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Sie saßen da, aneinandergeklammert wie Kinder, die sich im Dunkeln fürchten.

Um sechs stieg Beate aus. Ohne sich umzusehen, betrat sie das Haus, in dem sie wohnte.

Schalow fuhr nach Huckerath. Er hielt eben an Schorsch Thelens Tankstelle an und kritzelte ein paar Worte auf einen Zettel, den er zusammen mit dem Kraftfahrzeugschein in den Briefkasten warf. Auf dem Zettel bat er den Freund, ihm den VW unbedingt noch heute anzumelden, er müsse den Wagen gleich behalten. Dann fuhr er zum Haus seiner Eltern.

Sein Vater war schon zur Schicht gegangen. Seine Mutter sah ihn groß an, fragte aber nichts. Wortlos stellte sie ihm das Frühstück zurecht. Er beeilte sich mit dem Rasieren und dem Umziehen, aber er kam doch etwas zu spät zur Arbeit. Es war zehn Minuten nach sieben, als er das Pförtnerhaus betrat und seine Stempelkarte suchte.

Die Karte steckte nicht im Kasten neben der Stechuhr,

Wütend klopfte er beim Pförtner, und der Mann in der blauen Uniform des Werkschutzes öffnete das kleine Fenster.

»Sie sind Ernst Schalow?«

»Ja. Kassiert ihr gleich die Stempelkarte, wenn man ein paar Minuten zu spät kommt? Das sind ja Methoden ...«

»Sie sollen sich in der Personalabteilung melden«, sagte der Uniformierte.

»Wegen zehn Minuten? Na gut, geben Sie mir die Karte.«

»Die Karte ist bei Herrn Siebert.« Der Pförtner schloss das Fenster und wandte sich ab.

»Setzen Sie sich.« Siebert sah müde aus.

»Hören Sie, ich ...«

»Setzen Sie sich bitte, Herr Schalow. Zigarette?«

Schalow schüttelte den Kopf. Er setzte sich auf die Kante des harten Holzstuhls und sah in das Gesicht des Personalleiters für gewerbliche Angestellte. Die Brillengläser funkelten. Siebert strich über das glattrasierte Kinn. Schalow ahnte, dass es um mehr ging als um die lumpige Verspätung. Seine Stempelkarte lag auf einem dünnen gelben Aktendeckel.

Sein Herz begann zu klopfen.

»Ich habe mir Gedanken gemacht über Sie, Herr Schalow«, begann Siebert. Er sah Schalow nicht an dabei. »Sie sind Ingenieur, und Sie sollten sich um eine Stellung als Ingenieur bemühen ...«

»Worauf wollen Sie hinaus?«, fragte Schalow ruhig.

»Wie gesagt, ich habe mir Gedanken gemacht, und ich meine, dass ich empfehlen werde, das Arbeitsverhältnis nicht über die Probezeit hinaus fortzusetzen. Es ist nicht, weil Sie vorbestraft sind ...«

Schalow stand abrupt auf. »Brechen Sie sich keinen ab. Machen Sie die Papiere fertig.« Er spürte ein Würgen im Hals. Er hatte sich eingebildet, mit Heinz Hilgers und den anderen zurechtzukommen, neue Freunde zu gewinnen, Respekt zu erwerben. Und auf diese Weise die Vergangenheit überwinden zu können.

»Ich werde nachher mit Herrn Velten telefonieren und ihm erklären, dass es nicht an Ihnen lag«, sagte Siebert.

»An wem liegt es denn?«

»Ihre Kollegen, wie gesagt ...«

»Hat sich jemand beschwert? Weil er nicht mit einem Knastbruder zusammenarbeiten will?«

»Nein, nein. Aber Sie sind Ingenieur und arbeiten hier als Elektriker. Das geht auf die Dauer nicht gut.«

»Reden Sie kein Blech. Ich könnte Ihnen auf Anhieb drei Namen nennen. Drei Ingenieure, von denen zwei als Meister arbeiten und einer als Regeltechniker.«

»Es kommt noch etwas hinzu.« Siebert spielte nervös mit einem Kugelschreiber. »Versuchen Sie doch, mich zu verstehen ... ich bin verantwortlich.«

»Ja, Herr Siebert, ich habe volles Verständnis. Ich habe Verständnis für jeden. Alle haben es ja so schwer.«

Sieberts Stirn überzog sich mit hektischen roten Flecken. Doch unwillkommen war ihm Schalows Sarkasmus nicht. Ganz kühl ließ er jetzt die Katze aus dem Sack.

