sie mich an der Arbeit beteiligt und mir das zukommen lassen, was mir zustand.“

„Und das wäre?“, fragte James ruhig. „Nennen Sie mir doch nur ein Projekt, bei dem mit Ihrer Hilfe Ergebnisse erzielt wurden, die einer Veröffentlichung würdig gewesen wären.“

Gordon schwieg. Offenbar gab es das nicht.

Vernunftgründe kamen bei ihm jedoch nicht mehr an, er hatte sich innerlich in einen Zorn, vielleicht sogar in einen Wahn, gesteigert, der nicht mehr zu zügeln war. Er holte aus und schlug mit der Waffe an die Stirn des Professors. Der sackte zu Boden und ein dünner Blutfaden sickerte die Schläfe entlang, tropfte von dort auf die Erde und berührte das Siegel. Die folgenden Augenblicke glichen einem Weltuntergang, und keiner von uns hätte auch nur im Entferntesten damit gerechnet, was jetzt hier geschah.

Ein Gong dröhnte durch diesen unterirdischen Gang, und eine dunkle uralte Stimme tobte durch unsere Köpfe.

„Willkommen!“

„Ich glaube das ja nicht“, stieß ich verblüfft hervor. „Professor Hagen ist ein Nachfahre...“

„Mir doch egal. Ich habe erreicht, was ich wollte. Jetzt bin ich am Ziel.“

„Aber er ist verletzt. Wir können ihn doch jetzt nicht hier liegen lassen“, fuhr ich auf.

„Den brauche ich jetzt aber nicht mehr. Er hat im wahrsten Sinne des Wortes seine Schuldigkeit getan“, erklärte Gordon zynisch. Er packte mich an den Haaren und zerrte mich mit sich durch die Tür, die sich gerade öffnete. Wie angewurzelt blieben wir dann aber stehen, als wir erkannten, was sich hier befand. Gordon entfuhr ein schrecklicher Fluch, aber ich kämpfte unvermittelt mit einem hysterischen Lachen.

Drei Särge standen hier und warteten auf ihre Bewohner.

So war es gekommen, dass ich hier in einer ziemlich ausweglosen Lage vor dem Lauf einer Waffe stand und mit dem Leben abgeschlossen hatte.

Gordon McBride hatte unmittelbar nach der Entdeckung zu toben begonnen, und ich hielt ihn mittlerweile für wahnsinnig. Kein vernünftiger, rational denkender Mensch würde sich so aufführen. Ich hatte ihm gut zugeredet, war ihm schließlich sogar in den Arm gefallen, doch er hatte mich heftig von sich gestoßen und wilde Flüche von sich gegeben. Jetzt war ich jenseits von Furcht und Angst. Im Grunde erwartete ich, dass jeden Augenblick eine Kugel auf mich zugeschossen käme. Dann wäre alles vorbei.

Armer Dad. Er würde bestimmt um mich trauern, ich hoffte, er nahm das nicht allzu schwer.

Doch plötzlich war um mich herum der Duft von Rosen. Ungläubig schaute ich auf.

Da waren sie, alle drei. Sie umringten Gordon McBride, der gar nicht recht wusste, wie ihm geschah. Eisige Kälte breitete sich um ihn herum aus, und ich bekam auch noch einiges davon mit. Der Mann ließ die Waffe fallen und schlug fröstelnd die Arme um den Leib.

„Was ist das?“, fragte er zitternd. „Was geht hier vor? Wie hast du das gemacht?“

Ich sah, dass Sir Lawrence sich verdichtete, so dass auch Gordon ihn erkennen konnte.

„Auf diesem Grund und Boden ist bereits viel zuviel Blut geflossen“, erklärte der Ritter aus der Vergangenheit. „Wir sind aus den vergangenen Zeiten hier, um dafür zu sorgen, dass das Leben des echten Nachkommen gerettet wird. Diese Aufgabe haben wir fast erfüllt. Und nun endlich hat Mylady auch unsere letzte Ruhestätte gefunden. Wir werden endlich den ewigen Frieden finden können. Davor allerdings müssen wir denjenigen unschädlich machen, der nur Vernichtung im Schilde führt. Nie wieder soll auf Rosemont Hall Blut vergossen werden aus Habgier oder anderen niederen Motiven.“

„Vernichtung? Ich? Aber niemals. Ich wollte doch nur...“ Gordon brach in seinem Protest ab und machte große Augen, als aus dem Nichts Stricke erschienen, die sich rasch und äußerst fest um ihn schlangen. Die waren auch nicht geisterhaft, sondern durchaus real, was den vorhandenen Rätseln ein weiteres hinzufügen.

„Bitte, Lady Jessica, wenn Sie jetzt noch die Knoten knüpfen wollen, dann ist die Gefahr beseitigt.“

Gordon schaute mich an und konnte sichtlich glauben, was gerade mit ihm geschah. Wahnsinn tanzte in seinen Augen, als er jetzt erfolglos versuchte die Stricke zu lösen und sich zu befreien. Geschickt machte ich die Knoten fest und war sicher, dass Gordon McBride mir und auch keinem anderen mehr gefährlich werden konnte. Jetzt aber beugte ich mich zu James hinunter.

Noch immer tropfte Blut aus der Wunde, doch es war offensichtlich keine schwere Verletzung, denn er kam gerade wieder zu sich. Ich war so erleichtert, dass ich mich einfach vornüber beugte und ihn küsste. Er war schon wieder soweit bei Besinnung, dass er das als Aufforderung verstand. Seine Hand glitt in meinen Nacken und hielt mich fest. Dieser Kuss war ganz und da anders als alles, was ich bisher erlebt hatte, und ich genoss ihn ausgiebig.

