Читать книгу Die Stimme der Rache: 4 besondere Krimis - Alfred Bekker - Страница 12

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Schalow vermisste den braunen Granada, als er am nächsten Morgen nach Köln fuhr. Er sah in den Rückspiegel, bis er auf der Autobahn war, aber er konnte keinen Verfolger ausmachen.

Der Audi seines Vaters war jetzt fünf Jahre alt und sauber gepflegt wie alles, was sein Vater besaß. Aber die Maschine war ziemlich lahm, was kein Wunder war. Sein Vater benutzte den Wagen fast nur, um damit zur Arbeit zu fahren. Drei Kilometer hin, drei Kilometer zurück. Der Motor war kaum einmal richtig warm geworden.

Schalow schaltete in den dritten Gang zurück und jubelte die Maschine ein paarmal richtig hoch, bis er die schwarze Abgaswolke durch den Rückspiegel sah.

Die Autobahn war um diese Zeit ziemlich leer. Er konnte also mit der Geschwindigkeit rauf und runter gehen, um das Triebwerk wieder auf Leistung zu trimmen.

Allerdings fragte er sich, warum er das tat. Wenn er Zeit hatte, würde er heute Nachmittag noch ein Zimmer suchen. An einen eigenen Wagen konnte er nicht denken. Mit dem Entlassungsgeld und dem Guthaben auf dem Sparkonto kam er gerade auf tausend Mark. Die würde er brauchen, um sich neu einzukleiden und sich bis zur ersten Lohnzahlung über Wasser zu halten.

Aber umsehen konnte er sich trotzdem. Vielleicht konnte er samstags auf einer Tankstelle aushelfen und dort während seiner Freizeit irgendeine abgewrackte Kiste wieder aufmöbeln. Das hatte er schon einmal so gemacht.

In Lövenich fuhr Schalow von der Autobahn und fuhr über die Aachener Straße stadteinwärts. Bereits in Höhe des neuen Sparkassenbaus fiel ihm der blaue Opel auf, der ebenfalls von der Autobahn gekommen war und jetzt näher aufschloss. Schalow sah einen hageren Mann am Steuer und einen zweiten im Fond.

Der Mann im Fond war der kleine Dicke.

Schalows Hände umklammerten das Lenkrad, bis sich die Haut über den Knöcheln weiß spannte.

Der Opel fuhr jetzt fast gleichauf in der Nebenspur. Der Dicke befürchtete wohl, Schalow könnte ihn im Stadtverkehr abhängen.

Ernst Schalow schob grimmig das Kinn vor. Natürlich konnte er die Knilche im Opel abhängen, selbst mit dem lahmen Audi seines Vaters, da würde den Kerlen nicht einmal das Autotelefon etwas nützen. Aber zuerst musste er herausfinden, ob sie ihn reinzulegen versuchten. Während der blaue Opel auffällig an seiner Stelle klebte, schwamm vielleicht weiter hinten ein unauffälliger Volkswagen im Strom.

Der Verdacht blieb gegenstandslos, oder sie stellten es sehr raffiniert an. Aber Schalow wollte nicht länger warten.

Er fuhr auf den Parkplatz in der Nähe der Radrennbahn und hielt unmittelbar vor einer Telefonzelle. Der Fahrer des Opel musste hart auf die Bremse steigen und die Fahrzeuge in der rechten Spur schneiden. Er fegte über den Platz und hielt dann an. Die Gesichter der Insassen konnte Schalow hinter der spiegelnden Frontscheibe nicht ausmachen. Sie gaben sich jedoch keine sonderliche Mühe, ihn unauffällig zu beschatten. Was bezweckten sie damit, fragte sich Schalow unbehaglich. Wenn sie ihn nervös machen wollten, so hatten sie sogar Erfolg damit.

Er betrat die Zelle, und wieder rief er den Anschluss Heikaus an. Er hatte die Nummer jetzt im Kopf und brauchte sie nicht noch einmal nachzuschlagen. Sein Mund war trocken, und sein Herz hämmerte wieder.

Monika, dachte er. Monika. Wie würde sie reagieren, wenn sie seine Stimme hörte? Sie war etwas älter als er, zwei Jahre. Sie hatten eine schöne Zeit miteinander gehabt. Aber sicher hatte sie ihn längst vergessen.