»Weilersdorf wird in den nächsten Jahren von Braunkohle auf Atomkraft umgestellt, wie Sie vielleicht gehört haben, Herr Schalow. Wir arbeiten schon jetzt mit mehreren Atomkraftwerken im Verbund. Höheren Orts ist man der Ansicht, dass Sie ein Sicherheitsrisiko darstellen.«

Da war es wieder.

Ernst Schalow, der Terrorist.

Der Staatsfeind.

»Natürlich bekommen Sie den Lohn für volle zwei Wochen«, sagte Siebert. Er drückte auf einen Knopf der Sprechanlage. »Fräulein Weckwerth, füllen Sie die Anweisung für Herrn Schalow aus, wie wir es besprochen haben.«

»Sie wollten mir gar keine Chance geben, nicht wahr, Herr Siebert?«

»Bitte, Herr Schalow, ich tue nur meine Arbeit. Ich bin der Unternehmungsleitung gegenüber verantwortlich. Meine Position ist, weiß Gott, nicht einfach.«

Schalow lachte auf. Es klang bitter.

Als er zum Parkplatz ging, kam der braune Granada die Werkstraße herunter. Der Wagen fuhr neben ihm her. Schalow ging über den Parkplatz. Der Ford fuhr ein Stück weiter bis zur Einfahrt und schnitt ihm dann den Weg ab. Schalow schloss den Käfer auf. Der Granada stoppte vor der Parktasche, in der Schalows VW stand. Die hintere Scheibe fuhr herab.

»Hauen Sie ab!«, rief Schalow. »Sie Dreckskerl!«

»Sie sind ungerecht.« Hartmann deutete auf den Käfer. »Von welchem Schrottplatz haben Sie denn den geholt?« Er lachte.

»Wenn Sie denken, Sie kriegen mich klein, weil Sie mir jetzt auch noch den Job genommen haben, dann irren Sie sich, Hartmann!«

»Wenn Sie Geld brauchen, wenden Sie sich ruhig an mich. Ich meine, falls Ihre Freunde Ihnen nicht aushelfen.«

Schalow setzte sich in den VW und ließ den Motor an. Er legte den ersten Gang ein. Langsam rollte er an. Hartmann grinste ihn an. Er grinste nicht mehr, als die Stoßstange des VW die Seite des Granada schrammte. Es gab ein kratzendes Geräusch.

Schalow trat die Kupplung und öffnete das Fenster. »Oh, verzeihen Sie, Herr Hartmann. Die Rechnung für den Kratzer können Sie an meinen Bewährungshelfer schicken.«

»Setzen Sie zurück!«

Schalow stieß zurück. Hartmann kurbelte die Scheibe in die Höhe, und der Granada fuhr ab.

*


Er setzte den VW vorm Haus seiner Eltern auf den Gehweg. Seine Mutter arbeitete in der Küche.

»Du?«, fragte sie. »Du bist schon zurück?« Es war gerade halb neun. »Ist etwas passiert?«

»Nein. Sie haben mich nur rausgeschmissen.« Schade, dass die Kneipen noch nicht auf sind. Schalow hatte Lust, sich volllaufen zu lassen. Er rannte die Treppe ins Obergeschoss hinauf. Wahllos stopfte er ein paar Sachen in seinen Koffer. Als er wieder herunterkam, stand seine Mutter immer noch im Flur.

»Ernst, Junge«, sagte sie traurig. »Was soll denn nur werden?« Sie umarmte ihn, und er ließ es stumm und ohne sich zu bewegen über sich ergehen.

»Ich melde mich ab und zu«, sagte er. »Grüß Vater. Und sag ihm, es tut mir leid.«

»Ja, Junge. Ruf mal an.«

Er küsste sie flüchtig und wandte sich zur Tür.

»Ach, Ernst!«, rief sie. »Das hätte ich beinahe vergessen! Da hat jemand angerufen. So um halb acht.«

Schalow drehte sich um. »Wer?«

»Ich weiß es nicht, sie hat ihren Namen nicht gesagt.«

Sie!

Monika!

»Ich habe die Nummer aufgeschrieben.«

Schalow ließ den Koffer fallen. Er lief zum Telefon. Auf der Tafel standen die Zahlen. Er kannte sie. Es war nicht Monika, die angerufen hatte, sondern Beate.

Er wählte die Nummer. Beate hob sofort ab.

»Ja?«, fragte sie undeutlich.

»Ich bin's, Enno«, sagte er.

»Oh, Enno!« Sie schluchzte. »Enno, Gerd ... sie haben ihn gefunden ...«

»Beate!«

»Oh, Enno, er ist tot!«

Die Stimme der Rache: 4 besondere Krimis

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