Читать книгу Die Stimme der Rache: 4 besondere Krimis - Alfred Bekker - Страница 18

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Er schuftete im Kesselhaus zusammen mit der Gruppe, und bald hatte er das Gefühl, als akzeptierten die Kollegen ihn bereits.

Die Arbeit gefiel ihm. Sie half ihm, seine Probleme zu verdrängen, und sie bekam ihm auch körperlich.

Nach Feierabend fuhr er gleich nach Bergheim. Er hatte alles Geld und auch sein Sparbuch bei sich. Er stellte das Rad vor der Kreissparkasse ab.

Der Granada stand auf der anderen Straßenseite.

Schalow zuckte zusammen. Woher wusste Hartmann, dass er zur Sparkasse wollte?

Er ging hinein und zahlte die Miete für das Apartment in bar auf das Konto des Eigentümers ein. Dann fuhr er nach Zieverich, um sich den Schlüssel abzuholen.

Er hatte Heinz Hilgers von der Wohnung erzählt, und der Kollege hatte angeboten, ihm am Wochenende beim Umzug zu helfen. Heinz kannte jemand, der einen Pritschenwagen besaß. Den Wagen konnte er bekommen. Mit einem Kasten Bier sei alles geritzt.

Schalow klingelte an der Tür des Verwalters. Der Mann öffnete und starrte ihn unsicher an. Schalow hielt ihm die Quittung hin.

Der Verwalter schob die Hände in die Taschen. »Sie hätten mir sagen müssen, dass Sie ... aus dem Gefängnis kommen«, sagte er.

Schalow stand starr. In seinem Kopf breitete sich eine Leere aus.

Hartmann!

Die Drohung hatte Gestalt angenommen. Hartmann wollte ihm zeigen, an welchem Ende des Hebels er saß. Dieser gottverdammte Halunke!

»Warum hätte ich es sagen müssen? Wo steht das?«

»Der Eigentümer ...«

»Der Eigentümer ist eine anonyme Gesellschaft, der es scheißegal ist, wer in dieser Bruchbude wohnt! Sehen Sie doch in Ihren beschissenen Mietvertrag! Steht da irgendetwas davon drin, dass ich ein Führungszeugnis vorlegen muss?«

Schalows Stimme schallte laut durchs Treppenhaus. Irgendwo wurde eine Tür geöffnet. Er presste die Fingernägel in die Handflächen.

»Hören Sie mir zu, ja? Das war nicht meine Entscheidung. Der Eigentümer hat da ganz bestimmte Ansichten, Herr Schalow. Tut mir leid.«

Man sah dem Kerl an, wie leid es ihm tat. Schalow hielt den Mietvertrag in der Hand.

»Den haben Sie unterschrieben. Im Auftrag oder im Namen des Eigentümers.« Schalow keuchte. Die Wut nahm ihm den Atem. Der Verwalter wand sich.

»Ich werde dafür sorgen, dass Ihnen das Geld sofort rücküberwiesen wird. Oder warten Sie, wenn Sie wollen, zahle ich es Ihnen in bar.«

»Tun Sie das!«

Der Verwalter schloss die Tür. Als er zurückkam, hielt er das Geld abgezählt in der Hand. Er nahm die Quittung und streckte die Hand nach dem Mietvertrag aus.

Schalow grinste böse. »Den bekommen Sie nicht, Mann. Dafür wird sich das Amt des Bewährungshelfers interessieren.«

*


Vom nächsten Postamt aus rief er in Hürth an.

»Hier ist Schalow«, sagte er, als Velten sich meldete.

»Wer ist da? Ach ja, Herr Schalow. Wie schmeckt die Arbeit?«

»Gut. Ich will, dass Sie etwas für mich tun ...«

»Hören Sie, Herr Schalow, ich habe jetzt keine Zeit ...«

Schalow knirschte mit den Zähnen. Vermutlich hatte Velten Feierabend.

»Rufen Sie mich am besten morgen gegen elf noch mal an, ja?«

»Ich will jetzt mit Ihnen sprechen! Jetzt! Und wenn Sie auflegen, Herr Velten, nehme ich einen dicken Stein und schmeiße ihn gegen die Windschutzscheibe eines ganz bestimmten Wagens.«

»Machen Sie keinen Unsinn!«

»Wollen Sie mir zuhören?«

»Wenn Sie darauf bestehen, selbstverständlich.«

Schalow atmete auf. Er erzählte von Hartmann und von dessen Dazwischenfunken, als er sich die Wohnung mieten wollte.

»Warum wollen Sie nicht bei Ihren Eltern wohnen bleiben?«, erkundigte sich der Bewährungshelfer jovial.

»Ich will nicht. Darf ich mir eine eigene Wohnung nehmen oder nicht?«

»Natürlich können Sie Ihren Wohnsitz wechseln, wenn Sie wollen und Ihre Absicht vorher mit mir besprechen. Vorher, Herr Schalow, was Sie offenbar unterlassen haben.«

»Ich wollte erst am Wochenende einziehen. Ich hätte Sie auf jeden Fall angerufen.« Schon wieder wurde er in die Defensive gedrängt.

»Was wollen Sie also, Herr Schalow?«

»Ich will, dass Sie mir diesen Mann vom Hals schaffen. Oder es passiert ein Unglück. Ich kann nicht mit einem ständigen Verfolger im Nacken herumlaufen. Der Kerl lauert mir des Nachts vorm Haus meiner Eltern auf, er belästigt meinen Vater während der Arbeitszeit an seinem Arbeitplatz ...«

»Herr Schalow, ich fürchte, da kann ich wenig tun. Da müssen Sie sich bei der zuständigen Behörde beschweren.«

»Sie sind mein Bewährungshelfer! Sie müssen mir auch helfen, wenn ich Schwierigkeiten mit irgendwelchen anderen Behörden bekomme!«

»Ich weiß wirklich nicht, was ich da tun kann. So ein Fall ist mir noch nicht untergekommen. Haben Sie etwas Geduld. In der nächsten Woche spreche ich mal mit jemandem vom Justizvollzugsamt darüber. Irgendwann müssen die die Beschattung aufgeben, bestimmt. Nehmen Sie sich so lange zusammen, Herr Schalow.«

»Ach, Sie können mich mal!«, schrie Schalow und knallte den Hörer auf die Gabel. Sofort nahm er ihn wieder auf und rief seinen Anwalt an.