Aber er wollte sie wiedersehen. Sie war die letzte Frau, mit der er zusammen gewesen war. Sie war so schön und so leidenschaftlich. Sie vermochte sich ganz zu geben. Er spürte, wie er erregt wurde.

Das Rufzeichen schnarrte endlos. Er wollte schon auflegen, als am anderen Ende doch noch abgehoben wurde. Schalow hörte ein Grunzen, dann eine verschlafene männliche Stimme.

»Hallo? Wie spät ist es, verdammt?«

Heikaus!

Es war halb zehn. Wieso war Heikaus zu Hause? Schalow wollte einfach abhängen, aber dann überlegte er es sich anders.

»Wer ist da? Herr Schulz?«

»Nein, verdammt!«, sagte Heikaus ärgerlich. »Passen Sie doch auf, welche Nummer Sie wählen!« Es klickte.

Schalow stieg in den Audi. Er fuhr zur Aachener Straße zurück, wartete auf eine passende Lücke, wobei er die Linksabbieger-Ampel vor der Hubertus Brauerei beobachtete. Der Opel stand genau hinter ihm.

Die Ampel sprang auf Grün. Schalow wartete noch. Die Ampel für den Geradeaus-Verkehr stand auf Rot, der Rückstau baute sich schnell auf.

Schalow trat das Gas durch. Vor der Schnauze eines Mercedes her wischte er auf die linke Straßenseite hinüber. Bei Gelb rutschte er um die Ecke in den Lövenicher Weg.

Hinter ihm gellten Hupen. Der Opel konnte nicht an dem Mercedes vorbei.

Schalow grinste.

Er kam glatt über den Militärring, und als er die Vitalisstraße erreichte und keine Spur vom blauen Opel sah, war er ziemlich sicher, dass er den kleinen Dicken abgehängt hatte.

Mit überhöhter Geschwindigkeit jagte er die Widdersdorfer Straße hinunter. Würde es Auswirkungen auf seine Bewährung haben, wenn er bei einer Übertretung im Straßenverkehr erwischt wurde? Er glaubte es nicht.

Er bog in den Melatengürtel ein und dann in die Vogelsanger Straße. Am Fröbelplatz fand er eine Parklücke.

Er ging durch die Rothehausstraße zur Venloer Straße.

In der Imbissstube eines Kaufhauses aß er ein zähes Brötchen und trank Kaffee dazu, der noch schlechter schmeckte als das Zeug, das man im Knast als Kaffee bezeichnete.

Dabei schielte er dauernd zum Telefon an der Wand.

Konnte er es noch einmal riskieren, Monikas Nummer zu wählen?

Warum ging sie nicht an den Apparat? Und wieso war Heikaus in der Wohnung? Die meisten Menschen arbeiteten um diese Zeit.

Heikaus war nicht wie die meisten, das wusste Schalow. Aber was wusste er konkret von Monikas Mann? Er hatte sie nie gefragt, er hatte versucht, ihn aus seinen Gedanken zu verbannen; so hatte ihn das wenige, das Monika ihm erzählte, nicht interessiert.

Heikaus war älter als sie. Wesentlich älter sogar. Und er hatte Geld. Einmal hatte Monika gesagt, er kassiere Mieten. Er besaß auch ein Haus in der Eifel, in dem er sich gelegentlich mit Geschäftsfreunden traf.

Schalow spülte den Rest des Brötchens mit dem schlammigen Kaffee hinunter, dann steckte er seinen Kopf unter die schallschluckende Telefonhaube und blätterte das Verzeichnis durch.

Heikaus, Hans J., Straße und Telefonnummer, aber keine Berufsbezeichnung.

Schalow schlenderte über die Venloer Straße. Wie oft hatte er sich vorzustellen versucht, wie es sein würde, an den Schaufenstern vorbeizuschlendern, in eine Kneipe zu gehen, zu trödeln.

Jetzt fühlte er sich viel zu gespannt, um Zerstreuungen solcher Art genießen zu können.

Weil die Kerle in dem braunen Granada oder dem blauen Opel hinter ihm her waren? Damit hatte er rechnen müssen.

