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Kapitel 21: Wollnashornreiter

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Gorian fühlte einen Ruck, und abrupt endete sein Sturz. Etwas hatte sich in seinem Rücken in sein Wams gekrallt.

„Nicht sterben“, vernahm er einen Gedanke. „Wieder helfen.“

Es war Ar-Don.

Dann folgte ein wildes Fauchen. Gorian sah, wie der Körper des Hochmeisters durch die Luft taumelte, auf dem Eis aufschlug und regungslos liegen blieb.

Ar-Don hingegen setzte Gorian sanft ab. Dessen Knie fühlten sich weich an, während er auf dem dicken Eis stand, welches das Hafenbecken bedeckte. Er befand sich nahe der von den Nashornreitern überwundenen Hafenmauer. Überall sah er die Leichen der Erschlagenen. Tod und Frost hatten ihre Züge gleichermaßen erstarren lassen. Von den Katapulten waren nur hier und dort ein Rad oder ein verkohlter Balken geblieben. Die Angreifer hatten dafür gesorgt, dass ihnen keine dieser Maschinen mehr schaden konnte.

Gorian stieß den Rächer und das Schwert zurück in ihre Scheiden. Seine Finger waren so kalt, dass er sie kaum von den Griffen der Waffen lösen konnte. Seine Handschuhe steckten hinter dem Gürtel, und es bereitete ihm einige Mühe, sie überzuziehen. Er murmelte einen einfachen Wärmezauber, der die Durchblutung förderte und aus dem magischen Repertoire der Heiler stammte. Sheera hatte ihm diesen Zauber beigebracht.

Ar-Don war ein paar Schritte von ihm entfernt gelandet und hatte die Flügel zusammengefaltet. Er fauchte und zischelte.

Der Wärmezauber begann zu wirken, und Gorian bekam wieder Gefühl in den Händen. Ein dringender Gedanke erreichte ihn. Er kam von Ar-Don, war aber so chaotisch, dass er nicht schlau daraus wurde. Es war ein Schwall von Bildern, Formen, Farben.

„Wir sind jetzt quitt“, sagte er. „Auch wenn du vielleicht gar nicht weißt, was das ist.“

Ar-Don fauchte erneut.

Gorians Blick suchte nach Hochmeister Aberian. Er wollte sichergehen, dass der Verräter wirklich tot war. Zwischenzeitlich hatte er sich ja auf erschreckende Weise verwandelt, und Gorian wusste nicht, ob das auf die magischen Fähigkeiten des Schattenmeisters zurückzuführen war oder auf etwa anderes.

Meister Damaraans Worte fielen Gorian wieder ein, alles, was er über die langsame Verwandlung von Untoten gesagt hatte. Es war gut möglich, dass dies auf Aberian zutraf, schließlich wusste Gorian nicht, wie lange der verräterische Hochmeister schon Morygor gedient hatte, und der Herr der Frostfeste plante immer sehr langfristig.

Gorian ging auf die Leiche des Hochmeisters zu. Das Fauchen des Gargoyle beachtete er nicht weiter. Aberian lag in seltsam verrenkter Haltung auf dem Eis. Sein Gesicht schien im Tode erstarrt.

„Fort ... warnen ...“

Ein bruchstückhafter Gedanke erreichte Gorian, dazu einige Bilder, die er in ähnlicher Form schon einmal gesehen hatte. Leviathane, die sich über das Eis schoben, erschienen vor seinem inneren Auge, mit einer Intensität, die ihm für einen Moment sogar von Aberian ablenkte.

„Zu groß, um Gestalt anzunehmen ... Ich habe große Furcht ... Morygors Schergen sind nah ...“ Die neuerliche Gedankenbotschaft des Gargoyle war beinahe schon von menschlicher Klarheit.

„Einen Moment, Ar-Don.“ Gorian untersuchte Aberian. Dann nahm er das Amulett des Hochmeisters an sich. Irgendetwas schien damit nicht zu stimmen, doch Gorian hätte nicht zu sagen vermocht, worin sein Unbehagen eigentlich begründet lag. Er konzentrierte seine Kräfte auf das Amulett, und siehe da, es veränderte sich und zeigte schließlich die Caladran-Rune von Morygor. Ein einfacher Illusionszauber hatte die wahre Natur des Amuletts verborgen.

