Читать книгу Tempelritter und Nachtgeschöpfe: 20 Mystery Thriller um Liebe und Geheimnis: Krimi Koffer - Alfred Bekker - Страница 113
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Als Tante Lizzy und ich vor dem Sprechgerät am Eingang standen, überlegte ich, ob ich selbst an das Gerät gehen sollte oder besser Elizabeth den Vortritt ließ, die sich ja irgendeine Geschichte ausdenken konnte.
Schließlich war ich beim letzten Mal ziemlich rigide draußen vor der Tür stehen gelassen worden.
Andererseits war das wohl auf Anweisung des Künstlers selbst geschehen - und nun war John Jennings ja tot. Eine Tatsache, die vieles ändern konnte.
Ich drückte auf den Knopf.
"Patricia Vanhelsing, LONDON", meldete ich mich auf gewohnte Weise.
Auf der anderen Seite der Leitung herrschte einige lange Augenblicke Schweigen. Ein Schweigen, dass ich nicht zu deuten wusste.
Dann sagte die Stimme von Beverly Norman knapp und eindeutig: "Einen Moment bitte!"
Einen Augenblick später wurden wir hereingelassen. Elizabeth empfing uns mit einem sehr ernsten Gesicht. Sie musterte Elizabeth kurz, dann bat sie uns herein.
"Sie werden sicher inzwischen erfahren haben, was geschehen ist, Miss Vanhelsing", erklärte Elizabeth.
Ich nickte.
"Das, was Sie befürchtet hatten."
"So ist es."
"War Scotland Yard schon hier?"
"Ja."
"Und dort glaubt man auch an einen Selbstmord?"
"Die Tatsachen sind eindeutig, Miss Vanhelsing."
"Und wer hat John gefunden?"
"Das war ich. Er hatte offenbar eine Überdosis Tabletten genommen... Es war oben in seinem Atelier. Dass er die ganze Nacht dort verbrachte, war nichts Besonderes und daher hatte sich auch niemand Sorgen gemacht."
"Gibt es einen Abschiedsbrief?", erkundigte ich mich.
Beverly sah mich verwundert an. "Wie kommen Sie darauf?"
"Weil das bei Selbstmorden doch häufig der Fall ist." Die Sekretärin atmete tief durch und schien mit sich zu ringen, ob sie mir mehr sagen sollte. Aber wie schon in jenem Augenblick, als sie mir von der Selbstmordneigung des Künstlers berichtet hatte, gewann ich den Eindruck, dass ihr Verhalten eine Show war.
"Sie werden eine Reportage darüber schreiben, nicht wahr?", erkundigte sie sich. Eine überflüssige Frage, auf die sie auch nicht ernsthaft eine andere Antwort als "Ja!" erwartete.
"Das ist mein Beruf!", sagte ich. "Und morgen werden viele Zeitungen darüber schreiben. Die meisten natürlich nur das, was die Nachrichten-Agenturen ihnen an Standard-Texten anbieten."
"John hat Sie zuletzt nicht gut behandelt", stellte Beverly fest.
"Er wollte mich umbringen!", war meine Antwort, die ein wenig zu eisig geriet. "Jedenfalls meißelte er da oben in seinem Atelier an einer Büste von mir, mit deren Hilfe er ein Tötungsritual durchführen wollte. Sie waren gerade etwas überrascht, als Sie meine Stimme hörten, nicht wahr? Haben Sie deswegen so lange geschwiegen?"
"Nun, ich..."
"Dann nehme ich an, dass John die Büste vollendet und es durchgeführt hat. Ist das richtig?"
"Hören Sie..."
"Sie hatten angenommen, ich wäre nicht mehr am Leben." Ihr hübsches Gesicht verlor jegliche Farbe.
Dann biss sie sich auf die Lippe. Meine Frage ließ sie unbeantwortet.
"Versprechen Sie mir trotz allem, in ihrer Reportage fair zu sein? Schließlich ist John tot..."
"Ich schreibe nur Tatsachen, nichts weiter. Urteilen sollen die Leser der EXPRESS NEWS selbst!", erwiderte ich. Beverly nickte.
"Sie möchten ins Atelier, nicht wahr?"
"Ja", sagte ich.
"Das geht leider nicht."
"Hat Scotland Yard den Tatort versiegeln lassen?", schloss ich. "Dann gibt es also Zweifel am Selbstmord..."
"Nein, nein!", erwiderte Beverly etwas zu heftig um noch überzeugend wirken zu können. "Es ist nur..."
"Was?", hakte ich unbarmherzig nach, als Beverly Norman nicht weitersprach. John Jennings' Sekretärin sah mich an.
"Eine Anweisung von Mr. Erikson!", erklärte sie dann steif.
"Dann möchte ich mit ihm sprechen."
"Er ist leider nicht im Haus. Was glauben Sie, was jetzt alles zu tun ist! Wir wissen kaum, wo uns der Kopf steht." Sie zuckte die Achseln. "Tut mir leid, aber vielleicht kann ich Ihnen anders behilflich sein."
"Und wie?"
"Ich habe eine Kopie des Abschiedsbriefes gemacht. Ich kann sie Ihnen aus dem Büro holen."
"Danke."
Sie ging den Flur entlang und verschwand dann hinter einer Tür. Wenig später war sie wieder zurück und überreichte mir ein zusammengefaltetes Stück Papier.
"Und nun gehen Sie bitte, Miss Vanhelsing. Wie gesagt, nach Johns Tod gibt es jede Menge Arbeit..."
Beverly und ich wandten uns zum Gehen.
Dann blieb ich auf dem Absatz stehen, drehte mich noch einmal herum und fragte: "Wer erbt eigentlich Johns gewaltiges Vermögen?" Beverlys Mund wurde zu einem schmalen Strich.
"Da werden Sie wohl auf die Testamentseröffnung warten müssen."
"Hat er Verwandte?"
"So weit ich weiß, niemanden. Auf Wiedersehen." Als wir wieder im Wagen saßen, faltete ich die Kopie des Briefs auseinander. Er war mit der Hand geschrieben und John Jennings bekannte sich in ihm dazu, all diejenigen mit Hilfe schwarzer Magie ums Leben gebracht zu haben, die er für sein Schicksal verantwortlich machte. "Nun stehe ich wieder vor dem Abgrund", las ich Tante Lizzy vor. "Ich bin kein Künstler mehr, denn ich bin nicht mehr in der Lage, ein Kunstwerk zu schaffen. Ich dachte, die Vollendung meiner Rache würde mich von den düsteren Schatten befreien, die auf meiner Seele lasten. Aber das war nicht der Fall. Erlösung werde ich wohl nur im Tod finden. Meine Seele wird dann von den Fesseln dieses verkrüppelten Körpers befreit sein..."
"Eins steht jedenfalls fest", sagte Beverly einen Moment später. "Die Werke von John Jennings werden jetzt, nach seinem Tod, im Wert erheblich steigen..."