»Hier ist Schalow, Herr Jacobsen.«

»Ah, Herr Schalow! Sie sind doch schon seit ein paar Tagen draußen. Warum haben Sie sich nicht eher gemeldet?«

»Ach ich hatte keine Gelegenheit. Ich arbeite schon.«

»Das freut mich für Sie.« Jacobsen schwieg einen Moment, dann sagte er: »Wenn ich noch irgendetwas für Sie tun kann ...«

»Der Verfassungsschutz ist hinter mir her«, stieß Schalow hervor. »Der Kerl nennt sich Hartmann. Können Sie dafür sorgen, dass man ihn zurückpfeift?« Schalow berichtete kurz, was ihm seit seiner Entlassung durch Hartmann widerfahren war.

»Ich will sehen, was ich machen kann«, sagte Jacobsen ruhig. »Aber Sie dürfen keine Wunder erwarten. Die Überwachung ist legal, dagegen können wir kaum etwas machen, aber gegen die Methoden können wir uns wehren. Wobei es wahrscheinlich schwer sein wird, dem Beamten Verstöße nachzuweisen.«

»Verdammt! Der Kerl belästigt meinen Vater an seiner Arbeitsstelle! Dafür gibt es Zeugen! Er vermasselt mir die Tour, wenn ich eine Wohnung miete ...«

»Beruhigen Sie sich, Herr Schalow, mit Gewalt können wir gar nichts machen. Dann igeln die sich ein und tun so, als wüssten sie überhaupt nicht, worüber wir sprechen. Haben Sie etwas Geduld, ja?«

»Ja.«

»Darf ich die Kerle abschütteln, wenn sie hinter mir herfahren?«

Der Anwalt zögerte.

»Ich sagte Ihnen schon, dass die Überwachung legal ist. Aber weil gegen Sie kein Ermittlungsverfahren läuft, können Sie sich der Überwachung natürlich entziehen. Sofern Sie sich dabei keiner illegalen Methoden bedienen.«

»Das wollte ich nur wissen«, sagte Schalow und trennte das Gespräch. Er rief kurz zu Hause an und sagte seiner Mutter, dass er die nächsten Tage doch noch zu Hause schlafen werde. Sie freute sich. Ohne Grund, wie Schalow meinte.

*


Der Granada folgte ihm unentwegt. Durch Bergheim, am Bahnhof vorbei, dann durch Kenten. Der Wagen fuhr sehr langsam und hielt sich scharf rechts, um den übrigen Verkehr nicht über Gebühr zu behindern.

An einer günstigen Stelle sprang Schalow urplötzlich vom Rad. Mario nahm den Fuß vom Gas, ohne zurückzuschalten. Der Wagen fuhr so langsam, dass er sofort zu rucken begann. Schalow warf das Rad auf die Fahrbahn. Es schlitterte gegen die Vorderräder des Granada. Mario rammte seinen Fuß auf die Bremse und würgte den Motor ab.

Schalow sprang auf die hintere Tür zu. Hartmann stieß sie von innen auf. Sie prallte gegen Schalows Bauch und Brust.

Hartmanns Augen starrten eisig. »Was sollen diese kindischen Mätzchen, Schalow?«, fragte er scharf. Er blieb sitzen. Die Wangen hingen schlaff herab. Ein frischer dunkler Kaffeefleck verunzierte die helle Krawatte.

»Wie kommen Sie dazu, mir die Tour mit der Wohnung zu vermasseln?«, fauchte Schalow.

Der kleine Mund in dem runden Gesicht zuckte spöttisch. »Ich habe Ihnen die Tour nicht vermasselt, Herr Schalow. Ich habe es lediglich für meine Pflicht als Staatsbürger gehalten, dem Geschäftsführer der Hauseigentumsgesellschaft mitzuteilen, wer sich da um eine Wohnung bemühte. Schließlich sind Sie vorbestraft, Herr Schalow, und es erscheint nicht ausgeschlossen, dass Sie beabsichtigen, den Kontakt zu Ihren alten Freunden wiederherzustellen.«

»Und dafür brauche ich eine konspirative Wohnung!« Schalow spürte, wie sein Hals anschwoll. Als er weitersprach, senkte er die Stimme zu einem heiseren Flüstern, weil auf der anderen Straßenseite ein paar Jugendliche standen und herüberspähten. »Ich frage mich, was Sie bezwecken, Hartmann. Verdammt, wie lange wollen Sie das Spiel noch treiben?«

»Ich will Ihnen ganz offen etwas gestehen, Herr Schalow. Sie denken vielleicht, es handelt sich nur um Schikane, wenn ich ...«

»Ja, verdammt, genau das denke ich!«

»Ich will gestehen«, fuhr Hartmann ruhig fort, »dass ich es ganz gern sehe, wenn Sie in Huckerath bei Ihren Eltern wohnen bleiben.« Er lächelte dünn, womit er Schalows Zorn nur neu anfachte.

