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Die Bäume mit ihrem frischen Frühlingslaub bildeten einen hohen Tunnel im Licht der Scheinwerfer; sie wichen gelegentlich einem schlafenden Dorf oder einem einsam gelegenen Gehöft.

Der alte Volkswagen klapperte wie eine leere Blechbüchse, aber der Motor hörte sich gut an. Sie hatten Schalows >neuen< Käfer genommen, weil Beate ihren kleinen Flitzer zu Hause gelassen hatte. Gerd hätte sie nach Hause gefahren, wenn sie nicht bei ihm in der Huhnsgasse geschlafen hätte.

Sie hatten die neue Autobahn bis Euskirchen benutzt und fuhren jetzt über die Landstraße nach Veytal. Beate hockte auf der vorderen Kante des verschlissenen Beifahrersitzes. Sie hatte sich nicht angeschnallt. Nervös rauchte sie eine Zigarette nach der anderen.

Während der Fahrt hatte Schalow ihr alles erzählt, was sie noch nicht wusste. Von Kucharz und Hartmann.

»Ich hätte Gerd nicht mit hineinziehen dürfen«, sagte er immer wieder. Als Beate eine neue Zigarette aus der Packung schnippte, bat er: »Gib mir auch eine.«

»Du hast ihn ja nicht mit hineingezogen«, murmelte sie undeutlich, weil sie sich zwei Zigaretten zwischen die Lippen geklemmt hatte. Dann gab sie ihm eine brennende. »Dieser ... wie heißt er doch?«

»Kucharz.«

»Dieser Kucharz hätte Gerd so oder so aufs Korn genommen. Schließlich kannst du dir ja nicht vorwerfen, dass ihr Freunde seid. Es sei denn, du hättest vor sechs oder sieben Jahren, als ihr euch kennenlerntet, schon gewusst, dass man dich eines Tages so hereinlegt.«

»Wenn ich nicht bei Gerd aufgekreuzt wäre ...«

»Hör auf! Hör auf, dich selbst zu quälen!«, sagte Beate laut.

Der Wagen klapperte um eine Kurve. Ein Wegweiser leuchtete gelb auf.

»Da, da musst du nach Zülpich abbiegen, glaube ich«, sagte Beate. »Bei Nacht sieht alles so anders aus.«

Es ging auf Mitternacht zu. Hoffentlich treffen wir noch jemanden an in der Veybacher Mühle, dachte Schalow. Er trat das Gaspedal bis zum Bodenblech durch. Er spürte im Lenker, wie das Vorderrad schlackerte. Es war ihm egal, ob er sich den Reifen ruinierte. Die Tachonadel kam ohnehin nicht über die 110 hinaus. Schalow kam es wie das Tempo einer besonders lahmen Schnecke vor.

»Da!«, rief Beate aufgeregt. Sie deutete auf ein großes, hohes Schild, das seitlich der Straße auf einer Wiese stand..

VEYBACHER MÜHLE Café-Restaurant 1 000 Meter rechts - Gute Küche - Großer Parkplatz

Der Parkplatz war in der Tat recht groß. Hohe Hecken umgaben ihn von drei Seiten. Schalow wunderte sich nicht mehr, dass Kucharz sich unbemerkt an Gerds Wagen zu schaffen machen konnte.

Das langgestreckte Fachwerkgebäude der alten Mühle lag geduckt vor der dunklen Kulisse des Waldes. Die Fenster schimmerten fast schwarz. Die Beleuchtung über dem vorderen Eingang war längst ausgeschaltet worden, aber hinter den gewölbten Buntglasscheiben brannten noch ein paar Lampen.

Schalow wirbelte das Lenkrad herum. Der Volkswagen beschrieb einen Kreis. Die aufgeblendeten Scheinwerfer stießen in die dunkelsten Winkel des Parkplatzes.

Von Gerds weißem Peugeot war nichts zu sehen.

Er hielt neben dem Eingang an, stellte den Motor und die Scheinwerfer ab und stieg aus. Er half Beate beim Aussteigen. Die Luft war frisch und kühl. Irgendwo rauschte Wasser. Sie stiegen die wenigen Stufen zum Eingang hinauf. Schalow drückte die Klinke herab.

Die Tür war verschlossen.