Unwillkürlich sah er sich um und musterte die Wagen, die langsam vorbeirollten. Er blieb stehen, und als er angerempelt wurde, trat er in den zurückliegenden Eingang eines Ladens. Er blickte die Straße hinunter.

Irgendwo da unten an der Inneren Kanalstraße hatten die doch ihr Hauptquartier. Was würde geschehen, wenn er einfach zu denen hineinmarschierte und ihnen die Meinung sagte?

»Lasst mich in Ruhe, ich habe nichts mit euren verdammten Staatsfeinden zu tun. Wenn ich einer werden sollte, seid ihr selber schuld.«

Er wollte nur leben und so bald wie möglich vergessen, was ihm widerfahren war.

Sie würden ihn nicht einmal anhören. Sie würden so tun, als hätten sie seinen Namen nie gehört. Verdammter Mist.

Wenn er doch wenigstens Monika sehen könnte.

Monika. Sein Herz krampfte sich zusammen, und er fühlte sich krank vor Sehnsucht und Verlangen nach ihrem biegsamen Körper.

Er sah den Mädchen entgegen. Sie trugen leichte, frühlingshafte Kleider. Büstenhalter schienen in den letzten drei Jahren ganz aus der Mode gekommen zu sein. Ein junges Ding bemerkte sein Interesse, und er wich ihrem Blick aus, als hätte sie ihn bei etwas Verbotenem ertappt. Doch sie lächelte keck, als sie vorbeiging. Schalow sah ihr nach, und er wurde mit einem aufregenden Blick auf ihr straffes Hinterteil belohnt.

Langsam ging er zum Fröbelplatz zurück. Hier hatte er gewohnt, bevor er verhaftet wurde. Er sah zu den Fenstern im dritten Stock hinauf. Die Gardinen schienen noch dieselben zu sein, nur waren sie jetzt grau. Als er da oben wohnte, hatte Monika die Gardinen einmal für ihn gewaschen.

Monika, Monika.

Eine ganze Woche hatten sie zusammen in der Wohnung verbracht, während ihr Mann verreist gewesen war.

Ein paar Tage später kam der Schock der Verhaftung. Er hatte Monika nie wiedergesehen. Einmal hatte sein Anwalt einen Brief von ihr mitgebracht. Sie schrieb, sie werde ihn nie vergessen und sie wünschte, etwas für ihn tun zu können. Statt einer Unterschrift hatte sie ihre Lippen unter den Brief gedrückt.

Sie hatte nichts für ihn tun können. Sie konnte ihm kein Alibi geben, weil sie um die fragliche Zeit nicht zusammen gewesen waren. Ihr Mann war seit zwei Tagen wieder zu Hause gewesen, und sie musste die treue und fürsorgliche Ehefrau spielen. Und die liebende Gattin.

O Gott!

Er setzte sich auf eine Bank.

Ob Gerd wusste, wo sie jetzt war?

Er musste sich unbedingt bei Gerd melden. Eigentlich hatte er ihn gestern schon anrufen wollen, aber da hatte er sich nach dem Gespräch mit seinem Vater so deprimiert gefühlt, dass er bald zu Bett gegangen war.

In der Telefonzelle am Fröbelplatz fand Schalow ein Telefonbuch, das ziemlich zerfleddert war, aber die Seiten mit den Namen, die mit W begannen, waren noch vorhanden und sogar lesbar.

Wissmeyer, Gerhard, Ing., Huhnsgasse.

Gerd war also umgezogen. Natürlich hatte er seine Studentenbude am Ubierring längst aufgegeben, aber er war der Gegend um den Barbarossaplatz und die Zülpicher Straße treu geblieben. Dort hatten sie sich immer wohl gefühlt. Gerd und er, Ernst Schalow. Und die Mädchen, die sie gekannt hatten. Sogar mit Monika war er durch die Studentenkneipen gezogen. Hier brauchte sie nicht zu fürchten, erkannt zu werden.

Schalow wählte die angegebene Nummer, aber niemand hob ab.

Er holte den Wagen und fuhr zum Ring. In Gerds Kneipe trank er zwei Kölsch, während er das Haus beobachtete, in dem Monika wohnte.