»Ich habe meinen Bewährungshelfer und meinen Anwalt informiert. Der Bewährungshelfer ist ein Scheißer, aber mein Anwalt wird sich bei Ihrem Amt beschweren.«

Hartmann machte jetzt ein verkniffenes Gesicht. »Es liegt nur an Ihnen, Schalow. Ich lasse Sie in Ruhe, sowie Sie erkennen lassen, dass Sie mit mir zusammenzuarbeiten gewillt sind.«

Schalow klatschte seine Hand auf das Wagendach. »Kommen Sie mir nicht mehr zu nahe, Hartmann. Ich werde Sie von jetzt an abschütteln, wann immer es mir passt. Nur so aus Sport, verstehen Sie? Zu verbergen habe ich nichts.« Nur Monika, dachte er. Hartmann durfte sie auf keinen Fall zu Gesicht bekommen. Hartmann würde auch sie durchchecken bis zurück in die Kindergartenzeit. »Und wenn Sie meine Eltern nicht aus dem Spiel lassen ...« Schalow verstummte.

Hartmann beäugte ihn von unten herauf. »Ja, Herr Schalow?«, erkundigte er sich neugierig. »Was dann?«

Schalow sah auf Marios große Ohren. »Ach, verschwinden Sie endlich! Scheren Sie sich zum Teufel!« Er packte die Tür und schmetterte sie in den Rahmen.

Hartmann zuckte mit den Augen. Er kurbelte die Scheibe herab.

»Ich kann und werde nicht ständig hinter Ihnen sein, Schalow. Denken Sie daran.« Er hielt plötzlich eine kleine weiße Karte zwischen den Fingern. Die Finger waren kurz und rund und rosig, die Nägel schimmerten perlmuttfarben. »Nehmen Sie meine Karte. Prägen Sie sich die Telefonnummer ein. Vielleicht brauchen Sie mich eines Tages.«

Schalow nahm die Karte. Achtlos steckte er sie ein. Dann hob er sein Fahrrad auf.

*


Der Granada fuhr an ihm vorbei und verschwand in Richtung Horrem. Schalow spürte ein Hochgefühl wie nach einem Sieg, aber er ahnte, dass Hartmann nicht einfach deshalb abdrehte, weil er, Schalow, ihn zur Rede gestellt und mit seinem Anwalt gedroht hatte. Nein, so einfach konnte er nicht über die allgegenwärtige Staatsmacht triumphieren.

Natürlich konnte Hartmann ihn nicht Tag und Nacht beschatten. Dafür benötigte er mindestens drei, eher vier Teams, also acht Leute. Die hätte er nie bewilligt bekommen, um eine, wie er meinte, Randfigur der Anarcho-Szene zu überwachen.

Schalow hatte Hartmanns Taktik längst durchschaut. Der Mann vom Verfassungsschutz wollte ihn durch kleine und größere Nadelstiche zermürben. So lange, bis er gekrochen kam und Fakten und Namen nannte.

Schalow legte sich voll in die Pedale. Er begann zu schwitzen. Körperliche Bewegung hatte ihm auch in der JVA über manches hinweggeholfen. Aber jetzt, seit er draußen war, ließen sich die bohrenden Gedanken nicht verdrängen. In der JVA hatte er geglaubt, mit dem Ende der Strafe oder vom Zeitpunkt der Aussetzung an ein Ziel vor Augen zu haben, bei dem die Demütigungen aufhören würden.

Deprimierend war die Erkenntnis, dass es jetzt, wo er sich in Freiheit befand, keinen Zeitpunkt gab, auf der er seine Hoffnung setzen konnte. Er konnte Hartmann nicht entgegenkommen, selbst wenn er es gewollt hätte. Zumindest seine nähere Zukunft sah düster aus.

Dabei musste er sich neuerdings gegen ein Gefühl wehren, das ihm Verständnis für das Verhalten des kleinen Dicken abverlangte.

Der Mann tat nur das, was er für richtig hielt. Er hatte einen Job zu machen. Hartmann musste ihn, Ernst Schalow, an der Leine halten, wenn er Erfolg haben wollte. Und Erfolge wurden von Hartmann ganz bestimmt erwartet.

Schalow bog in die Straße nach Ahe ein und fuhr dann über den rissigen Beton einer freien Tankstelle. Die Tankstelle ist noch mehr heruntergekommen seit damals, dachte Schalow mitleidig. Er fuhr direkt in die Pflegehalle, wo ein gedrungener Mann in einem ölverschmierten Overall an einem uralten Mercedes herummurkste.

Der Mann im Overall blickte auf. Von seinem Gesicht war unter der dicken Schicht Schmiere kaum etwas zu erkennen, aber als es sich jetzt in die Breite zog und der Mund sich öffnete, musste Schalow unwillkürlich lachen.

»Du frisst noch mal deine eigene Wagenschmiere, Schorsch!«, rief er und stieg vom Rad.

»Yippeeh!«, schrie Schorsch Thelen. »Enno, bist du's wirklich? Haben Sie dich tatsächlich noch mal rausgelassen?«

*


»Du kannst diesen Volkswagen haben«, sagte Schorsch, nachdem sie eine Weile gequatscht hatten und Schalow gesagt hatte, weshalb er vorbeikam.

Schorsch betrieb die Tankstelle seit acht oder neun Jahren, aber er hatte noch nie mehr verdient, als er damals als Kraftfahrer bei einer Baufirma bekommen hatte. Schorsch war ein Lebenskünstler. Er schuftete zwar wie kaum ein anderer, aber er wollte sein eigener Herr sein. Obwohl ihm bewusst war, dass er mit der Tankstelle viel straffer an der Kette lag, als wenn er Angestellter geblieben wäre.

Natürlich handelte Schorsch auch mit gebrauchten Autos. Möglichst mit ganz alten, heruntergekommenen Kisten, die er aufmöbeln und dann mit Gewinn wieder losschlagen konnte. Meistens an die Türken, von denen eine ganze Menge im Ort wohnten. Schalow hatte ihm oft geholfen. Damals, als er noch in der Lehre war, und später, wenn er auf Urlaub vom Bund nach Hause kam.

