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Ernst Schalow fuhr wieder nach Mechernich. Beate saß stumm neben ihm. Sie weinte nicht mehr. Ihre Gefühle waren erstorben.

Forstarbeiter hatten einen weißen Peugeot mit Kölner Kennzeichen im Wasser der Kiesgrube zwischen Irnich und Floisdorf, nur ein paar Kilometer abseits der Straße von Mechernich nach Zülpich, entdeckt und den Fund sofort der Polizei in Mechernich gemeldet. Der Beamte von der Morgenschicht hatte die Eintragung seines Kollegen im Wachbuch vorgefunden und Beate angerufen.

Schalow fand die Kiesgrube fast mühelos. Die abschüssige Zufahrt war von mehreren Fahrzeugen, darunter einem Leichenwagen und einem Kranwagen der Feuerwehr, verstopft. Langsam ließ Schalow den Volkswagen hinunterrollen. Als sie den Leichenwagen passierten, zuckte Beates Gesicht.

Der Peugeot stand mit geöffneten Türen und offener Kofferraumklappe am Rand des Wassers. Seine Reifen hatten tiefe Furchen in den feuchten Sand gegraben.

Ein Polizist wollte Schalow zurückhalten, aber als er hörte, dass Schalow ein Freund des verunglückten Fahrers war, durfte er passieren. Der Polizist ging neben dem Käfer her und winkte Schalow schließlich an eine Stelle, wo er parken konnte.

»Gehen Sie bitte dort hinüber«, sagte er und deutete mit dem Kopf auf die Männer, die auf einem trockenen Hügel standen, wo sie sich nicht die Schuhe beschmutzen konnten. Zwei der Männer trugen Zivil - Mäntel und Hüte -, der dritte war ein höherer Polizeioffizier.

Schalow nahm Beates Arm. Die Männer unterhielten sich gedämpft und verstummten, als Beate und Schalow zu ihnen traten.

Drei Augenpaare musterten zuerst Schalow und blieben dann auf Beate hängen. Einer der Zivilisten hatte silbergraue Locken, die unter dem schwarzen Velourshut hervorquollen und sich um die Ohren ringelten.

»Ich bin Oberstaatsanwalt Faßbender aus Euskirchen«, sagte der Silberhaarige, und flüchtig stellte er die beiden anderen Herren vor. »Dr. Schiffer, Polizeioberrat Franke. Sind Sie mit dem Verunglückten verwandt oder verschwägert?«

«Nein«, sagte Beate. »Nein ...«

»Nein«, sagte Schalow. »Fräulein Duven ist, war seine Verlobte, ich sein Freund. Ich heiße Schalow.«

Faßbender rieb die Hände aneinander. »Tja«, meinte er. »Wir können den Verunglückten gleich identifizieren, was meinen Sie?« Er winkte einen uniformierten Polizisten heran und ließ sich eine noch tropfnasse Brieftasche bringen. Schalow legte einen Arm um Beates Schultern und drückte sie fest an sich.

»Es ist seine Brieftasche. Ich habe sie ihm zu Weihnachten geschenkt.«

Leise sagte er in ihr Ohr: »Wenn du nicht willst ...«

»Doch!«, sagte sie heftig. »Ich will ihn sehen!«

Der Arzt, der Polizeioffizier und der Staatsanwalt gingen voraus. Jemand öffnete die hintere Tür. Schalow schluckte, als er die schäbige Blechwanne sah. Der Fahrer des Leichenwagens kletterte umständlich hinein. Als Faßbender ihm ein Zeichen gab, öffnete er den Deckel.

Beate und Schalow sahen in Gerds weißes Gesicht. Beate schluchzte trocken auf.

*


»Das war kein Unfall«, sagte Schalow, nachdem der Fahrer den Deckel wieder über den reglosen Körper geklappt hatte.

Faßbender blickte über Beates Kopf hinweg, als ein Abschleppwagen rückwärts die Zufahrt herunterkam. Er nickte einem Polizisten zu, dann sah er Schalow an.

»Was sagten Sie?«

»Das war kein Unfall«, wiederholte Schalow ruhig. Es kostete ihn unendlich viel Kraft, so ruhig zu bleiben. Viel lieber hätte er seinen Zorn und seinen Schmerz hinausgeschrien.