Plötzlich griff Aberians Hand nach Gorians Fuß, umklammerte seinen Knöchel und verwandelte sich wieder in eine Pranke. Auch Aberians Gesicht veränderte sich und wurde erneut zur tierhaften Fratze. Ein Maul entstand, dessen Raubtierzähne so lang wie die Klinge des Rächers waren.

Gorian zog mit einer einzigen blitzartigen Bewegung das Schwert aus der Rückenscheide und schlug zu. Der Hieb trennte Aberian den Kopf ab, woraufhin sich der Griff um Gorians Fußgelenk lockerte. Er schüttelte die Pranke ab.

Das Amulett des Hochmeisters steckte er unter seine Kleidung.

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Er bemerkte nicht, wie Ar-Don von der Seite auf ihn zuflog. Plötzlich packte ihn der Gargoyle, krallte sich an seiner Kleidung fest und zog ihn empor.

„He, was soll das?“, beschwerte sich Gorian, als er im nächsten Moment schon mehrere Masthöhen über dem Eis schwebte.

Dann aber verstummte er, denn ein riesenhafter Leviathan schob sich über die gefrorene Fläche unter ihm, vom Kopf bis zum Schwanzende mindestens fünfundzwanzig Schiffslängen messend, und rechts und links des Ungetüms stampften berittene orxanische Wollnashörner dahin. Sie wirken winzig gegenüber dem Leviathan, ebenso winzig wie die Armbrustschützen, die auf seinem Rücken hockten. Es waren Menschenkrieger – Untote, wie zu vermuten war. Ihrer Fellkleidung und den bärtigen Gesichtern nach stammten sie aus dem eroberten Torheim. Nun dienten sie in Morygors Höllenheer.

Der Leviathan war nur die Vorhut eines guten Dutzends von gleichartigen Geschöpfen. Nirgends war zu erkennen, wo ihre Augen waren oder ob sie überhaupt welche besaßen. Vorne befand sich ein tiefer Schlund, der sich ab und zu ein paar Lanzenlängen weit öffnete, aber nicht weit genug, um wirklich hineinsehen zu können.

Der erste Leviathan erreichte die Hafenmauer und walzte einfach über sie hinweg. Das Mauerwerk stürzte in sich zusammen, und das gewaltige Ungetüm brach sich einen Durchgang, der breiter war als die Stadttore von Segantia.

Die untoten Armbrustschützen auf seinem Rücken legten die Waffen an und schossen auf Gorian, während sich der Gigant unter ihm herwälzte.

Ein Armbrustbolzen traf Ar-Don, und mit einem letzten wütenden Fauchen zersprang der Gargoyle in ein halbes Dutzend steinerne Einzelstücke, die vom Himmel regneten. - und Gorian stürzte in die Tiefe.

Der Leviathan öffnete sein Maul so weit, dass eine ganze Barkasse hindurchgepasst hätte, und er hob den Teil seines Körpers, den man für seinen Kopf halten konnte.

Gorian fiel in den Schlund. Er konzentrierte alle magischen Kräfte darauf, seinen Sturz zu bremsen, was innerhalb gewisser Grenzen möglich war. Er traf auf etwas Weiches, Glitschiges, rutschte ein Stück und befand sich dann im höhlenartigen Inneren des Leviathans.

Es schimmerte grünlich von überallher, sodass alles um Gorian herum in ein diffuses Dämmerlicht getaucht war. Offenbar war das Blut des Ungeheuers grün und leuchtete, denn er sah es ringsum in den riesigen Adern pulsierte.

Ein ohrenbetäubender Lärm empfing ihn. Er schnellte hoch, griff sein Schwert mit beiden Händen und sah unzählige Frostkrieger. Die meisten waren Orxanier, aber auch untote Menschen und Adhe machte er unter ihnen aus und hier und dort sogar einen grünhäutigen Oger. Eine ganze Armee war in diesem sich schier endlos fortsetzenden Schlund zu finden, der einem gewaltigen Tunnel glich – höher und breiter als irgendein Raum, der je von Menschenhand erschaffen worden war.