Schalow ging um den sandfarbenen Käfer herum. Beide Stoßstangen waren eingedrückt, die Motorklappe wies ein paar hässliche Schrammen auf, und die Fahrertür schloss nicht richtig, weil die ganze linke Seite schwer verbeult war.

»Mit der Kiste ist wohl jemand Motocross in der Grube gefahren«, nörgelte Schalow. Er trat gegen ein Vorderrad.

»Ich habe die Kiste eben erst reinbekommen«, verteidigte sich Schorsch. »Noch keine Ahnung, was mit dem Wagen los ist. Aber ich kenne den Burschen, der ihn gefahren hat. Der arbeitet als Monteur für irgendeine Rohrleitungsfirma. Immer auf Montage. Der Junge hatte keine Zeit, sich entsprechend um den Wagen zu kümmern. Das habe ich hin und wieder getan. Der Junge will siebzehnhundert für den Schlitten. So, wie er dasteht. Wenn ich ihn in Ordnung bringe, kostet er Zweidrei. Mindestens. Aber du kannst ihn für siebzehnhundert haben.«

Der Preis gefiel Schalow. Er grunzte und kletterte auf den Fahrersitz. Die Polster waren hinüber. Er bewegte das Lenkrad und prüfte das Spiel der Pedale. Der Tacho stand auf knapp 30000, was bedeutete, dass der Wagen einhundertdreißigtausend Kilometer auf dem Buckel hatte. Oder sogar zweihundertdreißigtausend. Schalow hatte schon die unmöglichsten Dinge in dieser Hinsicht erlebt.

Er drehte den Zündschlüssel um. Der Motor kam sofort.

Ein gutes Zeichen. Er trat die Kupplung und schaltete die Gänge durch. Der zweite Gang hakte etwas, aber das war kein Problem, wenn man es wusste. Schalow stieg wieder aus. Den Motor ließ er im Leerlauf tuckern.

Genauer betrachtete er die Reifen, nachdem er an den Vorderrädern gezerrt hatte. Der linke war auf der Innenseite etwas stärker abgenutzt als der andere, was auf eine Unwucht schließen ließ. Es konnte aber auch am Stoßdämpfer liegen oder am Achsschenkel.

Auf jeden Fall alles Mängel, die er selbst in Ordnung bringen konnte.

»Die Kiste ist noch nicht abgemeldet?«, erkundigte sich Schalow.

»Nein, du könntest sogar die Nummernschilder behalten. TÜV ist erst in vier Monaten fällig.«

Schalow beugte sich in den Wagen. Bevor er den Motor abstellte, sah er auf die Benzinuhr. Der Tank war fast leer.

»Hast du eine Versicherungsdoppelkarte da?«

»Sicher. Komm mit in die Bude. Ich kann die Kiste morgen für dich anmelden, wenn du willst.«

Schalow gab dem alten Freund seinen Ausweis und eintausendsiebenhundert Mark. Dann unterschrieb er einen einfachen Kaufvertrag.

»Liegt die Zulassung im Wagen?«, erkundigte er sich.

»Ja, natürlich.«

Schalow legte noch einen Zwanziger auf den Geldpacken und ging einfach nach draußen. Er setzte sich wieder in den Wagen und fuhr vor die Tanksäule. Schorsch ließ für zwanzig Mark Benzin in den Tank laufen. Als er die Haube schloss, sagte er zu Schalow: »Du willst doch nicht sofort ...«

»Nur eine Probefahrt.« Er grinste. »Einmal Köln und zurück. Wenn du schon zu hast, lasse ich den Wagen vor der Halle stehen. Schlüssel und Zulassung lege ich unter den Sitz. Ich komme morgen um halb fünf. Pass in der Zwischenzeit auf mein Fahrrad auf.«

»Wenn du 'nen Unfall baust, verliert der Rohrfritze seinen Versicherungsrabatt!«

Schalow deutete auf die Beule in der vorderen Haube. »Du glaubst doch nicht im Ernst, dass der Junge 'nen Rabatt hat!« Er winkte und brauste davon.

Schalow fuhr gleich in die Kyffhäuserstraße, weil es schon ziemlich spät war und er Gerd doch nicht mehr in seiner Wohnung angetroffen hätte. Er brauchte lange, bis er einen Parkplatz fand, und als er endlich das Tinnef betrat, war es schon halb acht durch.

Er sah sich um. Beate löste sich aus einer Gruppe junger Leute und kam lächelnd auf ihn zu. Sie gab ihm die Hand, stellte sich auf die Zehenspitzen und hauchte einen Kuss auf seine Lippen. Schalow berührte ihre Schulter, und er fühlte die warme Haut unter dem dünnen Stoff der weißen Bluse.

»Was sagen deine Schüler, wenn du so vor ihnen stehst?« Er senkte die Augen und blickte auf die Stellen, an der sich die harten Brustspitzen in den Stoff bohrten und sich die Brüste sehr deutlich abhoben.

Beate lachte dunkel. »Ihnen gefällt's, glaube ich. Und mir gefällt es, wenn die Herren Kollegen Stielaugen bekommen und die Kolleginnen verkniffene Münder machen.«

Schalow lachte.

»Nein, Enno, im Ernst, zur Schule gehe ich nur in züchtigen Klamotten, wenn auch nicht in Sack und Asche.«

Sie stellten sich an die Theke. Gerd war noch nicht da. Sie unterhielten sich angeregt. Schalow entspannte sich erneut. Als er das nächste Mal auf die Uhr sah, runzelte er die Stirn. Er hatte nicht registriert, wie schnell die Zeit verflogen war.

»Es ist gleich halb neun«, sagte er.

Beate sah unwillkürlich zur Tür. »Komisch«, meinte sie. »Er hat heute Mittag noch angerufen und gesagt, dass er um die gewohnte Zeit ins Tinnef kommt. Na, vielleicht hatte er noch einen Termin bei einem Kunden außerhalb. Oder er ist im Büro auf gehalten worden.«

Schalow trank noch ein Bier. »Hat er Monika erwähnt?«, fragte er dann.