Aber er sah sie auch heute nicht.

Um zwei Uhr ging er in ein Kino. Schalow war immer ein Kinofan gewesen. Während der Haft hatte er die gewohnten Kinobesuche sehr vermisst. Er sah einen harten amerikanischen Film, in dem Charles Bronson einen Rächer spielte. Der Film gefiel Schalow, und für zwei Stunden vergaß er die Männer, die ihn verfolgten, und er vergaß sogar Monika.

Anschließend hatte er Hunger, und weil Gerd sich noch immer nicht meldete, als Schalow anrief, aß er etwas in einem griechischen Restaurant, das billig war und in dem es ihm ausgezeichnet schmeckte.

Als er dann kurz vor fünf erneut Gerds Nummer wählte, meldete sich der Freund sofort.

*


Beinahe vermisste er jetzt seine Beschatter, als er durch den dichten Verkehr zum Barbarossaplatz fuhr. Den Audi stellte er auf dem Parkdeck von Touring Sport ab, wie Gerd es ihm geraten hatte. Zu Fuß ging er über den Ring zur Huhnsgasse.

Das Haus, in dem Gerd jetzt wohnte, war neu und ziemlich schmal. Die Fenster reichten bis zum Boden. Vor dem unteren Drittel waren Eisengitter angebracht. Im Nachbarhaus gab es eine Stehbierkneipe. Die Tür stand offen, und Schalow konnte ein paar Männer an der Theke erkennen. Wie praktisch für Gerd, dachte er.

Die Haustür war nicht verschlossen. Schalow stieß sie auf und betrat den langen Flur. Die Treppe lag im Halbdunkel. Linker Hand befand sich die graulackierte Tür des Lifts. Auf der Anzeigetafel leuchtete das rote Licht. Schalow drückte den Rufknopf und wartete.

Die Haustür wurde erneut aufgestoßen, und ein Mann betrat den Flur. Schalow sah ihm ohne Interesse entgegen. Mechanisch registrierte er, dass der andere mittelgroß und dünn war. Er trug eine schäbige Jacke und ausgebeulte Hosen.

Der Mann baute sich neben Schalow auf und wippte auf den Fußballen. Das rote Licht auf der Anzeigetafel erlosch. Die Lifttüren schnarrten zur Seite. Die Kabine war leer. Schalow machte einen Schritt vor, als er einen heftigen Stoß in den Rücken bekam.

Er stolperte und krachte mit der Schulter gegen die Rückwand der Kabine. Der dünne Kerl kam hinter ihm her. Er hatte kleine Augen. Sein Mund war zu einem dünnen Strich zusammengepresst.

Schalow wirbelte herum. Seine geballten Fäuste kamen hoch.

Der Dünne reagierte gelassen. Er schlug Schalows Rechte herab und packte dessen linken Arm. Mit einem brutalen Ruck zwang er den Arm auf den Rücken und bog ihn nach oben.

Der Schmerz in der Schulter zwang Schalow in die Knie. Schweiß bedeckte seine Stirn. Der Kerl drückte auf irgendeinen Knopf, und der Lift schwebte nach oben.

Schalow kam wieder auf die Füße. »Was soll das?«, fauchte er. Das Gesicht des Dürren tanzte vor seinen Augen. Schalow war fast einsneunzig groß. Er überragte den anderen um Kopfeslänge, aber der schien dennoch nicht den geringsten Respekt vor ihm zu haben.

»Können Sie sich das nicht denken, Schalow?« Eine Bierfahne wehte in Schalows Nase. Der Lift stoppte. Der Dünne drückte die Eins. »Haben Sie die Knaben vom Verfassungsschutz abgehängt? Oder stehen die Jungs draußen?«

»Was wollen Sie?«, knirschte Schalow.

Schon wieder wurde er herumgestoßen.

»Nicht so hastig, Freundchen. Ihr Freund da oben kann warten. Er hat lange genug auf Sie gewartet.«

»Lassen Sie meinen Freund aus dem Spiel, wenn Sie was von mir wollen!«

»Hat er das Geld für Sie verwahrt?«

Der Lift hielt im ersten Stock. Der Fremde drückte wieder einen der oberen Knöpfe.

