Читать книгу Mission in ferner Raumzeit: 1000 Seiten Science Fiction Abenteuer Sammelband - Alfred Bekker - Страница 37

Die Hauptpersonen:

Оглавление

Rena Sunfrost - wurde gerade zum Lieutenant befördert und kommandiert das bewaffnete Raumboot DEFIANT-29.

Fähnrich Brent Tahano - Rudergänger der DEFIANT-29

Crewwoman Leka Gao - Triebwerkstechnikerin

Crewman Seku Delan - Kommunikations- und Ortungstechniker der DEFIANT-29

Crewman Fu Davis - Waffentechniker der DEFIANT-29, bedient die fünf Geschütze im Bug des Raumboots.

Admiral Raimondo - hält große Stücke auf Sunfrost und ist dennoch sehr enttäuscht von ihr.

Steven Van Doren - der später zum Ersten Offizier der STERNENKRIEGER degradierte Van Doren ist im Jahr 2242 noch Kommandant des Leichten Kreuzers PLUTO im Rang eines Commanders. Er steht kurz vor der Beförderung zum Captain und der Kommandoübernahme eines Zerstörers.

Commander Sörensen - Kommandant von Raumfort Matthews

Anmerkung: Der Begriff Captain bezeichnet einerseits einen militärischen Rang (zwischen Commander und Commodore), andererseits aber auch die Funktion an Bord eines Schiffs: Jeder Kommandant eines Schiffs wird mit Captain angeredet, ungeachtet des Ranges. So kann ein Lieutenant der “Captain” eines Raumbootes sein und ein Commodore oder Admiral der “Captain” eines großen Schlachtschiffs. Manchmal ist natürlich ein Captain auch tatsächlich ein “Captain”...

*


ORBITALES SPACEDOCK, Erde, Sol-System...

Jahr 2242

“Kommen Sie herein und stehen Sie bequem”, sagte Admiral Raimondo.

Rena Sunfrost, gerade zum Lieutenant des Space Army Corps befördert, hatte immer noch das Gefühl, dass die neuen Rangabzeichen an ihrer dunkelblauen Uniformkombination optische Fremdkörper waren. Das wird sich wohl noch ändern, war die junge Frau überzeugt.

“Sie gestatten, dass ich eben noch ein paar Sätze diktiere”, sagte Raimondo. “Aufzeichnung fortfahren”, wies er dann das Rechnersystem an. “In den Jahren 2236-39 stand der Bund der Humanen Welten von Sol vor seiner bisher größten Herausforderung. Die Menschheit war einem übermächtigen Gegner nahezu ausgeliefert. Die Qriid waren ihr sowohl organisatorisch als auch von ihren technologischen und militärischen Ressourcen her um ein Vielfaches überlegen. Dazu kam, dass sich der Aufbau des Space Army Corps zum Schutz der von Menschen besiedelten Planeten immer wieder verzögerte. Ich persönlich will nicht verhehlen, dass ich zeitweilig die Möglichkeit, dass unser Staatswesen diese Aggression überstehen könnte, kaum noch als realistisch angesehen habe. Und weshalb unser Feind seinen bis dahin erschreckend erfolgreichen Feldzug gegen die Humanen Welten einstellte, ist bisher noch immer ein Rätsel. Fest steht nur eins: Hätten die Qriid ihre Angriffe fortgesetzt, würde jetzt vielleicht schon gar keine Raumstreitmacht mehr existieren, die ihnen einen wenn auch noch so schwachen Widerstand entgegen setzen könnte. Wir haben also eine Verschnaufpause gewonnen - aus welchen Gründen auch immer. Und die sollten wir nutzen, denn es ist für mich keine Frage, dass der Konflikt mit dem Heiligen Imperium, wie unsere Feinde ihr Sternenreich nennen, noch nicht beendet ist. Irgendwann in naher oder fernerer Zukunft werden sie die Kampfhandlungen wieder aufnehmen - und dann Gnade uns Gott! Absatz, Aufzeichnung vorläufig beendet. Speichern und mit meiner persönlichen Kennung codieren wie in die Routine eingegeben.”

Raimondo atmete tief durch und straffte seine Körperhaltung. Gleichzeitig strich er die knapp sitzende Uniformjacke glatt.

Sunfrost hatte keine Ahnung, weshalb Raimondo sie sprechen wollte. Schließlich war der Admiral keineswegs ihr direkter Vorgesetzter. Und ihre Ernennung zum Lieutenant war nun wirklich kein Ereignis, das unbedingt eine persönliche Unterredung mit einem Admiral des Space Army Corps der Humanen Welten nach sich ziehen musste. Schon gar nicht, wenn dieser Admiral Gregor Raimondo hieß und sich ohnehin kaum noch irgendwelchen militärischen Aufgaben, sondern stattdessen vor allem sicherheitspolitischen Fragen im Humanen Rat widmete.

“Sie haben gerade etwas von den Aufzeichnungen mitbekommen, die Grundlage für eine Abhandlung über meine Sicht des Qriid-Krieges werden”, erklärte Raimondo, während er auf das große Panoramafenster zuging. Man konnte die Erde als gewaltigen Halbkreis sehen. Sie befanden sich auf dem orbitalen Spacedock, auf dem Sunfrosts Ernennung zum Lieutenant stattgefunden hatte. Und hier lag auch die DEFIANT-29, ein unterlichtschnelles bewaffnetes Raumboot, dessen Kommando Sunfrost jetzt für die nächste Zeit übernehmen würde. Operationsgebiet: Äußeres Solarsystem. Genauer gesagt: Kuiper-Gürtel.

Raimondo wandte Sunfrost den Rücken zu.

Er hatte den Daumen der rechten mit dem kleinen Finger der linken miteinander verhakt und wirkte gedankenverloren, als er ins All blickte. Ein gewaltiges Schlachtschiff der Dreadnought-Klasse entfernte sich gerade vom Spacedock. Mit majestätischer Langsamkeit glitt der mächtige Schiffskörper mit seinen zahllosen Geschützen durch das All. Das Sonnenlicht wurde durch die Spezialbeschichtung der Außenhülle reflektiert. Es war die NEW CALIFORNIA, auf der Sunfrost als junger Fähnrich des Space Army Corps gedient hatte - wobei sie kein Teil der eigentlichen Besatzung gewesen war, sondern dem Stab von Admiral Kevin Rodrigo Carlos Müller angehört hatte. Müller stammte von New Paraguay, einer Siedlerwelt im Mondahar-System und hatte ein paar Eigenarten, die jedem Bewohner der Erde oder des Sol-Systems eigenartig vorkommen mussten. Extreme Bedingungen bringen extremes menschliches Verhalten hervor, hatte Sunfrost in ihrer Zeit auf der Space Army Corps Akademie auf Ganymed in Erinnerung. Und nach allem, was sie über New Paraguay wusste, waren die Bedingungen dort tatsächlich extrem...

"Ich habe Ihren Weg seit Ihrem Abschluss auf der Space Army Corps Akademie aufmerksam verfolgt", erklärte Raimondo, ohne sich dabei zu Sunfrost umzudrehen. “Ihre bisherigen Leistungen waren sehr vielversprechend und berechtigten zu einigen Hoffnungen."

"Sir, ich weiß nicht, was..."

Raimondo hob eine Hand. Wieder, ohne sich umzudrehen.

Ein Zeichen dafür, dass ich schweigen soll, erkannte Sunfrost schluckend. Raimondos mitunter ziemlich selbstherrliche Art im persönlichen Umgang war gewöhnungsbedürftig - und Sunfrost war keineswegs die einzige, die diese Empfindung teilte.

"Eigentlich hatte ich erwartet, dass Sie sich für die Stelle eines Brückenoffiziers auf einem Flottenschiff bewerben würden", sagte Raimondo gedehnt. Noch immer wandte er ihr den Rücken zu. "Was hat Sie daran gehindert, Sunfrost?"

"Ich bin von keinem Kommandanten angefordert worden ", gab Sunfrost zurück und der Klang ihrer eigenen Stimme erschreckte sie dabei. Sie klang nämlich entsetzlich schwach. Ungewöhnlich schwach und unsicher. Normalerweise entsprach das überhaupt nicht ihrer Art.

Aber anscheinend reichte schon allein Raimondos Anwesenheit aus, um sie zu verunsichern. Vielleicht wollte er das auch. Vielleicht zielte sein ganzes Gehabe letztlich nur darauf ab, das Gegenüber zu verunsichern. Es ist sein Informationsvorsprung, ging es Sunfrost durch den Kopf. Er weiß alles über jeden und niemand kann sich so richtig vorstellen, woher er das eigentlich hat. Raimondo durfte wohl einer der am besten informierten Menschen im gesamten Gebiet der Humanen Welten sein!

Jetzt endlich drehte Raimondo sich um. Langsam, sehr langsam geschah das. Auch das eine Demonstration purer Macht. Er bestimmt, was wann geschieht - und in welcher Geschwindigkeit.

Sunfrost rätselte noch immer darüber, was sein eigentliches Anliegen war. Aber sie begann es zu ahnen...

"Wenn Sie sich beworben hätten, hätte ich dafür sorgen können, dass Sie untergebracht werden. Waffenoffizier auf einem Leichten Kreuzer zum Beispiel - wäre das nichts für Sie gewesen? Oder noch besser auf einem Zerstörer, wobei das sicher für Ihre Vita von Vorteil gewesen wäre. Allerdings bin ich mir nicht sicher, ob man Ihnen das aufgrund Ihrer naturgemäß noch etwas bescheidenen Erfahrung zugetraut hätte." Raimondo lächelte. “Wahrscheinlich hätte man Sie dann auf den Posten eines Kommunikationsoffiziers abgeschoben oder als zweiten Rudergänger eingesetzt. Also doch besser ein Leichter Kreuzer wie die STERNENKRIEGER von Commander Reilly. Aber nein, Sie ziehen der großen Aufgabe offensichtlich ein Kommando im heimischen Sonnensystem vor - anstatt an der Grenze des Niemandslandes darauf zu achten, dass wir nicht plötzlich von den Qriid überrannt werden.”

Die Vorstellung, dass vogelartige Qriid durch den Weltraum rannten, amüsierte Sunfrost insgeheim so sehr, dass sie ein leichtes Schmunzeln nicht unterdrücken konnte.

Raimondo bedachte sie mit einem nachdenklichen Blick.

"Es würde mich wirklich interessieren, was Sie dazu zu sagen haben, Lieutenant Sunfrost", erklärte der Space Army Corps Admiral mit all dem Nachdruck, den er in seine Worte zu legen vermochte.

"Sir, darf ich offen sprechen?"

"Ich bitte sogar darum, Sunfrost."

"Das ist eine persönliche Entscheidung, wenn Sie verstehen, was ich meine."

Raimondos Blick war jetzt geradezu durchdringend. Aber Sunfrost begegnete ihm furchtlos. Sie war fest entschlossen, sich nicht einschüchtern zu lassen. Nicht einmal von jemandem, der es ganz offensichtlich gut mit ihr meinte und sich als ihr Förderer verstand.

Wenn auch ein etwas enttäuschter Förderer, wie es bei Admiral Raimondo der Fall zu sein schien.

Die Augen des des Admirals wurden schmal, während er Sunfrost noch immer fixierte.

“Wissen Sie eigentlich, was da draußen los ist, Lieutenant? Sie glauben, Sie kennen den Krieg und die Situation an der Grenze des Niemandslandes zu den Qriid, nur weil Sie eine Zeitlang in einem Stab auf einem Dreadnought gedient haben. Aber wenn ich richtig informiert bin, haben Sie die entscheidende Schlacht gegen die Qriid verpasst.”

“Ich wurde abberufen, Sir.”

“Sie sprechen von privaten Entscheidungen - aber die Qriid scheißen auf private Entscheidungen. Die wollen das Universum erobern und ihren Glauben verbreiten und wer sich ihnen dabei in den Weg stellt, der wird gnadenlos ausgelöscht. Das ist nichts Privates, Lieutenant Sunfrost! Das ist eine Gefahr für die gesamte Menschheit und es ist reine Glücksache, dass wir ihr nicht bereits alle zum Opfer gefallen sind!”

Mag ja sein, aber was hat nun alles damit zu tun, dass ich mein erstes eigenes Kommando auf einem unterlichtschnellen Raumboot antrete?, ging es Sunfrost durch den Kopf. Sie war über Raimondos Ausbruch gelinde gesagt etwas irritiert. Aber bei Raimondo konnte man nie wissen, ob er nicht das, was eintrat, in Wahrheit tatsächlich von Anfang an beabsichtigt hatte.

Eine Pause des Schweigens entstand und Sunfrost hatte das Gefühl, etwas sagen zu müssen.

“Sir, ich...”

“Wir sind darauf angewiesen, dass sich die Besten den Qriid entgegenstellen und all ihre Intelligenz, all ihr Können, ihre Kraft und notfalls auch ihr Leben dafür einsetzen, dass diese Gefahr die Menschheit zumindest nicht vernichtet. Von Verschonen will ich gar nicht erst reden! Das wäre angesichts dessen, was sich in den drei Jahren des Krieges gegen die Geierköpfe ereignet hat, auch wohl zuviel erwartet.” Raimondo deutete mit dem Zeigefinger auf eine Weise auf Sunfrost, die sie an den Lauf einer Projektilwaffe oder eines Nadlers erinnerte. “Was wir nicht brauchen, sind Begabte, die glauben, aus privaten Gründen einen ruhigen Dienst im Hinterhof des Sonnensystems schieben zu können. Männer und Frauen, die eigentlich Erfahrungen in der Weite des Raums sammeln müssten und sich stattdessen zurückziehen, weil sie glauben, dass andere die Kastanien für sie aus dem Feuer holen werden. Aber so wird das nicht funktionieren, Lieutenant. Das werden Sie eines Tages, so hoffe ich, auch noch begreifen.”

Es gibt eine Grenze. Und die hat er jetzt überschritten, dachte Sunfrost. Du musst jetzt dagegenhalten! Es bleibt dir gar keine andere Wahl. Wenn du es nicht tust, wird er vermutlich den letzten Rest an Achtung vor dir verlieren.

“Sir, ich denke, Sie interpretieren etwas zuviel in meine Entscheidung hinein.”

“Ach, tue ich das?”

“Ja, Sir, das tun Sie.”

“Ich dachte, es wäre vielleicht ganz sinnvoll, Ihnen etwas Stoff zum Nachdenken zu geben, Sunfrost.”

“Und Sie sollten darüber nachdenken, dass meine Entscheidung, das Kommando auf einem unterlichtschnellen Raumboot anzunehmen, anstatt auf einer größeren Flotteneinheit zu dienen, vielleicht auch etwas damit zu tun haben könnte, dass ich mir so eine Aufgabe einfach noch nicht zutraue!”

“Nein, wenn Sie ehrlich sind, dann hat es mit einer etwas komplizierten Beziehung zu tun, die Sie mit einem Mann verbindet, der für den Far Galaxy Konzern auf Sedna im Kuiper-Gürtel arbeitet und Sie auf diese Weise in seiner Nähe bleiben können.”

Das weiß er auch? Sunfrost gab sich große Mühe, sich den Ärger darüber nicht anmerken zu lassen, dass Raimondo offenbar selbst über diese nun wirklich sehr persönlichen Details ihres Lebens anscheinend bestens informiert war.

"Es tut mir leid, wenn meine Entscheidung Ihre Missbilligung findet, Sir", sagte Sunfrost. "Nichtsdestotrotz muss ich meine Entscheidungen alleine verantworten."

"Sie setzen die falschen Prioritäten, Sunfrost."

"Das wird sich herausstellen, Sir."

Raimondo nickte.

"Ich bin nach wie vor überzeugt davon, dass Sie Ihren Weg machen werden."

Ja, es ist nur die Frage, ob das in jedem Detail der Weg sein muss, den Sie für mich anscheinend vorgezeichnet haben, Sir, erwiderte Sunfrost in Gedanken. Tatsächlich blieb sie jedoch stumm. Nicht alle Wahrheiten durften von jedem auch ausgesprochen werden. "Alles, was ich Ihnen versichern kann ist, dass ich meinen Dienst so gewissenhaft wie möglich versehen werde."

"Das reicht nicht, Sunfrost. Für die Herausforderungen, die vor uns liegen, reicht das bei weitem nicht aus. Ich wünsche Ihnen trotzdem viel Glück. Vielleicht brauchen Sie diese Auszeit einfach und alles, was ich dagegen sagen könnte, ginge sowieso ins Leere. Die andere Möglichkeit wäre..."

...dass Sie sich in mir getäuscht und mich schlicht und ergreifend überschätzt haben, vollendete Sunfrost in Gedanken den Satz des Admirals. Er braucht es nicht einmal auszusprechen.

––––––––


ALS SUNFROST DEN RAUM von Admiral Raimondo verlassen hatte, wusste sie nicht so recht, was sie von dieser Begegnung eigentlich halten sollte. Sie ging den breiten Korridor des Spacedocks entlang, begegnete ein paar Technikern in den Overalls mit dem Emblem des Space Army Corps, die auf dem Spacedock im Erdorbit ihren Dienst taten.

Sie alberten herum, bis sie Sunfrost bemerkten. Daraufhin nahmen sie zwar nicht gleich Haltung an, verstummten aber augenblicklich.

Das liegt daran, dass die Uniformen eines Lieutenants und eines Admirals sich zur Zeit vom Schnitt her ziemlich ähnlich sind und man sie auf den ersten oberflächlichen Blick leicht verwechseln kann, wenn man nicht auf die Abzeichen und Streifen achtet, dachte Sunfrost. Vermutlich würde man das ziemlich bald ändern. Rang hatte seine Privilegien und diejenigen, die an der Spitze standen, würden schon darauf achten, dass diese Privilegien nicht auf die unteren Ränge übergingen.

In Sunfrosts Gedanken klangen die Worte des Admirals noch nach.

Irgendwie hatte man nach einem Zusammentreffen mit Raimondo stets das Gefühl sich falsch verhalten und die Karriere ein für allemal ruiniert zu haben.

Und diesmal traf das ganz besonders zu.

Es sollte mir gleichgültig sein, was dieser selbstherrliche Kerl denkt, dachte Sunfrost. Einfach tun, was man für richtig hält, mehr dem Bauch folgen, als dem Verstand und dann abwarten, was dabei herauskommt.

––––––––


EINSCHLIESSLICH DER Kommandantin bestand die Besatzung der DEFIANT-29 aus fünf Personen. Fähnrich Brent Tahano war der Rudergänger des bewaffneten Raumbootes. Ein Absolvent der Space Army Corps Akademie auf Ganymed, genau wie Sunfrost selbst. Nur mit dem Unterschied, dass sie gerade Lieutenant geworden war, während der ein paar Jahre jüngere Tahano vor kurzem die Akademie beendet hatte. Trotz seiner geringen Erfahrung war Tahano ihr Stellvertreter, was einfach daran lag, dass er als Fähnrich die Offizierslaufbahn eingeschlagen hatte, während es sich bei den anderen Besatzungsmitgliedern lediglich um einfache Crewmen handelte.

Während des Qriid-Krieges von 2236-39 hatte es hohe Verluste unter den Besatzungen der Space Army Corps Schiffe gegeben. Daher waren zahlreiche Männer und Frauen im Schnellverfahren ausgebildet und angeheuert worden. Zumeist kamen sie aus technischen Berufen der zivilen Raumfahrt oder waren aus den lokalen Verteidigungsflotten hervorgegangen, die einige Mitgliedssysteme der Humanen Welten bereits vor Gründung der gemeinsamen Raumstreitmacht aufgestellt hatten.

“Captain, es ist alles bereit zum Aufbruch”, meldete Tahano.

Captain. Hört sich gut an, dachte Sunfrost. Ein Captain bezeichnete innerhalb des Space Army Corps der Humanen Welten immer den Kommandanten eines Schiffs, ganz gleich wie groß die Einheit war, wie viel Mann Besatzung sie hatte oder welchen militärischen Rang der Kommandant innehatte. Dass es dabei auch einen militärischen Rang mit der Bezeichnung Captain gab, gehörte zu den vielen Absurditäten, die es traditionellerweise in derartigen Hierarchien gab und mit denen man sich wohl am besten frühzeitig abfand.

“Danke, Fähnrich Tahano.”

“Es sind alle Besatzungsmitglieder an Bord. Crewwoman Gao hat die Maschinen schonmal heiß laufen lassen, wenn Sie verstehen, was ich meine.”

Sie gingen durch den Korridor, der von der Schiffsschleuse zur Brücke führte. Rechts und links befanden sich die Kabinen. Einzelkabinen. Und so klein wie komfortable Särge. Dracula’s Home nannte man sie deswegen auch. Sunfrost war aus ihrer Akademiezeit bestens mit den Verhältnissen auf bewaffneten Raumbooten vertraut. Für taktische Übungen hatten nämlich so gut wie nie große Kampfschiffe zur Verfügung gestanden. Man hatte schon froh sein können, genügend Raumboote für die Ausbildung zur Verfügung zu haben und nicht etwa lediglich auf den Simulator angewiesen zu sein. Denn für die Realität gab es letztlich keinen Ersatz - und wenn man die zum ersten Mal in einer Gefechtssituation kennenlernen musste, war das mit Sicherheit etwas spät.

“Um ehrlich zu sein, weiß ich keineswegs, was Sie damit meinen, dass Crewwoman Gao die Maschinen hat heiß laufen lassen”, sagte Sunfrost. “Ich kann mir jedenfalls schwer vorstellen, dass die Maschinen bereits gestartet wurden, während wir noch angedockt sind. Davon abgesehen, würde man die Vibrationen spüren.”

“Sie kennen sich anscheinend mit den Raumbooten des DEFIANT-Typs aus, Captain.”

“Ich bin oft genug mit einer DEFIANT geflogen.”