Beate lächelte und sah ihn an. In ihren Augen sprühten kleine Lichter. »Er sagte nur, er hätte eine Überraschung für dich. Mehr wollte er selbst mir nicht verraten.«

Die Unterhaltung wurde nicht wieder so lebhaft wie zuvor. Immer wieder blickte Beate zur Tür und auf die Uhr. Um Viertel nach neun stampfte sie mit dem Fuß auf.

»Er hat schon mal verschlafen, der Schuft«, sagte sie. »Mal sehen, ob er ans Telefon geht.«

Gerd ging nicht ans Telefon.

Beate wollte bezahlen, aber Schalow kam ihr zuvor.

»Ich geh mal rüber in seine Wohnung. Vielleicht hat er einen Zettel hinterlassen. Erreichen konnte er mich nicht, weil ich heute Nachmittag noch einmal in die Schule musste. Kommst du mit, Enno?«

»Und wenn er inzwischen hier aufkreuzt?«, gab Ernst zu bedenken.

Beate winkte einen dickbäuchigen jungen Mann heran. Der Junge hatte einen freundlichen Blick und trug einen herabhängenden Seehundbart.

»Toni, das ist Enno, gib ihm die Hand. Toni, wenn Gerd kommt, sag ihm, dass wir in seiner Wohnung auf ihn warten.«

Toni blinzelte. »Das wird er gern hören«, meinte er heiter.

»Klar. Je länger er wegbleibt, desto besser werden wir uns amüsieren.«

Schon im Lift suchte Beate den Schlüssel zu Gerds Wohnung aus ihrer Handtasche, und als sie dann auf die Tür zugingen, legte Beate einen Finger auf ihre Lippen. Ihre Augen funkelten.

»Wenn er schläft, soll er was erleben! Sei also leise!«

Sie steckte den Schlüssel ins Schloss, was nicht ganz ohne Geräusche abging. Dann knackte der Riegel. Beate drückte die Tür auf.

Die Diele war dunkel. Beate trat über die Schwelle.

Schalows Nackenhaare stellten sich jäh auf. Er witterte die Gefahr, und er wollte Beate eine Warnung zurufen oder sie zurückreißen, aber es war schon zu spät.

Aus dem Schatten hinter der Tür sauste etwas herab. Licht glitzerte im Glas einer Flasche, die wie eine Keule auf Beates Kopf zuflog.

Schalow versetzte Beate einen heftigen Stoß in den Rücken. Sie flog nach vom in die Diele hinein. Der brutale Hieb streifte nur ihren Rücken.

Schalow warf sich mit der Schulter gegen die Tür. Sie knallte gegen einen Widerstand. Er drückte mit aller Wucht nach und sprang dann in die Diele hinein.

Beate stolperte. Der Schirmständer, an dem sie ihren Fall aufzuhalten versuchte, kippte mit Getöse um.

Schalow wirbelte herum. Hinter der Tür sprang ein Schatten auf, flog gegen ihn. Schalow riss die Hände vor Brust und Gesicht. Er blockte einen Fausthieb ab. Die Flasche, die der Angreifer erneut wie eine Keule schwang, polterte zu Boden.

Durch die halb geöffnete Tür fiel ein Streifen helles Flurlicht in die Diele. Das Licht riss für einen Moment ein blasses Gesicht mit kleinen Augen aus der Dunkelheit. Schalow erkannte es sofort wieder.

Es gehörte Klaus Kucharz.

*


In Schalow zerriss etwas. Die Selbstbeherrschung, in drei Jahren zum eigenen Schutz mühsam aufrechterhalten, zerbröckelte innerhalb eines Sekundenbruchteils.

Er spürte Kucharz' Knie an seiner Hüfte, und er stieß den Ellbogen zur Seite. Er fühlte den Widerstand der Rippen. Gleichzeitig drehte er sich halb um. Kucharz' Gesicht war in den Schatten hinter der Tür zurückgetaucht. Undeutlich konnte Schalow die helle Fläche erkennen. Er schoss eine Faust ab.

Kucharz sah den Schlag kommen, und er duckte sich ab. Der eigene Schwung schleuderte Schalow gegen den Mann. Kucharz schlang die Arme um ihn und klammerte sich an ihm fest.

Schalow hatte nicht vergessen, wie rücksichtslos und brutal der Ganove vor zwei Tagen vorgegangen war, als er ihn im Lift überfallen und beinahe zusammengeschlagen hatte. Er war deshalb auf der Hut.

Aber der Kerl war quirlig wie ein Affe und zäh wie eine Katze. Er versuchte, sich an Schalow vorbei zur Tür zu drängen. Schalow packte die Türkante, riss sie zurück. Sie prallte an Kucharz' Kopf. Der Mann taumelte, dann duckte er sich und rammte Schalow den Schädel in den Magen. Als Schalow nach Luft schnappte und sich zusammenkrümmte, schlug ihm der Strolch die Zähne in die Hüfte.

Der Schmerz ließ Schalow explodieren. Blind schlug er zu. Seine Faust krachte in Kucharz' Nacken. Die Zähne lösten sich aus Schalows Fleisch, als Kucharz zusammenbrach.

»O mein Gott!«, stammelte Beate. Sie stand da, vom Flurlicht übergossen, die Augen weit aufgerissen. Aber sie war weit davon entfernt, die Nerven zu verlieren.

Als das automatische Flurlicht erlosch, schaltete sie das Licht in der Diele an und schloss die Wohnungstür. Schalow lehnte sich erschöpft gegen eine Wand. Seine Zähne klapperten aufeinander, und seine Knie fühlten sich weich an. Als Beate ihm einen besorgten Blick zuwarf, riss er sich zusammen. Er grinste zäh.

»Bist du in Ordnung?«, fragte er, ohne sie anzusehen.