Bei einem Teil der Frostkrieger handelte es sich gar um Orxanier auf Wollnashörner, die ihre Reittiere ruhig zu halten versuchten. Aber Gorians Eindringen ließ die Tiere scheuen, denen man ihre Sensibilität gar nicht ansah. Im Gegensatz zu ihren Reitern waren sie jedenfalls nicht untot; es handelte sich, ähnlich wie bei den Eiskrähen, um seit jeher in den Ländern des Ordens beheimatete Geschöpfe, welche Morygors Schergen unter ihren Willen gezwungen hatten.

Eines der Wollnashörner brüllte auf, senkte den Kopf und scharrte mit den Hufen. Sein untoter orxanischer Reiter versetzte dem Tier daraufhin einfach einen Faustschlag gegen den Kopf, der es benommen in sich zusammensacken ließ.

Raue Rufe, vornehmlich auf Orxanisch oder Torheimisch, hallten in dem gewaltigen Schlund wider. Rufe, die wohl so viel bedeuteten wie: „Holt euch den Kerl!“ Schleim tropfte von oben herab.

Drei Orxanier stürzten sich mit gezogenen Waffen auf ihn. Eine Wurfaxt fing Gorian aus der Luft auf und schlug damit dem ersten Untoten, der ihn erreichte, den Kopf ab. Er riss die Axt wieder hoch und schleuderte sie dem nächsten Angreifer entgegen, der ihr nicht rechtzeitig auswich, sodass sie ihm im zur Hälfte gespaltenen Schädel stecken blieb. Gorian zog sein Schwert, trennte dem Untoten mit dem gespaltenen Kopf mit zwei schnellen Hieben die Arme vom Rumpf und wehrte mit einer raschen Seitwärtsbewegung der Klinge auch noch einen Bogenschuss ab. Der Pfeil traf so auf den Stahl, dass er zur Seite gelenkt wurde. Er fuhr in eine der mit leuchtendem grünem Blut gefüllten Adern das sofort in einer Fontäne aus der Wunde spritzte, und ein ohrenbetäubendes Brüllen dröhnte durch den Schlund, der sich daraufhin öffnete.

Gorian sah hinaus und erkannte, dass sich das Geschöpf geradewegs der äußeren Mauer der Ordensburg näherte, und dies mit einer Geschwindigkeit, bei der die Wollnashornkavalleristen kaum mitzuhalten vermochten. Durch den Hafenbereich hatte sich das Wesen bereits hindurchgewalzt und alles in den Boden gedrückt, was ihm im Weg stand. Keine einzige magische Barriere hatte es dabei aufgehalten.

Gleiches würde auch bei den Bannsteinen der Fall sein, die die eigentliche Burg schützen sollten. Der Verräter Aberian hatte ganze Arbeit geleistet.

Von den Burgmauern hagelten magisch verstärkte Katapultgeschosse auf die Angreifer nieder. Ein fünf Schritt langer und balkendicker Pfeil, der mit einem Springald verschossen worden war, drang dem Leviathan durch die Haut und das von grün schimmernden Adern durchzogene Fleisch und ragte anschließend eine Mannslänge weit in den Schlund hinein. Leuchtendes Blut schoss aus der Wunde. Der Leviathan wurde von ungeheurer Wut gepackt. Sein Brüllen glich einem nicht enden wollenden Donnern.

Die Mauern des äußeren Burghofs waren für ihn kein Hindernis. Sie zerbrachen unter der Wucht des massigen Körpers. Ein Ruck ging durch das Tier, als das riesenhafte Geschöpf mit voller Geschwindigkeit gegen das Mauerwerk prallte. Nicht nur Gorian wurde von den Füßen gerissen, und so viele Faustschläge konnten die Wollnashornreiter ihren Reittieren gar nicht geben, dass sie ruhig blieben.