»Für einen Selbstmord gibt es im Moment noch keinen Anhaltspunkt, aber ich werde natürlich dafür sorgen, dass alle Umstände genau untersucht werden. Ich nehme an, dass der Verunglückte die Zufahrt benutzen wollte, um hier zu parken. Bei der Dunkelheit hat er aber nicht sehen können, dass der Weg abschüssig war und am Wasser endete. Unglücklicherweise war die Schranke nicht geschlossen, und auch das Warnschild ist unleserlich. Dafür wird sich der Besitzer der Grube zu verantworten haben. Der Wagen ist also ins Wasser gerollt. Vielleicht war der Fahrer müde, vielleicht hatte er Alkohol zu sich genommen, wahrscheinlich hat ihn der Schock des kalten Wassers schon getötet. Die Obduktion wird ...«

Schalow unterbrach den Staatsanwalt. »Es war Mord«, sagte er.

Er sah auf die Spuren im Sand. Alles war umgepflügt worden von den Füßen der Helfer und den Reifen der Fahrzeuge.

Schalow erzählte mit dürren Worten, was er wusste. Von Gerd und Kucharz. Und auch, weshalb Kucharz hinter Gerd her gewesen war.

Oberstaatsanwalt Faßbender stopfte die Hände in die Taschen und starrte auf seine Fußspitzen. Schalow wartete ruhig. Er wäre nicht überrascht gewesen, wenn Faßbender ihn auf der Stelle festgenommen hätte.

»Ich werde den Fall an die Kölner Staatsanwaltschaft abgeben«, sagte er schließlich entschlossen. »Der Leichnam wird sofort an die Gerichtsmedizin nach Köln überführt. Wenn Sie also Aussagen zu machen haben, wenden Sie sich an die Kripo Köln. Mein Bericht wird heute Mittag bereits dort eintreffen.« Er sah Beate an, und so etwas wie Mitleid machte sich in seinen Augen bemerkbar. »Kennen Sie Angehörige des Toten?«, erkundigte er sich.

Beate nickte. »Seine Eltern. Sie wohnen in Siegburg.«

»Sollen wir sie benachrichtigen?«

Beate schüttelte den Kopf. »Ich fahre hin. Gleich, wenn ich zurück bin.«

Schalow ging zu dem Peugeot hinunter. Ein Feuerwehrmann hakte das Seil des Abschleppwagens unter die hintere Stoßstange.

»Warten Sie«, bat er. »Haben Sie den Wagen herausgeholt?«

»Ja.« Der Feuerwehrmann deutete auf seine nassen Hosenbeine und die nassen Ärmel seiner Jacke. »Er war nicht tief drin. Vorne stand er zwar bis zum Dach unter Wasser, aber das Heck ragte etwa ab Mitte Kofferraum heraus.«

»Wo ist sein Koffer? Er hatte einen Aktenkoffer bei sich. Schwarz, Aluminiumrahmen, verchromte Schlösser.« Schalow hatte den Koffer in Gerds Wohnung gesehen. Er enthielt alle Unterlagen, die Gerd brauchte, wenn er Kunden besuchte: Prospekte, Tabellen, Zeichenpapier, den technisch-wissenschaftlichen Elektronenrechner.

Der Feuerwehrmann hob die Schultern. Er sah in den Wagen hinein, öffnete noch einmal den Kofferraum. »Hier ist nichts mehr. Der Koffer kann auch nicht rausgefallen oder rausgeschwommen sein. Die Türen waren geschlossen. Nur das Fenster auf der Beifahrerseite stand etwa sechs Zentimeter offen.«

Schalow presste die Lippen zusammen. Ein Selbstmord kam nicht in Betracht. Gerd hatte kein Motiv.

Kucharz. Nur Kucharz konnte ihn umgebracht haben. Der dürre Ganove hatte sich für die Prügel gerächt, die er von Gerd bezogen hatte.

Und die Tasche hatte er mitgenommen.

War es so gewesen?

Oder gab es etwa noch jemanden?

Oder war alles nur ein schrecklicher Zufall? Hatte Gerd vielleicht einen Anhalter mitgenommen, der ihn getötet und die Tasche geraubt hatte in der Hoffnung, sie enthielte Wertsachen!

»Haben Sie Spuren gesehen? Spuren eines zweiten Wagens? Oder Fußabdrücke?«

»Hier ist immer alles voll von Reifenabdrücken und Fußtritten, aber welche davon neu waren, oh je, das kann ich nicht sagen.«

Schalow ging zum Oberstaatsanwalt zurück. Beate stand wie verloren neben ihm. Schalow nahm ihren Arm.

»Herr Faßbender«, sagte er. »Es fehlt ein Aktenkoffer. «

»Ich werde ihn suchen lassen.«

»Danke. Können Sie mir sagen, wie viel Geld sich in der Brieftasche befindet?«

Faßbender hatte die Brieftasche schon wieder zu den anderen Sachen, die Gerd bei sich gehabt hatte, legen lassen.