»Welches Geld?«

Der Dünne hieb Schalow eine harte Faust in den Magen. Der Schlag kam ohne jeden Ansatz. Schalow krümmte sich zusammen. Er bekam keine Luft mehr. Keuchend und nach Atem ringend lehnte er an der Kabinenwand.

Das Gesicht des gemeinen Schlägers blähte sich auf, es wurde rot, die blassen Augen bohrten sich mitleidlos in Schalows Augen.

»Zweihundertsiebenundneunzigtausend. So viel betrug die Beute, die ihr erwischt habt. Einhunderttausend waren Tausender-Scheine. Von denen ist bisher kein einziger aufgetaucht. Die Scheine waren euch zu heiß, weil ihr einen umgelegt habt. Ich will die hundert großen Scheine, Schalow, und Sie werden sie mir besorgen.« Die Stimme klang kehlig, das Lächeln auf den dünnen Lippen war grausam und gefühllos.

Schalow schüttelte hilflos den Kopf. In seinen Eingeweiden loderte ein Feuer. »Wer sind Sie?«, fragte er dumpf. Er musste Zeit gewinnen.

»Oh, habe ich mich nicht vorgestellt? Verzeihung. Ich heiße Kucharz. Klaus Kucharz. Ich bin so etwas wie Privatdetektiv.« Der Kerl grinste verschlagen. »Leider habe ich gerade keine Besuchskarte bei mir, aber ich stehe im Telefonbuch. Mit den großen Scheinen könnt ihr gar nichts anfangen. Ich bekomme zehn Prozent Finderlohn von der Versicherung. Vielleicht gebe ich Ihnen sogar einen Tausender ab, das kommt ganz darauf an, wie schnell wir uns einig werden. Und wie viel Arbeit ich noch mit Ihnen habe.«

»Ich habe das Geld nicht«, sagte Schalow leise. Er hatte die Lider halb über die Augen fallen lassen, um seinen Hass und seinen Zorn nicht zu zeigen.

Er beobachtete die Hände des angeblichen Privatdetektivs. Noch einmal würde er sich nicht schlagen lassen.

Die Fahrt ging wieder abwärts. Schalows Gedanken rasten. Der Kerl war einer der Leichenfledderer, vor denen sein Anwalt ihn gewarnt hatte. Kucharz hatte über irgendeinen Kanal gehört, dass er, Schalow, entlassen werden sollte.

Vermutlich war er schon früher in die Sache eingestiegen. Vielleicht hatte er bereits den Prozess verfolgt. Daher wusste er auch von Gerd Wissmeyer. Der Rest war einfach. Kucharz brauchte von da an nur noch in der Kneipe nebenan zu warten, bis der angebliche Bankräuber auftauchte. Genauer gesagt, der Mann, der die Gangster gefahren haben sollte. Mit dem schnellen, hochgetrimmten BMW 2002 ti.

»Schalow, das glauben Ihnen nicht einmal die Heinis vom Verfassungsschutz, und das sind ganz ausgebuffte Jungs ...«

Das war eine Ansicht, die Schalow in keiner Weise teilte.

»Und auch mir, Klaus Kucharz, können Sie das nicht auf die Nase binden. Mich werden Sie nicht wieder los. Eines Tages werden Sie vernünftig, Schalow. Sie werden einsehen, dass Sie mit den Tausendern doch nichts anfangen können. Dann werden Sie sie mir geben.« Kucharz hob die Hand, um die Kabine wieder nach oben zu schicken.

Schalow kam ihm zuvor. Er packte die Hand und presste das Gelenk zusammen. Kucharz' Gesicht verzerrte sich. Er wollte Schalow sein Knie zwischen die Beine stoßen, aber Schalow drehte sich ab, und der Stoß ging daneben.

In diesem Moment fuhren die Türen auseinander. Im Flur warteten zwei Frauen. Schalow ließ die Hand des anderen los.

Kucharz grinste böse. »Rufen Sie mich an«, sagte er, dann verließ er den Lift.

*


Gerd riss die Tür auf, als Schalow klingelte.

Er machte ein betroffenes Gesicht, als er den verstörten Ausdruck in Schalows Augen bemerkte.

»Komm rein, Enno!«, sagte er herzlich.