Als sich das vordere Drittel des Leviathans im äußeren Burghof befand, riss das Ungetüm den Schlund weit auf. Gorian rappelte sich hoch. Er wich einer orxanischen Wurfaxt aus, dann rannte er ins Freie, verfolgt von den Wollnashörner und den Fußkriegern. Er sprang zur Seite, bevor ihn der erste Wollnashornreiter beinahe über den Haufen ritt. Dessen langes, leicht gebogenes und vorn gespaltenes Kavalleristenschwert verfehlte ihn nur knapp. Die Waffe war wie geschaffen für einen Orxanier, um damit vom Rücken eines Wollnashorns aus Feinde zu erschlagen, und zwar vorzugsweise Menschen.

Gorian rollte auf dem Boden ab und schleuderte, einen Kraftschrei ausstoßend, sein Schwert. Die Klinge zerschnitt dem Wollnashorn eine Sehne am Bein und kehrte in Gorians Hand zurück. Das Reittier des Untoten brüllte auf, sein linkes Vorderbein knickte ein, und der Reiter sprang aus dem Sattel, aber noch ehe er wieder festen Stand bekam, hatte Gorian ihm den Schädel so tief gespalten, dass selbst ein Untoter kampfunfähig sein musste.

Der Körper des Frostkriegers sackte mit einem dumpfen Ächzen in sich zusammen, sein Schwert entfiel ihm.

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Die Streitmacht drängte aus dem Inneren des Leviathans heraus. Grausige Szenen spielten sich am Maul des Riesenwurms ab. Stahl klirrte gegen Stahl, Todesschreie gellten. Hier und dort wurde Magie eingesetzt, und Kraftschreie mischten sich mit Schmerzenslauten.

Gorian kämpfte wie ein Berserker. Sein Schwert zuckte blitzschnell nach oben und nach unten, wehrte Wurfbeile, Pfeile und Hiebe ab. Aber die Schlacht war bereits verloren. Zu übermächtig waren die Angreifer. Selbst ein Heer von Ordensmeistern hätte kaum ausgereicht, um Morygors Kriegern über längere Zeit Widerstand leisten zu können, und es waren zum Großteil nur Schüler, die versuchten, dem Grauen Einhalt zu gebieten. Die Frostkrieger trieben ihre Wollnashörner in die Menge hinein und schlugen mit ihren gespaltenen Schwertern unerbittlich zu.

Überall herrschten Chaos und Panik.

Ein zweiter Leviathan durchbrach das Gemäuer. Eine feste Burg, die über Jahrtausende an diesem Platz gestanden hatte als Symbol der Sicherheit des Heiligen Reichs, zerfiel unter dem Druck eines massigen Leviathanenkörpers, aus dessen Schlund untote Wollnashornreiter preschten.

Schon hatten die ersten Reiter das Tor zum inneren Burghof erreicht und rammten mit den gewaltigen Hörnern ihrer Tiere dagegen. Andere Orxanier warfen Hakenseile in die Höhe, die sich an den Zinnen festkrallten, sodass sich die Angreifer mit einem barbarischen, Furcht einflößenden Brüllen emporziehen konnten.

Den Ersten wurden noch die Seile durchgeschnitten, sodass sie zurück in die Tiefe stürzten, aber die Übermacht war einfach zu groß, und so gelang es immer mehr Frostkriegern, die Mauer des inneren Burghofs zu überwinden, sodass sie auf den Brustwehren gegen die verbliebenen Verteidiger vorgingen.

Für Gorian ging es nun ums nackte Überleben. Seine Augen waren tiefschwarz. In der Rechten hielt er sein Schwert, in der Linken den Rächer, und mithilfe der Magie wehrte er gegen ihn gerichtete Schläge ab, wich Pfeilen aus, deren Beschuss er vorausahnte, oder schlug sie mit dem Schwert oder dem Rächer zur Seite.

Ein dritter Leviathan drängte durch das Gemäuer und ließ einen ganzen Turm einstürzen. Dann schob er sich weiter die Anhöhe empor bis zum inneren Burghof, drückte die Mauern des Seher-Hauses nieder und öffnete sein Maul, um die unzähligen Frostkrieger, die er in seinem Leib transportiert hatte, auszuspeien. Schlachtenlärm war nun auch von dort zu hören.

Der Mittelturm, die letzte Rückzugsmöglichkeit, stürzte ein, nachdem der Leviathan den vorderen Teil seines Körpers ein wenig zur Seite drehte. Selbst die magischen Blitze der Magieschüler konnten das Wesen nicht zurückdrängen.