“Entschuldigen Sie, Captain. Damit ist gemeint, dass sie die Startroutine des Antriebs in der Simulation hat durchlaufen lassen. Dann ist die Wahrscheinlichkeit für einen reibungslosen Start höher.”

“Ah, ja.”

Tahano war ihr, was der Jargon der Raumboot-Crewmen anging, um ein paar Monate voraus. Ein paar Monate Erfahrung, die sich in diesem Moment bemerkbar gemacht hatten.

Tahano blieb stehen und deutete auf eine Schiebetür. “Der Sarg des Captains.” Tahano deutete auf die kleine Tasche, die Sunfrost mit sich führte. In der war gerade mal Platz für eine Ersatzuniform und die nötigsten persönlichen Dinge.

“Sie sollten Ihre Sachen dort lassen.”

“Sie haben recht, Fähnrich.”

“Legen Sie Ihre Hand neben die Markierung, damit sich die Tür öffnet."

"Warum neben die Markierung?,", wunderte sich Sunfrost.

"Ist ein Produktionsfehler. Der sensitive Bereich liegt rechts neben der Markierung, anstatt genau dort, wo sie eigentlich hätte sein sollen." Tahano zuckte mit den Achseln. "Kriegsproduktion. Da musste manches ziemlich schnell gehen, wie mir scheint."

"Müssen nicht erst meine telemetrischen Daten und mein Handabdruck aus der zentralen Datenbank des Space Army Corps abgerufen werden?", fragte Sunfrost, die ihre Hand im ersten Moment zurückzog, ohne den sensitiven Bereich berührt zu haben. "Mir ist jedenfalls nicht bekannt, dass dies automatisch und vor allem ohne Bestätigung des Dateninhabers geschieht."

Tahano grinste.

"Geschieht auch nicht, Captain."

"Aber..."

"Funktioniert aber trotzdem. Wir haben die individualisierenden Funktionen der Sensorfelder abgeschaltet. Die haben ohnehin nicht zuverlässig funktioniert und immer wieder für Ärger gesorgt.”

"Das bedeutet, jedes Besatzungsmitglied hat freien Zugang zu jedem..." Sunfrost zögerte, ehe sie dem Slang-Ausdruck für die Kabinen eines Raumbootes benutzte. "...Sarg?"

"Captain, es befinden sich nie mehr als fünf Besatzungsmitglieder an Bord der DEFIANT-29. Wenn wir uns nicht vertrauen, dann sollten wir gar nicht erst in einen Einsatz fliegen, finden Sie nicht auch?"

Etwas irritiert hob Sunfrost die Augenbrauen.

"Hat mein Vorgänger das so gesehen?"

"Ja, Captain. Das hat er. Hören Sie, ich weiß, dass man beim Stabsdienst auf einem Dreadnought einen etwas anderen Standard gewohnt ist. Und ich muss ehrlich gestehen, dass ich auch erst eine Weile gebraucht habe, um mich an manche Dinge zu gewöhnen, die ich von der Space Army Corps Akademie irgendwie etwas anders kannte."

"Ehrlich gesagt, hatte ich immer die Vorstellung, dass Vorschriften dazu da sind, eingehalten zu werden."

"Ehrlich gesagt, habe ich meine ersten Monate hier an Bord im Wesentlichen dazu verwandt, mich von diesen Vorstellungen so weit wie möglich zu lösen, Captain. "

Das kann ja heiter werden, dachte Sunfrost.

Bis zur Brücke waren es nur ein paar Schritte. Von einer Brücke im klassischen Sinn zu sprechen, war ohnehin auf einem so kleinen Raumschiff vollkommen übertrieben. Die Brücke war abgesehen vom Maschinentrakt der größte Raum. Und eigentlich auch der einzige, der sich zum Aufenthalt eignete, es sei denn man wollte schlafen und begab sich in seinen Sarg.

Dracula’s Home, so hatte es auf der Akademie geheißen, sei ursprünglich dafür vorgesehen gewesen, als Rettungskapsel im Fall einer Havarie abgesprengt zu werden. Aber dazu war es aus Kostengründen nie gekommen. Schnell, billig, effektiv - das waren die Maximen gewesen, die in den Jahren des Qriid-Krieges maßgeblich gewesen waren.

Tahano stellte den Rest der Besatzung vor. Sunfrost kannte die Gesichter allerdings bereits aus den Personaldaten, die sie sich natürlich vor Antritt ihres Kommandos angesehen hatte.

Neben der Triebwerkstechnikerin Leka Gao war Crewman Seku Delan der Kommunikationstechniker an Bord der DEFIANT-29. Die Waffensysteme bediente Crewman Fu Davis.

Keiner von ihnen hatte einen Offiziersrang oder befand sich in einer Ausbildung, die mit einem Offizierspatent der Space Army Corps Akademie abgeschlossen wurde. Daher wurde auch nicht vom Waffenoffizier oder Funkoffizier gesprochen, wie es an Bord größerer Einheiten und selbst auf Zivilschiffen gang und gäbe gewesen wäre, sondern von Technikern und Crewmen.

Sunfrost begrüßte die Crew knapp.

"Wir haben Order, umgehend in unser zukünftiges Haupteinsatzgebiet aufzubrechen. Unser Ziel ist der Matthews-Sektor im Kuiper-Gürtel. Es gibt dort anscheinend Schwierigkeiten mit Erzpiraten und deshalb will das Space Army Corps dort verstärkt Präsenz zeigen", erklärte Sunfrost. "Nähere Instruktionen werden wir wohl vor Ort bekommen."

"Also das Übliche", gestattete sich Waffentechniker Fu Davis eine Bemerkung.

"Ich glaube, niemand von uns würde es vorziehen, gegen Qriid zu kämpfen", gab Sunfrost zurück.

"Ich habe den Krieg auf so einem lausigen Unterlichtraumboot mitgemacht”, sagte Davis.

"Dann wissen Sie ja, wovon ich spreche, Crewman Davis."

"Mit einer unterlichtschnellen Einheit gegen Angreifer zu kämpfen, die urplötzlich aus dem Zwischenraum auftauchen und auch dorthin wieder verschwinden, wenn sie genug von einem haben, ist generell alles andere als eine erfreuliche Angelegenheit, Captain. Gegen die Piraten, die es hin und wieder im Kuiper-Gürtel gibt, haben wir zumindest eine reelle Chance, sie auch zu kriegen, weil sie in der Regel nicht so gut ausgerüstet sind wie die Qriid."

"Das wird sich vermutlich bald ändern", glaubte Kommunikationstechniker Seku Delan. "Überlichtantriebe werden immer preiswerter. Eines Tages wird jedes Beiboot ein Sandström-Aggregat haben. Und nur das Space Army Corps wird noch mit alten Kisten durch das All gurken, weil der Humane Rat mal wieder irgendwelche Sparmaßnahmen beschließt, die wir alle eines Tages teuer bezahlen werden."

Eine Befürchtung, die Sunfrost durchaus teilte. Sie ging allerdings auf diese Bemerkung jetzt nicht weiter ein. Die Politik des Humanen Rates zu kommentieren, sah sie nicht als ihre Aufgabe an. Eigentlich sollten die Angehörigen des Space Army Corps darauf vertrauen können, dass man dort vernünftige Entscheidungen traf, die auch die Tatsache in Betracht zogen, dass das All kein friedlicher Ort und vor allem die Qriid kein friedlicher Nachbar waren und dass sich an der generellen Aggressivität dieses Sternenreiches auch durch die eingetretene Waffenruhe im Grundsatz nicht das Geringste geändert hatte.

“Ruder! Starten Sie!”, befahl Sunfrost.

“Aye, aye, Captain”, bestätigte Brent Tahano. Er nahm ein paar Schaltungen an der Konsole des Rudergängers vor.

Im Notfall musste jeder an Bord die Funktion eines jeden anderen übernehmen können. So waren die Besatzungen ausgebildet worden und auch Sunfrost hatte während ihrer Zeit auf der Space Army Corps Akademie auf Ganymed jede der Funktionen ausgefüllt. Selbst die des Triebwerktechnikers, auch wenn sie nicht gerade sagen konnte, dass ihr dieser Part besondere Freude gemacht hatte. Auf größeren Schiffen hatte diese Position üblicherweise ein Ingenieur inne, sodass es nahezu ausgeschlossen war, dass man mit einer gewöhnlichen Standard-Offiziersausbildung des Space Army Corps auf so einen Posten abkommandiert wurde.

Nachdem Brent Tahano die DEFIANT-29 gestartet hatte, ging ein dumpfes Rumoren durch das Raumboot. Der Boden zitterte leicht. Auch daran muss ich mich wohl erst wieder gewöhnen, dachte Sunfrost. An Bord der Dreadnought NEW CALIFORNIA hatte man davon jedenfalls nichts gemerkt.

Das Raumboot löste sich vom orbitalen Spacedock.

Sunfrost verfolgte auf einem Drei-D-Display mit, welche Position die DEFIANT-29 gerade hatte.

Tahano war ein gute Pilot. Das konnte sie jetzt schon sagen.

“Triebwerksstatus: zufriedenstellend”, meldete Gao unterdessen, nach ein paar angestrengten Blicken auf ihre Displays.

“Nur zufriedenstellend?”, wunderte sich Sunfrost.

Gao drehte sich kurz um. Ihre schräg gestellten Mandelaugen waren sehr dunkel. Das blauschwarze Haar hatte die Triebwerkstechnikerin zu einem strengen Knoten gebunden. “Mehr als zufriedenstellende Werte haben wir schon lange nicht mehr erreicht”, sagte sie.

“Ach, nein?”

“Das ist genau genommen so, seit dieses Raumboot bei einem Qriid-Gefecht einen Traser-Treffer abbekommen hat. Über ‘zufriedenstellend’ sind wir seitdem nicht mehr hinausgekommen, meistens liegen die Anzeigen in Bereichen, die sich laut Vorschrift nur als ausreichend zusammenfassen lassen.”

“Was für ein Gefecht war das?”, fragte Sunfrost.

“Nicht gerade die Schlacht von Tridor”, sagte Gao. “Niemand an Bord der DEFIANT-29 hatte bisher die Gelegenheit, Geschichte zu schreiben, so wie Sie, Sunfrost.”

“Lieutenant Sunfrost”, stellte die frisch gebackene Kommandantin klar. Der Umgangston war hier ziemlich locker. Lockerer jedenfalls, als sie es auf der NEW CALIFORNIA oder irgendeinem anderen Schiff des Space Army Corps kennengelernt hatte. Aber angesichts der Tatsache, dass die meisten Besatzungsmitglieder der bewaffneten Raumboote nicht die reguläre Ausbildung auf Ganymed durchlaufen hatten, war das nur zu verständlich. Trotzdem - Sunfrost hatte instinktiv das Gefühl, jetzt eine deutliche Grenze ziehen zu müssen. Und das hatte sie nun getan. Ob dieses Bestehen auf der Autorität ihres Ranges wirklich ein kluger Zug gewesen war, musste sich allerdings noch herausstellen. Sunfrost war sich in diesem Punkt selbst nicht so ganz sicher. In einer Crew von fünf Mann gelten wohl immer ein bisschen andere Gesetze, als wenn es um tausend Mann Besatzung an Bord eines Dreadnought geht, dachte sie. Laut sagte Sunfrost: “Ich habe die Schlacht von Tridor nicht mitgemacht.”

“Ich dachte, Sie wären auf der NEW CALIFORNIA gewesen?”, wunderte sich Gao.

Ihr Gesicht blieb dabei vollkommen unbewegt.

“Ich habe im Stab von Admiral Müller gedient und wurde abberufen, kurz bevor die NEW CALIFORNIA den Befehl bekam, ins Tridor-System zu fliegen.”

“Ich verstehe.”

Das glaube ich kaum, dachte Sunfrost. Der Unterton in Gaos Stimme war es, der Sunfrost von Anfang an nicht gefallen hatte. Ich scheine ihr offensichtlich nicht sympathisch zu sein, dachte Sunfrost. Vielleicht mag sie es einfach auch nicht, dass jemand von der Ganymed Akademie daherkommt, und ihr Befehle erteilt. Jemand ohne die geringste Ahnung von der Praxis, wie sie vielleicht glaubt... In gewisser Weise verständlich, aber Rücksicht werde ich darauf nicht nehmen können.

Gao wandte sich an Seku Delan, den Kommunikationstechniker.

“Doch keine Kriegsheldin, Seku! Man hat dir offenbar nicht die vollständige Story erzählt!”

“Anscheinend”, wiederholte Delan, ohne dabei von der Kontrolle seiner Displays aufzublicken. Er war kahlköpfig und schwarz.

Schon im Sitzen wirkte er riesig. Wenn er sich erhob, fragte man sich, wie ein so großer und breitschultriger Mann in einem der Kabinensärge überhaupt Platz finden konnte.

Offensichtlich ging es.

Seku Delan diente schließlich schon ein paar Jahre auf der DEFIANT-29 und es war wohl kaum anzunehmen, dass er diese Zeit schlaflos verbracht hatte.

––––––––


ZWEI WOCHEN DAUERTE der Flug ins Zielgebiet im Kuiper-Gürtel. Die DEFIANT-29 verfügte zwar über ähnliche Beschleunigungswerte wie die überlichtschnellen Schiffe des Space Army Corps. Innerhalb von zehn Stunden war es möglich auf vierzig Prozent der Lichtgeschwindigkeit zu beschleunigen. Ein Leichter Kreuzer brauchte dafür acht Stunden. Und gerade, was die Beschleunigung von Null auf zehn Prozent der Lichtgeschwindigkeit anging, war ein Raumboot wie die DEFIANT-29 sogar schneller, was an der geringeren Masse im Verhältnis zur Leistungsstärke der Triebwerke lag.

Selbst die Qriid-Schiffe konnten von einem bewaffneten Raumboot eingeholt und gestellt werden. Zumindest mit etwas Glück.

Im Gegensatz zu den überlichtschnellen Einheiten trat die DEFIANT-29 allerdings nicht bei einem Wert von vierzig Prozent LG in den Sandström-Raum ein, um in diesem Zwischenkontinuum eine Geschwindigkeit zu erreichen, die relativ zum Normalraum höher als die Lichtgeschwindigkeit war.

Die Eintrittsgeschwindigkeit, die den Übertritt in den Sandström-Raum ermöglichte, wurde nur für überschaubare Zeitspannen gehalten.

Und das war auch gut so, denn andernfalls hätten sich Zeitdilatation und erhöhte Strahlung auch bei diesen Werten bereits auf Dauer bemerkbar gemacht. Die Geschwindigkeit stauchte den Raum. Sie verkürzte Entfernungen - aber sie macht auch aus harmloser, langwelliger Infrarotstrahlung im Extremfall kurzwellige Gamma-Strahlung.

Auf Dauer schneller als mit 40 Prozent LG zu fliegen wäre tödlich gewesen.

Zwei Wochen Unterlichtflug... Sunfrost hatte nicht geahnt, wie groß die Langeweile sein konnte, wenn man in einer Nussschale gefangen war, die von einem leistungsstarken Triebwerk durch das All geschossen wurde.

Eine Nussschale? Ein erweiterter Sarg, dachte Sunfrost, während sie sich dort zum ersten Mal mehr oder minder häuslich einrichtete, was im Wesentlichen hieß, seine Sache so zu ordnen, dass sie einen nicht störten, wenn man sich ausstreckte. Aufrecht stehen konnte man im Kabinensarg ohnehin nicht. Und Sunfrost konnte sich durchaus vorstellen, dass man darin auf die Dauer Platzangst bekam.

Immerhin war die Decke mit Datenfolie ausgekleidet.

Man konnte sich entweder die Bilder der Außenkameras darauf projizieren lassen oder eines der Bildprogramme aus der Datenbank des Bordcomputers nutzen. Einen schlichten blauen Himmel nach Erdnorm zum Beispiel. Oder wahlweise auch eine Zimmerdecke. Ganz wie man wollte.

Sunfrost streckte sich aus.

Zwei Wochen, dachte sie. Mit einem Überlichtraumschiff ist man in dieser Zeit 50 Lichtjahre entfernt, zum Beispiel im New Hope-System an der Grenze zum Niemandsland zum Imperium der Qriid...

Sie hingegen würde in kosmischen Maßstäben gemessen, diese zwei Wochen mit einer Reise zubringen, bei der die zurückgelegte Distanz gegenüber der Entfernung Sol - New Hope kaum darstellbar war.

Hatte Admiral Raimondo recht? Habe ich einen Fehler gemacht, als ich mich dafür entschied, im nahegelegenen Hinterhof des Sol-Systems herumzufliegen, anstatt an den Grenzen der menschlichen Besiedlung des Weltalls?

Über ihren Armbandkommunikator steuerte sie das Programm der Datenfolie an und stellte eine Verbindung zur Sandström-Funkanlage her. Da derzeit kein Alarm herrschte, war der überlichtschnelle Funk für private Verbindungen der Besatzungsmitglieder frei verfügbar. Und im Gegensatz zum herkömmlichen Funk musste man wenigstens nicht Stunden oder Tage auf eine Antwort warten.

Auf der Datenfolie über Sunfrosts Kopf erschien ein Bild-Fenster. Ansonsten hatte sich Sunfrost dafür entschieden, die Aufnahmen der Bordkameras an die Decke ihres Sargs zu projizieren, sodass man die Illusion haben konnte, frei ins All sehen zu können. Schließlich bin ich Raumfahrerin, ging es ihr durch den Kopf. Und besser als Platzangst durch die sargähnliche Innenoptik dieser Mini-Kabine zu bekommen war es allemal.

Das gerade geöffnete Bild-Fenster schien mitten im Nichts des Alls zu schweben. Es zeigte zunächst nur das Emblem des Kommunikationsservice des Space Army Corps.

"Ihre Verbindung nach Sedna", sagte die Kunststimme des Systems.

"Freischalten", sagte Sunfrost.

Wenig später wurde das Space Army Corps Emblem gegen das Markensymbol des Far Galaxy Konzerns ausgetauscht. Far Galaxy betrieb die Akademie auf dem Zwergplaneten Sedna, wobei diese Ausdrucksweise den Sachverhalt nicht so ganz traf. In Sedna hätte es eigentlich heißen müssen, nicht auf Sedna. Die Forschungsanlagen der konzerneigenen Forschungseinrichtung und Universität befanden sich nämlich zum Großteil unter der Oberfläche des gut 1200 km durchmessenden Zwergplaneten, der jenseits der Bahn des Pluto seine exzentrische Bahn zog, die ihn vermutlich alle zehntausend Jahre einmal die Sonne umrunden ließ. Vermutlich deshalb, weil das so genau bisher niemand sagen konnte. Die menschliche Wissenschaft beschäftigte sich einfach noch nicht lange genug mit der Erforschung der Umlaufbahnen von so weit entfernten Objekten, als dass es möglich gewesen wäre, einen kompletten Sonnenumlauf von Sedna zu verfolgen. Und während einer so langen kosmischen Reise konnte alles mögliche geschehen, was die Umlaufgeschwindigkeit zeitweise erhöhte oder abbremste. Und auch, wenn der Kuiper-Gürtel quasi der kosmische Hinterhof des Sol-Systems war und die Menschheit der Humanen Welten inzwischen zahlreiche weitere Systeme besiedelt und erforscht hatte, waren noch immer nicht alle Objekte bekannt, die in diesem entlegenen Gebiet umherflogen. Es gab tausend von Zwergplaneten darunter. Die größten übertrafen Pluto an Volumen und Masse, so wie beispielsweise Eris, auf dem es immerhin einen florierenden Raumhafen für Prospektorenschiffe gab und sich in den letzten fünfzig Jahren eine ganz ansehnliche Werftindustrie entwickelt hatte.

Ungefähr 800 km Durchmesser brauchte ein Körper, um sich zu einer mehr oder minder gleichmäßigen Kugelform zusammenzuballen, was eine der Voraussetzungen zur Klassifizierung als Zwergplanet war. Wie viele Objekte dieser Klasse es letztlich im Sonnensystem gab, war nicht bekannt. Es wurden immer wieder neue entdeckt, klassifiziert, kartographiert - und gegebenenfalls auch besiedelt und wirtschaftlich ausgebeutet, wenn es interessante Rohstoffe gab.

Darüber hinaus gab es natürlich noch jede Menge unregelmäßig geformter Brocken jeder nur denkbaren Größe zwischen der Neptun-Bahn und der äußersten Systemgrenze, von der eigentlich niemand genau wusste, wo man sie ansetzen sollte. Irgendwo zwischen Sol und Proxima Centauri überwog dann einfach die Gravitation eines anderen Gestirns.

In dem Bildfenster erschien ein bekanntes Gesicht.

"Tony", entfuhr es ihr.

Tony Morton, geniales Wissenschaftler-Talent in den Bereichen Genetik und Terraforming und allem, was diese beiden Gebiete miteinander verband, war ihr Ehemann. Eine Beziehung auf Distanz - notgedrungen und durch die Umstände erzwungen. Sie hatten sich kennengelernt, als sie noch auf die Ganymed-Akademie gegangen war, ineinander verliebt und ziemlich schnell geheiratet. Vielleicht deshalb, weil sie beide gedacht hatten, dass dieser offizielle Bund eine Art Schutz gegen die Entfremdung war, die sich bei einer Fernbeziehung einstellen konnte.

"Hallo Rena", begrüßte Tony Morton sie. Sein Lächeln wirkte angestrengt. "Wie läuft es mit deinem ersten Kommando?"

"Ganz gut, denke ich."

"Na, dann."

"Man könnte auch sagen, ich halte mich über Wasser."

"Dann würde ich sagen, es ist alles in Ordnung. Mehr kann man doch nicht verlangen, finde ich."

"Ja."

"Wohin geht's?"