»Ja, ja. Und du?«

»Es geht schon.« Er rieb die Stelle, wo Kucharz ihn gebissen hatte. In seinen Eingeweiden wühlte ein dumpfer Schmerz. Er machte einen zögernden Schritt auf den Ganoven zu, der sich stöhnend bewegte und mit einer Hand den getroffenen Nacken rieb. Jeden Augenblick konnte er den K.o.-Schlag überwunden haben.

Die Tür zum Wohnraum stand halb offen. Das Zimmer dahinter war dunkel.

Schalow konnte die Umrisse der hohen Fenster erkennen. Gerd, dachte er, und ein beklommenes Gefühl presste seine Brust zusammen. Wo steckte der Freund? Er musste ihn suchen. Aber er konnte Beate nicht mit Kucharz allein lassen, nicht einmal für eine Minute.

»Sieh dich mal schnell um«, sagte er gepresst.

Beate lief ins Wohnzimmer. Er hörte, wie sie überall die Lampen anschaltete. Dabei stieß sie kleine, zornige Schreie aus.

Schalow ließ sich neben Kucharz auf ein Knie nieder. Er drehte den Burschen herum. Die Augenlider flatterten, dann öffneten sie sich zu schmalen Schlitzen. Die Augen zuckten, aus dem Mund drang ein Stöhnen.

Schalow betrachtete das Gesicht. Unter einer Braue zeigte sich eine Schwellung, die Haut war aufgeplatzt. Auch die Unterlippe war geschwollen und eingerissen, die Wunde kaum verkrustet. Auf dem rechten Wangenknochen blühte eine blutunterlaufene Stelle.

Schalow wusste genau, dass er den Kerl nicht im Gesicht getroffen hatte.

Aber wer hatte ihn in die Mangel genommen?

Ihm fielen Gerds Worte ein.

Wenn ich ihm welche verpasse, dann richtig.

Gerd hatte seine Drohung wahr gemacht. Schalow war sich plötzlich ganz sicher.

Aber warum kam Gerd nicht nach Hause?

*


Beate kam aus dem Schlafzimmer. Ihre Augen waren weit geöffnet, das Gesicht wirkte blass und angespannt. »Gerd ist nicht hier«, sagte sie mit zornbebender Stimme. »Aber alles ist durchwühlt. Alles. Es sieht schrecklich aus. Enno, was will dieser Mann hier?«

Schalow antwortete nicht. Kucharz wollte sich aufrichten. Schalow stieß ihn grob zurück. Rasch leerte er sämtliche Taschen des Ganoven. Was er fand, warf er auf den Garderobentisch. Kurcharz wollte protestieren.

»Halten Sie den Mund!«, schrie Schalow ihn an. Seine Augen hatten einen gefährlichen Schimmer angenommen.

Schalow durchstöberte Kucharz' Tascheninhalt. Einen Schlagring und ein Messer mit feststehender Klinge schleuderte er unter die Kommode. Er betrachtete den Schlüsselbund, legte ihn zur Seite. An einem anderen Ring hingen mehrere Dietriche verschiedener Größen, ferner dünne Streifen aus elastischem Stahlblech und ein winziger verstellbarer Schlüssel.

»Er ist ein Profi«, sagte Schalow, als er sich die zerfledderte Brieftasche vornahm. Kucharz stemmte sich in die Höhe, und als Schalow nicht protestierte, stand er auf. Aus bösen Augen sah er in Schalows Richtung. Schalow gab sich unbeeindruckt. Er stellte sich so, dass der Einbrecher nicht ohne Weiteres an ihm vorbei und zur Tür hinaus entwischen konnte.

Schalow fingerte den Inhalt der Brieftasche durch. Knapp hundert Mark, mehrere Lottoscheine, der Mitgliedsausweis zu einem Zockerklub, ein Fantasiepapier mit einem neueren Foto von Kucharz, das in Plastik eingeschweißt war und auf dem SONDERAUSWEIS DETEKTIV stand. Kucharz machte Anstalten, ihm die Brieftasche und die Papiere zu entreißen, aber als Schalow den Kerl mit einem bösen Blick bedachte, nahm er die Hand schnell zurück.

Schalow faltete den Führerschein auf. Das Foto darauf hatte kaum noch Ähnlichkeit mit dem hageren Vogelgesicht. Kucharz war als junger Mann voller im Gesicht gewesen, und die Augen hatten noch nicht diesen gemeinen, verschlagenen Ausdruck gehabt. Aber der Name stimmte.

Klaus Helmut Kucharz. Er war jetzt siebenunddreißig Jahre alt. Als Adresse war eine Straße in Ehrenfeld angegeben, aber weil der Führerschein schon achtzehn Jahre alt war, stimmte die Anschrift bestimmt nicht mehr.

Schalow warf die Brieftasche auf die Kommode.

––––––––


»Was wollten Sie hier?«, fragte er, obwohl er die Antwort kannte. Kucharz, der Abstauber, der Leichenfledderer, suchte hundert Tausendmarkscheine. Vielleicht vermutete er sie hier in der Wohnung, vielleicht hoffte er, einen anderen Hinweis auf das Versteck der heißen Scheine zu bekommen.

Den Schlüssel zu einem Bankschließfach beispielsweise.

Kucharz neigte den Kopf. Er grinste verschlagen. »Ich wollte auf Ihren Freund warten. Und weil die Tür offenstand, bin ich reingegangen. Ich war gerade drin, als Sie kamen. Einbrecher, dachte ich ...«

»Ist es sehr kalt? Oder weshalb tragen Sie sonst Handschuhe?« Er sah Beate an. »Ruf die Polizei an«, sagte er.

Kucharz leckte sich die Lippen. »Das würde ich an Ihrer Stelle nicht tun, Schalow«, sagte er schnell.

Beate blieb an der Tür stehen, unsicher sah sie Schalow an.