Enno.

Sein alter Spitzname gehörte in eine andere Zeit.

Gerd nahm Schalows Hand, drückte sie. Dann legte er dem Freund einen Arm um die Schultern. Er zog ihn in die Wohnung und schloss die Tür.

»Was ist denn los? Mann, Enno, ich freue mich, dass du wieder draußen bist! Aber irgendetwas stimmt doch nicht!«

»Da war einer, der hat mir aufgelauert. Hier unten im Haus.«

»Verfassungsschutz? Das war doch zu erwarten.«

Schalow schüttelte den Kopf. »Nein. Einer, der einen Anteil von der Beute haben will. Hunderttausend.«

»Der ist ja verrückt!«, stieß Gerd hervor.

»Vielleicht. Aber ganz bestimmt ist er brutal. Ich hätte nicht herkommen dürfen.«

»Red keinen Unsinn!«, sagte Gerd scharf. »Soll ich die Polizei anrufen?«

»Was willst du denen erzählen? Der Kerl hat mir sogar seinen Namen genannt. Er steht im Telefonbuch! Ich bin überzeugt, er will die Tausender tatsächlich abgeben und zehn Prozent kassieren. Als Finderlohn oder was weiß ich.«

»Komm erst mal rein, Enno. Komm.« Gerd schob ihn in den Wohnraum.

Gerds Zwei-Zimmer-Apartment lag unter dem Dach. Die drei französischen Fenster gingen auf einen schmalen Dachgarten hinaus. Der Wohnraum war sehr individuell eingerichtet. Und sehr männlich. Offene Regale aus einfachem Kiefernholz, Felle an den Wänden, ein paar Poster. Riesige Lautsprecherboxen standen in den Ecken. Der Hi-Fi-Turm mit einer verwirrenden Anzahl von Schaltern und Instrumenten stand mitten im Raum. Auf dem Boden stapelten sich Zeitschriften.

»Setz dich erst mal. Willst du was trinken? Oder essen?«

»Ich habe gerade gegessen. Aber ein Bier trinke ich.«

Gerd holte zwei Flaschen aus der kleinen Küche. Die Gläser standen bereits auf dem Beistelltisch. Die Sessel waren mit grobem hellem Leinen bezogen und sehr bequem. Schalow seufzte, als er in einem versank.

»Zum Wohl, Enno! Und herzlich willkommen!« Gerd hob sein Glas.

Sie tranken einander zu, lächelten, schwiegen. Sie kannten sich so gut, dass es keiner geschwätzigen Konversation bedurfte, um die vergangenen Jahre zu überbrücken.

Gerd sah gut aus. Er war schlank geblieben. Seine Gesichtszüge hatten sich verändert, waren markanter geworden. Die schmale Nase wirkte kühn wie das vorspringende Kinn. Nur das blonde Haar war dünner, als er es in Erinnerung hatte. Die Wangenknochen spannten die Haut des Gesichts.

»Wann bist du rausgekommen?«, fragte Gerd nach dem zweiten Glas.

»Gestern.«

»Ich hätte dich gern abgeholt.«

»Ich weiß.«

»Wo hast du geschlafen?«

»Zu Hause«, antwortete Ernst knapper, als er es beabsichtigt hatte.

»Du kannst hier schlafen. Fühl dich wie zu Hause, auch wenn es etwas eng werden sollte. Das meine ich so, wie ich es sage.«

»Ich weiß, Gerd, danke. Aber ich werde zunächst wieder auf Weilersdorf arbeiten, bis ich einen Job als Ingenieur in Köln finde. Da ist es schon besser, wenn ich so lange in Huckerath wohne. Vielleicht nehme ich mir auch ein Zimmer in Oberaußem oder Bergheim.«

»Mein Angebot gilt auch für später.«

»Klar. Wie geht es Beate?«

Gerd lächelte. »Du kannst sie nachher selbst fragen. Es geht ihr gut, das hoffe ich jedenfalls. Ich tue, was ich kann. Wir sind immer noch zusammen. Und wir werden es wohl auch bleiben.«

»Warum heiratet ihr nicht?«

Gerd verzog das Gesicht. »Beate will nicht. Sie hat da ihre eigenen Ansichten, wie du sicher weißt.«

Ja, die kannte er. Ein halbes Jahr war er mit Beate gegangen. Zuerst hatte ihn ihre spröde, selbstbewusste Art ungemein angezogen, und er war überzeugt gewesen, dass er sie liebte. Doch dann hatte es irgendwann einen Bruch gegeben. Er konnte nicht sagen, wann er ihn bemerkt hatte, aber der Bruch war da gewesen, und beide hatten gespürt, dass etwas nicht stimmte, dass sie nicht auf derselben Wellenlänge funkten. So waren sie auseinandergegangen. Ohne Bitterkeit oder Groll.