"Raumfort Matthews."

"Ist ja quasi um die Ecke", meinte Tony Morton.

Das war natürlich reichlich geschönt ausgedrückt. Die Entfernungen da draußen im Kuiper-Gürtel hatten einen ganz anderen Maßstab als im Inneren des Sol-System. Erde und Pluto waren in ihren gegenwärtigen Positionen ungefähr genauso weit voneinander entfernt wie Sedna und das Raumfort Matthews.

"Ich habe nicht viel Zeit", sagte Tony Morton dann.

“Natürlich.”

“Es findet gleich ein Meeting statt, bei dem sich das finanzielle Schicksal unseres neuesten und geheimsten Forschungsprojektes entscheidet. Du kennst das ja. Es ist immer dasselbe. Ich hoffe, dass meine Präsentation gegenüber den Verantwortlichen des Konzerns da etwas herausholen kann.”

Sunfrost lächelte. “Dann drücke ich dir alle Daumen, Tony.”

“Ich dir auch.”

“Ein Raumboot zum Raumfort Matthews zu fliegen ist nun wirklich nicht gerade eine anspruchsvolle Mission, Tony.”

“Jeder fängt mal klein, würde ich sagen.”

Rena lächelte verhalten.

“Ja, so muss man das wohl sehen.”

“Hör mal, ich muss jetzt wirklich Schluss machen.”

“Schon gut, Tony.”

“Bis demnächst!”

Die Verbindung wurde unterbrochen. Das Emblem des Space Army Corps füllte wieder das Bildfeld aus.

Raumfort Matthews. Was für ein interessanter Ort, dachte Rena voller Ironie. Ein Stück freischwebendes Blech, irgendwo im Kuiper-Gürtel. Selbst Sirius und die Wega sind der Erde verkehrstechnisch näher als diese Station in der Wüste aus Gesteins- und Eisbrocken, die unser Sonnensystem wie eine Kugel umgibt...

––––––––


AN DIE NÄCHTE IN DRACULA’S Home begann Sunfrost sich langsam zu gewöhnen - wobei Nächte wohl nur eine Analogie für ein normaleres Leben sein konnte.

Schließlich herrschte so weit von der Sonne entfernt immer Nacht.

Zeitweilig musste Sunfrost die DEFIANT-29 auch vollkommen allein steuern. Das wurde von jedem Crewmitglied erwartet. Und tatsächlich stellte das an eine Absolventin der Space Army Corps keine besondere Anforderung dar.

Tahano zeigte ihr die Feinheiten, die es bei der Bedienung der Steuerung zu beachten galt. “Unser Gerät ist halt nicht unbedingt A-Ware”, meinte der Rudergänger. “Aber wenn man die Mucken unserer guten DEFIANT-29 etwas beachtet, dann lässt sich mit ihr eigentlich ganz gut umgehen.”

“Sie sprechen schon von unserem Raumboot wie von einer Person”, stellte Sunfrost amüsiert fest.

“So muss man sie nehmen, Lieutenant. Ein paar Macken, aber sonst ganz liebenswürdig. Die Alternative wäre doch nur, diesen Blechkasten möglichst schnell auf den Schrottplatz zu bringen.”

“Manchmal frage ich mich, wie das Space Army Corps den Krieg gegen die Qriid überhaupt überstehen konnte”, seufzte Sunfrost.

“Überstehen”, wiederholte Tahano.

“Was?”

“Naja, auf diesem Wort sollte die Betonung liegen: Überstehen - nicht etwa siegen oder sowas. Und ich finde, das sagt doch schon alles aus. Eines Tages, Lieutenant, kommen die Qriid zurück und dann machen sie uns fertig. Glauben Sie es mir!”

“Mit Ihrer Befürchtung sind Sie keineswegs allein”, gab Sunfrost zurück.

––––––––


EINE ASTRONOMISCHE Einheit (AE) entspricht acht Lichtminuten oder dem Abstand zwischen Erde und Sonne.

Bei etwa vierzig Astronomischen Einheiten Entfernung von der Sonne beginnt der Kuiper-Gürtel.

Das ist knapp hinter der Neptun-Bahn. Und er erstreckt sich dann bis zu einer Entfernung von 500 AE.

Pluto, Eris, Sedna, Quuor, Makemake... Tausende von Zwergplaneten und anderen Objekten aus Eis oder Gestein waren dort zu finden. Niemand wusste, wie viele es waren. Und auch jetzt, im Jahr 2242, waren entfernte Sonnensysteme wie Wega, Sirius oder New Hope teilweise besser erforscht als diese unendliche kosmische Geröllwüste.

Such dir einen Zwergplaneten und du findest ihn, dachte Sunfrost, als sie wieder mal eine Soloschicht hatte und die DEFIANT-29 in Eigenregie durch die ewige Nacht des Alls lenkte.

Tahano und Gao spielten im hinteren Bereich des Raumboots Schach. Delan und Davis lagen in ihren Särgen und ruhten sich aus.

Tatsächlich wanderten alle möglichen Sektierer und Leute, die sich einen interstellaren Flug für ihre Auswanderung nicht leisten konnten, in den Kuiper-Gürtel aus. Manche der Zwergplaneten hatten sogar Monde. Pluto mit seinen sechs Trabanten war ein gute Beispiel dafür. Hin und wieder bildeten mehrere der Zwerge auch bizarre Systeme oder traten in gravitätische Wechselwirkung - entweder mit anderen Zwergen oder mit Neptun und Uranus. Wer es auf einer Welt aus verschmutztem Eis aushalten konnte und wem es nichts ausmachte, dass die Sonne von dort aus gesehen kaum größer als ein heller Stern war, bekam dort einen Ort, wo er ungestört leben konnte.

Zumindest so lange ungestört, bis nicht irgendwelche Konzerne Besitzansprüche stellten. Denn die Rohstoffgewinnung war ein zweiter Grund dafür, dass die kosmische Geröllwüste nicht mehr ganz so einsam war, wie in der Vergangenheit.

Es gab alles Mögliche, was man hier fördern konnte. Seltene Mineralien oder schwerer Wasserstoff oder gefrorene Kohlenwasserstoffe - bei genauerer Betrachtung war die Geröllwüste in Wahrheit eine Schatzkammer. Man musste nur einige Anstrengungen unternehmen, um die Schätze auch zu heben.

Und natürlich gab es auch einige, die es sich in diesem Punkt etwas leichter machten. Piraten, die einfach abwarteten, bis irgendein ungeschützter Frachter mit Deuterium daherkam und ihn sich schlicht und ergreifend kaperten.

Zur Bekämpfung der Piraterie war das Space Army Corps zwar nie gegründet worden. Aber andererseits gab es wohl innerhalb der Humane Welten keine andere Macht, die der Piraterie auf Dauer Einhalt gebieten konnte.

Wenn überhaupt...

Die Neptun-Bahn lag längst hinter ihnen und es lagen noch viele Tage eintönigen Fluges vor ihnen.

“Seien Sie ehrlich, Lieutenant, so haben Sie sich das nicht vorgestellt, oder?”, sprach Crewwoman Gao sie beim Frühstück an. Das Frühstück nahmen sie im hinteren Teil des Raumbootes ein, während Tahano die DEFIANT-29 im Alleingang steuerte. Wenn dessen Schicht zu Ende war, war Sunfrost wieder dran und und Gao hatte sich um einen routinemäßige Überprüfung der Triebwerke zu kümmern.

Alles ging seinen Gang.

“Ich gebe zu, dass unsere Mission bis jetzt nicht gerade aufregend war”, sagte Sunfrost. “Allerdings muss das ja nicht unbedingt ein schlechtes Zeichen sein.”

“Haben Sie auch wieder recht. Aber ich bin ganz ehrlich”, sagte Gao.

“Wie meinen Sie das?”

“Wenn ich ein gutes Angebot für irgendeinen Frachter kriege, bin ich raus aus dem Space Army Corps.”

“Das wäre schade.”

“Wenn man sich schon zu Tode langweilt, kann man das auch zu den besseren Bedingungen der Privatwirtschaft, finde ich.”

“So kann man das natürlich auch sehen.”

“Ich sehe es so.” Gao zuckte mit den Schultern. “Leider war noch nicht das Passendes dabei. Aber ich verfolge die Ausschreibungen, wann immer wir Netzkontakt haben.”

“Nun, danke, dass Sie mich darüber unterrichten”, sagte Sunfrost.

“Ich schenke Menschen, mit denen ich zu tun habe, immer gerne reinen Wein ein.”

“Ich schätze Ihre Arbeit, Gao. Und es hätte mich eigentlich gefreut, wenn wir länger zusammen auf einem Schiff gedient hätten.”

Gao lächelte verhalten, wie es ihre Art war. Ein hintergründiges Lächeln, das nie zu hundert Prozent zu deuten war. Sie strich sich eine Strähne ihres blauschwarzen Haars hinter die Ohren, während sie den letzten Schluck aus ihrem Becher nahm.

“Ich bin ja noch nicht weg”, sagte sie. “Und mich so einfach davonmachen, das geht hier draußen ja wohl schlecht.”

“Allerdings!”

Sunfrost musste schmunzeln.

“Sehen Sie!”

“Was trinken Sie da übrigens?”, fragte Sunfrost.

“Kaffee. Kennen Sie das nicht?”

“Ich habe davon gehört.”

“Ist auf jeden Fall sehr viel besser als diese Synthodrinks, die fast jeder trinkt. Ich lass dieses Gift nicht mehr in mich hineinlaufen und mach mir dafür lieber die Mühe, mir richtigen Kaffee zu machen, auch wenn das ziemlich aus der Mode gekommen ist. Wollen Sie ihn bei Gelegenheit mal probieren?”

“Warum nicht!”, sagte Sunfrost. “Der Geruch gefällt mir jedenfalls!”

––––––––


120 ASTRONOMISCHE EINHEITEN von Zuhause, dachte Sunfrost, während einer ihrer Soloschichten. 120 mal der Abstand Erde-Sonne...

Bis Raumfort Matthews war es jetzt nicht mehr weit.

Sunfrosts Aufmerksamkeit wurde durch einen Himmelskörper abgelenkt, dem man den Namen ‘Tempel’ gegeben hatte.

Die fünfstellige Nummer, unter der dieses Objekt offiziell zu finden war, konnte sich ohnehin niemand merken. Die Götternamen selbst der entlegensten irdischen Kulturen hatten im frühen einundzwanzigsten Jahrhundert als Namensgeber der immer zahlreicher werdenden Zwergplanet-Entdeckungen herhalten müssen. Makemake zum Beispiel war nach dem Schöpfergott der Osterinsel benannt.

Aber irgendwann waren keine Götter mehr übrig geblieben. Inzwischen - fast zweieinhalb Jahrhunderte später, verkaufte die Weltraumagentur der Humanen Welten an Privatpersonen das Namensrecht an den unzähligen Objekten des Kuiper-Gürtels. Gegen eine Gebühr konnte man einem Planeten den eigenen Namen geben.

Auch wenn es nur ein Zwergplanet war. Man hatte einen Platz im Universum. Wer allerdings einen sehr häufig vorkommenden Namen trug, hatte Pech gehabt, denn Doppelbenennungen waren nicht zulässig.

Eine beträchtliche Anzahl der Kuiper Belt Objects (KBO) war daneben aber auch inoffiziell von Prospektoren und Frachterbesatzungen benannt worden. Meistens nach der äußeren Erscheinung oder irgendwelchen markanten Merkmalen.

So war es wohl auch beim Tempel gewesen. Und ganz gleich, ob irgendeine Weltraumagentur der Humanen Welten entschied, dass dieses Objekt nun nach einem zahlenden Erdenbürger oder einer noch ungeehrten Gottheit irgendeiner Südseeinselkultur benannt werden sollte - der Tempel würde seinen Namen wohl zumindest inoffiziell für immer behalten.

Sein Äußeres war einfach zu markant.

Er war 1000 km breit und 500 km hoch. Seine Form glich der eines griechischen Tempels. Es waren säulenartige Strukturen zu erkennen und dazwischen tiefe Höhlen. Niemand wusste, welche Kräfte diese Formen geschaffen hatten. Für die Tendenz der Natur zu harmonischen Formen gab es viele Beispiele: die regelmäßigen Formen von Schneeflocken, die wiederkehrenden Muster von Wellen oder Gesteinsformationen, die aussahen, als wären sie künstlichen Ursprungs und doch nur durch Wind und Wetter geformt worden waren.

Inzwischen gab es eine Unmenge an obskuren Theorien über die Entstehung des Tempels. Es schien ähnlich wie mit den berühmten Mars-Gesichtern zu sein, die auch nichts anderes als völlig willkürlich entstandene geologische Formationen waren: Der Mensch konnte sich anscheinend nicht damit abfinden, dass etwas ohne Sinn und aus dem zufälligen Zusammenwirken natürlicher Kräfte entstanden war.

So war es auch mit dem Tempel.

Es gab die Theorie, dass eine außerirdische Rasse ihn geformt hätte. Aber alle wissenschaftlichen Untersuchungen sprachen eigentlich dagegen.

Schon während ihrer Zeit auf der Space Army Corps Akademie hatte Sunfrost die These gehört, dass die Qriid dieses Objekt geschaffen hätten - durch Einwirkung ihrer Traser-Strahlenwaffen auf eines der unzähligen Gebilde des Kuiper-Gürtels. Danach hatten die Qriid den Tempel quasi aus einem kugelförmigen Zwergplaneten herausgefräst - was die Formabweichung zu erklären vermochte, die doch ganz erheblich war. Schließlich hatte der Tempel eigentlich genug Masse, um im Lauf seiner Geschichte eine zumindest annähernde Kugelform auszubilden.

Sinn dieser Aktion der Qriid sei es gewesen, ein Zeichen ihres Glaubens zu setzen. Noch wusste man nur vage über die religiösen Vorstellungen der Qriid Bescheid, aber es stand fest, dass ihr Rückzug in der Entscheidungsschlacht des Krieges und der danach folgende unerklärte Waffenstillstand mit dem Tod ihres religiösen Oberhauptes zu tun hatte. Und es war wohl auch gesichert, dass die Qriid sich als ein auserwähltes Volk sahen, das von Gott dazu auserkoren war, dem Universum eine Ordnung zu geben. Ihre Soldaten verstanden sich als Gotteskrieger. In so fern machte die Errichtung eines heiligen Tempels mitten im ‘Feindesland’ durchaus Sinn...

Dass der Tempel inzwischen auf den Aufnahmen einiger Observatorien entdeckt worden war, die aus dem mittleren 21. Jahrhundert stammten - also lange bevor es überhaupt den ersten Kontakt zwischen Menschen und Qriid gegeben hatte, ließ die Anhänger dieser Theorie keineswegs verstummen.

Die Gotteskrieger des Heiligen Imperiums der Qriid hätten bereits in der Prä-Weltraum-Ära das Sol-System besucht und diesen Tempel hinterlassen, so ihre Argumentation.

Sunfrost hatte solchen Thesen immer sehr skeptisch gegenübergestanden.

Sie war eigentlich grundsätzlich der Ansicht, dass man zunächst nach der naheliegendsten Erklärung suchen sollte. Und in diesem Fall waren das die zahllosen Kollisionen im Zusammenwirken mit den Gravitationskräften benachbarter Zwergplaneten, in Verbindung mit dem offenbar sehr porösen und nicht besonders dichten Material, aus dem der Tempel zum größten Teil bestand. Es handelte sich vermutlich um das Bruchstück eines größeren Himmelskörpers, dessen andere Bestandteile inzwischen vielleicht schon zu feinerem Geröll und sogar zu Staub zerfallen waren.

Als Sunfrost während dieser einsamen Solo-Schicht an den Steuerkontrollen der DEFIANT-29 saß und auf die Anzeigen starrte, glaubte sie daher im ersten Moment, einer Täuschung aufgesessen zu sein, als sie etwas sah, das ihr bekannt vorkam.

Etwas, das sie so oft schon gesehen hatte, dass es ihr in Fleisch und Blut übergegangen war, die entsprechenden Muster selbst aus einem unübersichtlichen Datenwust heraus zu identifizieren.

Sie nahm noch ein paar Modifikationen an den Einstellungen vor, um sicher zu gehen.

Aber es war kein Zweifel mehr möglich.

Eine Qriid-Signatur, ging es ihr durch den Kopf. Einwandfrei! Da gibt es kein Vertun!

Schon auf der Akademie hatte man den angehenden Raumfahrern des Space Army Corps beigebracht, worauf sie zu achten hatten. Und hier trafen nun gleich eine ganze Reihe von Merkmalen zu.

Die geringe Emission von Traser-Strahlen zum Beispiel. Sie waren in dieser Dosierung weder für die Besatzung des Qriid-Schiffes, noch für sonst irgendwen gefährlich, aber es war kaum möglich, ein Traser-Geschütz an Bord zu haben, ohne dass diese Emissionen angemessen werden konnten.

Sunfrost erinnerte sich daran, dass die Qriid sich im Verlauf des Krieges immer größere Mühe gegeben hatten, diese Signaturen zu unterdrücken. Aber völlig ohne Abstrahlungen, Emissionen, Wärmemuster und so weiter flog kein Raumschiff durch das All. Es ging letztlich immer darum, die typischen Muster zu identifizieren.

Eigentlich müsste ich jetzt unverzüglich Feindalarm geben, ging es Sunfrost durch den Kopf. Aber für einen Moment war sie wie erstarrt.

Ihre Gedanken gingen zurück.

Ein Gefecht gegen die Qriid, während ihres Stabsdienstes an Bord der NEW CALIFORNIA. Mehrere Traser-Treffer in einen Bereich des Schiffes, in dem ich mich gerade aufhielt. Die Arbeit an einer Großsimulation der Flottenstrategie wurde unterbrochen. Wer hatte schon Lust, an einem optimalen Operationsplan für ein koordiniertes Vorgehen der Space Army Corps-Kräfte in mehreren Grenzsystemen nachzudenken. Eine Operation über fünf Lichtjahre hinweg.

So lang war jener imaginäre Frontabschnitt im All, für den Admiral zuständig gewesen war.

Fünf Lichtjahre Grenze zum Niemandsland, dem Raumgebiet aus dem der Feind immer wieder vorstieß.

Und dann sah ich ihn.

Unmittelbar und ohne jede ortungstechnische Unterstützung durch eines der Sichtfenster!

So nahe war der Kreuzer der Vogelwesen herangekommen!

Eine Nussschale im All, wenn man ihn mit dem riesigen Schlachtschiff der Dreadnought-Klasse verglich.

Aber auch ein kleiner Skorpion kann zum tödlichen Stich ansetzen. Größe ist nicht immer Kampfkraft. Und schon gar nicht bei den Qriid, die darüber hinaus in dem Glauben angreifen, dass Gott sie ausgesandt hat und die darum weniger Rücksicht auf ihren eigenen Überlebensinstinkt zu nehmen gewohnt sind.

Im Schleichflug hatte sich der Kreuzer genähert, hatte alle Maschinen abgestellt, alles vermieden, was als Signatur erfasst werden konnte und nur den Schwung seiner vorherigen Beschleunigung genutzt.

Und jetzt war er herangekommen.

So nahe, wie es eigentlich niemals hätte passieren dürfen.

Und doch war es geschehen, allen Sicherheitsmaßnahmen und den modernsten Ortungstechnologien der Humanen Welten zum Trotz...

Ich hätte sofort sagen müssen, was ich sah, ging es Sunfrost durch den Kopf. Doch ich habe gezögert. Und eine Sekunde später kam der Angriff mit mehreren schweren Treffern.

Die Geschützbatterien der NEW CALIFORNIA hatten den Angreifer buchstäblich zerfetzt. Mindestens ein Dutzend schwere Projektile hatten die Außenhülle des Qriid-Raumers durchschlagen. Er platzte daraufhin regelrecht auseinander und verwandelte sich in einen Feuerball.

Aber davon hatten die Mitglieder der Stabsgruppe, der ein gewisser junger Fähnrich namens Sunfrost angehörte, nichts mitbekommen. Denn dort musste man ums nackte Überleben kämpfen. Es gab einen Hüllenbruch. Menschen wurden ins All geschleudert, wo augenblicklich ihr Blut zu kochen begann. Siebzig Prozent des menschlichen Körpers bestehen aus Wasser. Die Siedetemperatur für Wasser liegt auf der Erde bei 100 Grad Celsius. Aber nur dort, unter dem irdischen Druck und im Rahmen der irdischen Temperaturskala. Aber schon ein paar Kilometer höher, in der Stratosphäre liegt der Siedepunkt bei 37 Grad und im freien All noch niedriger. Manche hielten den Weltraum für einen kalten Ort, aber Sunfrost wusste, dass das nicht stimmte. Man wurde gekocht, wenn man ohne Druckanzug ins All geriet. Und dass Sunfrost das nicht am eigenen Leib zugestoßen war und sie nur anderen dabei hatte zusehen müssen, wie sie dahinschwebten und innerhalb von Augenblicken überall aufplatzten, weil ihre Flüssigkeit zu sieden begann. Genau wie bei Kometen, wenn sie das Sonnenlicht traf und ihr Eis ohne das flüssige Aggregat zu erreichen gleich zu Wasserdampf wurde.

Allerdings gab es keinen schönen Schweif dabei.

Und das Vakuum verschluckte jeden Schrei.

Sunfrost hatte sich irgendwo festhalten können, während eine Notfallschaltung aktiviert wurde. Sie regelte die künstliche Schwerkraft hoch. So hoch, dass Sunfrost an den Boden gepresst wurde. Und mit ihr der noch nicht entwichene Teil der Atemluft.

Das hatte sie gerettet.

Dass sie von keinem der glühenden Metallteile getroffen worden war, war pures Glück gewesen - denn auch vagabundierende Trümmer waren natürlich von diesem erhöhten Gravitationsniveau angezogen worden.