Er klopfte. Nichts rührte sich. Eine Klingel gab es nicht. Er hämmerte gegen das dicke Holz. Ununterbrochen. Bis er eine laute, wütende Stimme hörte. Da hielt er inne.

»Sehen Sie denn nicht, dass wir geschlossen haben? Gehen Sie! Hier gibt es nichts mehr!«

»Es ist wichtig! Wir brauchen eine Auskunft!«

»Verschwinden Sie, oder ich rufe die Polizei!«

»Das können Sie ruhig tun!«, schrie Schalow.

Beate schob ihn zur Seite. »Bitte, hören Sie mir zu!«, rief sie. »Es ist wirklich wichtig. Wir suchen einen Gast, der heute hier war. Wir fürchten, dass ihm etwas zugestoßen sein könnte.«

Da wurde es zum ersten Mal ausgesprochen. Gedacht hatten sie es beide schon längst. Seit Kucharz zugegeben hatte, Gerd getroffen zu haben.

Riegel und Ketten klirrten, dann knirschte ein Schlüssel, und die Tür wurde geöffnet. Im Rahmen stand ein vierschrötiger Mann mit fleischigem Gesicht, der Schalow und Beate aus blutunterlaufenen Augen musterte. Eine ekelhafte Alkoholfahne schlug ihnen entgegen.

»Sie sind Herr Nölke, nicht wahr?«, fragte Beate freundlich. »Kennen Sie mich noch?«

»Ich weiß nicht.« Nölke hatte schwer einen zur Brust genommen. Sein rotkariertes Hemd stand bis zum Bauchnabel offen. Der weiße Bauch hing über dem Gürtel. Dichtes grauschwarzes Haar bedeckte die Brust. »Kommen Sie rein. Meine Frau schläft schon.«

Mit schweren, aber dennoch sicheren Schritten, die den geübten Trinker verrieten, ging er hinter die Theke. Dort standen eine offene Flasche Korn und ein halbvolles Wasserglas. Er setzte es an die Lippen und ließ eine gehörige Menge durch seine Kehle rinnen. »Wollen Sie auch was?«, fragte er.

»Nein, danke«, sagte Beate schnell. »Kennen Sie mich nicht mehr? Und den Herrn, mit dem ich ein paarmal hier war? Zuletzt in der Weihnachtszeit.«

Nölke legte die Stirn in Dackelfalten. Es funkte nicht. Beate seufzte.

»Er war heute Nachmittag hier. Das muss so gegen vier Uhr gewesen sein, vielleicht etwas später.« Unterwegs hatten Schalow und Beate die Zeit zu rekonstruieren versucht, weil sie vergessen hatten, Kucharz in dieser Hinsicht genauer auszuquetschen. »Auf dem Parkplatz muss es eine Schlägerei gegeben haben.«

»Davon weiß ich ja gar nichts«, behauptete der Inhaber der Veybacher Mühle mit schwerer Zunge, aber dafür auch glaubwürdig.

»Aber Herr Wissmeyer hatte einen Schaden an seinem Wagen. Das müssen Sie doch mitbekommen haben. Er hat vielleicht einen Abschleppwagen bestellt. Oder eine Werkstatt benachrichtigt.«

In die trüben Augen kam etwas Leben. »Ah, ja! Warten Sie! Er hat telefoniert! Und dann ist der Vollrath aus Mechernich rausgekommen. Er hat die Karre wieder hingekriegt. Stimmt.« Der Gastwirt rülpste laut, kratzte sich auf der Brust und kippte den Rest, der im Glas war, in sich hinein.

»Vollrath ist Automechaniker?«

»Kann man wohl sagen. Der Beste, den ich kenne.«

»Hat er eine eigene Werkstatt?«

»Eine Klitsche, wenn Sie mich fragen, aber an meinen Mercedes lasse ich keinen anderen ran. Nur Vollrath. Jawohl. Und das habe ich dem jungen Mann auch gesagt, und da hat er Vollrath angerufen, und der Vollrath ist auch bald rausgekommen ...«

»Kann ich ihn anrufen?«, unterbrach Schalow den trunkenen Redefluss.