Als der Großteil der Frostkrieger den Schlund des Leviathans verlassen hatte, schob er seine Massen gegen die Kathedrale des Ersten Meisters. Die Kuppel brach über dem Leviathan zusammen, ohne dass dies irgendeine erkennbare Auswirkung auf das Ungetüm hatte.

Dann aber übertönte plötzlich ein durchdringendes Zischen alle anderen Geräusche. Der Schlachtenlärm war nicht mehr zu hören. Schwarzes Licht sprühte fontänenartig aus der zerstörten Kathedrale, vermischt mit grellweißen Blitzen. Der Leviathan brüllte auf, als ihm das Sternenmetall von Meister Aberians Kunstwerk in der Kathedralenkuppel zum Verhängnis wurde. Die in der dunklen Sphäre gebannte magische Kraft entlud sich. Flammen schossen aus dem Körper des Ungetüms, und weitere Blitze umflorten seinen Leib. Der Leviathan wand sich, brüllte und riss Mauern und Gebäude nieder, im inneren Burghof, wo sich das Kopfende des Riesenwurms befand, ebenso wie auch im äußeren Burghof und in der ohnehin schon so gut wie völlig zerstörten Hafenstadt, wo er mit dem Schwanz um sich schlug. Dass er dabei sowohl Burgwächter, Magieschüler, Ordensmeister und sogar die eigene Nachhut tötete, war dem sterbenden Monstrum gleich. Es war erfüllt von Schmerz und Wut – und wahrscheinlich noch ein halbes Dutzend anderer Empfindungen, die zu fremdartig waren, als dass irgendein Geschöpf diesseits des Weltentores sie hätte nachempfinden können.

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„Wo steckst du?“, erreichte Gorian ein Gedanke von Sheera, der voller Angst und Unsicherheit war. Für einen kurzen Moment sah er das sehr intensive Bild eines Wollnashornreiters und dahinter das Südtor der äußeren Burgmauer.

Den Wollnashornreiter sah Gorian in seiner Vision nur kurz aufflackern und wunderte sich darüber, dass er sehr viel kleiner wirkte als ein Orxanier. Vielleicht handelte es sich um einen untoten Adh oder einen Mensch aus Torheim, der zum Frostkrieger gemacht worden war.

Gorian kämpfte sich vorwärts und stieg dabei über die Leichen von Burgwachen und Mitschülern und hin und wieder auch über die von einem der wenigen Meister, die zum Zeitpunkt des Angriffs noch in der Ordensburg gewesen waren. Den Heiler Faroch entdeckte er ebenso unter den Gefallenen wie auch den rothaarigen Alrado.

Immerhin war der Weg zum Südtor nicht durch einen Leviathankörper versperrt. Trotzdem kam er nur langsam voran, denn immer wieder wurde er angegriffen.

Ein Wollnashorn sprengte durch die Kämpfenden. Der Reiter war für einen Orxanier viel zu klein und zierlich, wie Gorian sofort auffiel. Es war der Reiter aus seiner Vision.

Er hielt geradewegs auf Gorian zu und ließ ein gespaltenes orxanisches Schwert wie eine Sense um sich kreisen. Doch er richtete seine Schläge gegen Morygors Krieger, die irritiert zurückwichen. Ein Kraftschrei kam über seine Lippen, und als er näher heran war, sah Gorian, dass die von seiner Vermummung freigelassenen Augen vollkommen schwarz waren.

„Halte durch!“, erreichte Gorian ein Gedanke.

„Meister Thondaril!“, stieß er ungläubig hervor - ein Ruf, der sich zu einem Kraftschrei wandelte, als ihn ein untoter Adh von der Seite her angriff, dem Gorian mit dem Schwert den Kopf von den Schultern schlug.

Dann hatte ihn der Wollnashornreiter erreicht.

„Aufsitzen!“

Es war ein knapper Gedankenbefehl des Meisters. Gorian stieß Schwert und Rächer in ihre Scheiden und krallte sich an dem Haar des Nashorns fest. Meister Thondaril hatte das Tier völlig unter seiner Geisteskontrolle und stieß einen Kraftschrei aus, der es antrieb, als wäre ein ganzes Rudel Langzahnlöwen hinter ihm her.