Sie hatte in jenen Momenten geglaubt, dass ihre Rippen unter den mörderischen Gravitationskräften brechen müssten. In einer Schicht, die kaum einen halben Meter dick war, herrschte darüber hinaus ein Luftdruck, der so hoch war, als wäre sie von einer Sekunde zur anderen zwanzig Meter tief getaucht.

Die Lungen schmerzten. Und manchmal, wenn sie daran dachte, spürte Sunfrost diesen Schmerz wieder.

So wie in diesem Moment. Sie starrte auf den Tempel. Auf die dunklen Höhlen und säulenähnlichen Gebilde, die wie von einem kosmischen Bildhauer dahingemeißelt aussahen.

Irgendwo da drin, in diesen Höhlen muss ein Qriid-Schiff sein, dachte Sunfrost. Ein kleines vielleicht. Möglicherweise eine Art Jäger, obwohl wir bisher nichts davon wissen, dass sie so etwas entwickelt hätten...

Sie nahm ein paar weitere Einstellungen und Modifikationen vor, versuchte alles aus den Ortungssystemen herauszuholen, was möglich war, um wirklich auch die letzte Möglichkeit eines Irrtums auszuschließen.

Und gleichzeitig löste sie den Feindalarm aus und leitete ein Bremsmanöver ein.

Es war so stark, dass es jeder an Bord der DEFIANT-29 zu spüren bekam.

Auch die Schläfer, die zur Zeit in Dracula’s Home ein bisschen Ruhe fanden.

––––––––


ES DAUERTE NUR AUGENBLICKE bis die gesamte Besatzung der DEFIANT-29 nicht nur auf den Beinen, sondern auch auf dem Posten war.

“Waffensysteme klar”, meldete Fu Davis.

Sunfrost zögerte einen Moment, als sie für Fähnrich Brent Tahano die Steuerkonsole freigeben sollte.

“Captain?”, fragte Tahano etwas irritiert.

“Übernehmen Sie, Tahano.”

“Wie lauten die Befehle?”

“Bremsmanöver fortsetzen.”

“Bleiben wir hier?”

“Sind Sie eine Fragemaschine oder ein Rudergänger?”

Sunfrost gelangte zum Sitz des Captains. Sie taumelte dabei etwas. Die Andruckabsorber taugten wirklich nichts. Ein derartiges Bremsmanöver brachte die ungeschminkte Wahrheit einfach an den Tag. Jene Wahrheit, die wahrscheinlich kein Verantwortlicher des Space Army Corps und schon gar kein Politiker des Humanen Rates gerne hören wollte. Und diese Wahrheit hieß: Die Ausrüstung des Corps ließ erheblich zu wünschen übrig. Zumindest, wenn man nicht gerade auf einer Hochglanz-Dreadnought seinen Dienst tat, auf der zudem auch noch der Befehlshaber eines ganzen Abschnitts seinen Stab unterhielt.

Ein Zittern durchlief jetzt das Raumboot. “Ich muss den Kurs modifizieren. Wir geraten auf Grund der starken Abbremsung ins Schlingern - und ich habe ehrlich gesagt keine Lust mit dem Tempel aneinander zu geraten”, meldete Tahano.

“Versuchen Sie die Resonanz-Phänomene zu eliminieren, Crewwoman Gao”, wandte sich Sunfrost an die Technikerin der DEFIANT-29.

Gao sah angestrengt auf ihre Konsole. Sie selbst wurde von dem Zittern ebenso erfasst wie alle anderen Besatzungsmitglieder. Das machte es nicht unbedingt leichter, das Menue des Displays zu bedienen.

“Ich tue mein Bestes, Madam!”, rief Gao.

Und die Art und Weise, wie die Technikerin das Wort Madam aussprach, hatte schon einen sehr speziellen Unterton.

Sie sagte es im Tonfall einer trotzigen Beleidigung.

Sunfrost überhörte das.

Im Augenblick kam es auf etwas anderes an. Die Signatur des Qriid-Raumfahrzeug.

Sunfrost schaltete sich die Ortung auf das Armlehnendisplay des Kommandantensitzes.

“Captain, Sie haben den Qriid-Alarm ausgelöst, aber ich sehe nirgends eine Signatur...”

Crewman Seku Delan, der inzwischen seinen Platz an der Konsole für Ortung und Kommunikation eingenommen hatte, wurde von Sunfrost unterbrochen.

“Schauen Sie richtig hin, Crewman!”

“Nein, schauen Sie richtig hin. Da ist nichts. Buchstäblich gar nichts.”

Sunfrost überprüfte die eingehenden Daten mit Hilfe ihres eigenen Zugangs zum Ortungssystem über ihr Armlehnendisplay. Verdammt, er hat Recht, wurde es ihr schlagartig klar. Die Signatur wurde nicht mehr identifiziert.

“Ich sehe gerade, Sie haben die Alarmmeldung bereits an Raumfort Matthews übermittelt”, stellte Seku Delan fest.

Sunfrost nahm noch ein paar Einstellungen an ihrem Display vor, checkte die Daten und versuchte irgendeine Erklärung dafür zu finden, dass die Signatur plötzlich nicht mehr identifiziert wurde.

“Macht ja nichts”, meinte Crewwoman Gao. “Blinder Alarm ist besser als zu später Alarm.”

“Das war kein blinder Alarm!”, beharrte Sunfrost. Sie schaltete den Hauptschirm ein. Auf Grund des großen Frontalsichtfensters war dieser Hauptschirm erstens viel kleiner als Sunfrost es von überlichtschnellen Kriegsschiffen gewöhnt war und zweitens war er kaum in Gebrauch. So gut wie nie, um genau zu sein. In einem Raumboot der DEFIANT-Klasse flog man meistens auf Sichtweite. Die meisten Raumbootmannschaften waren sich in dem Punkt einig: Der Hauptschirm war eigentlich eine überflüssige Einrichtung auf einem Raumer wie der DEFIANT-29.

Sunfrost ließ in der schematischen Darstellung die Position markieren, an der die Signatur identifiziert worden war.

"Das Signal hat es tatsächlich gegeben“, stellte Seku Delan nach kurzer Überprüfung fest.

“Haben Sie eine Erklärung dafür, dass es verschwunden ist?”, fragte Sunfrost.

“Es gibt nur die eine: Das Qriid-Schiff ist tatsächlich so selbstmörderisch gewesen in die Höhlen des Tempels hineinzufliegen.”

“Niemand, der bei Verstand ist, würde so etwas tun”, mischte sich Tahano ein. “Ich bin ein guter Pilot und ich traue mir viel zu, aber wenn das jemand von mir verlangen würde, würde ich streiken.”

Gut zu wissen, dachte Sunfrost.

“Wer sagt denn, dass die Qriid bei Verstand sind?”, meinte Fu Davis. Der Waffentechniker der DEFIANT-29 verdrehte dabei der Augen. “Das soll jetzt nicht wie ein Vorurteil gegen Aliens klingen, aber eine Rasse, die dem Universum Gottes Ordnung aufzwingen will - oder das, was sie dafür hält - kann ja wohl nur aus Verrückten bestehen.”

“Solche Verrückten gab es in der Geschichte der Menschheit auch schon”, meinte Sunfrost. “Und wenn man es genau nimmt, sind wir erst vor relativ kurzer Zeit von solchen Ideen mehr und mehr abgekommen...”

Zumindest vorläufig, dachte Sunfrost. Denn wenn sie daran dachte, was Mitglieder von radikalen politischen Bewegungen wie zum Beispiel der immer einflussreicher werdenden HUMANITY FIRST so an Zielen propagierten, dann kamen ihr die kaum aufgeschlossener vor als qriidische Glaubenskrieger, die einfach den Geboten ihrer Religion und ihres Heiligen Imperiums folgten.

“Als es gibt zwei Möglichkeiten: Ein Analysefehler unseres Systems, das vielleicht zu schnell auf Qriid-Schiffe schließt oder es ist wirklich so ein Vogel hier und versteckt sich im Tempel”, stellte Tahano fest. Er drehte sich in seinem Stuhl zu Sunfrost um. “Die Frage ist, ob wir tatsächlich den Bremsvorgang fortsetzen und die Fahrt quasi unterbrechen sollten, um hier auszuharren und darauf zu warten, dass jemand aus den dunklen Löchern des Tempels herausfliegt.”

“Was würden Sie vorschlagen?”

“Die Meldung an Raumfort Matthews ist doch draußen?”

“Ja.”

“Dann liegt der schwarze Peter nicht mehr bei uns, Captain. Jetzt kann Commander Sörensen entscheiden, ob er Unterstützung durch einen Kreuzer oder irgendein anderes Schiff des Space Army Corps anfordert. Wir brauchen uns darüber keine Gedanken mehr zu machen.”

Ja, das ist natürlich auch eine Art und Weise mit Problemen fertig zu werden, dachte Sunfrost. Man muss sich wundern, dass die Menschheit den Krieg gegen die Qriid mit dieser Einstellung überhaupt drei Jahre lang führen konnte!

“Wir werden etwas anderes tun”, bestimmte Sunfrost. Und dabei gab sie sich große Mühe, den Ärger über Tahanos Vorschlag nicht nach außen dringen zu lassen. “Wir werden hier bleiben. Crewman Delan?”

“Ja, Captain?”

“Senden Sie eine Nachricht an Raumfort Matthews, dass es sich bei der georteten Qriid-Signatur um einen Messfehler des Systems gehandelt hat.”

“Aber...”

“Verzichten Sie auf jegliche Verschlüsselung bei der Nachricht. Ein einfacher Überlichtfunkspruch im Sandström-Spektrum.”

“Dann wird ihn jeder mithören können.”

“Genau das ist der Sinn der Sache, Delan. Crewman Tahano, schalten Sie die Maschinen aus und fliegen Sie im Schleichflug weiter.” Sunfrost wandte sich an Gao und fuhr fort: “Sie sorgen dafür, dass alle, wirklich alle nicht unbedingt notwendigen Systeme abgeschaltet werden.”

“Ja, Captain”, murmelte sie.

Ihr schien es nicht sonderlich zu behagen, was Sunfrost da angeordnet hatte. Auch wenn sie sich bisher nicht dazu äußerte, so schien sie doch insgeheim Tahanos Ansicht zu sein, die schlicht zusammengefasst lautete: Wir sollten tun, als hätten wir nichts gesehen und andere den Job machen lassen.

Aber Sunfrost war entschlossen, dieser Sache auf den Grund zu gehen.

“Die DEFIANT-29 ist hier und wir werden dieser Sache auf den Grund gehen”, stellte sie anschließend noch einmal klar.

“Ich hoffe nur, dass Sie diesen Entschluss nicht noch bereuen, Captain”, gab Tahano zurück.

“Ich verstehe, was Sie vorhaben, Captain”, meldete sich jetzt Fu Davis zu Wort. Der Waffentechniker grinste schief. “Sie wollen den Qriid - falls es ihn gibt - aus seinem Versteck locken.”

“So ist es”, nickte Sunfrost. “Vielleicht werden wir etwas Geduld brauchen.”

“Und vielleicht auch sehr viel Glück”, meinte Davis.

Vier gegen eins.

Das war das Zahlenverhältnis im Moment, was das Für und Wider dieser Vorgehensweise betraf. Aber ich bin die Eins und muss tun, was notwendig ist, ging es Sunfrost durch den Kopf.

Stunden vergingen.

Die Anspannung an Bord der DEFIANT-29 wuchs. Die ganze Zeit über war die Mannschaft in ständiger Alarmbereitschaft. Im Augenblick geschah gar nichts. Da war nur ein bewaffnetes Raumboot, das durch das All trieb, vorangebracht nur von dem noch nicht abgebremsten Schub, mit dem es diesen Ort erreicht hatte. Tahano steuerte das Raumboot so, dass es sich noch verlangsamte.

Die DEFIANT flog dabei einen Kurs, der sehr nahe am Tempel vorbeiführen würde.

Dabei verringerte sich ihre Geschwindigkeit weiter.

“Irgendein Anzeichen dafür, dass sich was tut?”, fragte Sunfrost schließlich in die Stille hinein an Crewman Delan gerichtet.

“Ich halte den Höhleneingang im Auge unseres Ortungssystems, wo das Qriid-Schiff verschwunden ist”, sagte Seku Delan.

“Tun Sie das auch mit den anderen Höhleneingängen”, wies Sunfrost ihn an.

“Aber...”

“Es könnte Verbindungen zwischen den Höhlen geben.”

“Davon ist mir zwar nichts bekannt, aber wenn Sie meinen...”

“Niemandem ist davon etwas bekannt, Delan”, gab Sunfrost zurück. “Denn wie heute schonmal jemand treffend bemerkt hat, wäre es Wahnsinn, in diese engen Gänge hineinzufliegen...”

Wenn es einer getan hätte, wäre etwas darüber in unserer Datenbank zu finden, ging es der Kommandantin durch den Kopf.

In diesem Augenblick ging das Licht aus. Die Notbeleuchtung bestand aus fluoreszierenden Streifen an den Wänden. Das Licht der Sterne war kaum sichtbar, weil die gewaltige ‘Vorderfront’ des Tempels die DEFIANT-29 dagegen abschirmte.

Die Sonne schien zwar aus der anderen Richtung - aber auf deren schwaches Leuchten verließ man sich in so großer Entfernung vom Zentralgestirn besser nicht.

“Sie haben gesagt: Möglichst alle Systeme sollen abgeschaltet werden”, entschuldigte sich Crewwoman Gao, die wohl für diesen Ausfall des Lichts verantwortlich war.

“Ist schon in Ordnung”, meinte Sunfrost.

“Je nachdem, wie lange diese Operation dauert, wird es vielleicht auch etwas frisch hier im Raumboot werden”, fügte Gao noch hinzu. “Es sei denn, Sie gestatten Tahano eine Kursänderung, sodass wir aus dem Schatten des Tempels herauskommen.”

Sunfrost ging darauf nicht weiter ein.

Während eines Raumfluges war es normalerweise kaum je das Problem, dass es zu kalt wurde. Ganz gleich, was Leute davon sagten, die keine Ahnung davon hatten. Die Kälte des Weltalls war sprichwörtlich geworden.

Wärme war die Bewegung kleinster Teilchen.

Und wo nichts mehr war, da konnte sich auch nichts bewegen.

Da war der absolute Nullpunkt von Minus 273,5 Grad Celsius oder 0 Kelvin.

Tiefer ging es es nicht hinab.

Und trotzdem hatten fast alle Raumfahrzeuge das Problem, ihre Hitze irgendwo loszuwerden. Schon die einfachen, primitiven Raumfahrzeuge und Satelliten am Beginn der Weltraum-Ära hatten dafür Radiatoren gehabt. Denn wenn das Licht der Sonne selbst aus so großer Entfernung auf ein Raumschiff traf, dann wurde es aufgeheizt. Unweigerlich. Wie hätte es auch die Wärme loswerden können, da es von nichts umgeben war. Ein paar Moleküle pro Quadratmeter - das war zu wenig, um Wärme abzuleiten. Und so hatte auch die DEFIANT-29 ausfahrbare Radiatoren, die die Hitze in Form von Infrarotstrahlung ins All entließen. De einzige Möglichkeit, die es gab.

Doch im Moment befand sich die DEFIANT im Schatten des Tempels. Schatten bedeutete Kälte. Selbst in unmittelbarer Nähe der Sonne war das so. Einige Kratertäler des sonnennahen Merkur waren so schattig, dass es dort kälter war, als auf Pluto oder seinem eisigen Mond Charon.

Noch kälter als hier in diesem Tempelschatten ist es wohl nur in den den Höhlen dieses eigenartigen Himmelskörpers, ging es Sunfrost durch den Kopf. Aber das bedeutet auch, dass die Qriid dasselbe Problem haben wie wir. Zumindest, wenn sie sich auf Schleichfahrt befinden. Und dazu sind sie ebenso wie wir gezwungen, wenn sie keinen Wert auf Entdeckung legen...

Die Erkenntnisse über die Qriid hielten sich in Grenzen.

Man hatte drei Jahre Krieg gegen sie geführt, sie aber kaum erforschen können. Abgehörter Funkverkehr, Untersuchung von gefallenen Gegnern - darauf hatte sich die Forschungstätigkeit der Humanen Welten in diesem Punkt beschränkt. Man wusste ein paar grundlegende Dinge über die vogelartige Spezies, deren Angehörige mit ihren technisch hochentwickelten Raumschiffen zum Sturm auf die Humanen Welten angetreten waren. Wie aus dem Nichts tauchten ihre Raumschiffe aus dem Zwischenraum hervor - und dorthin verschwanden sie dann auch wieder, wenn sie sich zurückzogen.

Man wusste, dass die weiblichen Qriid Eier legten und ihr Imperium vom sogenannten Aarriid beherrscht wurde, dem Stellvertreter und Auserwählten Gottes.

Vielleicht hätten sich unsere Forscher nicht einmal mit diesem Aspekt der qriidischen Kultur sonderlich intensiv zu beschäftigen versucht, wenn der Tod des Aarriid nicht entscheidend für den Rückzug der Angreifer gewesen wäre, dachte Sunfrost.

Zumindest war dies die nachträgliche Erklärung, die man für das Geschehen gefunden hatte.

Die Schlacht von Tridor...

Sunfrost war nicht dabei gewesen, aber vielleicht gerade deshalb hatte diese Entscheidungsschlacht gegen die Qriid in ihren Gedanken immer einen besonders prominenten Rang...

Wollen wir hoffen, dass sie kälteempfindlich sind, dachte Sunfrost. Und wollen wir hoffen, dass sie möglichst bald aus ihrem Loch herauskommen und keine guten Filterprogramme haben, um unsere Signatur richtig zu erfassen - beziehungsweise das, was jetzt, nach Abschaltung fast aller Systeme, davon noch übrig geblieben ist...

Delan stutzte plötzlich.

“Ich bekomme hier eigenartige Werte...”, murmelte er. “Sie hatten Recht Captain!”

“In wie fern?”, fragte Sunfrost.

“Es muss ein Qriid-Raumboot oder dergleichen sein - und es kommt nicht aus der Höhle, mit der wir alle gerechnet haben!”

“Rudergänger, gehen Sie auf einen Abfangkurs”, ordnete Sunfrost an.

“Aye, aye, Captain”, bestätigte Fähnrich Tahano. “Allerdings sind mir da gewisse Grenzen gesetzt, so lange ich unseren eigenen Schub nicht aktivieren darf!”

“Ich sage schon, wann die Maschinen wieder gestartet werden dürfen”, gab Sunfrost zurück.

Tahano korrigierte den Kurs entsprechend den Vorgaben seines Captains.

Ein Ruck ging durch die DEFIANT-29, als sie sich etwas drehte. Die Andruckabsorber waren wie alle anderen Systeme auch, in ihrer Funktion auf ein Minimum beschränkt. Selbst die künstliche Schwerkraft an Bord war abgeschaltet. Jeder saß ja schließlich an seinem Platz und die Sicherheitsgurte verhinderten es ohnehin, dass man von dort einfach fortschwebte.

Im großen Sichtfenster des bewaffneten Raumbootes konnte man so gut wie nichts erkennen. Da war nur die namenlose Dunkelheit dieser großen Schattenzone.

Aber das Ortungssystem war keineswegs so blind. Im Infrarotbereich konnten die Außenkameras der DEFIANT die Umgebung in hoher Auflösung erfassen.

Sunfrost aktivierte an ihrem Display eine schematische Darstellung. Sie zeigte den Tempel mit seinen verschiedenen Höhleneingängen.

Und auf dieser Darstellung ihres Armlehnendisplays war auch das Objekt zu erkennen, das die Qriid-Signatur verursacht haben musste.

“Ein Raumboot, das ungefähr doppelt so groß wie unseres ist”, kommentierte Deku Delan.

“Bewaffnung?”, fragte Sunfrost.

“Zwei Traser-Strahlengeschütze, wenn ich das richtig interpretiere.”

“Es ist vermutlich ein Beiboot”, glaubte Brent Tahano.

“Haben Sie irgendwelche Emissionen anmessen können, die auf das Vorhandensein eines Überlichtsantriebs hindeuten, Delan?”, wandte sich Sunfrost an den Ortungstechniker.

Dieser schüttelte den Kopf. “Nein, danach habe ich nun schon eine ganze Weile gesucht, aber nichts gefunden.”

“Sie werden kaum Jahrmillionen Jahre aus dem Qriid-Gebiet bis hier her unterwegs gewesen sein”, glaubte Fu Davis. “Also muss es ein überlichtflugtaugliches Mutterschiff geben!”

“Das fürchte ich auch”, meinte Sunfrost.

“Was haben Sie vor, Captain?”, wollte Fu Davis wissen.

“Wir nähern uns weiter.”

“Achtung, wir werden angepeilt”, stellte Seku Delan fest.

“Sind Sie sicher?”, vergewisserte sich Sunfrost.

“Ganz sicher, Captain.”

“Maximale Kursänderung einleiten, Ruder!”, befahl Sunfrost.

Man konnte einem bevorstehenden Traser-Schuss nicht ausweichen. Das war völlig illusorisch. Man konnte nur hoffen, dass man nicht getroffen wurde.

Das Manöver der DEFIANT-29 war lediglich dazu geeignet, die Trefferwahrscheinlichkeit etwas herabzusetzen.

Die Traser-Strahlen der Qriid hatten eine größere Reichweite und Treffergenauigkeit, als die Gauss-Geschütze, wie sie auf den Kriegsschiffen der Humanen Welten üblich waren. Aber dafür war die Durchschlagskraft auf Seiten der Space Army Corps-Schiffe um ein Vielfaches höher als es beim Gegner der Fall war.