Nölke stierte in Schalows Gesicht. »Der arme Kerl muss früh raus. Er war noch hier drin, nachdem er den Wagen da draußen ... um fünf muss er 'nen Traktor auf Dansers Hof reparieren. Das hat er erzählt. Verdammt früh ...«

»Herr Nölke, wir müssen ihn fragen, ob er etwas weiß!«, sagte Beate eindringlich. »Er hat den Mann offenbar als letzter gesehen. Herr Wissmeyer ist verschwunden.«

Nölke lachte. »Verschwunden! Gibt's doch gar nicht!«

Schalow schob sich einfach um die Theke herum. Das Telefonbuch lag neben dem Apparat. Während er die Nummer des Mechanikers heraussuchte, redete Beate weiter mit dem Wirt.

»Hat der Fahrer des Wagens mit der Panne außer mit Herrn Vollrath sonst noch telefoniert?«

»Nein, aber er hat's immer versucht. Da hat er gestanden und hat immerzu die Scheibe gedreht. War wohl niemand zu Hause.«

»Hast du gehört?«, fragte Beate Schalow. »Gerd hat versucht, mich zu erreichen und mir Bescheid zu sagen, dass er später kommt.«

»Ja.« Schalow strich die Nummer des Mechanikers an und nahm den Hörer ab. Bevor er jedoch den armen Kerl, wie Nölke ihn genannt hatte, um den schönsten Schlaf brachte, wählte er zuerst die Nummer von Gerds Wohnung.

Das Rufzeichen schrillte unablässig.

Niemand hob ab.

*


Vollraht schien das Telefon neben dem Bett stehen zu haben. Er war jedenfalls sofort am Apparat. Seine Stimme klang nicht sehr freundlich.

Schalow bat für die späte Störung um Entschuldigung und berief sich auf Nölke, was offenbar ein guter Einfall war, denn der gereizte Unterton verschwand sofort aus der Stimme des Mechanikers, als er sich nach Schalows Wünschen erkundigte.

»Es geht um den Wagen, den Sie heute Nachtmittag an der Veybacher Mühle repariert haben«, begann Schalow.

»Den weißen Peugeot, ja.«

»Den meine ich. Der Fahrer ist bis jetzt nicht zu Hause angekommen, dabei wollte er spätestens gegen halb acht in Köln sein, eigentlich sogar früher. Ich mache mir jetzt Sorgen. Hat er Ihnen gegenüber irgendetwas geäußert, was mir weiterhelfen konnte?«

»Er wollte nach Hause, das nehme ich jedenfalls an. Nach Köln. Er war nur fürchterlich aufgebracht, das kann man nicht anders sagen. Er schimpfte pausenlos auf einen Kerl namens Kuckuck oder so ähnlich ...«

»Kucharz.«

»Ja, richtig. Er hätte den Kerl zwar erwischt, sagte er, aber er hatte nicht gewusst, dass der ihm was am Verteiler kaputtgemacht hatte. Er wollte dem Kerl den Hals umdrehen. Ich hab's wieder in Ordnung gebracht, aber es hat 'ne Weile gedauert.«

»Wann ist er weitergefahren?«

»Tja, ich war so gegen sechs, Viertel nach sechs fertig. Da ist er gleich gefahren. Er wollte nach Köln, das hat er jedenfalls gesagt, und er ist auch auf die Straße nach Zülpich eingebogen.«

Schalow war ratlos. »Kann es sein«, fragte er dann, »dass dieser Kucharz noch eine Störung am Wagen verursacht hat, die Sie nicht gefunden haben?«

»Das kann ich natürlich nicht beurteilen«, sagte Vollrath zurückhaltend.

Blöde Frage, dachte Schalow. Wenn Kucharz etwas an der Bremsleitung gemacht hatte, beispielsweise, würde sich ein solcher Anschlag erst später auswirken. Dann, wenn der Peugeot plötzlich gegen einen anderen Wagen raste oder im Graben landete.

Schalow bedankte sich bei Vollrath und legte auf. Er wich Beates fragendem Blick aus.

»Nichts«, sagte er niedergeschlagen. Die Nummer des nächsten Polizeipostens stand auf einer Karte, die neben dem Telefon an der Wand befestigt war. Entschlossen wählte Schalow die Nummer.

Er nannte seinen Namen und sagte, wo er war, dann sagte er, er mache sich Sorgen um einen Freund aus Köln, der mit einem weißen Peugeot unterwegs gewesen sei und an der Veybacher Mühle einen Schaden gehabt habe. Bis jetzt sei er noch nicht zu Hause aufgetaucht und habe sich auch noch nicht dort gemeldet.

