Читать книгу Die Stimme der Rache: 4 besondere Krimis - Alfred Bekker - Страница 26

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Es war kurz vor fünf. Weder beim Einwohnermeldeamt noch bei der AOK würde er um diese Zeit an einem Freitagnachmittag noch etwas erreichen können.

Schalow besorgte sich neues Kleingeld. Von der nächsten Telefonzelle aus rief er die Nummer an, die Hartmann ihm gegeben hatte.

Hartmann.

Schalow ballte die Fäuste. Nie hätte er geglaubt, dass er den kleinen Dicken jemals anrufen könnte.

Er musste einige Fragen über sich ergehen lassen, und selbst dann dauerte es noch eine ganze Weile, bis er Hartmanns Stimme hörte. Wahrscheinlich verschwendete der Mann vom Verfassungsschutz wieder Benzin auf Kosten des Steuerzahlers.

»Schalow? Wo stecken Sie?«

»Das werde ich Ihnen nicht sagen.«

»Schalow, seien Sie vernünftig! Ich bin vielleicht etwas zu weit gegangen. Machen Sie keine Dummheiten!«

»Sie meinen, ich soll mich von konspirativen Treffs fernhalten und nicht in den Untergrund gehen, in den Sie mich zu drängen versuchen?«

»Lassen Sie die Witze!«, schnappte Hartmann.

»Einverstanden, wenn Sie mir einen Augenblick zuhören. Wenn Sie mitspielen, werden Sie die Wahrheit hören. Alles.«

»Auf einmal?«, fragte der Dicke skeptisch. »Na also, ich höre.«

»Mein Freund Gerd Wissmeyer war gestern auf dem Einwohnermeldeamt und bei der AOK. Er hat dort versucht, das vermute ich wenigstens, Informationen über eine Frau namens Monika Heikaus zu bekommen. Stellen Sie fest, was er erfahren hat.«

»Warum fragen Sie ihn nicht selbst?«

»Ihr Nachrichtendienst taugt nichts, Hartmann. Gerd Wissmeyer wurde gestern Abend ermordet.«

»Sie spinnen«, sagte der Dicke prompt. »Das hätte ich erfahren.«

»Das mit dem Mord ist noch nicht offiziell. Aber es stimmt, verlassen Sie sich drauf.«

»Was ist geschehen?«, fragte Hartmann sachlich.

Schalow erzählte ihm, unter welchen Umständen man Gerd gefunden hatte.

»Das tut mir leid, Schalow.«

»Brechen Sie sich keinen ab. Ich rufe Sie wieder an.« Er legte auf und stieg in seinen Käfer.

*


Er fuhr zur Von-Werth-Straße. Vor die Höhle des Löwen. Der schleppende Verkehr auf dem Ring brachte ihn fast um den Verstand. Seine Nerven waren überreizt. Zu plötzlich war die Erkenntnis über ihn hereingebrochen, dass er nicht das Opfer eines blinden Zufalls geworden war.

Man hatte ihn eiskalt in die Pfanne gehauen, indem man seinen Wagen für einen Überfall benutzte und es darauf ankommen ließ, dass man ihn schnappte.

Monika!

Dieses teuflische Luder!

Ließ sie sich deshalb verleugnen?

Den Käfer knallte er im Halteverbot halb auf den Gehweg. Er wischte die feuchten Händen ab und blieb noch einen Augenblick im Wagen sitzen, um sich zu beruhigen. Es hatte keinen Zweck, diesem Gangster Heikaus wie ein gereizter Stier gegenüberzutreten. Ganz cool und locker, dachte er. Das hatte er gelernt.

Aber seit er draußen war, fiel es ihm zunehmend schwerer, sein Temperament zu zügeln. Und der aufgestauten Aggressionen Herr zu werden.

Er überquerte die Straße und stellte sich in den Eingang. Er macht es, wie Gerd es auch gemacht hatte. Er klingelte ganz oben, und als der Türöffner schnarrte, schlüpfte er ins Haus.

Er lief in den vierten Stock hinauf. Er war gut in Form. Sein Atem ging kaum schneller. Zum ersten Mal stand Schalow hier oben. Selbst wenn Heikaus verreist gewesen war, hatte er Monika nie in ihrer Wohnung besucht.