Die wolframumantelten, aus Uran oder Blei bestehenden Projektile, die damit verschossen wurden, hatten eine so gewaltige Durchschlagskraft, dass nahezu nichts ihnen hätte widerstehen können. Keine noch so harte Panzerung und kein Schutzschild.

Die Traser-Strahlkanonen, die von den Qriid als Waffe eingesetzt wurden, flammten jetzt an ihren Mündungen deutlich auf. Die grünlichen Strahlen schossen durch das All. Sie verfehlten das Raumboot unter Lieutenant Sunfrost nur knapp.

Das Armlehnendisplay zeigte an, um wie viele Kilometer die DEFIANT-29 verfehlt worden war.

Aber Kilometer waren hier draußen in der unendlichen Weite des Kuiper-Gürtel-Geröllfeldes eine Größeneinheit, die angesichts der Weite des Raumes vollkommen bedeutungslos erschien.

“Aktivieren Sie die Maschinen, Gao!”, befahl Sunfrost.

“Ist schon geschehen!”, meldete die Triebwerkstechnikerin. Ein Zittern durchlief das Raumboot. Das Licht ging wieder an, es flackerte jedoch zunächst, da die Energie primär für den Start der Triebwerke genutzt wurde.

Es dauerte eine Weile, bis die Triebwerke wieder voll belastungsfähig waren. Ein dumpfes, sonores Brummen war zu hören. Sunfrost spürte, wie der Boden zu ihren Füßen leicht vibrierte und diese Vibrationen sich auf jeden Gegenstand übertrugen.

“Fähnrich Tahano, fliegen Sie den Qriid entgegen”, verlangte Sunfrost. “Und zwar mit maximalem Schub.”

“Geradewegs ins Traser-Feuer hinein”, stellte Tahano fest.

“Es wäre schon großes Glück, wenn sie uns treffen”, stellte Sunfrost klar. Und wenn nicht und wir nahe genug an den Qriid-Raumer herankommen, liegen alle Trümpfe in unserer Hand...

Wenn...

Genau das war der springende Punkt.

Die DEFIANT-29 beschleunigte. Das Feuer des Qriid-Raumers zu erwidern wäre im Moment vollkommen unsinnig gewesen. Die Geschütze des Raumbootes hätten gar nicht die nötige Reichweite gehabt, um eine einigermaßen akzeptable Trefferwahrscheinlichkeit garantieren zu können. Auch dann nicht, wenn alle vier Geschütze des Raumbootes gleichzeitig und im Dauermodus unzählige würfelförmige Projektile verschossen und man bedachte, dass nur ein einziges davon ausreichte, um selbst ein großes Kriegsschiff zu zerstören.

Vorausgesetzt natürlich es traf auch.

Und das vorzugsweise in einen sensiblen Bereich, etwa die Maschinen oder einen Antriebskonverter.

Aber um so einen Treffer zu erreichen, musste die DEFIANT einfach näher an ihren Gegner heran, denn besonders zielgenau waren die starren Frontgeschütze nun wirklich nicht. Sie waren ausschließlich durch Veränderung der eigenen Position des Raumboots etwas zu justieren. Aber ansonsten glichen sie dem ungenauen, aber breit gestreuten Feuer einer Schrotbüchse.

Und ironischerweise war es viel leichter, ein großes Schiff zu treffen, als ein kleines.

Für die Qriid hingegen sah die Rechnung genau andersherum aus. Ihre Traser-Geschütze waren im Vergleich zu den Waffen, mit den die Schiffe des Space Army Corps ausgerüstet waren, ausgesprochen treffsicher und zielgenau - und das auch auf große Distanz.

Aber die Wahrscheinlichkeit eines Treffers blieb dennoch gering.

Die Weite des Raums, die schiere Größe des Alls sorgte dafür.

Mochte ein Qriid-Schütze einer Traser-Waffe auch einem Scharfschützen ähneln, so hatte er trotzdem das Kunststück zu vollbringen, mit einem hauchdünnen Strahl eine Erbse auf hundert Meter Entfernung zu treffen.

“Crewman Delan, senden Sie eine Nachricht an das Qriid-Schiff. Fordern Sie die Besatzung auf, sich zu ergeben und weisen Sie darauf hin, dass sie sich auf dem Territorium der Humanen Welten befinden.”

“Wie Sie meinen, Captain”, erwiderte Delan. “Sie sollten allerdings nicht damit rechnen, dass unser Gegner darauf eingeht.”

“Damit rechne ich auch nicht”, gab Sunfrost zurück. “Fähnrich Tahano?”

“Captain?”

“Kurs beibehalten, Beschleunigung weiterhin auf Maximalwerte.”

“Wenn wir nicht vorher von einem ihrer Traser-Schüsse zersäbelt werden, dann werden wir sie rammen, Captain!”, meinte Tahano sarkastisch. “Leider fehlt uns dafür ein Rammsporn oder sowas, fürchte ich.”

“Ich denke, wir haben da etwas Besseres”, glaubte Fu Davis. Der Waffentechniker der DEFIANT-29 hatte bereits alle Vorkehrungen für die Gefechtsbereitschaft getroffen. Sich beschießen zu lassen, ohne darauf antworten zu können, schien ihm nicht zu behagen. Aber noch war die DEFIANT-29 einfach nicht nahe genug an ihrem Gegner heran. Jeder Schuss wäre nichts als Munitionsverschwendung gewesen.

Fu Davis hatte eine dreidimensionale Übersicht aktiviert, die die Positionen beider Raumschiffe im Verhältnis zueinander und zum Tempel sowie einigen kleineren Gesteinsbrocken anzeigte. Ob letztere sogar Trabanten des Tempels waren, oder nur vagabundierende Brocken, die auf ihrem ziellosen Weg durch das kosmische Geröllfeld des Kuiper-Gürtels gerade von der Schwerkraft des Tempels fortgeschleudert wurden, ließ sich so ohne weiteres nicht sagen. Um das zu beurteilen, wäre ein längerer Beobachtungszeitraum notwendig gewesen.

Die zunehmende Annäherung der DEFIANT-29 und des Qriid-Raumers war maßstabsgerecht sichtbar. Die Markierungen der Raumer selbst war jedoch nicht in ihren realen Größenverhältnissen dargestellt. Denn dann hätte man auch auf dieser Darstellung nur zwei winzige, stecknadelgroße Punkte gesehen, die für das menschliche Auge kaum auszumachen gewesen wären.

Auf seinem Display konnte Fu Davis verfolgen, ab und wann die Trefferwahrscheinlichkeit groß genug war, um eine Feuereröffnung rechtfertigen zu können.

Ein grünlich schimmernder Blitz schien auf einmal das Innere der DEFIANT-29 so grell zu erleuchten, dass die Besatzung geblendet wurde. Das transparente Material der Frontscheibe war chipgesteuert und veränderte seinen Transparenz je nach Intensität der Lichteinstrahlung.

“Explosion 27 Grad Backbord, 12 Grad Höhe über Null-Ebene”, meldete Seku Delan. “Traser-Treffer auf einem nicht katalogisierten Gesteinsbrocken von ungefähr 50.000 Meter Durchmesser.”

“Gehen Sie auf Ausweichkurs, Fähnrich Tahano”, ordnete Sunfrost an.

“Ausweichkurs eingeleitet”, bestätigte Tahano.

Während die DEFIANT-29 ein scharfes Manöver nach Steuerbord vollführte und damit auch die Andruckabsorber an den Rand ihrer Leistungsfähigkeit brachte, war nun die Explosion deutlich zu sehen. Die Transparenz-Materialien der Sichtfenster hatten sich in ihrer Tönung angepasst.

Stumm explodierte da ein kleiner Himmelskörper aus porösem Gestein und etwas gefrorenem Methan und Trockeneis. Kein Laut entstand dabei. Die Trümmerstücke aus teilweise aufgeschmolzenem Gestein geisterten wie Irrlichter durch die ewige Nacht der Schattenzone des Tempels und ließen sie für kurze Zeit etwas heller erscheinen.

Als ob in diesem sternenlosen Hinterhof des Universums plötzlich doch ein paar Sterne geboren worden wären, dachte Sunfrost.

Im nächsten Moment ging ein Ruck durch die DEFIANT-29. Mehrere harte Schläge schienen die Außenhülle zu treffen.

“Kollision mit Trümmerstücken”, meldete Seku Delan.

Die Gesteinsbrocken prasselten regelrecht auf die Außenhülle der DEFIANT ein. Innen wurden dadurch hämmernde Geräusche erzeugt.

“Eine Schubdüse funktioniert nicht mehr”, stellte Tahano plötzlich fest.

“Ist getroffen worden”, ergänzte Seku Delan. “Schaden der Kategorie 3.”

“Können Sie da was machen, Gao?”, wandte sich Sunfrost an die Triebwerkstechnikerin.

“Ich glaube, es wäre im Moment ein ungünstiger Augenblick, um im Druckanzug auszusteigen und da mal nach dem Rechten zu sehen”, gab Gao zurück.

“Haben Sie keinerlei Systemzugriff?”, fragte Sunfrost nochmal nach.

“Momentan nicht. Mein Rechner meldet einen Totalausfall des entsprechenden Bereichs. Ich fürchte, da lässt sich so schnell nichts aus dem Hut zaubern.”

“Sehen wir es positiv”, meinte Brent Tahano. “Es ist nur eine Schubdüse. Und auf die kann ich notfalls verzichten, sodass wir trotzdem noch ans Ziel kommen.”

“Fragt sich nur, ob ich ohne diese Schubdüse noch sowas wie eine gezielte Geschützsalve abgeben kann”, maulte Fu Davis.

Im Gefechtsfall wurde die Lenkung des Schiffs an den Waffentechniker übergeben, der das Raumboot dann jeweils exakt so ausrichtete, wie es der angestrebten Schussrichtung entsprach.

Alles hängt mit allem zusammen, dachte Sunfrost. Ohne funktionierende Schubdüsen sind auch die stärksten Geschütze des Universums nichtmal das Schwermetall wert, das in ihren Projektilen steckt...

––––––––


DIE DEFIANT-29 TAUMELTE dahin, während ein paar weitere Traser-Schüsse beinahe den den Schiffskörper des Raumboots trafen. In Kürze würden die Qriid treffen. Da war auch Sunfrost sicher.

“Feuern Sie, Davis!”, wandte sich die Kommandantin dann an den Waffentechniker.

“Captain, die Gefechtsentfernung ist noch nicht einmal annähernd erreicht. Wir müssten...”

“Bis dahin haben die uns zerstört. Feuern Sie jetzt mit allem, was Sie haben und so gut es ohne die defekte Schubdüse geht.”

“Aye, Captain.”

Auch Brent Tahano machte ein skeptisches Gesicht.

Er schien es Fu Davis nicht so recht zuzutrauen, die DEFIANT-29 mit einer Schubdüse weniger so zu manövrieren, dass ein Anvisieren des Gegners überhaupt möglich war.

Aber da der Captain davon überzeugt zu sein schien, das Richtige zu tun, sagte Tahano schließlich: “Steuerkontrolle an Waffen übergeben.”

“Steuerkontrolle übernommen”, bestätigte Fu Davis. “Wir fliegen im Gefechtsmodus.”

Die DEFIANT-29 drehte sich etwas zur Seite. Und da die Andruckabsorber offenbar nicht mehr ganz zuverlässig waren, wurden Sunfrost und die anderen Besatzungsmitglieder zur Seite gerissen. Ohne die Sicherheitsgurte wären sie hilflos durch die Gegend geschleudert worden.

Aber so hielten sich die Blessuren in Grenzen.

Dann begann Fu Davis zu feuern. Die Geschütze des Raumboots entließen ihre tödliche Ladung. Aus allen vier Rohren wurde gleichzeitig gefeuert.

Mit schier unglaublichen Beschleunigungswerten jagten die Geschosse der platzsparenden Lagerung wegen als würfelförmige Geschosse durch das All. Hohe Geschwindigkeit und spezifische Dichte machten die Durchschlagskraft dieser Geschosse aus. Es war kaum eine Panzerung denkbar, die ihnen auf Dauer widerstehen konnte. Dazu war die kinetische Aufprallenergie einfach zu groß. Einfach, grausam und effektiv - auf diesen Nenner konnte man diese Geschütze bringen.

Es gab einen Treffer.

Allerdings handelte es sich nicht um das Qriid-Schiff, sondern um einen anderen, vagabundierenden Gesteinsbrocken. Ein einziges Projektil spaltete ihn. Das wolframumantelte Geschoss mit einem Kern, der wahlweise aus Uran oder Blei bestand, fetzte durch das Gestein hindurch, als wäre da kaum ein Widerstand. Die beim Durchschlag entstehende Reibung erzeugte Wärme. Der Gesteinsbrocken von immerhin fast einem halben Kilometer Durchmesser platzte förmlich auseinander. Teilweise schmolz er auf. Der Eis-Anteil verdampfte fast augenblicklich.

Ein Anblick, der Sunfrost an einen blasenden irdischen Pottwal oder einen aufschießenden Geysir erinnerte. Auch jetzt flogen wieder einige Bruchstücke in Richtung der DEFIANT-29. Die Treffer waren im Inneren des Raumboots wie Hagelschlag zu hören. Aber glücklicherweise waren diese Stücke - anders als die Geschosse aus den Jagdgeschützen des Raumbootes - nicht schnell und massereich genug, um wirklich Schaden anrichten zu können.

Aber wie sehr schon ein kleiner Schaden wie der an einer der Schubdüsen, die Kampfkraft zu beeinträchtigen vermochte, hatte sich ja gerade erst gezeigt.

Seku Delan meldete den Ausfall einer Außenkamera, die offenbar etwas abbekommen hatte.

Aber das stellte kein größeres Problem dar.

Fu Davis ließ die Geschütze der DEFIANT weite ununterbrochen feuern - bis nachgeladen werden musste.

Sunfrost blickte starr auf das Frontfenster des Raumbootes. Irgendwo da draußen war der Feind, nur sichtbar für das Ortungssystem.

Immer wieder zuckten grünliche Strahlen durch die Schwärze des Alls und unterbrachen sie mit ähnlich grellen Lichterscheinungen wie es bei den explodierenden Himmelskörpern der Fall war.

Und dort, wo der Ausgangspunkt dieser Strahlen war, musste die Position des Qriid-Raumers sein.

Ein rasselndes Geräusch drang nun unangenehm in Sunfrosts Bewusstsein.

Es dauerte einige Augenblicke, bis ihr klar wurde, was das war.

Die frischen Projektile wurden automatisch in die Geschützmagazine geschoben, damit sie anschließend abgefeuert werden konnten.

Obwohl - abgefeuert traf es nicht ganz.

Magnetisch beschleunigt. Das war das Wirkprinzip einer Gauss-Kanone.

Der Geschützladevorgang auf den Space Army Corps Schiffen war Sunfrost eigentlich natürlich bekannt. Sie hatte das auf der NEW CALIFORNIA während des Qriid-Krieges unzählige Male erlebt.

Der Unterschied war nur das Geräusch.

Auf größeren Schiffen hatte man einfach mehr Möglichkeiten, so etwas abzudämpfen. Und wahrscheinlich gab man sich an Bord eines Dreadnought-Schlachtschiffs, das den Stab eines Admirals beherbergte, auch etwas mehr Mühe, was diese Art von Luxus betraf.

Auf einem Raumboot hatte Sunfrost das Nachladen zuletzt während ihrer Zeit auf der Space Army Corps Akademie erlebt. Und irgendwie hatte sie das selbst da sehr viel leiser in Erinnerung.

Ich scheine mit den Jahren empfindlicher zu werden, dachte Sunfrost.

"Wir bekommen eine Nachricht der Qriid herein", erklärte Seku Delan.

"Lassen Sie hören, was die zu sagen haben", verlangte Sunfrost. Typisch war so eine Verhaltensweise für die Gotteskrieger des Heiligen Imperiums eigentlich nicht.

"Es ist keine Audio- oder gar Videospur dabei", erklärte Seku Delan. "Es handelt sich lediglich um eine kurze schriftliche Nachricht. Sie lautet: Qriid ergeben sich nicht. Gott ist auf unserer Seite, denn wir wurden erwählt. Fürchtet seinen Zorn."

"Ich glaube nicht, dass wir das weiter beachten sollten", meldete sich Fu Davis zu Wort. "Auf jeden Fall klingt das nicht gerade wie ein Friedensangebot, würde ich sagen."

"Dem kann ich mich allerdings nur anschließen", meinte Sunfrost.

––––––––


EIN SIGNAL ZEIGTE AN, dass der Nachladevorgang beendet war. Die DEFIANT konnte wieder feuern.

Das Qriid-Schiff hatte unterdessen den Kurs etwas geändert. Offenbar will sich der vogelköpfige Kommandant doch nicht zu hundert Prozent auf die bessere Treffsicherheit seiner Traser-Geschütze verlassen, ging es Sunfrost durch den Kopf.

Fähnrich Tahano ging auf Abfangkurs.

Das Traser-Feuer verebbte für kurze Zeit, wurde dann aber wieder aufgenommen.

Es war gut möglich, dass das Qriid-Schiff für seine Traser-Waffen in irgendeiner Art und Weise eine ähnliche Phase der Aufladung benötigte, wie es bei den Projektilgeschützen der Space Army Corps Schiffe aus ganz anderen Gründen der Fall war.

Aber um das zu beurteilen, wusste man bislang wohl einfach noch zu wenig über die Technologie der Traser.

Sunfrost hatte zwar davon gehört, dass es in streng geheimen Forschungsprojekten, die in Zusammenarbeit zwischen Rüstungskonzernen und dem Space Army Corps durchgeführt wurden, Versuche gegeben hatte, Waffen zu entwickeln, die auf ähnlichen Wirkprinzipien wie die Technologie der Qriid basierten, aber bislang war wohl offensichtlich nichts Vorzeigbares dabei herausgekommen.

Die Qriid blieben einsame Meister darin, Energiestrahlen als zielsichere Waffe zu benutzen.

“Wollen Sie wieder übernehmen, Fu?”, fragte Fähnrich Tahano an den Waffentechniker gerichtet, denn während der Aufladephase hatte natürlich der Rudergänger wieder die Kontrolle über die Steuerung des Raumbootes gehabt.

“Jederzeit”, gab Davis zurück.

“Warten Sie!”, griff Sunfrost ein.

“Kurs ist optimal auf das Abfangen unseres Gegners ausgerichtet”, erklärte Tahano. “Das Einzige, was wir jetzt tun müssen, ist, nicht zu bremsen - und keine weitere Schubdüse verlieren, denn dann kann ich für nichts mehr garantieren!”

“Dann übergeben Sie, Fähnrich. Und Sie Davis, halten sich zurück.”

“Wie lange?”

“Bis ich sage, dass es soweit ist”, antwortete Sunfrost.

Der Erste Angriff war gescheitert. Sunfrost ahnte den Grund. Ich war zu voreilig. Die Entfernung war zu groß. Eine Fehlentscheidung. Aber ich werde diesen Fehler nicht wiederholen...

Sie lehnte sich im Kommandantensitz zurück. Mit einem Fingerwisch über das Armlehnendisplay zoomte sie die schematische Lagedarstellung etwas heran. Ja, Tahano hatte recht, der Kurs war optimal.

Und offensichtlich näherte sich die DEFIANT-29 dem Qriid-Raumer in einem Winkel, der aus irgendeinem Grund nicht optimal für die Schützen der Traser-Kanonen war. Die Schüsse waren nicht mehr so häufig und auch längst nicht so gut gezielt, wie in der früheren Phase des Gefechts. Das könnte daran liegen, wohin die Kanonen jeweils schwenkbar sind, wusste Sunfrost.

Sie hatte bisher zwei Traser-Kanonen beim gegnerischen Schiff vermutet. Und die Computeranalyse zeigte dasselbe Ergebnis mit einer Wahrscheinlichkeit von 89 Prozent an.

Aber seitdem der Gegner auf Ausweichkurs gegangen ist, wurde meistens ein Geschütz verwendet, glaubte Sunfrost erkannt zu haben.

“Können Sie das Feindschiff näher heranzoomen?”, fragte Sunfrost.

“Tut mir leid”, sagte Delan. “Ich habe bereits versucht, das Beste herauszuholen, aber leider sind einige Außensensoren durch das ständige Bombardement mit Gesteinsbrocken etwas in Mitleidenschaft gezogen worden. Eine Kamera haben wir völlig verloren. Ich will zwar nicht sagen, dass wir uns in einem Blindflug befinden, aber es kommt dem schon sehr nahe.”

“Übertreiben Sie nicht, Delan”, mischte sich Brent Tahano ein. “Notfalls kann ich diese Kiste auch mit Hilfe des Sichtfenster navigieren, ob Sie das glauben oder nicht.”

So ein Angeber, dachte Sunfrost, hielt sich aber zurück.

“Feindschiff scheint ein Wendemanöver zu versuchen”, meldete Delan dann ein paar Augenblicke später.

“Feuern Sie jetzt, Mister Davis”, verlangte Sunfrost vom Waffentechniker. Ehe sie in einer Position sind, in der sie wieder beide Geschütze benutzen können, setzte sie noch in Gedanken hinzu. Denn genau das muss der Sinn dieses Manövers sein.

“Aye, aye, Captain!”, bestätigte Davis.

Dann brachte er die DEFIANT-29 in eine Position, in der er das Qriid-Schiff anvisieren konnte.

Die maximale Gefechtsdistanz war nur knapp unterschritten.

Es bestand also das Risiko, auch diesmal nichts zu erreichen.

Aber das werden wir eingehen müssen, dachte Sunfrost, denn unsere Chancen werden sich verschlechtern, wenn das Qriid-Schiff erst wieder beide Geschütze zur Verfügung hat.