»Geh ans Telefon!«, sagte er schärfer als beabsichtigt. Aber er sah Kucharz an, und er fragte ihn: »Warum nicht?« Worauf er sich einen Narren schalt, weil er mit diesem Kriminellen zu diskutieren im Begriff war. Der Tatbestand des Einbruchs war erfüllt, mindestens doch der des Hausfriedensbruchs.

»Sie kommen gerade aus dem Knast, Schalow. Die Bullen werden sich zuerst für Sie interessieren.« Kucharz grinste. Seine Selbstsicherheit nahm zu.

Schalow sah in das zerschlagene Gesicht. Er war sicher, dass Gerd den Halunken so zugerichtet hatte.

Aber wo steckte Gerd jetzt?

Er konnte Beate sehen. Sie stand an dem Tischchen neben dem Regal und hielt den Telefonhörer in der Hand. Aber sie machte keine Anstalten zu wählen. Sie wartete noch auf sein endgültiges Zeichen. Sie spürte sein Zögern.

»Mir können die Bullen gar nichts«, behauptete Kucharz. »Na ja, Hausfriedensbruch. Aber wie stehen Sie da? Mein Name wird nicht in die Zeitungen kommen. Aber Ihrer, Schalow. Ganz bestimmt.«

Schalow nahm sich noch mal die Schlüssel vor, die er dem Ganoven abgenommen hatte. »Beate!«, rief er dann. »Komm mal her. Sieh dir mal die Schlüssel an.« Er wusste, dass er sich bereits auf dem Rückzug befand.

Beate kam in die Diele. Sie machte einen Bogen um Kucharz. Kucharz' Augen huschten zur Wohnungstür. Zu seinen Füßen lag immer noch die leere Mineralwasserflasche, die er Beate hatte auf den Kopf schmettern wollen. Schalow beförderte sie mit einem Fußtritt unter die Kommode.

Beate schüttelte den Kopf. »Ich kenne die Schlüssel nicht.«

Also hatte Kucharz Gerds Schlüssel nicht bei sich. Schalow nahm die Schlüssel wieder an sich. Er sah sie durch. Ein Autoschlüssel mit dem Markenzeichen von Simca war dabei, mehrere Sicherheitsschlüssel, die vermutlich zu Kucharz' Haus und Wohnungstür und eventuell zur Garage passten. Schalow überlegte, ob es Sinn hatte, den Spieß umzudrehen und sich in Kucharz' Wohnung umzusehen, aber er verwarf den Gedanken sofort wieder. Wenn er dabei erwischt wurde, verbrachte er schon das nächste Wochenende wieder im Knast.

»Dann kannst du jetzt die Polizei anrufen«, sagte er zu Beate.

»Hören Sie, Schalow, ich wollte mich doch nur umsehen! Das wissen Sie doch!«

Ausdruckslos sah Schalow in die fahlen Augen des anderen. »Wann haben Sie Herrn Wissmeyer getroffen? Und wo?«, forschte er.

Beate hielt den Atem an. Nachdenklich wanderte ihr Blick von Schalow zu dem kleinen dürren Ganoven.

Kucharz leckte sich die Lippen. »Wie kommen Sie darauf, dass ich ihn getroffen haben könnte?«

Schalow grinste. »Auf jeden Fall hat er Sie getroffen. Im Gesicht. Also raus mit der Sprache!«

»Lassen Sie mich dann laufen?«, Lauernd sah der Kerl Schalow an.

Schalow gab sich hart. Er presste die Lippen zusammen und schüttelte den Kopf.

Beate schaltete sich ein. Sie war jetzt deutlich beunruhigt, stärker als zuvor über das unerwartete Zusammentreffen mit einem Mann, den sie zunächst für einen normalen Einbrecher gehalten hatte.

»Enno! Wir können ihn doch immer noch anzeigen! Das soll Gerd entscheiden. Bitte!« Ihre Unterlippe zitterte.

Schalow tat so, als überlegte er seine Antwort sehr genau.

»Sie haben's gehört, Kucharz«, sagte er mürrisch. »Wo haben Sie Herrn Wissmeyer getroffen?«

»Geben Sie mir erst die Schlüssel und die Brieftasche zurück«, forderte Kucharz. Er streckte die behandschuhten Hände aus.

»Nein.« Schalows Beherrschung bekam neue Risse. Er machte sich jetzt Sorgen wegen Gerd. Wenn dieser Strolch Gerd etwas angetan hatte ... Schalow machte einen Schritt auf Kucharz zu. Der Ganove zog den Kopf zwischen die Schultern und riss die Fäuste hoch.

Doch er schien zu erkennen, dass er gegen den großen Mann keine Chance mehr hatte. Einmal hatte er Schalow durch seine brutale Entschlossenheit überrumpeln können, weil Schalow in den vergangenen Jahren gelernt hatte, dass er sich passiv verhalten musste, um nicht aufzufallen und nirgendwo anzuecken.

Kucharz grinste, ließ die Fäuste herabfallen und wich an die Wand zurück. »Regen Sie sich bloß nicht auf, Mann! Ich war heute 'ne Zeitlang hinter Ihrem Freund her. War eigentlich ziemlich langweilig ...«

»Aber warum?«, rief Beate fassungslos. »Was hat er ...«

Schalow berührte Beates Arm. »Es ist wegen mir«, sagte er. »Er glaubt, ich hätte noch hunderttausend Mark in Tausendern aus der Beute. Die will er haben. Er bildet sich ein, dass er dafür eine Prämie bekommt. Aber keine Versicherung gibt einem Lumpen wie dem da auch nur eine Büroklammer.«

»Reden Sie ruhig!«, giftete Kucharz. »Das Geld bekomme ich schon! Sie sind genau so 'n Gangster wie ...« Er verstummte.