Über ihm rief jemand »Hallo! Hallo, wer ist denn da?«

Schalow presste sich an die Wand, bis oben eine Tür ins Schloss fiel. Dann drückte er seinen Daumen auf die Klingel, über der H.J. Heikaus stand.

Er hörte, wie unten der Türöffner summte. Atemlos wartete er. Ganz kurz fragte er sich, was er hier wollte. Wie er es fertigbringen wollte, Heikaus zu überrumpeln, ihn zu einem Geständnis zu bewegen. Und was würde sein, wenn Heikaus einen Schläger in der Wohnung hatte? Besaßen Kerle von seinem Kaliber nicht eine Leibwache?

Schalows Herz schlug ihm jetzt im Hals. Es hämmerte hart, und der Blutdruck ließ rote Schleier vor seinen Augen wehen.

Er zuckte zusammen, als er den Riegel klirren hörte, dann wurde die Tür einen winzigen Spaltbreit geöffnet.

Schalow warf sich gegen das Holz. Wie ein Stier, aber ohne Zorn.

Der Widerstand war überraschend gering, und er schoss durch die Tür. Seine Füße versanken in weichem Flor. Er klammerte sich irgendwo fest. Es war ein Garderobenschrank. Dann drehte er sich um.

Das Mädchen trug ein aufreizend kurzes Kleidchen mit einem tiefgezogenen Ausschnitt. Ihre Beine und die Füße waren nackt. Sie hatte ein hübsches, schmales Gesicht mit einem etwas leeren Ausdruck darin. Das schwarze Haar klebte wie gelackt an den Schläfen. Sie lächelte jetzt etwas ängstlich und spöttisch zugleich.

Schalow sah sich wild um. Der Flur war lang und hoch, und überall waren Türen. Türen, Türen. Wie in einem Gefängnis waren sie alle geschlossen. Hinter jeder Tür konnte ein unbekannter, entschlossener Gegner lauern.

»Ist das Ihre Masche, großer Mann?«, sagte das Mädchen.

Er starrte sie an. »Meine persönliche Note, ja. Wo ist Heikaus?«

»Hans Josef ist verreist. Ich bin ganz allein. Die Hüterin des Feuers, gewissermaßen.« Sie hielt die Wohnungstür noch in der Hand, überlegte einen Augenblick, ehe sie sie schloss. »Sind Sie ein Freund von ihm?«, erkundigte sie sich dann.

»Nein«, antwortete er. Immer noch wanderten seine Augen an den Türen entlang. Das Mädchen drehte sich um und ging durch den Flur. Schalow folgte ihr einfach.

Sie öffnete eine Tür auf der rechten Seite des Ganges. Helles Tageslicht flutete in den Flur. Schalow betrat einen riesigen Wohnraum mit hoher, stuckverzierter Decke und einem breiten Fenster, das nachträglich eingebaut worden sein musste. Er konnte über die winkligen Dächer bis zu den Türmen des Doms sehen, deren Spitzen hell in der Abendsonne schimmerten.

Er watete durch die hohen Teppiche wie durch Treibsand. Das Mädchen ringelte sich in einem breiten, mit schneeweißem Samt bezogenen Sessel und deutete auf eine andere Sitzgelegenheit. Mit dem Fernbedienungsschalter ließ sie das Fernsehbild zusammenfallen. Sie hatte dem Kinderfunk zugesehen.

»Ich bin Tanja«, sagte sie. »Er hat den Namen für mich ausgesucht. Hübsch, nicht wahr? Hübscher jedenfalls als Gudrun.«

Darüber kann man geteilter Meinung sein, dachte Schalow, aber er sprach den Gedanken nicht aus. Er rückte den Sessel herum, sodass er die Tür im Auge behalten konnte. Tanja, oder Gudrun, hatte sie wieder geschlossen. Er fühlte sich unbehaglich. So musste sich jemand fühlen, dachte er, der auf einem Pulverfass sitzt. Wenn die Lunte brennt.

»Er ist also verreist. Wissen Sie, wohin er gereist ist?«

»Nein, natürlich nicht. Nach München vielleicht. Oder Hannover?«

Entweder hatte sie tatsächlich keine Ahnung, oder sie versuchte, sich über ihn lustig zu machen. Fast war Schalow geneigt, Letzteres anzunehmen. Hier hatte er nichts verloren. Er musste sich so schnell wie möglich wieder absetzen. Tanja war die Gespielin eines Gangsters. Wahrscheinlich hatte er sie aus einem seiner Massagesalons oder einer seiner Bars vorübergehend ins Schlafzimmer geholt.