Die Projektile schnellten jetzt wieder zu Hunderten in unglaublich kurzer Zeit aus den Rohren. Ein wahrer Geschosshagel prasselte in Richtung des fremden Raumschiffs, das seinerseits das Traser-Feuer eröffnete.

Immer noch nur mit einem Geschütz, wie Sunfrost feststellte.

Wie weit sich das Qriid-Schiff bereits gedreht hatte, war angesichts der ramponierten Ortungssysteme nicht zu sagen.

Eine wichtige Information, die eigentlich Grundlage jeder taktischen Entscheidung in so einer Situation hätte sein sollen.

Aber diese Informationen standen nunmal nicht zur Verfügung.

Der alte Satz von Clausewitz bestätigt sich, dachte Sunfrost. Jede Planung geht nur bis zum nächsten Gefecht - alles, was danach kommt ist Improvisation.

Sunfrost dachte in diesem Moment daran, wie einer ihrer Ausbilder diesen Satz zitiert hatte. Wie oft habe ich ihn schon in der Realität bestätigt bekommen, rief sie sich ins Gedächtnis. Er schien fast den Status eines Naturgesetzes zu haben.

Die Gauss-Geschütze feuerten noch. Es gab noch immer keinen Treffer. Das Qriid-Schiff war anscheinend einfach zu klein - und vier Geschütze reichen am Ende wohl nicht aus, um eine ausreichende Trefferwahrscheinlichkeit zu gewährleisten.

Ein weiteres Mal blendete sie alle plötzlich ein Traser-Schuss. Diesmal war es für kurze Zeit noch heller, als es das erste Mal der Fall gewesen war. Die automatische Abblendung schien überhaupt nicht zu funktionieren.

Sunfrost hatte das Gefühl, nur von grünlichem Licht umgeben zu sein. Selbst wenn sie die Augen schloss, sah sie nichts anderes.

Sie versuchte sich mit den Armen zu schützen.

Ein Knall ertönte. Und im nächsten Augenblick war es vollkommen dunkel in der DEFIANT-29. Nur die fluoreszierenden Streifen an den Wänden sorgten noch für etwas Licht.

“Maximaler Ausfall der Energieversorgung”, stellte Crewwoman Gao fest. "Der Traser-Schuss hat uns zwar nur gestreift, denn sonst wären wir alle nicht mehr unter den Lebenden. Aber für unsere Energieversorgung war das trotzdem der Abgesang."

"Ich habe keine Systemkontrolle mehr", meldete daraufhin Fu Davis. “Weder über die Kanonen, noch über die Steuerung."

"Bei mir dasselbe", erklärte Tahano.

"Notaggregate aktivieren", befahl Sunfrost.

“Das ist nicht so einfach, wie Sie das vorschlagen", meinte Gao. "Wenn ich das richtig sehe, sind die gleich mitbeschädigt worden."

"Ich habe hier noch Anzeigen auf dem Display", meldete Seku Delan.

"Also scheint doch noch was zu gehen", glaubte Sunfrost.

"Muss nichts heißen", widersprach Brent Tahano. "Was Sie nicht wissen können, Captain: Wir haben hier an Bord einige besonders sensible Systeme mit gesonderten Energiezellen gesichert. Dazu gehört auch die Ortung und die Kommunikation. Dann kann man nämlich wenigstens Hilfe rufen, wenn was richtig schiefläuft."

“Standard ist das allerdings nicht”, stellte Sunfrost fest.

"Richtig", bestätigte Tahano. "Das ist einfach nur Trick 17 unseres geschätzten Crewmitglieds Gao. Und ihr Vorgänger als Captain der DEFIANT 29 stand auf so etwas. Ein Sicherheitsfanatiker, wenn Sie verstehen was ich meine.”

“Also jemand, der im zivilen Leben Hosenträger und Gürtel gleichzeitig trägt”, meinte Fu Davis.

“Exakt”, nickte Tahano.

Die respektlose Art, in der Tahano und Davis über ihren ehemaligen Kommandanten sprachen, gefiel Rena Sunfrost nicht. Sie hatte den vagen Verdacht, dass ihre Crew bislang ganz ähnlich über sie dachte. Daran werden wir noch arbeiten müssen, wenn wir aus diesem Schlamassel hier raus sind, ging es ihr durch den Kopf.

“Das Qriid-Schiff verändert den Kurs”, meldete Seku Delan. “Ich denke, die flüchten jetzt.”

“Die suchen das Weite”, kommentierte Fu Davis. “Würde ich an deren Stelle auch machen.”

“Ich habe die Qriid eigentlich etwas anders kennengelernt”, meinte Rena Sunfrost.

Fu Davis wandte den Blick in ihre Richtung. “Wir auch, Captain. Aber ich könnte mir vorstellen, dass man an Bord des Qriid-Raumers glaubt, dass wir erledigt sind.”

“Wundert mich. Dann müssen die keine gute Ortungstechnik haben”, sagte Sunfrost. Es muss einen anderen Grund dafür geben, dass sie sich aus dem Staub machen, ohne sich davon zu überzeugen, dass sie uns wirklich erledigt haben, war Sunfrost überzeugt. Auch wenn mir da im Moment nichts Gescheites einfällt, was die Ursache dafür sein könnte.

Oder wartet irgendwo in der Nähe ein Mutterschiff auf sie, das sie erreichen müssen?

Sunfrost überlegte, ob irgendein anderer Faktor denkbar war, der den Gegner aus einem bisher unbekannten Grund unter Zeitdruck setzte. Aber ihr fiel nichts ein.

“Maschinen lassen sich nicht reaktivieren”, drangen Crewwoman Gaos Worte in Sunfrosts Gedanken. “Ich will Ihnen die Einzelheiten ersparen, aber Traser-Strahlen wirken nunmal sehr schädlich auf die McDoherty-Spulen. Und da sind jetzt einfach zu viele von durchgebrannt.”

“Gab es denn da kein Abdämpfungsfeld?”

“Wo denken Sie hin? Sowas haben vielleicht die Maschinentrakte der NEW CALIFORNIA, aber doch nicht so ein kleines Raumboot!”

“Wie soll sie das wissen, Gao?”, sagte Fu Davis. “Während ihrer Ausbildungsflüge und taktischen Übungen mit solchen Kisten, ist sicherlich niemals der Ernstfall eines Traser-Treffers eingetreten.”

Die Erkenntnis, dass sie jetzt vollkommen hilflos in ihrer kosmischen Nussschale durch das All trieben, erreichte Sunfrost tröpfchenweise. Vielleicht wehrte sie sich innerlich einfach zu sehr dagegen, sich eingestehen zu müssen, dass ihre erste Mission in einem Desaster geendet hatte.

Das Schiff beschädigt und manövrierunfähig, der Feind entkommen - keine besonders gute Bilanz für mein erstes Kommando, ging es ihr durch den Kopf.

“Es kann nur besser werden”, stellte Tahano fest. “Unsere Lage, meine ich.”

“Richten Sie einen Funkspruch an Raumfort Matthews, Crewman Delan”, befahl Sunfrost. “Wir brauchen dringend Unterstützung. Geben Sie außerdem die Warnung weiter, dass sich ein Qriid-Schiff in unserer Nähe befindet und auf der Flucht ist. Senden sie sämtliche Daten darüber, damit sich Commander Sörensen ein Bild von dem Problem machen kann.”

“Aye, Captain”, bestätigte Seku Delan. “Es wird allerdings mindestens eine halbe Stunde dauern, bis die Botschaft ankommt.”

“Wieso?”

“Das vergaß ich zu erwähnen. Die Energiezelle, die zurzeit noch Ortung und Kommunikation speist, ist zu schwach für den Sandström-Funk.”

“Wir haben also keinen Überlichtfunk.”

“Richtig.”

Sunfrost seufzte. “Dann erhält der Commander die schlechte Nachricht eben etwas später”, murmelte sie.

“Wenn Sie wirklich so sehr darauf Wert gelegt hätten, dass Commander Sörensen rechtzeitig informiert wird, hätten Sie das unmittelbar nach Ausbruch des Gefechts anordnen sollen”, sagte Seku Delan. “Aber Ihnen war es offensichtlich wichtiger, Jagd auf diesen Qriid-Raumer zu machen und ihn selbst zu erledigen, anstatt Hilfe zu holen.”

“Das ist nicht wahr!”

“Ach nein? Dann haben Sie die Meldung einfach vergessen?”

“Sie hätten die Meldung an Raumfort Matthews durchführen können.”

“Ohne oder sogar gegen Ihren Befehl, Captain?” Seku Delan schüttelte den Kopf. “Wohl kaum.”

“Es steht Ihnen nicht zu, das zu beurteilen, Crewman Delan.”

“Sie haben Probleme damit zuzugeben, einen Fehler gemacht zu haben. Vielleicht sogar einen schweren Fehler, der dazu geführt hat, dass die DEFIANT-29 ein Haufen Schrott und der Qriid-Raumer auf und davon ist, sodass ihn wahrscheinlich selbst ein größerer Flottenverband zwischen all den herumgeisternden Kleinplaneten und Asteroiden nicht mehr aufspüren könnte. Aber Sie haben Recht, es steht mir nicht zu, das zu beurteilen. Das wird Commander Sörensen schon erledigen, glaube ich.”

“Lass es gut sein, Seku!”, wandte sich Tahano an den Kommunikations- und Ortungstechniker.

“Ich sage kein Wort mehr”, knurrte Delan, der damit seinem Ärger auf ziemlich ausführliche Weise Luft gemacht hatte.

Und auf eine Weise, die nun wirklich jedweder Disziplin an Bord widersprach.

Das Problem ist nur, dass er vollkommen Recht hat, erkannte Sunfrost in diesem Moment. Eine schmerzhafte Erkenntnis. Aber sie ließ sich jetzt nicht mehr einfach ignorieren.

Zum ersten Mal fragte sich Sunfrost, ob es wirklich eine so gute Idee gewesen war, dieses Kommando anzustreben.

Vielleicht lag Admiral Raimondo mit seiner Meinung richtig und ich hätte besser eine Position als Offizier auf einem Leichten Kreuzer angenommen.

Sunfrost wandte sich schließlich an Seku Delan.

“Sie haben vollkommen Recht, Crewman Delan. Möglicherweise habe ich einen Fehler gemacht und eine Entscheidung getroffen, die nicht angemessen war. Sie werden sich wohl oder übel damit abfinden müssen, dass Ihr Captain keine unfehlbare Maschine ist.”

Seku Delan hob den Blick und sagte nichts weiter dazu.

Tahano meldete sich zu Wort und warf ein: “Vielleicht ist es ganz gut, dass keine direkte Kommunikation möglich ist und immer etwas Zeit zwischen der Erstnachricht und Antwort vergeht.”

Sunfrost runzelte die Stirn. “Was meinen Sie damit, Tahano?”

“Nun, ich denke, es wird Commander Sörensen etwas verwirren, dass Sie ihm nun eine Nachricht über ein Qriid-Schiff in unserem Sektor schicken, wo Sie doch vor kurzem noch eine Mitteilung mit gegenteiligem Inhalt gemacht haben.”

Und dass die aus taktischen Grünen gemacht wurde, davon kann Sörensen natürlich nichts ahnen, ging es Sunfrost siedendheiß durch den Kopf. Laut sagte sie: “Das ist leider nicht zu ändern. Ich hoffe, Commander Sörensen hat einen gnädigen Tag.”

“Für gnädige Tage ist der Commander eigentlich nicht bekannt”, eröffnete Tahano. “Sind Sie ihm bei anderer Gelegenheit schonmal begegnet?”

“Nein.”

“Dann erschrecken Sie nicht. Angeblich soll seine schlechte Laune das Space Army Corps genauso viele Abgänge gekostet haben wie die Verluste des Qriid-Krieges.” Tahano grinste. “Aber das ist wahrscheinlich nur ein maßlos übertriebenes Gerücht.”

*


BIS DIE ANTWORT AUS Fort Matthews eintraf, war das Qriid-Schiff inzwischen verschwunden.

Verschwunden in dem Sinn, dass es von der DEFIANT-29 aus nicht mehr zu orten war. Das konnte viele Ursachen haben. Vielleicht befand sich der flüchtende Qriid-Raumer einfach im Ortungsschatten eine der unzähligen vagabundierenden Kuiper Belt Objekts. Es war auch denkbar, dass es einfach nur mit den derzeit eingeschränkten Möglichkeiten der Bordsysteme zu tun hatte. Die Energiezelle, die im Moment Ortung und Kommunikation notdürftig aufrecht erhielt, wurde mit der Zeit schwächer und schwächer. Zudem gab es ja eine Reihe von massiven Außenschäden an der DEFIANT-29. Schäden, die Sensoren und Kameras mit einschlossen und ebenfalls dazu beitrugen, dass das wichtigste Gerät zur Orientierung im Augenblick das frontale Sichtfenster war.

Und da war auch nur deshalb etwas zu sehen, weil die Vorderfront der DEFIANT-29 derzeit nicht in Richtung des Tempels und seines weiten, abgrundtief finsteren Schattens ausgerichtet war.

“Möchten Sie die Botschaft von Commander Sörensen sehen, Captain?”, fragte Seku Delan.

“Sicher”, gab Sunfrost etwas säuerlich zurück. Was denn sonst? “Es sei denn, Ihre Energiezelle hält das nicht mehr aus!”

“Das wird nicht unser größtes Problem sein, Captain. Aber aus Gründen der Energieersparnis werde ich die Botschaft nur auf dem Display meiner Konsole abspielen. Im Energiesparmodus.”

“In Ordnung”, sagte Sunfrost.

“Sie werden aufstehen müssen, um etwas zu sehen, Captain. Von Ihrem Platz aus dürfte das nicht klappen.”

“Ich danke Ihnen für den Hinweis, Crewman Delan.”

Rena Sunfrost schnallte sich ab, bewegte sich auf Delan zu und fühlte sich dabei, als würde sie auf Eiern laufen. Außerdem war ihr schwindelig. Die künstliche Schwerkraft funktioniert auch nicht mehr, erkannte sie. Hätte ich eigentlich ahnen können...

Sie schwebte etwas nach vorn, hielt sich an einer der Konsolen fest und blickte auf Seku Delans Anzeige.

Das Gesicht eines Mannes mit markantem Gesicht und hoher Stirn erschien dort. Die Falten um die Mundwinkel hatten sich auf eine Weise in seine Züge eingegraben, dass man wohl annehmen musste, dass der Verdacht auf ständig schlechte Laune nicht ganz aus der Luft gegriffen war.

Eine Frohnatur sieht jedenfalls anders aus, dachte Sunfrost. Aber wer weiß, wie ich aussehen würde, wenn ich auf einen Posten im kosmischen Geröllfeld abkommandiert wäre. Einen Ort, gegen den selbst eine viele Lichtjahre weit entfernte Kolonialwelt wie ein Hort menschlicher Zivilisation wirkt...

“Guten Tag, Lieutenant Sunfrost”, eröffnete Commander Sörensen. “Ich will mich mit den merkwürdigen Begleitumständen Ihres Einsatzes nicht lange aufhalten. Darüber werden Sie mir bei Ihrer Ankunft im Raumfort Matthews ausführlich Bericht erstatten. Es ist Hilfe für Sie unterwegs. Glücklicherweise operiert zur Zeit der Leichte Kreuzer PLUTO unter Commander Van Doren in der Nähe. Es könnte trotzdem noch etwas Stunden dauern, bis die PLUTO bei Ihnen eintrifft. Halten Sie solange durch. Alle Einzelinformationen der Hilfsaktion werden in einem gesonderten Datensatz übertragen. Sörensen, Ende!”

Das Gesicht des Commanders verschwand.

“Ich würde sagen, das war ein milder Tag des Commanders”, kommentierte Fu Davis.

“Und ich würde sagen, das dicke Ende kommt noch”, fügte Delan hinzu. “Zumindest für Lieutenant Sunfrost. Wir sind ja nur willige Befehlsempfänger.”

“Auf den Schiffen, auf denen ich bisher gedient habe, verstanden sich die Besatzungsmitglieder als Teil einer Crew, Mister Delan. Es ist bedauerlich, dass Sie das offenbar anders sehen.”

––––––––


EINIGE AUGENBLICKE herrschte Schweigen. Sunfrost bewegte sich indessen wieder auf ihren Platz zu und schaffte es schließlich, sich erneut auf dem Kommandantensitz festzuschnallen.

Innerlich kochte sie.

Diese Crew respektierte sie nicht. Und sie fühlte den starken Impuls, auf diesem Respekt zu bestehen. Es mochte ja sein, dass sie übereilt gehandelt und vor allem, einen schweren Fehler begangen zu haben, als sie nicht unverzüglich nach Ausbruch des Gefechts eine Nachricht an Commander Sörensen gesandt hatte - zu einem Zeitpunkt, als im Übrigen auch noch Überlichtfunk zur Verfügung stand und die Botschaft Raumfort Matthews unverzüglich erreicht hätte.

Bislang war Sunfrost gewohnt, dass sie Befehle ausführte und andere die Entscheidungen trafen - oder unterließen.

Genau das hatte sich aber nun verändert.

In dem Moment, als sie dieses Kommando übernommen hatte, war sie diejenige, auf der die Verantwortung lastete. Es gab niemanden, auf den sie diese Last abschieben konnte.

In diesem Augenblick wurde ihr der Unterschied erst so richtig bewusst.

Das bedeutete es also, ein Kommando zu führen!

Und was den mangelnden Respekt anging, lag ihr vieles auf der Zunge, was sie dazu hätte sagen können. Aber sie schluckte es herunter.

Respekt muss man sich verdienen, wurde ihr klar. Das gilt auch für mich.

Ihn einfach nur einzufordern wirkte lächerlich.

Mein Kommando hatte einen Start, wie er schlechter nicht hätte sein können, dachte sie. Aber vielleicht erhebt sich dieser flügellahme Phönix ja doch noch majestätisch in die Lüfte...

––––––––


DIE LEBENSERHALTUNGSSYSTEME arbeiteten nicht mehr. Seku Delan sandte eine letzte Nachricht an Fort Matthews. Dann aktivierte er einen Peilsender, der es der Crew der PLUTO unter Commander Van Doren leichter machen würde, das dahintreibende Raumboot ausfindig zu machen. Ein so kleines Objekt hier, im Großschatten des Tempels zu finden, war ohnehin schon schwierig genug.

“Die Sauerstoffwerte sind dramatisch gefallen”, meldete Seku Delan. “Wir sollten jetzt die Druckanzüge anlegen.”

“Gut”, stimmte Sunfrost zu.

Die Sauerstoffpatronen der Druckanzüge hielten eine ganze Weile. Außerdem gab es noch die Sauerstoffpatronen der Schlafsärge.

Notfalls konnte man die auch für die Druckanzüge verwenden. Sich gleich in Dracula’s Home zu legen und dort die autonome Sauerstoffversorgung einzuschalten, war in dieser Situation reine Energieverschwendung, denn das Innenvolumen eines dieser Schlafsärge, dessen Luftinhalt mit Sauerstoff angereichert werden musste, war sehr viel größer, als es bei einem normalen Druckanzug der Fall gewesen war.

Und da keinerlei Explosionsgefahr oder dergleichen bestand, wäre es auch wenig sinnvoll gewesen, sich mit den Särgen vom Typ Dracula’s Home abzusprengen und deren Tauglichkeit als Rettungskapseln auszutesten.

Nacheinander legten die Mitglieder der Crew den Druckanzug an. Da nach Ausfall der von den Antigrav-Aggregaten erzeugten künstlichen Schwerkraft nun Schwerelosigkeit innerhalb der DEFIANT-29 herrschte, war das gar nicht so einfach.

Sunfrost erinnerte sich zwar an einige Kurse während ihrer Akademie-Ausbildung, in denen man lernen konnte, sich unter Schwerelosigkeit richtig und effektiv zu bewegen und Verletzungen zu vermeiden, aber wirklich verinnerlicht hatte das wohl keiner der Absolventen.

Die Raumfahrer der frühen irdischen Weltraum-Ära, die noch ohne künstliche Schwerkraft auszukommen gewohnt waren, hatten sich daran gewöhnen müssen. Genauso, wie sich die die ersten irdischen Siedler des Mars an die geringe Schwerkraft ihrer neuen Heimat gewöhnt und sich dadurch sogar körperlich verändert hatten.

Aber seit der Erfindung der Antigrav-Technologie war das Geschichte.

Schwerelosigkeit oder auch nur gegenüber dem Erdniveau verminderte Gravitation war etwas Theoretisches geworden.

Etwas, dass die meisten Raumfahrer nur am eigenen Leib erfuhren, wenn irgend etwas gründlich daneben gegangen war: Bei Unfällen und Systemausfällen.

Nichts, woran man sich wirklich gewöhnen wollte.

Einen Druckanzug unter diesen Bedingungen allein anzuziehen war schwierig. Tahano half Seku Delan dabei. Anschließend auch Fu Davis.

Nachdem Davis auch Crewwoman Gao in den Anzug geholfen hatte, wandte diese sich an Sunfrost.

Sunfrost quälte sich gerade ziemlich dabei ab, sich in den Druckanzug zu zwängen. Allein.

“Brauchen Sie Hilfe, Madam?”

Sunfrost lag die ablehnende Erwiderung bereits auf der Zunge. Erstens hasste sie es, Hilfe anzunehmen und zweitens hatte sie das Gefühl, dann schwach und hilflos zu erscheinen. Zwei Dinge, die sie in ihrer Position unbedingt vermeiden musste, wie sie glaubte.

Aber dann stimmte Sunfrost nach kurzem Zögern doch zu.

Es scheint eine Art Friedensangebot zu sein, ging es ihr durch den Kopf. Wer weiß, wann das nächste kommt, wenn ich dies einfach ablehne und Gao damit vor den Kopf stoße?

Also sagte die Kommandantin: “Gerne, Crewwoman Gao.”