»Etwas über zweihundert Mark«, antwortete er. »Fehlt etwas?« Schalow sah Beate an.

»Nein«, antwortete sie. »Ich glaube nicht. Er hatte immer wenig Bargeld bei sich.«

Damit verlor die Raubmordtheorie an Wahrscheinlichkeit.

*


Schalow führte Beate zum Käfer. Er half ihr hinein, setzte sich hinter das Steuer und startete. Er fuhr zur Straße hinauf. Oben begannen seine Beine zu zittern. Die Reaktion auf den gewaltsamen Tod seines Freundes setzte mit aller Heftigkeit ein.

Er fuhr ein Stück und setzte den Wagen dann in eine Schneise. Er umklammerte das Lenkrad, um das Zittern seiner Hände zu unterdrücken, aber er konnte nicht vermeiden, dass seine Zähne aufeinanderschlugen.

Beate berührte seine Hand. Ihre Finger waren eiskalt. Ihre Hand wanderte höher hinauf, lag dann kühl in seinem Nacken.

»Enno, ich weiß, was du jetzt denkst«, sagte sie leise. »Enno, es ist nicht deine Schuld! Es kann nicht deine Schuld sein! Du hast ihn nicht verunglücken lassen.«

»Es war Mord«, sagte er heiser. »Hundsgemeiner Mord. Und ich ... ich ... ich bin schuld. Ich. Nur ich. Ich.«

Der Druck der Finger in seinem Nacken nahm zu. Beate beugte sich herüber. Ihre Augen waren rot und geschwollen und standen voller Tränen. Ganz plötzlich warf sie sich an seine Brust. Ihr Gesicht war dem seinen sehr nah. Ihre Lippen berührten sich.

Sie zuckten zurück, sahen einander erschrocken an. Dann stießen ihre Köpfe vor, die Lippen pressten sich wild aufeinander, saugten sich fest, bis Schalow Beates Blut in seinem Mund schmeckte.

*


Er brachte sie nach Weidenpesch, wo sie sofort in ihren Mini umstieg. Sie wollte nach Siegburg, um Gerds Eltern die schlimme Nachricht zu bringen. Am Abend wollten sie sich in Gerds Wohnung treffen.

Schalow rief Gerds Büro an. Er fragte nach Herrn Wilke, dem Seniorpartner. Den Namen von Gerds Chef hatte er von Beate. Schalow sagte, er sei ein Freund von Gerd Wissmeyer und Beate Duven, und er riefe an, weil Gerd verunglückt sei.

»Oh je«, sagte Wilke. Er hatte eine angenehme Stimme. »Ist es schlimm?«

»Er ist tot.«

Wilke schwieg erschüttert. Schalow gab ihm Zeit, die Nachricht zu verarbeiten, ehe er sagte, wie es geschehen war. Seinen Mordverdacht erwähnte er jedoch nicht.

»Damit alle Umstände restlos aufgeklärt werden«, fuhr Schalow dann fort, »hätte ich Sie gern einiges gefragt, Herr Wilke. Ich werde nachher übrigens zur Polizei gehen. Herr Wilke, wissen Sie, ob Gerd, Herr Wissmeyer, gestern Nachmittag bestimmte Kunden besuchen wollte?«

»Gestern? Aber nein. Er hat gestern überhaupt keine Kunden besucht. Er hatte einige private Dinge zu erledigen, wie er mir sagte. Er sprach vom Einwohnermeldeamt, und er wollte auch zur AOK, ja.«

»Zur AOK? Aber was wollte er dort?«

»Das kann ich Ihnen nicht sagen. Ich weiß es überhaupt nur deshalb, weil er unserer Lohnbuchhalterin angeboten hatte, Unterlagen mitzunehmen, die ohnehin zur AOK mussten. Wir haben vier Angestellte, die abgabepflichtig sind. Wie gesagt, daher weiß ich, dass er zur AOK wollte.«

»Aber er war doch mittags im Büro?«

»Ja, das stimmt. Er ist, er war ein sehr eifriger und äußerst zuverlässiger Mitarbeiter. Er wartete auf einige wichtige Unterlagen von einer Firma, die wir vertreten. Er brauchte die Unterlagen, um ein Angebot abschließen zu können.«

Das war es also. Aber es gab immer noch eine Unklarheit.

»Ich war der Ansicht, er wollte einen Kunden in Mechernich besuchen«, sagte Schalow.