„Keine Sorge, ich habe mich nicht auf die andere Seite geschlagen, und ein Untoter bin ich auch nicht“, vernahm Gorian einen weiteren Gedanken seines Meisters.

Dann waren sie beim südlichen Tor der äußeren Burgmauer, und Gorian sah Torbas und Sheera.

„Na endlich!“, rief Torbas, der zwei untote Torheimer mit Schwerthieben zurücktrieb. Meister Thondaril streckte die Hand aus, und Blitze zuckten daraus hervor, welche die beiden Untoten trafen und sie zu Boden warfen. Sie bewegten sich noch, standen auf, waren aber zu geschwächt für einen weiteren Angriff. Einer der beiden rief etwas auf Torheimisch. Offenbar wollte er Hilfe herbeiholen, aber in all dem Chaos, das vor allem der sich in magischem Feuer windende Leviathan verursachte, hörte ihn niemand.

„Rauf mit euch!“, rief Meister Thondaril. „Das nashörnige Vieh, auf dem ich sitze, trägt uns alle. Zumindest für eine Weile.“

Gorian beugte sich hinab und reichte Sheera die Hand. Torbas, der einem gefallenen Bogenschützen aus den Reihen der Burgwachen die Waffe und den Köcher abgenommen hatte, schoss mit einem Kraftschrei einen Pfeil ab, der einen heranstürmenden Orxanier durchs Auge fuhr und ihn niederstreckte. Dieser versuchte sich den Pfeil aus dem Schädel zu ziehen, aber bevor er wieder auf den Beinen war, ließ Thondaril das Wollnashorn davonpreschen.

„Ich wusste gar nicht, dass du so etwas kannst!“, rief Gorian seinem Mitschüler zu. Das Bogenschießen mit Kraftschrei stand nämlich erst später auf dem Ausbildungsplan der Schwertmeister.

„Du weißt vieles über mich noch nicht“, entgegnete Torbas.

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Zu viert saßen sie auf dem Rücken des Wollnashorns, das Meister Thondaril mit einem starken Gedankenbefehl vorwärts trieb, auf die weiße Ebene zu, die sich südlich der Ordensburg erstreckte. Von Baumgruppen unterbrochene Felder waren unter Schnee und Eis verborgen, und hin und wieder kamen sie an einem Dorf vorbei, das aber schon bei Ausbruch der großen Kälte und der Vereisung der Mittlinger See und des Gont-Deltas verlassen worden war. Die meisten Einwohner hatten sich in den Hafen und die Ordensburg geflüchtet und waren wohl beim Angriff von Morygors Horden und der Leviathane ums Leben gekommen.

Bald stellten sie fest, dass ihnen ein Trupp Wollnashornreiter folgte. Offenbar sollte es keine Überlebenden geben, niemand sollte entkommen.

Von einer Anhöhe aus sah Gorian, dass das magische Feuer, das einen der Leviathane verschlungen hatte, auch auf andere Bereiche der zerstörten Burg übergegriffen hatte. Der riesenhafte Kadaver des brennenden Ungetüms lag reglos da, während sich die beiden anderen Riesenwürmer zurückzuziehen versuchten und sich dabei auch über die eigenen Truppen wälzten.

Die Verfolger holten rasch auf. Einer von ihnen schoss mit einer Armbrust auf die Flüchtenden und verfehlte Thondaril nur knapp. Dieser knurrte etwas in alt-nemorischer Sprache, was allerdings wohl eher ein Fluch als eine magische Formel war, und brachte das Wollnashorn zum Stehen.

„Was habt Ihr vor, Meister Thondaril?“, fragte Sheera.