Ein Räuspern störte unsere traute Zweisamkeit. Die drei Geister waren noch immer da.

„Sir Lawrence, ich denke, Sie hätten endlich ihr Ziel gefunden. Warum befinden Sie sich nach immer in diesem Zustand?“ wollte ich verwundert wissen.

Ein schmales Lächeln war auf den durchsichtigen Lippen zu sehen.

„Ich könnte es mir niemals verzeihen, Sie zu verlassen, ohne Ihnen gedankt und Lebewohl gesagt zu haben, beileibe nicht, Mylady. Aber es steht tatsächlich auch noch ein kleines Hindernis zwischen uns und der ewigen Ruhe.“

„Ach, ja, und das wäre? Glauben Sie nicht, dass mittlerweile mehr als genug Aufregung um diese Suche geherrscht hat?“ fragte James, der sogar nicht so viel Überraschung zeigte, wie ich vermutet hätte.

Die beiden so ungleichen Männer, Mensch und Geist, blickten sich an und lächelten, als würden sie sich plötzlich wortlos verstehen.

„Es ist nur eine Kleinigkeit, die wir jedoch nicht selbst ausführen können. Würden Sie liebenswürdigerweise die Freundlichkeit besitzen unsere Särge zu öffnen?“

Ich seufzte. James stand auf, wobei er sich auf mich stützte. Er kämpfte gegen einen leichten Schwindel an, ging dann aber entschlossen in die Kammer, oder vielmehr war es ja eine Gruft. Gemeinsam hoben wir den ersten Deckel an – und hätten ihn dann im nächsten Moment fast wieder fallen lassen. In dem Sarg lagen Bücher, uralte Bücher, ein jedes ein solch unglaubliches Exemplar wie das, was wir oben schon besaßen.

„Das ist ungeheuerlich, unglaublich, wunderbar“, flüsterte James ergriffen, und auch ich schnappte nach Luft. Sorgfältig packten wir jedes einzelne der wertvollen Bücher auf den Boden.

Der zweite Sarg enthielt hauptsächlich sakrale Gegenstände aus der Zeit des Ordens. Die Stoffe, die hier einst gelagert hatten, waren dem Zahn der Zeit zum Opfer gefallen. Doch es gab fein bearbeitete Becher und Kelche, und sogar eine Monstranz, die ein Vermögen wert sein musste. Auch hier leerten wir den Sarg, soweit uns das möglich war.

Die größte Überraschung bot jedoch der letzte Sarg, denn hier war tatsächlich ein Schatz vorhanden. Ringe, Ketten, Armbänder, alle Arten von Schmuck, Goldstücke, umgefasste Edelsteine – es war schier unglaublich.

„Ich denke, damit kann man einiges an Elend in der Welt lindern“, stellte ich fest. „Damit kämen sie einem guten Zweck zu und dienten auch heute noch zur Tilgung jedweder Schuld. Sir Lawrence, falls Sie nichts dagegen haben, werden wir diesen Schatz verkaufen und das Geld wohltätigen Zwecken zugutekommen lassen.“

„Alles was sich hier befindet, gehört Ihnen. Es liegt allein in Ihrem Ermessen, wie Sie damit verfahren. Sie brauchen keine Erlaubnis, weder von mir nach von sonst jemand“, gab der Geist uns freie Hand und wirkte ausgesprochen zufrieden.

„Sir Lawrence, und auch Sie, meine Herren, haben uns ein sehr großes Geschenk gemacht. Im Namen all derer, denen damit geholfen werden kann, bedanken wir uns herzlich.“

Ich hätte ihm gerne die Hände gereicht, aber wie will man das bei einem Gespenst tun?

„Mylady, wir sind es, die zu danken haben. Sie werden morgen im Garten einen Rosenstrauch finden, der Ihnen stets schwarze Blüten schenkt. Denken Sie dabei ab und zu ein uns, bitte.“

Unvermittelt hielt ich einen ganzen Strauß dieser wundervollen schwarzen Blumen im Arm und berauschte mich an ihrem betörenden Duft. James legte einen Arm um meine Schulter, und die drei Geister begaben sich in ihre Särge. Die Deckel klappten von alleine zu, und ein letztes Mal spürte ich die freundlichen Gedanken in meinem Kopf.

„Leben Sie wohl, Mylady. Der Kreis schließt sich heute, da ein Nachkomme des alten Blutes hier bald wieder eine Heimat finden wird.“

Dann waren sie weg. Und wieder wie von Geisterhand erschienen auf den Decken Plaketten mit den Namen der Verstorbenen.

Gordon hatte dem ganzen Vorgang fassungslos und ungläubig zugesehen. Als wir diesen unglaublichen Schatz ausräumten, war ihm ein schreckliches Stöhnen entfahren, aber wir hatten keine Rücksicht darauf genommen.

„Morgen werden wir mit dem Kaplan ein Requiem abhalten“, beschloss ich spontan. „Mögen sie endlich in Frieden ruhen.“

„Ich glaube, da musst du dir keine Sorgen mehr machen. – Kommen Sie, Gordon, die Polizei wartet sicher schon“, erklärte James und zog den anderen Mann mit sich. Dessen Füße waren ja nicht gefesselt, er konnte den Weg zurück laufen.

Romantic Thriller Sommer 2020: 9 Romane um Liebe und Geheimnis

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