»Die Firma Klöppler & Nagel? Gestern? Bestimmt nicht. Er war erst in der vorigen Woche dort, um die Einzelheiten einer bevorstehenden Lieferung zu besprechen. Er hätte mich bestimmt informiert, wenn er Herrn Nagel besucht hätte. Herr Nagel ist nämlich ein sehr alter und sehr guter Freund von mir. Wir sehen uns häufig privat, und Herr Nagel lädt mich regelmäßig zur Jagd ein. Das wusste Herr Wissmeyer, und wie gesagt, er hätte es erwähnt, wenn er Herrn Nagel hätte besuchen wollen.«

Das ist mehr als seltsam, dachte Schalow.

»Eine letzte Frage, Herr Wilke. Gerds Tasche mit den Unterlagen wurde nicht bei ihm im Wagen gefunden. Hat er sie im Büro gelassen?«

»Nein. Ich habe gesehen, dass er sie mitgenommen hat. Hören Sie, Herr ...«

»Schalow.«

»Was haben diese Fragen zu bedeuten? Stimmt etwas nicht?«

»Das möchte ich eben herausfinden. Bisher heißt es, es sei ein Unfall gewesen.«

»Wenn ich irgendetwas tun kann ...«

»Ich rufe Sie wieder an, Herr Wilke.«

*


Schalow fuhr nach Deutz hinüber und parkte am Reischplatz. Er klingelte unten neben dem Schildchen mit dem Namen Kucharz, und als der elektrische Türöffner schnarrte, stürmte er in das Treppenhaus, in dem es nach Kohl stank.

Die Schlampe stand am Treppenabsatz im zweiten Stock. Sie trug den gleichen fleckigen Kittel wie in der Nacht, als Schalow sie zum ersten Mal herausgeschellt hatte. Ihr feistes Gesicht verzog sich zu einer ärgerlichen Grimasse, als sie ihn erkannte.

»Wo ist er?«, fragte Schalow.

»Nicht da. Scheren Sie sich zum Teufel.« Sie drehte sich um und ging wieder in die Wohnung. Sie versuchte, Schalow die Tür vor der Nase zuzuknallen.

Schalow stieß die Tür grob zurück. Die Schlampe kreischte. Schalow starrte sie mit einem steinharten Ausdruck in den Augen an, sodass sie verstummte.

Schalow marschierte durch die Wohnung. Er spähte in drei gleichermaßen unaufgeräumte Zimmer. Er öffnete die Tür zu dem winzigen Hinterhofbalkon, auf dem sich leere Bierkästen türmten, und er warf einen Blick in die Speisekammer, die voller Gerümpel stand.

Kucharz war nicht da.

War er geflohen?

»Wo ist er?«, fragte er rau.

»Das sagt er mir doch nicht!« Die Frau lachte schrill. »Mir doch nicht!«

»Wann kommt er zurück? Oder besser, wann ist er gewöhnlich zu Haus?«

»Das kann ich nicht sagen. Er ist immer unterwegs.«

»Womit verdient er sein Geld?«

Der runde Kopf mit den strähnigen Haaren verschwand zwischen den Schultern, als die Frau die Schultern hob.

Schalow wusste es auch so. Mit Erpressung, Nötigung und beim Zocken. Er kannte Typen wie Kucharz. Im Knast gab es ein paar Dutzend von der Sorte.

Natürlich sagte ihm die Schlampe nicht, wo Kucharz steckte oder wo er ihn treffen konnte. Sie knallte die Tür ins Schloss, als er ging.

Er stand wieder auf der Straße. Es war noch zu früh, um zur Polizei zu gehen. Vor zwei, drei Uhr nachmittags hatte es keinen Sinn.

Hatte Kucharz sich abgesetzt? Weil er Gerd ermordet hatte?

Schalow überlegte fieberhaft. Wie konnte er an den dürren Ganoven herankommen?

Konnte er Hartmann auf ihn hetzen?

Unsinn. Ausgerechnet Hartmann.

Schalow erinnerte sich an einen Mann, mit dem er ungefähr ein Jahr lang die Zelle geteilt hatte. Fred Parnitzki. Richtig. Fred war ein unverbesserlicher Ganove. Er lebte von Diebstählen und Geschäften mit geklauter Ware. Manchmal arbeitete er auch für die großen Tiere der Unterwelt. Als Schläger oder Schmieresteher, je nachdem. Fred war ein Allroundman. Vor sieben oder acht Monaten war er herausgekommen.

Wenn du mal irgendwas brauchst, hatte Fred gesagt, bevor er entlassen wurde, Hilfe, einen Rat, einen Wagen, jemanden, der einen für dich zusammenstaucht, was auch immer: frag nach Fred Parnitzki. Fred hatte ihm auch verraten, wo Schalow ihn finden konnte. Oder wo er zumindest erfahren konnte, wo Fred gerade steckte.