Sunfrost hatte nicht das Gefühl, dass Gao bei dieser Prozedur wirklich eine große Hilfe war.

Die mangelnde Harmonie war überdeutlich. Sie kam in jeder asynchronen Bewegung der beiden zum Ausdruck. Daran war wohl erstmal nichts zu ändern.

Aber Gao hatte immerhin guten Willen.

Und das, so fand Sunfrost, war schließlich auch was wert.

*


“SAUERSTOFFGEHALT SINKT weiter”, stellte Seku Delan fest. “Nicht mehr lange und wir sind auf dem Niveau des Mount Everest-Gipfels.”

“Ehe wir ohnmächtig werden, schließen wir besser die Helme”, sagte Sunfrost.

Die Helme der Druckanzüge bestanden aus einem transparenten Glasfaser-Kunststoff, der ähnliche Eigenschaften besaß wie die Sichtfenster der DEFIANT-29. Ein integrierter Chip stellte sich auf die Lichtverhältnisse ein. Außerdem war das hauchdünne Material variabel formbar. Man faltete den Helm einfach aus dem Kragen des Druckanzugs heraus, sodass er anschließend den Kopf wie eine Käseglocke überwölbte.

“Tja, wenn uns jetzt hier drinnen zu stickig wird, können wir ja vor die Tür gehen", meinte Brent Tahano.

Eine Bemerkung, die wohl die etwas angespannte Stimmung über den absoluten Nullpunkt der Weltraumkälte hinaus anheben sollte.

Aber diese Bemühungen gingen ganz offensichtlich ins Leere.

Crewwoman Gao verdrehte die Augen, bevor sie den Helm schloss. Ihre Stimme klang danach ziemlich dumpf, da sie aus Energieersparnisgründen nicht den Helmfunk oder den Außenlautsprecher eingeschaltet hatte. War ja auch nicht nötig, schließlich umgab sie kein Vakuum, sondern nur eine Atmosphäre mit irdischen Druckverhältnissen, die allerdings inzwischen einen so hohen Kohlendioxidgehalt hatte, dass man kaum noch eine Kerze hatte anzünden können. Schlimmer war, dass man früher oder später davon ohnmächtig wurde.

"Vielleicht wäre es nicht schlecht, wenn wir weniger reden”, meinte Gao. "Das spart auch Sauerstoff."

"Klar", gab Brent Tahano zurück. "Und am Besten, wir verzichten auch gleich noch auf das Ausatmen. Das ist die allerbeste Vermeidung einer Kohlendioxid-Kontamination unserer Atemluft. Und wenn wir das irgendwie geschafft haben, dann lassen wir uns das patentieren und schlagen es in Zukunft als Standardvorgehensweise auf allen Einheiten des Space Army Corps vor. Das wird die Mitglieder des Humanen Rates freuen, weil man dann nämlich auf allen Schiffen die Lebenserhaltungssysteme einsparen kann. Ein Kostenpotenzial steckt da drin, sage ich euch..."

"Du redest mal einen Quatsch, Brent", sagte Gao auf eine Weise, die gleichzeitig herablassend und vertraut wirkte.

Vielleicht auch auf eine Weise herablassend, wie sie nur unter einander sehr vertrauten Menschen vorkam.

Sunfrost fiel das gleich auf.

Genau wie der Umstand, dass Gao Fähnrich Tahano zum ersten Mal beim Vornamen angeredet hatte.

Langsam begreife ich, wie hier die Fronten verlaufen, ging es Sunfrost durch den Kopf. Wer hätte gedacht, dass selbst eine so kleine Crew ein derart kompliziertes Sozialleben birgt?

Nach Sunfrosts subjektivem Empfinden dauerte es unendlich lange, bis endlich der erlösende Funkspruch der PLUTO eintraf. Es war eine reine Audiobotschaft.

Offenbar hatte Kommandant Van Doren bedacht, dass Energie auf der DEFIAN-29 vermutlich im Moment sehr knapp war und man besser nichts davon für die optische Darstellung eines Commanders auf irgendeinem Display verschwendete.

"Hier Van Doren", meldete sich eine tiefe, Gelassenheit ausstrahlende Stimme. “Wir werden in Kürze Ihre Position erreichen. Geben Sie uns einen detaillierten Schadensbericht, damit wir entsprechende Vorkehrungen treffen können."

Die PLUTO war offenbar inzwischen nahe genug herangekommen, um bereits auch über Unterlichtfunk zu kommunizieren.

“Hier Lieutenant Sunfrost. Es freut mich, dass Sie uns holen kommen. Alle Schiffssysteme sind ausgefallen, Ersatzenergie für die Kommunikation reicht noch für ein paar Stunden. Die Sauerstoffpatrone meines Druckanzugs ist so gut wie leer, was bei den anderen vier Besatzungsmitgliedern ebenfalls der Fall sein dürfte, da wir die Anzüge ungefähr zur selben Zeit angelegt und aktiviert haben. Allerdings haben wir noch die Ersatzpatronen der Schlafsärge.”

“Schlafsärge?”, echote Commander Van Doren. “Es ist lange her, dass ich während meiner Ausbildung auf der Akademie ein Raumboot dieser Art geflogen habe und in Dracula’s Home lag. Ich wusste gar nicht, dass die Dinger überhaupt noch in Gebrauch sind...”

“Manches ändert sich eben nicht so schnell, Sir.”

“Scheint so. Wir haben Ihretwegen einen Zwischenraumflug innerhalb des Kuiper-Gürtel durchführen müssen und sind gerade ins Normaluniversum zurückgefallen. Unsere Austrittsgeschwindigkeit ist noch sehr hoch. In ca. 8-10 Stunden können wir bei Ihnen sein.”

“Verstanden, Sir. Wir haben Sie allerdings noch nicht auf dem Schirm.”

“Wir Sie auch nicht, Lieutenant. Das liegt vermutlich daran, dass wir relativ zueinander im Ortungsschatten liegen. Allerdings kann mein Kommunikationsoffizier Ihr schwaches Peilsignal empfangen und zusammen mit Ihren Positionsdaten, die Sie an Raumfort Matthews geschickt haben, werden wir nicht an Ihnen vorbeifliegen...”

“Es ist sehr dunkel hier. Wir befinden uns noch immer im Schatten des Tempels.”

“Den kann niemand verfehlen, Lieutenant. Seien Sie trotzdem geizig mit Ihrer Restenergie und dem Sauerstoff. Sie wissen ja, wie das ist. Wenn wir auf den letzten Metern nicht die passende Abbremsgeschwindigkeit erreicht haben oder zwischenzeitlich einem der zahllosen Objekte ausweichen müssen, die hier so herumfliegen, dann kann sich der von mir angegebene Zeitraum noch etwas verlängern.”

“Aye, aye, Sir.”

“Gibt es unter Ihren Leuten irgendwelche medizinischen Probleme?”

“Negativ, Commander.”

“Dann sehen wir uns in ein paar Stunden.”

“Commander?”

“Sie haben noch eine Frage?”

“Haben Sie in Ihren Ortungsdaten irgend einen Hinweis auf den Verbleib des Qriid-Schiffs, das uns begegnet ist?”

“Negativ, Lieutenant.”

“Es war ein kleines Raumfahrzeug und daher ist es wahrscheinlich nur ein Beiboot gewesen. Es könnte also sein, dass sich in der Nähe noch das Mutterschiff befindet.”

“Seien Sie versichert, dass alle notwendigen Maßnahmen eingeleitet sind, Lieutenant. Wir suchen mit Argusaugen nach dem Eindringling.”

“Ja, Sir, natürlich.”

“Van Doren, Ende.”

––––––––


“KÖNNTE SEIN, DASS DIE Zeit des Friedens vorbei ist”, sagte Fu Davis mitten in die Stille hinein. Er klang sehr dumpf unter seinem Helm.

“Es war nie ein Frieden”, sagte Sunfrost. “Nur ein Rückzug der Qriid. Ich bin die Entscheidungsschlacht im Tridor-System Dutzende von Malen taktisch durchgegangen. Die Qriid hätten sie gewinnen können und haben diesen Vorteil aus einem wichtigen Grund aufgegeben. Mutmaßlich, weil ihr Aarriid verstarb und ein Nachfolger eingesetzt werden musste. Aber nicht mal das wissen wir mit letzter Sicherheit. Genauso wenig wissen wir etwas drüber, unter welchen Bedingungen ihre Religion diesen Glaubenskriegern vorschreibt, wieder gegen die Menschheit in den Krieg zu ziehen. Das kann von heute auf Morgen geschehen, und das, was wir erlebt haben, war vielleicht der Anfang davon...”

“Vielleicht sollten Sie einen Job als Dozentin für die Geschichte des Space Army Corps auf der Akademie anstreben”, meldete sich Seku Delan zu Wort.

Ein vergiftetes Kompliment, dachte Sunfrost. Man hat zwei Möglichkeiten: Es zu ignorieren oder in die Falle hineinzutappen.

Und es gibt eine Dritte.

Etwas Unerwartetes tun.

“Ich glaube, auf der Space Army Corps Akademie gibt es eher Bedarf an guten Praktikern, die mit Ihrer Erfahrung helfen könnten, Dinge aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten und eingetretene Pfade zu verlassen”, sagte Sunfrost.

“Da sprechen Sie dann aber nicht von sich selbst, oder?”

“In diesem Zusammenhang spreche ich eher von Leuten wie Ihnen, Crewman Delan. Oder würden Sie sich das nicht zutrauen?”

Seku Delan schwieg.

Und Sunfrost auch.

Die Stunden bis zum Eintreffen der PLUTO krochen dahin, zumal die Ortung schließlich vollkommen ihren Geist aufgab. Die Restenergie verwendete Delan für das Peilsignal. Schließlich war es wichtiger, dass Commander Van Doren und seine Crew die DEFIANT-29 orten konnte als umgekehrt. Und so bemerkten die Crewmitglieder die Rettungsmission erst, als die PLUTO auf dem Sichtfenster auftauchte. Sie war ein vom Sternenlicht beschienenes, sich bewegendes Objekt. Ein Wanderstern, so wirkte sie aus der Ferne, ehe sie in der Dunkelheit des Tempelschattens verschwand.

Erst als sie dann die DEFIANT-29 beinahe erreicht hatte, war der Leichte Kreuzer von Commander Van Doren wieder zu sehen - diesmal als dunkles, schattenhaftes Gebilde, lediglich erhellt durch ein paar Lichtquellen an der Außenhülle des Schiffs der Scout-Klasse. Sternenkrieger nannte man diese Klasse auch, obwohl das nicht der offizielle Name dieser Klasse von wenigen Kriegsschiffen war. Die Prototypen dieses Schiffstyps waren die STERNENKRIEGER und die JUPITER gewesen. Letztere war ziemlich bald nach Fertigstellung zerstört worden.

Vielleicht lag es daran, dass man die STERNENKRIEGER nun mit der ganzen Klasse Leichten Kreuzer gleichsetzte.

*


EIN STAHLSEIL WURDE aus einer Öffnung an der Außenhülle der PLUTO hinausgeschleudert. Am Ende befand sich eine chipgesteuerte Magnethalterung und ein Massetaster. Im Inneren der DEFIANT-29 gab es einen Knall, als die Magnethalterung auf die Außenhülle traf und sich dort befestigte. Anschließend ging ein Ruck durch das Beiboot.

“Dürfte wohl heißen, dass wir im Schlepp sind”, stellte Brent Tahano fest.

Aus dem Hangar der PLUTO wurde daraufhin eines der beiden Beibote ausgeschleust.

Es dauerte eine Weile, bis es an der Luftschleuse des Beibootes andockte.

Zuerst passierte Tahano die Schleuse, dann Gao und Delan. Fu Davis zögerte noch.

“Gehen Sie, Crewman”, sagte Sunfrost.

“Der Captain verlässt als letzter das sinkende Schiff, nicht wahr?”

“So ist es.”

“Ich wollte Ihnen noch etwas sagen, Captain.”

“Dann tun Sie es.”

“Etwas, das unter vier Augen gehört. Und ich weiß nicht, wann sich dazu die nächste Gelegenheit ergibt.”

“Ich bin ganz Ohr. Aber lassen Sie die Crew des Beibootes nicht zu lange warten.”

“Ihre Taktik gegen den Qriid-Eindringlinge war gewagt und ist vielleicht auch daneben gegangen. Ich war nicht auf der Akademie und deswegen würde ich mich nie trauen, das zu beurteilen, Madam.”

“Daran tun Sie sicher gut.”

“Allerdings hätte nicht viel gefehlt und es hätte geklappt. Tut mit leid, dass ich mit meinen Geschützen nicht getroffen habe. Aber Sie wissen ja, wie das mit diesen kosmischen Gauss-Schrotbüchsen ist...”

“Allerdings.”

“Wenn es geklappt hätte, wären wir jetzt alle Helden. Jetzt sind wir vermutlich die Deppen und Commander Sörensen wird Ihnen in unser aller Stellvertretung die Ohren langziehen.”

“Ja, da haben Sie sicher Recht. Erfolg und Desaster liegen manchmal sehr nahe beieinander.”

“Jedenfalls war Ihr Plan, den Qriid-Raumer aus diesem steingewordenen Riesen Schweizer Käse, den wir Tempel nennen, herauszulocken, indem Sie eine falsche Nachricht an Fort Matthews schickten, in meinen Augen genial. Sie hätten den Erfolg verdient gehabt.”

“Danke, Crewman.”

“Nichts für ungut. Das bevorstehende Gespräch mit Commander Sörensen nehmen Sie am Besten hin wie schlechtes Wetter.”

Sunfrost lächelte verhalten.

“Wie macht man das?”

“Abwarten, bis es vorbei ist.”

“Ich konnte schlechtes Wetter noch nie leiden.”

“Ich auch nicht.”

“Dann sind wir ja beide im Weltraum ganz gut aufgehoben, denke ich.”

“Ja, Madam.”

Daraufhin passierte auch Crewman Fu Davis die Schleuse.

Ein Anfang, ging es Sunfrost durch den Kopf. Sie ließ noch einmal kurz den Blick schweifen. Wahrscheinlich lernt man aus Niederlagen am meisten. So heißt es doch immer. Ich will hoffen, dass es wahr ist.

*


DER PILOT DES BEIBOOTES, das Sunfrost und ihre Crew aus dem Wrack der DEFIANT-29 geholt hatte, hieß Blacksmith und verstand sein Handwerk.

Sunfrost bewunderte insgeheim, mit welcher Zielgenauigkeit er die Fähre zurück zum Hangar-Eingang der PLUTO steuerte.

Gleichzeitig vollführte der Leichte Kreuzer eine bogenähnliche Kursänderung. Die DEFIANT in ihrem Schlepptau wurde dabei mitgezogen. Auch das stellte an den Rudergänger eine erhöhte Anforderung. Schließlich sollte das abgeschleppte Raumboot ja nicht an einem der zahllosen vagabundierenden Brocken zerschellen.

“Ihr Raumboot scheint ein Stück Schrott geworden zu sein”, sagte Blacksmith. “Nach den Orter-Daten haben Sie einiges abgekriegt.”

“Wir sind noch am Leben”, sagte Sunfrost.

“Ja, immer positiv denken. Sag ich auch immer.”

“Hauptsache, Sie konzentrieren sich nun auf den Einflug in den Hangar und bringen uns nicht noch auf den letzten Metern um, Crewman Blacksmith.”

“Keine Sorge, so etwas mache ich im Schlaf und ohne hinzusehen, Lieutenant.”

“Na, wenn Sie das sagen.”

“Sehen Sie einem Meister bei der Arbeit zu. Die Fähre ist praktisch ein Teil meines Körpers.”

Blacksmith lenkte das Beiboot in einem bogenförmigen Kurs über die PLUTO hinweg. Dabei kam er sehr nahe an die Außenhülle des Leichten Kreuzers heran. Deutlich waren die seitlich hervorragenden Gauss-Kanonen zu sehen. Vier mal vierzig Geschütze, deren Projektile auf einmal durch die elektromagnetischen Beschleuniger-Röhren der Kanonen geleitet wurden. Wenn sich ein Schiff wie die PLUTO um die eigene Achse drehend in die Formation feindlicher Raumer förmlich hinbohrte, war so ein Leichter Kreuzer eine sehr wirksame Waffe.

Blacksmith flog einen letzten Bogen, korrigierte noch einmal den Kurs und Sunfrost stellte mit Erleichterung fest, dass sich das Hangartor bereits öffnete. Sonst wäre es knapp geworden, dachte Sunfrost.

Wenig später stiegen sie aus.

Das Hangartor hatte sich da bereits geschlossen. Die im Hangar befindliche Atemluft war durch die künstliche Schwerkraft der Antigrav-Aggregate während der Einflugphase gehalten worden.

Die Anzeigen, die auf die Innenseite ihres transparenten Druckhelms projiziert wurden, zeigten, dass Erdbedingungen herrschten und sie den Helm abnehmen konnte.

Sunfrost klappte ihn in den Kragen hinein.

Links befand sich ein weiteres Beiboot, vorzugsweise für Landeoperationen auf einem Planeten geeignet.

“Sie sehen ja, dass hier wenig Platz ist”, sagte Blacksmith, der ebenfalls ausgestiegen war, an Sunfrost gewandt.

“Ich hatte mich schon etwas darüber gewundert, dass Commander Van Doren die DEFIANT-29 ins Schlepp nehmen, anstatt in den Hangar ziehen wollte”, gestand Sunfrost. “Denn für den Rudergänger stelle ich mir die weitere Reise nach Raumfort Matthews jetzt nicht gerade als das ganz große Vergnügen vor.”

“Stimmt”, nickte Blacksmith. “Schonmal auf einem größeren Schiff gewesen, als einem DEFIANT-Raumboot?” Er grinste. In seinen Worten schwang Sarkasmus mit.

Schließlich war Sunfrost ja nur die Kommandantin eines Raumbootes.

Dass sie zuvor auf einem großen Schlachtschiff gedient hatte, konnte Blacksmith ja nicht ahnen.

“Kann sein”, gab Sunfrost zurück. “Auf der NEW CALIFORNIA waren die Hangars so groß, dass selbst die PLUTO dort hätte einfliegen können - vorausgesetzt, sie wäre für Landungen überhaupt konstruiert.”

Blacksmith sah sie etwas verdutzt an. Dann sagte er. “Auf den Leichten Kreuzern ist eben nicht viel Platz. Gilt leider auch für die Kabinen. Der Captain hat schon angedeutet, dass wir Ihretwegen alle ein bisschen zusammenrücken werden.”

“Wie lange rechnen Sie für den Flug nach Fort Matthews?”

“Unter normalen Umständen ein Katzensprung. Aber mit Ihrer Schrottkiste im Schlepp...” Crewman Blacksmith zuckte mit den Schultern. “Fragen Sie mal den Captain oder noch besser: Gleich den Rudergänger. Ich würde schätzen, dass wir vier bis fünf Tage unterwegs sind, weil wir einfach keine hohen Beschleunigungswerte wagen können. Nicht mit so einer Schleuder am Heck!”

“Verstehe.”

*


ETWAS SPÄTER EMPFING Commander Van Doren Sunfrost in seinem Captain’s Room. Der grenzte direkt an die Brücke an. Ein Besprechungszimmer, das gerade Platz genug für die Offiziere an Bord bot.

“Hat man Ihnen schon gezeigt, wo Sie die nächsten Tage unterkommen?”

“Nein, Sir, ich hatte gerade mal Gelegenheit, mir den Druckanzug abzustreifen.”

“Soweit ich meinen Ersten Offizier gerade richtig verstanden habe, wird Ihnen Lieutenant Mendoza in ihrer Kabine etwas Platz machen. Sie ist unsere Kommunikationsoffizierin. Da der Weg hier her über die Brücke führt, dürften Sie sie zumindest flüchtig gesehen haben.”

“Ja, Sir, habe ich. Es tut mir Leid, dass wir Ihnen Umstände machen.”

Commander Van Doren lächelte mild. “Keine Ursache. Dies ist wahrscheinlich mein letzter Einsatz mit der PLUTO und da ich mich an Crew und Schiff in den letzten Jahren sehr gewöhnt habe, habe ich nichts dagegen, dass sich mein letzter Flug mit diesem Sternenkrieger-Kreuzer noch etwas hinziehen wird...”

“Sie übernehmen ein neues Kommando?”

“Ja. Wir waren schon auf dem Sprung zur Erde. Aber mir fällt kein Zacken aus der Krone, wenn ich ein paar Wochen später vom Commander zum Captain befördert werde. Und der Zerstörer, den ihm übernehmen soll, operiert im Moment noch im Niemandsland. Eine Operation, die wohl auch etwas länger gedauert hat, als ursprünglich geplant...” Commander Van Doren aktivierte ein Fenster in der Bildwand. Eine dreidimensionale Übersichtskarte des Sol-Systems in großem Maßstab war darauf zu sehen. Die gegenwärtigen Positionen der äußeren Planeten waren verzeichnet. Die der inneren waren nicht zu erkennen, weil dazu der Maßstab nicht richtig gewählt war.

In der Drei-D-Karte wurde eine Position markiert. “Hier befinden wir uns”, stellte Van Doren fest. “Auf dem Weg hier hier erreichte uns eine Nachricht von Raumfort Matthews. Ein Frachter, der eine Kuiper-Gürtel-Minenkolonie anfährt, die fast hundert Astronomische Einheiten vom Tempel entfernt liegt, nämlich hier...” Van Doren markierte sie in der Darstellung. Die Position, die er angezeigt hatte, lag in einem wirklich sehr weit entfernten Gebiet des Kuiper-Gürtels. Zweieinhalb mal die Strecke Sonne-Neptun war das. Eine weite Reise für unterlichtschnelle Raumschiffe. Selbst dann, wenn sie mit den modernste und besten Triebwerken ausgestattet waren. “...dieser Frachter will ebenfalls ein Qriid-Schiff geortet haben.”