»Sie können mir ruhig sagen, was Sie wollen, großer Mann.« Sie lächelte kokett. Lange seidige Wimpern klappten in die Höhe und ließen glänzende braune Augen sehen. Als er aufstand, machte sie einen Schmollmund. »Oh bitte, gehen Sie noch nicht! Warten Sie, ich hole uns etwas zu trinken!«

»Nein, danke.«

»Aber eine Zigarette. Bitte, rauchen Sie eine Zigarette mit mir.« Sie lehnte sich aus dem Sessel, wobei eine Brust aus dem Kleid rutschte. Der Rock fuhr in die Höhe, und er konnte das weiße Höschen sehen, das sich atemberaubend über dem runden Po spannte.

Sie hielt ihm das silberne Zigarettenkästchen hin. Schalows Mund war trocken, und seine Finger zitterten. Sie gab ihm Feuer, rauchte auch ihre Zigarette an und blies ihm den Rauch ins Gesicht. Dann lehnte sie sich zurück. Ihre Wangen hatten sich gerötet.

Welches Spiel spielte sie mit ihm?

»Wann kommt er zurück?«, fragte er heiser.

»Oh, heute bestimmt nicht.«

»Wann ist er gefahren?«

»Das war gestern. Gestern Nachmittag.«

»Sehr plötzlich, nehme ich an.«

»Ja! Woher wissen Sie das?« Sie lächelte.

»Nachdem er einen Anruf bekommen hat.«

»Nein, erst viel später. Nach dem Anruf hat er Ilja weggeschickt.«

»Wer ist Ilja?«

»Ich sehe, Sie kennen Hans Josef wirklich nicht! Ilja Petrovic ist Hans Josefs ...« Sie verstummte und lutschte an ihrer Unterlippe, dann sagte sie: »Ach, ich weiß nicht genau. Chauffeur oder so was.«

»Oder sein Leibwächter«, bemerkte Schalow. Und Killer. Ilja hat Gerds Wagen ins Wasser der Kiesgrube rollen lassen. Es war unwahrscheinlich, dass Heikaus so etwas selbst machte. Vermutlich hat Ilja Gerd vorher mit einem Handkantenschlag betäubt. Gerd war ertrunken. Niemand würde Heikaus oder Ilja je einen Mord nachweisen können. Weil es keinen Ermordeten gab.

»Ilja ist wohl noch nicht lange bei Hans Josef?«, erkundigte er sich möglichst beiläufig.

»Ilja?« Tanja lachte hell. »Die kennen sich schon ewig! Zwanzig Jahre, mindestens! Wenn die sich unterhalten, ist das wie bei einem Veteranentreffen, obwohl Ilja viel jünger ist als Hans Josef. Vierzig, oder zweiundvierzig, glaube ich. Ilja wohnt sogar hier in der Wohnung.«

Schalows Kopfhaut zog sich zusammen, und sein Blick wanderte unwillkürlich zur Zimmertür. Hatte er nicht ein Geräusch gehört? War Ilja damals immer hinter ihm gewesen, wenn er sich mit Monika traf? Ein stummer Schatten, der seinem Herrn berichtete, was Monika trieb?

»Wo ist Ilja jetzt?«, fragte er. Er konnte nicht vermeiden, das seine Stimme belegt klang.

»Ich nehme an, er hat sich mit Hans Josef getroffen.«

»In München oder Hannover.« Schalow drückte die Zigarette aus. »Sind Sie schon lange mit Hans Josef ... befreundet?«

»Oh ja. Ziemlich lange«, antwortete sie unbestimmt.

»Dann kennen Sie sicher Monika?«

»Monika?« Die braunen Augen zeigten keine Reaktion. »Ich kenne keine Monika.«

»Sie ist seine Frau. Aber sie leben in Scheidung, soviel ich weiß.«

Tanja lachte hell auf. »Hans Josef und verheiratet? Großer Mann, ich weiß nicht, wie viele Frauen Hans Josef schon gehabt hat, aber eins weiß ich ganz sicher, verheiratet war er mit keiner.«

Die Stimme der Rache: 4 besondere Krimis

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