Sie hatten sich in der anschließenden Zeit sogar oft gesehen. Im Podium oder in der Filmdose, manchmal auch bei gemeinsamen Freunden. Natürlich hatten Gerd und Beate sich gekannt, aber zuerst hatte nichts darauf hingedeutet, dass die beiden füreinander bestimmt sein könnten. Dann war Ernst Schalow auf seinen Zwölf-Monats-Trip gegangen, und als er nach Köln zurückkam, waren die beiden ein Paar gewesen. Das ideale Paar, wie es schien. Gerd hatte nur lakonisch erklärt, es habe sich eben so ergeben. Jetzt hielt die Verbindung also schon an die vier Jahre.

»Beate ist jetzt an der Realschule in Niehl«, sagte Gerd. »Im Herbst macht sie ihr Zweites Staatsexamen.«

Ernst lächelte. Beate war zäh. Sie schaffte alles, was sie wollte. Ernst nahm eine Zigarette und zündete sie an.

Gerd erzählte von seiner Arbeit.

Er arbeitete in einem Ingenieurbüro. »Wir sind vier Mann. Ich bin der Junior. Wir verkaufen elektronische Durchflussmessgeräte und Regler. Die Arbeit ist sehr interessant, in jeder Hinsicht. Ich bekomme außer dem Fixgehalt eine Provision. Ich entwickle vollkommen selbständig Problemlösungen für meine Kunden, und wenn es zum Abschluss kommt, bekomme ich einen Provisionsanteil für die Geräte, die der Kunde kauft. In ein paar Jahren mache ich mich vielleicht selbständig.« Gerd lächelte. »Ich kenne eine Menge Leute«, sagte er dann vorsichtig. »Soll ich mich mal umhören?«

Ernst hob die Schultern. Seine Miene verdüsterte sich. Er dachte an den kleinen Dicken und an den gemeinen Schweinehund, der einen Packen Tausendmarkscheine von ihm haben wollte.

»Ich weiß noch nicht, was ich machen soll. Ich hänge in der Luft.« Warum fragt er nicht nach Monika?

Gerd stand auf. »Ich ziehe mir eben etwas anderes an, dann gehen wir rüber ins Tinnef. Einverstanden? Beate kommt auch hin.«

»Ich will euch nicht stören ...«

»Enno! Red keinen Unsinn! Ich weiß nicht, wie dir zumute ist, aber ich kann mir vorstellen, dass du dich scheußlich fühlst. Du glaubst vielleicht, du gehörst nicht mehr dazu. Zur Szene, zu unserer Clique.«

»In drei Jahren verändert sich manches.«

»Ja, eine Menge. Du hast dich verändert, ich habe mich verändert. Wir sind alle nicht mehr die Alten. Die unbeschwerte Zeit ist auch für mich vorbei. Und für Beate. Aber zwischen uns beiden, Enno, hat sich doch nichts geändert.«

Schalow sah vor sich hin. Monika, dachte er.

Warum konnte er nicht einfach zu ihr gehen und sagen, hier bin ich wieder.

Gerd stand in der Tür zum Schlafraum. Er hatte sein Hemd ausgezogen.

»Ich will es mal ganz hart ausdrücken, Enno«, sagte er. »Es liegt an dir.«

Ja, es lag an ihm. Es stimmte in diesem Fall sogar. Er durfte nicht zu empfindlich sein. Davor hatte ihn der Anstaltspsychologe schon gewarnt.

»Okay«, sagte Schalow und lächelte schwach.

Gerd grinste.

Die Stimme der Rache: 4 besondere Krimis

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