“Ist das sicher?”, fragte Sunfrost.

Van Doren zuckte mit den Schultern. “Was heißt schon sicher? Der Pilot des Frachters war überzeugt davon. Natürlich ist er kein ausgebildeter Ortungsoffizier des Space Army Corps, kennt von der Akademie auf Ganymed nicht einmal den Namen und ist ansonsten froh, wenn er in dieser Geröllwüste namens Kuiper-Gürtel den richtigen Brocken findet, auf dem die Minenbetreiber auf ihn warten”

“Andererseits wurden doch während des Qriid-Krieges alle zivilen Raumfahrer mit entsprechenden Informations- und Lernprogrammen versorgt, damit sie auf verdächtige Signaturen achten können und sie erkennen!”

Van Doren nickte. “Sicher. Aber fragen Sie mich nicht, wie groß der Prozentsatz derer ist, die sich mit diesen Programmen wirklich auseinandergesetzt haben. Noch kleiner dürfte der Anteil jener sein, die die Software mit den Ortungssystemen ihrer Raumschiffe synchronisiert haben, so dass sie auch einsatzfähig sind.”

“Scheint bei diesem Frachtfahrer der Fall gewesen zu sein. Aber wenn das wahr ist...”

“Wie gesagt, es ist noch keine gesicherte Erkenntnis.”

“Gibt es Angaben über die Größe und Beschaffenheit des Qriid-Schiffs, das der Frachter geortet haben will?”

“Die Daten werden noch ausgewertet. Aber es spricht einiges dafür, dass es sich um eine sehr viel größere Einheit gehandelt haben könnte.”

“Aber wenn dieses zweite Qriid-Schiff so weit entfernt vom Tempel operierte, dann ist es unwahrscheinlich, dass es sich um ein Beiboot handelte.”

“Es könnte ein kleines, zur Spionage geeignetes Raumboot mit Überlichtantrieb gewesen sein. Dafür würden auch die leichten Sandström-Anomalien sprechen, die wir in dieser Gegend gemessen haben.”

Sandström-Anomalien...

Sunfrost wusste sehr gut, was das bedeutete.

Diese leichten Verzerrungen der Raumzeitstruktur traten nur auf, wenn es in dem betreffenden Gebiet innerhalb eines relativ kurzen Zeitintervalls einen Ein- oder Austritt in den Zwischenraum gegeben hatte.

Und da es im Abstand vieler Astronomischer Einheiten mit Ausnahme der PLUTO kein überlichtschnelles Schiff gegeben hatte, war das die einzig mögliche Erklärung.

“Die Qriid scheinen uns zu beobachten”, stellte Van Doren fest. “Und vielleicht warten sie nur auf einen günstigen Moment, um uns erneut zu überfallen. Das Schlimme ist nur, dass wir uns kaum wirksam dagegen wehren können, wenn es soweit ist.”

“Soweit ich weiß, macht Admiral Raimondo seinen politischen Einfluss geltend, um mehr Mittel für das Space Army Corps zu bekommen”, sagte Sunfrost.

“So viele Schlachtschiffe unsere Werften auch ausspucken mögen.... Wir wissen nicht, wo sie zuschlagen. Überall innerhalb des Einflussgebietes der Humanen Welten können sie plötzlich mit einer großen Flotte aus dem Zwischenraum hervortreten und angreifen. Und als Angreifer hat man in dieser Art von Krieg leider alle Trümpfe in seiner Hand.”

“Das klingt sehr deprimierend, wenn Sie mir die Bemerkung verzeihen, Sir.”

“Nein, das ist nur eine klare Analyse der Lage, in der sich die Menschheit befindet. Es will kaum jemand wahrhaben, aber wenn dieser Konflikt von Neuem aufflammt, stehen wir sehr schnell am Abgrund.”

*


DIE TAGE AN BORD DER PLUTO gingen mit Routine dahin. Während die Crew der DEFIANT-29 ihre Zeit vorwiegend in einem der nicht gerade großzügig bemessenen Aufenthaltsräume verbrachte, bat Sunfrost Commander Van Doren darum, zum normalen Brückendienst an Bord eingeteilt zu werden.

Schließlich war sie ein Lieutenant des Space Army Corps und konnte im Prinzip sämtliche Funktionen übernehmen - abgesehen von der des Chefingenieurs, der eine Ingenieursausbildung haben musste.

So besetzte sie überwiegend die Konsole für Kommunikation und Ortung von Lieutenant Mendoza, die dadurch mehr Zeit für andere Aufgaben bekam, sodass die Offizierscrew der PLUTO insgesamt entlastet wurde.

Ganz uneigennützig tat Sunfrost das nicht.

Der Dienst an den Ortungsanzeigen ermöglichte ihr das zu tun, was sie ohnehin im Moment gerne getan hätte.

Sie suchte nach Signaturen von Qriid-Schiffen und Anzeichen für Sandström-Anomalien.

Es glich einer Suche nach der berühmten Nadel im Heuhaufen, aber Sunfrost folgte ihrer Überzeugung. Der Überzeugung, dass diese Aktion der Qriid Teil eines größeren Plans sein mussten. Es war die Spitze des berühmten Eisbergs, von dem neun Zehntel unter der Wasseroberfläche und damit unsichtbar blieben. Ein Gefecht mit einer zwar kleinen, aber offenbar sehr kampffähigen Qriid-Einheit und auf der bisher noch ungesicherten Ortung eines zweiten Qriid-Schiffs 100 AE entfernt - das war alles, was es bis jetzt an Anhaltspunkten gab.

Zu wenig, um die Absichten des Gegners zu durchschauen.

*


SUNFROST MODIFIZIERTE das Ortungsprogramm der PLUTO für ihre Zwecke. Ihre derzeitige und unfreiwillige Kabinengenossin Lieutenant Mendoza war davon alles andere als begeistert.

“Vielleicht sollten Sie mal bedenken, dass Sie hier nur Gast sind, Sunfrost”, sagte sie, während einer ihrer wenigen Begegnungen in der Kabine. Schließlich lagen ihre Dienstschichten nicht parallel. “Und so freundlich das ist, dass Sie uns alle bei der Erfüllung unserer Aufgaben etwas entlasten, ich glaube, Sie haben die unangenehme Eigenschaft, überall Unruhe hineinzubringen, wo eigentlich nur alles so weiterlaufen sollte, wie es bisher lief.”

“Es war keineswegs meine Absicht, Unruhe zu stiften”, erwiderte Sunfrost. “Aber sollte es sich bestätigen, dass die Qriid den einseitigen Waffenstillstand aufgegeben haben, dann kann ich Ihnen garantieren, läuft gar nichts, aber auch wirklich gar nichts so weiter wie bisher! Und das gilt dann für Milliarden Bürger der Humanen Welten. Ob im Sol-System, in den Wega-Kolonien oder bei New Hope und Capella.”

Lieutenant Mendoza blickte einige Augenblicke lang nachdenklich auf Sunfrost herab.

Sie war groß. An die zwei Meter maß Mendoza und Sunfrost hatte sie nie (außer im Bett) ohne das Antigrav-Pak auf ihrem Rücken gesehen, das dafür sorgte, dass sie sich unter der an Bord der PLUTO herrschenden künstlichen Gravitation auf Erdniveau überhaupt aufrecht halten konnte.

Lieutenant Mendoza war eine sogenannte Real Martian.

Sie stammte von den ersten menschlichen Siedlern auf dem Mars ab, die sich dort lange vor der Erfindung der Antigrav-Technologie angesiedelt und unter der viel geringeren Schwerkraft des Mars körperlich verändert hatten. Sie waren groß, feingliedrig und schwach. Zumindest, wenn sie sich außerhalb ihres Heimatplaneten aufhielten.

Die Real Martians waren unter den menschlichen Siedlern des Mars längst zu einer verschwindend kleinen Minderheit geworden, denn spätere Marsankömmlinge von der Erde hatten von Anfang an in Habitaten mit erdähnlichen Bedingungen gelebt. Das galt insbesondere auch für die Erzeugung von künstlichen Schwerkraftfeldern.

“Ich schätze, jemand mit einem so dicken Kopf, wie Sie ihn haben, lässt sich sowieso nicht belehren”, meinte Mendoza schließlich.

Sunfrost lächelte.

“Ich gebe mir Mühe, umgänglich zu wirken.”

Mendoza erwiderte das Lächeln. Verhalten zwar, aber sie erwiderte es. “Glauben Sie mir, ich habe in den letzten Tagen dasselbe gemacht, was Sie jetzt auch versuchen, Sunfrost. Ich habe versucht, das System so lange zu modifizieren, bis es mir aus dem ganzen eingehenden Datenwust der Sensoren das herausfiltert, was ich suche.”

“Sie haben doch etwas gefunden. Wie mir Commander Van Doren sagte, sind Sandström-Anomalien gefunden worden.”

“Der Beweis dafür, dass ein überlichtschnelles Schiff in der Nähe war, dessen Antrieb auf demselben Technologie-Prinzip beruht wie unser eigener Überlichtantrieb - ja. Aber ob das ein Qriid-Raumer war, oder ein interstellarer Frachter, der nur mal kurz Station im Kuiper-Gürtel gemacht hat, bevor er nach Wega, New Hope oder Mondahar weiterfliegt, kann niemand mit letzter Sicherheit sagen.”

“Vielleicht stehe ich einfach auch nur noch zu sehr unter dem Eindruck des Gefechts mit den Qriid”, sagte Sunfrost.

“Ihr erstes Gefecht?”

“Nein. Ich war als Fähnrich auf der NEW CALIFORNIA.”

“Dann ist das doch nichts Neues für Sie.”

“Doch”, widersprach Sunfrost. “Es war das erste Gefecht unter meinem Kommando. Und es ist gründlich in die Hose gegangen, was jeder sehen kann, der den Schrotthaufen bemerkt, denn Ihr Commander freundlicherweise hinter seinem Schiff herschleppen lässt.”

Mendoza nickte langsam.

Und Sunfrost wunderte sich über sich selbst.

Vor allem über ihre Offenheit.

Sie kannte die Real Martian Frau nicht. Aber dennoch hatte sie sich ihr gegenüber geöffnet. Und das eine Sache betreffend, die ihr ziemlich an die Nieren gegangen war.

*


EIN PAAR TAGE SPÄTER als geplant, traf die PLUTO schließlich bei Raumfort Matthews ein. Sunfrost hatte gerade Freischicht, ließ es sich aber nicht nehmen, sich das Raumfort aus dem Sichtfenster von Lieutenant Mendozas Kabine anzusehen.

Das Raumfort sah aus wie ein zusammengerollter Igel. Eine Kugel aus glänzendem Metall, gespickt mit dunklen Stacheln.

Nur dass das keine Stacheln waren, sondern Geschütze.

Röhrenähnliche Gangways ließen sich ausfahren. Dort konnten Raumschiffe anlegen - entweder, weil sie zu groß waren, um in den Hangars des Raumforts zu verschwinden oder weil ihr Aufenthaltsort nur von kurzer Dauer sein sollte.

Im Gefechtsfall war das natürlich nicht möglich.

Die meisten Schiffe, die in dieser Gegend operierten, passten in die Hangars und konnten dort im Bedrohungsfall relativ sicher vor feindlichen Angriffen sein.

Während des Qriid-Krieges war es wiederholt vorgekommen, dass Siedler von den in der Umgebung liegenden Minen auf diversen Zwergplaneten, im Raumfort Schutz suchten wie in einer Burg.

Und manchmal hatte auch das Piratenproblem derart überhand genommen, dass Minen zeitweilig aufgegeben worden waren und die Arbeiter nach Raumfort Matthews flüchteten.

Wenn kein Minenbetrieb aufrechterhalten werden konnte, hatten natürlich die Piraten auch nichts zu kapern. In sofern sprachen manche von einem sich selbst regulierenden Zyklus. Und die Minenleute schimpften auf ‘die vom Humanen Rat’, die sich angeblich gar nicht oder zu wenig um ihre Probleme kümmerten.

Es gab eine ganze Reihe solcher Raumforts im ganzen Sonnensystem. Auch im Kuiper-Gürtel. Aber angesichts der Weite hier draußen verloren sich die wenigen Schutzburgen des Raumzeitalters fast in der Unendlichkeit.

Die PLUTO dockte schließlich an.

Und als Sunfrost die Schleuse des Leichten Kreuzers der inoffiziell so benannten Sternenkrieger-Klasse passierte, hatte sie kein flaues Gefühl mehr im Magen, wenn sie an das unvermeidliche Zusammentreffen mit Commander Sörensen dachte.

Was geschehen war, war geschehen.

Eine halbe Stunde später empfing Sörensen die gesamte Crew der DEFIANT-29 in seinem Büro. Das übellaunige Gesicht war anscheinend wirklich sein Markenzeichen.

Sunfrost fragte sich, ob tatsächlich irgendeine Situation denkbar war, in der es vielleicht so etwas wie Freude auszudrücken vermochte.

Aber da war sie wohl nicht die erste, die sich diese Frage stellte.

“Der Schadensbericht ist nicht ganz so dramatisch, wie es erst den Anschein hatte”, sagte Sörensen. Der Commander des Raumforts schien sich mit Grußformalitäten nicht lange aufzuhalten. Für ihn waren das wohl eher störende Nebensächlichkeiten.

“Das freut mich zu hören, Sir”, sagte Sunfrost.

“Davon abgesehen sind wir hier für alle Eventualitäten ausgerüstet. Wenn hier jedes Raumboot erstmal die Reise zu einem Spacedock machen müsste, dann wären wir hier verloren. Ich nehme also an, dass die DEFIANT-29 in absehbarer Zeit wieder auf Kurs gehen wird.”

“Danke, Sir.”

“Ob mit Ihnen als Captain, das wird sich zeigen, Sunfrost.”

Sunfrost glaubte, sich verhört zu haben. “Sir, habe ich das richtig verstanden?”

“Haben Sie. Ich werde Admiral Raimondo empfehlen, Sie von dem Posten abzuberufen. So viel Dilettantismus ist mir in all den Jahren hier draußen wirklich selten untergekommen.”

“Wenn ich dazu etwas sagen dürften, Sir”, meldete sich nun Fu Davis zu Wort.

“Nein, dürfen Sie nicht, Crewman Davis”, fuhr Commander Sörensen ihm über den Mund. Sein Blick fixierte Sunfrost. “Ich habe mit Admiral Raimondo Kontakt aufgenommen. Sie werden in Kürze hören, wie die Sache für Sie ausgegangen ist.”

“Ja, Sir”, murmelte Sunfrost kleinlaut.

“Das wäre alles. Ich habe zu dem Unsinn, den Sie da verzapft haben, nichts weiter zu sagen. Vielleicht steht das alles dann ja in Ihrer Degradierungs- oder Entlassungsurkunde. Je nachdem, was es wird. Zurzeit liegt ein Frachter hier am Fort angedockt. Vielleicht können Sie mit dem dann ja zurück ins innere Sonnensystem gelangen. Ich glaube, Zielraumhafen ist Port Mars... Guten Tag.”

*


“ICH GLAUBE, JETZT HABEN Sie ihn wirklich böse erlebt”, sagte Brent Tahano, als sie alle das Besprechungszimmer des Commanders verlassen hatten.

Die Flure im Raumort waren weiß und wirkten fast wie in einer Klinik. Aber so fern vom Licht der Sonne, die hier nur einer von vielen Sternen war - kleiner als Sirius oder Capella - brauchte der Mensch angeblich Helligkeit. Darum war man auf die Idee gekommen, das Innere von Raumforts im Fernen Weltraum auf diese Weise zu gestalten. Wände und Decke gaben darüber hinaus Licht ab, dass dem Sonnenlicht nachempfunden war. Sie leuchteten aus sich heraus und fluoreszierten auch bei totalem Energieausfall noch wochenlang.

Sunfrost blieb plötzlich stehen.

“Crewmen der DEFIANT-29”, sagte sie. “Vielleicht ist dies das letzte Mal, dass ich als Ihr Captain zu Ihnen spreche. Sie haben ja gehört, was Commander Sörensen gerade gesagt habt. Auch wenn ich zugeben muss, dass nicht alles reibungslos zwischen uns gelaufen ist, möchte ich doch sagen, dass ich gerne Ihre Kommandantin war. Sie waren mein Erstes Kommando. Und schon alleine deswegen werde ich niemanden von Ihnen je vergessen.”

Die Crew schwieg.

Nichtmal Tahano machte eine Bemerkung. Gao wich Sunfrosts Blick aus. Seku Delan fixierte sie dafür und hatte dabei die Augenbrauen zu einer Schlangenlinie zusammengezogen, was seinem Gesicht einen sehr nachdenklichen Ausdruck gab.

“Das heißt, Sie gehen davon aus, dass Sie noch ein zweites Kommando bekommen, wenn ich Ihre Worte richtig verstanden habe”, meldete sich Fu Davis als erster zu Wort.

“Nun, die Hoffnung stirbt zuletzt”, sagte Sunfrost. “Und auch wenn die Chancen mal schlecht stehen, bin ich niemand, der so einfach aufgibt.”

“Sie scheinen eine Optimistin zu sein, Madam. Das gefällt mir. Ich drücke Ihnen die Daumen, dass Sie uns erhalten bleiben.”

“Danke, Crewman Davis.”

Davis wandte sich an Tahano. “Jetzt wäre vielleicht der passende Augenblick für einen dummen Spruch, Tahano! Das könnte sie aufheitern!”

*


SUNFROST UND DIE ANDEREN Mitglieder der Crew bekamen Kabinen auf Raumfort Matthews zugewiesen. Die waren klein und erinnerten Sunfrost aus irgendeinem Grund an Gefängniszellen. Jedenfalls hatten sie im Vergleich zu ‘Dracula’s Home’ regelrecht gigantische Ausmaße. Man konnte fast zweieinhalb Schritt darin gehen, ohne irgendwo anzustoßen.

Das gibt einem schon fast das Gefühl von Freiheit und Weite, dachte Sunfrost sarkastisch.

Über das Interkom in der Wand erreichte sie ein Überlichtfunkspruch.

Ursprungsort war Spacedock 13 im Erdorbit.

Das Emblem des Space Army Corps war nicht zu übersehen und machte wenig später dem Gesicht von Admiral Raimondo Platz.

“Guten Tag, Lieutenant Sunfrost”, sagte der Admiral. Sein Gesicht wirkte regungslos und undurchdringlich. Unmöglich vorherzusagen, wie das Urteil über mich ausgefallen ist, dachte Sunfrost. Am besten man rechnet immer mit dem Schlimmsten. Das macht es dann leichter, das etwas weniger Schlimme zu ertragen.

Zum Beispiel, dass der Traum von einem eigenen Kommando bereits zu Ende geträumt ist, ehe es richtig angefangen hat.

“Ich hoffe, es geht geht Ihnen gut, Lieutenant - nach allem, was Sie und Ihre Crew durchgemacht haben.”

“Den Umständen entsprechend, Sir”, antwortete Sunfrost.

“Sie erinnern sich an unser Gespräch vor Ihrem Aufbruch aus dem Erdorbit?”

“Natürlich, Sir.”

“Zu dem, was ich damals gesagt habe, stehe ich immer noch. Und zwar zu jedem einzelnen Wort, Lieutenant.”

“Das gilt für mich ganz genauso, Sir.”

“Ich habe mit Commander Sörensen gesprochen...”

“Sir, ich...”

“Glauben Sie immer noch, dass Sie da, wo Sie jetzt sind, an der richtigen Stelle sind?”

“Ja, Sir. Davon bin ich seit heute mehr überzeugt denn je.”

“Auf dem Leichten Kreuzer CATALINA unter Commander Ned Nainovel wird demnächst die Stelle eines Kommunikationsoffiziers frei. Wäre das nichts für Sie, Lieutenant?”

“Wie ich schon sagte, ich bin an Bord der DEFIANT-29 richtig. Und da es hier offenbar ein Problem mit einsickernden Qriid gibt...”

“Ja, es gibt da ein Problem, das scheint mir auch so. Übermitteln Sie mir bitte sämtliche Daten. Nutzen Sie dazu Ihren privaten Übertragungskanal.”

“Ja, Sir.”

“Und wie gesagt, die Stelle auf der CATALINA wird demnächst frei. Aber wenn Sie sagen, dass Sie lieber Captain auf einer Nussschale als Offizier auf einem größeren Schiff sein wollen, dann werde ich das akzeptieren.”

“Danke Sir.”

“Für eine Weile, Sunfrost. Nur für eine Weile.”

“Und wovon hängt die Dauer dieses Zeitraums ab, den Sie mir zugestehen, Sir?”

“Von Ihrer persönliche Entwicklung, Sunfrost. Früher oder später werden Sie bereit für etwas Größeres als eine Nussschale sein, Lieutenant. Da bin ich mir ganz sicher...”

Sunfrost schluckte.

“Commander Sörensen meinte in unserem Gespräch, dass ich mit meinem Rausschmiss rechnen könnte.”

“Wenn wir jeden rausschmeißen würden, den Commander Sörensen für ungeeignet hält, gäbe es kein Space Army Corps mehr, Lieutenant.”

Sunfrost lächelte verhalten.

“So kann man das natürlich auch sehen.”

“So sehe ich es”, gab Raimondo zurück.

Der Admiral unterbrach daraufhin die Verbindung.

Und Sunfrost konnte kaum fassen, dass sie immer noch das war, was sie immer hatte sein wollen: Captain eines Raumschiffs. Auch, wenn es nur ein kleines, schrottreif zusammengeschossenes Raumschiff war.

ENDE

Mission in ferner Raumzeit: 1000 Seiten Science Fiction Abenteuer Sammelband

Подняться наверх