»Wissen Sie etwas von einem Unfall?«, erkundigte er sich dann. »Oder haben Sie irgendetwas von ihm gehört? Der Name ist Wissmeyer. Gerd Wissmeyer aus Köln. Der Wagen hat ein Kölner Kennzeichen.«

»Wir hatten heute keinen Unfall in unserem Bezirk, Herr Schalow«, sagte der Beamte zuvorkommend, »und ich will nicht sagen, es tut mir leid. Warten Sie, ich schaue gerade ins Wachbuch. Nein, auch hier keine Eintragung, die mit Ihrem Freund Zusammenhängen könnte. Wenn Sie es wünschen, notiere ich Ihre Anschrift oder Ihre Telefonnummer ...«

»Ja. Benachrichtigen Sie Beate Duven, Azeyer Straße 9 in Köln-Weidenpesch.« Er ließ sich von Beate die Telefonnummer geben und gab sie dem Beamten weiter. »Hören Sie noch? Herr Wissmeyer soll von hier aus nach Köln weitergefahren sein. Welches wäre die nächste zuständige Polizeidienststelle?«

»Das kommt darauf an, welchen Weg er gewählt hat. Sie können es in Euskirchen und Erftstadt versuchen. Ich kann Ihnen die Telefonnummern geben. Augenblick, ich suche sie gerade heraus. Aber ich kann Ihnen sagen, dass es auch dort keine Unfälle gegeben hat, keine schweren jedenfalls. Unsere Funkleitstellen arbeiten auf derselben Frequenz.«

Schalow schrieb die Nummern auf, dann bedankte er sich bei dem hilfsbereiten Beamten und rief die anderen Polizeidienststellen an.

Doch weder in Euskirchen noch in Erftstadt wusste man etwas von Gerd Wissmeyer.

Sie mussten nach Köln zurückkehren.

Gerd hatte Vollrath gegenüber angekündigt, er wolle Kucharz den Hals umdrehen. Schalow kannte seinen Freund gut genug, um zu wissen, dass diese Drohung vielleicht durchaus ernst gemeint gewesen war, dass er sie aber nie in die Tat umsetzen würde, und Beate bestätigte diese Ansicht.

Aber sie würden Kucharz aus dem Bett holen, um nichts zu versäumen.

*


Sie fanden Gerd nicht bei Kucharz, dessen Adresse sie tatsächlich im Telefonbuch entdeckten, er bewohnte eine heruntergekommene Wohnung in Deutz, zusammen mit einer grauhaarigen Schlampe, die seine Mutter hätte sein können, die er aber als seine Schwester vorstellte, was garantiert gelogen war. Sie fanden Gerd nicht in der Huhnsgasse und nicht in Weidenpesch in Beates Wohnung.

Schalow blieb draußen im Wagen sitzen, bis Beate wieder herauskam und sich neben ihn setzte. Sie rauchten eine Zigarette zusammen. Das Schweigen zwischen ihnen war schwer wie Blei.

»Ich habe die Kölner Polizei angerufen«, sagte sie schließlich. Sie wandte ihm ihr Gesicht zu. Es lag im Schatten, aber die Haut schimmerte weiß. Die Augen lagen tief und schillernd wie Ölflecke darin. »Sie haben da irgendeine Stelle, wo alles zusammenläuft. Nichts. Oh, Enno!« Sie lehnte sich kurz an ihn, doch bevor er seinen Arm um ihre Schultern legen konnte, zog sie sich wieder zurück. »Was sollen wir machen?«

»Weitersuchen«, sagte er rau.

»Wie spät ist es?«

Er bewegte das Handgelenk so, dass das Licht der Laterne an der Ecke auf das Zifferblatt fiel. »Halb vier.«

»Du musst nach Haus«, sagte Beate.

»Ich bleibe hier. Geh du ruhig rauf.«

»Nein! Du musst nach Haus! Wenn du nicht pünktlich zur Arbeit erscheinst, bekommt dein Bewährungshelfer sofort eine Benachrichtigung. Dann steht es schon eins zu null für die.«

»Und wenn schon«, meinte Schalow niedergeschlagen.

Ganz plötzlich warf sie sich an seine Brust und begann zu weinen.

Die Stimme der Rache: 4 besondere Krimis

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