Schalow fuhr über die Deutzer Brücke zurück in die Innenstadt. Er stellte den Volkswagen an der Pfeil Straße ab und ging zu Fuß zur Ehrenstraße.

Die Kneipe sah aus wie jede andere Stehkneipe auch. Außer, dass sie in Anbetracht der frühen Stunde schon recht voll war.

Schalow bestellte eine Flasche Mineralwasser und eine Frikadelle. Die Frikadelle schmeckte gut. Er sah sich aufmerksam um. Aber Fred war nicht da.

Wahrscheinlich saß er wieder im Knast, vermutete Schalow.

Er wandte sich an den Glatzkopf hinter der Theke. »Ich muss Fred sprechen«, sagte er leise.

»Fred?« Die Augen des Burschen verengten sich. »Welchen Fred?«

»Nur Fred. Er hat mir gesagt, ich brauche nur nach Fred zu fragen.«

»Wann war'n das?«

»Ist schon 'ne Weile her. Bei 'ner Abschiedsparty. So vor sieben oder acht Monaten.«

Der Kneiper betrachtete Schalow eine Weile unschlüssig, dann zuckte er die Achseln. »Geh zur Palmstraße rüber.« Er nannte eine Hausnummer. »Der Klub heißt Chicago. Sag, ich hätte dich geschickt. Ich bin PeJot.«

*


Alle Fenster waren dicht geschlossen. Die tiefhängenden Lampen schnitten helle Kreise in den Raum. An zwei der fünf runden Tische saßen Spieler. Zigarettenrauch lag dick in der Luft und ließ die Augen der Anwesenden tränen.

Fred Parnitzki spielte hier so etwas wie den Aufseher. Er grinste über sein breites Gesicht und legte einen Arm um Schalows Schultern. Der Arm war dick und schwer wie ein mittlerer Baumstamm. Fred war an die zwei Meter lang und wog mindestens zwei Zentner. Der Anteil der Hirnmasse fiel dabei kaum ins Gewicht.

Er konnte gutmütig wie ein Bernhardiner sein, wenn er jemanden mochte.

»Seit wann bist du raus?«

»Seit Montag.«

»Montag? Und jetzt suchst 'ne Gelegenheit, wie? Haste Bewährung? Klar haste Bewährung, musst also vorsichtig sein. Was machen wir denn?« Er runzelte die Stirn und dachte intensiv nach. Dann strahlte er. »Du, ich hole uns erst mal 'ne Pulle Sekt aus'm Kühlschrank.«

»Fred, sei mir nicht böse. Jetzt nicht, Fred, ich brauche keinen Job oder so, jedenfalls im Moment nicht. Da ist einer hinter mir her.«

Freds kleine Augen hinter den dicken Wülsten begannen zu glitzern.

»Wer?«, fragte er wild.

»Klaus Kucharz.«

»Das is'n ganz Linker!«, sagte Parnitzki spontan. »Was will er denn von dir?«

»Er glaubt, ich hätte noch hundert heiße Tausender.«

»Und die will er ausklinken. Verstehe. Pass auf, ich bringe dich mit 'nem Typ zusammen. Keine Sorge, Enno, der ist absolut zuverlässig. Der zahlt dir zwanzig Prozent. Ich will nichts haben, weil du gerade erst rauskommst.« Fred strahlte.

Wenn die Situation anders gewesen wäre, hätte Schalow jetzt gelacht.

»Fred, ich habe das Geld nicht. Es geht auch um etwas ganz anderes. Ich muss Kucharz auftreiben. Und zwar schnell. Zu Hause ist er nicht, da komme ich gerade her.«

Fred runzelte die Stirn. »Mann, das kostet aber 'ne Kleinigkeit. Einen Typ wie den auftreiben ... Was willste denn von dem linken Kakerlak?«

»Ich muss ihn was fragen.«

»Auf die harte Tour?«

Schalow zögerte. Dann sagte er: »Ja.«

Fred grinste. »Mal sehen, was ich machen kann. Ich rufe dich an, ja? Oder haste keine Bleibe?«

»Doch, aber kein Telefon.«

Fred kritzelte eine Nummer auf einen Bierdeckel. »Hier, ruf mich unter der Nummer an. Aber vor fünf Uhr hat's keinen Zweck.«

Schalow prägte sich die Zahlen ein, dann warf er den Bierdeckel in einen Abfalleimer und ging.

Die Stimme der Rache: 4 besondere Krimis

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