»Ja, Kucharz? Wie wer?«

»Ach, mir fällt kein Name ein. Sie und Ihr sauberer Freund hängen jedenfalls mit drin. Jede Wette! Der hat den Zaster für Sie verwahrt! Das ist doch sonnenklar!«

»Kucharz!«, sagte Schalow mit vor Wut rauer Stimme. »Sagen Sie jetzt endlich, wo Sie mit Wissmeyer zusammengeraten sind!«

»Ich war hinter ihm her. Von heute Mittag an. Wollte mal sehen, was er so macht. Ich hab' ihn von seinem Büro aus verfolgt.«

»Um wie viel Uhr?«

»Das war so gegen zwei. Er hat in der Kneipe gegenüber gesessen, dann fuhr er über die Autobahn nach Düren und dann über die Dörfer. Auf dem Rückweg ...«

»Halt, halt, nicht so schnell! Wo war er genau?«

»Fragen Sie ihn doch selbst! Er hat Kunden besucht, nehme ich an. Er war bei 'ner Firma in Mechernich ...«

»Wir können ihn eben nicht selbst fragen, weil er nicht da ist. Also reden Sie schon!«

Beate sagte leise zu Schalow: »Er hat Kunden in der Eifel. Nicht viele. Einen in Mechernich, ein oder zwei in Euskirchen und Zülpich.«

Schalow nickte und sah Kucharz an.

»Er wird schon bald eintrudeln«, meinte der dürre Kerl. »Ich habe nur was an seinem Wagen gemacht.«

»Was haben Sie gemacht?«, fragte Schalow entgeistert. Sein Hals schwoll an, und er machte Anstalten, sich auf den Mann zu stürzen. Beate hielt ihn zurück.

Kucharz wand sich. »Dabei hat er mich ja erwischt. Das war auf der Rückfahrt. Er hat irgendwo angehalten. Um Kaffee zu trinken oder so, nehme ich an.«

»Wo war das?«

»Irgendwo bei Mechernich. Hinter Mechernich, ich habe den Namen von dem Kaff vergessen, durch das wir zuletzt gefahren sind. Der Wagen stand da so günstig auf dem Parkplatz, und ich dachte mir, wenn er später nach Hause kommt, habe ich Zeit, mich mal in Ruhe in seiner Wohnung umzusehen.«

»Großer Gott!«, murmelte Schalow. »Jetzt sagen Sie endlich, was Sie angestellt haben!«

*


Es war eine wilde Geschichte, mit der Kucharz herausrückte.

Er hatte sich auf dem Parkplatz an Gerds Wagen herangepirscht und unmittelbar neben dem weißen Peugeot geparkt.

Es gelang ihm, die Haube unbemerkt zu öffnen und die Steckverbindungen am Verteiler so zu beschädigen, dass der Fehler nicht allzu schnell gefunden werden konnte.

Als er die Motorhaube bereits wieder geschlossen hatte und gerade abfahren wollte, wurde er von Gerd überrascht.

Ohne zu zögern fiel Gerd über den Ganoven her. Er schlug ihn wortlos zusammen und setzte ihn halbtot in dessen Wagen. Kucharz war dann in Panik davongefahren.

Jetzt griff er erneut nach seiner Brieftasche.

»Warum ist Gerd noch nicht zurück?«, fragte Beate tonlos.

Kucharz grinste schief. »Vielleicht hat er den Wagen abschleppen lassen«, vermutete er.

»Die ganze Sache gefällt mir nicht«, murmelte Schalow. »Sie gefällt mir nicht, verdammt noch mal!«

»Was willst du tun?«

Schalow hatte den Gedanken an die Polizei noch immer nicht ganz verworfen. Aber was konnte er dort Vorbringen? Was sollte er sagen? Er hatte Kucharz in der Wohnung seines Freundes ertappt. Auf frischer Tat. Kucharz hatte sich unbefugterweise Zutritt verschafft. Aber die Polizei würde den Kerl nicht einmal eine Nacht in Haft behalten, solange der Wohnungsinhaber nicht selbst gegen den Einbrecher aussagte.

Und die Polizei würde ihn, Schalow, in die Mangel nehmen. Dabei hatte er mit dem Mann vom Verfassungsschutz schon genug Probleme.

Sie mussten auf Gerd warten.

Oder ihn suchen.

Das war die einzige Alternative.

»Ich will jetzt ganz genau wissen, wo das passiert ist«, sagte Schalow hart. »Vorher kommen Sie hier nicht raus. Wenn Sie es nicht mehr wissen, warten wir eben hier. So lange, bis Wissmeyer kommt. Der wird sich freuen.«

Vor Gerd hatte der Halunke noch mehr Angst als vor Schalow. Sein Erinnerungsvermögen kehrte zurück.

»Ein Café-Restaurant kurz hinter Mechernich, glaube ich. An der Straße nach Zülpich. Der Name, warten Sie ... irgendetwas mit Mühle ...«

»Veybacher Mühle«, sagte Beate.

»Ja, stimmt!«

Beate wandte sich Schalow zu. »Ich kenne das Restaurant. Wir waren im vorigen Jahr mehrmals dort. Wenn ich Ferien habe und wenn Gerd seine Kunden in Mechernich und Zülpich besucht, fahre ich manchmal mit.« Sie sah ihn an mit einem elenden Ausdruck in den klaren Augen, der Schalow ins Herz schnitt. »Lass ihn gehen. Er macht mich krank.«

Schalow warf dem Halunken die Brieftasche und die Schlüssel zu. Kucharz fing sie auf und verschwand fluchtartig. Schalow ging einmal durch die verwüstete Wohnung, während Beate in ihrer eigenen Wohnung anrief.

Gerd hatte natürlich auch einen Schlüssel für ihr Apartment, das in Weidenpesch draußen lag.

Aber Gerd war auch nicht in Weidenpesch. Weder Beate noch Schalow hatten damit gerechnet.

Die Stimme der Rache: 4 besondere Krimis

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