„Ich habe dieses Reittier in Ameer dem untoten Orxanier abgenommen, dessen Felle mich jetzt wärmen“, erklärte er. „Die ganze Strecke bis hierher habe ich mich auf dem Rücken des Tiers durchschlagen müssen, und nun ist es erschöpft, und selbst mit magischer Unterstützung ist es zu langsam, um diesen Kreaturen dort zu entkommen. Zu viert sind wir zu schwer.“ Er atmete tief durch. „Drei Frostkrieger in offener Feldschlacht – das wird ja wohl zu schaffen sein!“

„Wieso drei?“, fragte Torbas. „Es sind doch mehr!“

Thondaril glitt vom Rücken des Wollnashorns und meinte: „Wenn du noch lange zögerst, deinen Bogen einzusetzen, werden sie auch so zahlreich bleiben. Aber willst du das wirklich einem so hart geprüften Mann wie mir zumuten? Komm herunter, damit du festen Stand hast und jeder Schuss trifft.“

Nach diesen Worten vollführte er eine plötzliche Bewegung, ließ einen Blitz aus seiner Hand zucken, der einen Armbrustbolzen, der ansonsten Gorian getroffen hätte, im Flug traf und zur Seite lenkte.

Das Wollnashorn wurde unruhig, und Thondaril rief zu Gorian empor: „Es lässt sich leicht reiten, wenn man den nötigen Willen dazu aufbringt!“

Gorian konzentrierte etwas von der Alten Kraft, aber er spürte rasch, dass er nur ganz wenig davon brauchte, um das gewaltige Tier zu beeinflussen. Es beruhigte sich sofort.

Torbas stieg ab und erwartete an Thondarils Seite und mit gespanntem Bogen die herannahenden Verfolger. Dann, auf die Anweisung des Meisters hin, verschoss er einen Pfeil nach dem anderen, und jedes Mal unterstützte Thondaril seine Schüsse mit einem Kraftschrei. Die Pfeile fanden sicher ihr Ziel und trafen mit solcher Wucht, dass die Reiter von den Rücken der Wollnashörner gerissen wurden.

Drei der Verfolger blieben übrig, nachdem Torbas sämtliche Pfeile aus dem Köcher der toten Burgwache verschossen hatte. Auf ihren Wollnashörnern preschten sie heran.

„Ich sagte doch, wir werden uns nur drei von ihnen stellen müssen“, meinte Thondaril. Dann gebot er Torbas: „Und jetzt tritt zurück!“

„Braucht Ihr keine Hilfe?“

„Du würdest mich nur behindern.“

„Ich hoffe, er weiß, was er tut“, raunte Sheera Gorian zu, während der das Reittier, auf dem sie beide saßen, mit seinen Gedankenbefehlen ruhig hielt.

Der zweifache Ordensmeister trat den nahenden Wollnashornreitern entgegen. Einen Armbrustbolzen schlug er mit dem Schwert zur Seite, einen zweiten lenkte er mit der Klinge so ab, dass er zurück zu den Verfolgern geschickt wurde und einem von ihnen den Kopf wegriss. Ein magischer Gedankenbefehl an dessen Wollnashorn sorgte dafür, dass es scheute, sich brüllend auf die Hinterbeine stellte und den Geköpften auf den eisigen Grund warf.

Der zweite berittene Frostkrieger wollte seine Lanze nach Thondaril schleudern, da riss der Schwert- und Magiemeister einen Dolch unter den Fellen, die er trug, hervor und warf sie dem Orxanier entgegen, begleitet von einem Kraftschrei. Die Klinge drang zischend und von Blitzen umflort in die Brust des Angreifers. Ehe dieser aus dem Sattel kippte, bewegte Thondaril die Hand und ließ die Lanze des vernichteten Untoten mit solcher Wucht in den Körper des letzten Frostkriegers fahren, dass der von seinem Reittier gerissen wurde.

Auf dieses Tier hatte Thondaril es abgesehen. Mit einem Gedankenbefehl zwang er es zu sich heran. „Na, ist das ein prächtiger Wollnashornsattel?“, rief er Torbas zu. „Zwei von uns trägt so ein Tier spielend, aber du kannst dir gern ein eigenes Reittier auswählen.“ Damit kletterte Thondaril auf den Rücken des Wollnashorns und streckte die Hand aus, woraufhin sein Dolch zu ihm zurückkehrte. Allerdings ließ er ihn zunächst etwas durch den halbgefrorenen Schnee ritzen, damit das Orxanier-Blut abgewischt wurde.



Schwertmeister der Magie: Drei Fantasy Sagas auf 2500 Seiten

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