Читать книгу Krimi Koffer September 2021 - 7 Krimis auf 1000 Seiten - Alfred Bekker - Страница 44

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Von Cavends Planet sprang die SINGA nach Bonaventure Place; von dort ging die Reise weiter nach Baraidas Island, wo das Schiff zum ersten Mal länger als einen Tag blieb.

Und auf Baraidas Island war es auch, dass zum ersten Mal das Gefühl eines Unbehagens auftauchte; die Reise schien unter keinem besonders günstigen Stern zu stehen.

Aber der Reihe nach ...

Die SINGA landete kurz vor Einbruch der Nacht auf der schmalen Landepiste des Hügels über der Stadt und nicht, wie ursprünglich geplant, auf der Raumwaffenbasis, über die Baraidas Island verfügte; der Planet bildete den äußersten Stützpfeiler des terranischen Imperiums. Dahinter lag der noch unerforschte Raum.

Während die Maschinen verstummten, blickten John Dunbars Augen auf den mächtigen Frontschirm. Er konnte die dürftig erhellte Piste erkennen, an deren Rand sich einige düstere Gebäude erhoben. Im linken unteren Drittel des Schirmes war die Silhouette der Stadt drunten in der Ebene zu. sehen. Sie war dem Meer vorgelagert, das John erblickte, als die SINGA zur Landung ansetzte.

Die Stadt bot den Anblick einer dunklen, drohenden Masse, über der ein schwacher, dunkelroter Schein hing.

Der erste Eindruck von Baraidas Island war nicht sonderlich überwältigend, fand John. Außerdem wusste er fast nichts über diese Welt. Dem konnte man jedoch abhelfen.

John Dunbar drückte eine Taste auf der verbreiterten, pultartigen Armlehne des Auditoriumssitzes — die Landung hatte Tom Neal durchgeführt, da John keine Wache hatte — und wartete.

ARCHIV — BITTE ANGABEN ANFORDERN.

Während die Leuchtschrift in kurzen Intervallen auf dem kleinen Bildschirm erschien, war John schon damit beschäftigt, weitere Kombinationen mit den Tasten herzustellen. Dann beugte er sich vor und las die Schrift, die im normalen Lesetempo auf dem Schirm erschien.

Baraidas Island: umkreist die Sonne — Katalognummer 67J8 — als sechster Planet von insgesamt neun Planeten. Wie die übrigen Welten des Systems bewegt sich Baraidas Island auf einer elliptischen Bahn. Die Umlaufzeit beträgt etwas mehr als vierhundertzweiundvierzig Tage zu je einunddreißig Stunden T.N.Zeit. Die numerische Exzentrizität der Baraida Bahn beträgt 0,0156 (für das Jahr der Entdeckung durch Kommodore Henry Baraida um 2089); die Bahn weicht also nur wenig von einem Kreis ab. Der mittlere Abstand von dem Planeten Baraidas Island zu seiner Sonne beträgt 224.645 000 km. Infolge seiner Äquatorneigung gegen die Ekliptik hat der Planet einen Jahreszeitenwechsel.

Oberfläche: Zwei Drittel Wasserwelt. Die Mittagstemperatur am Äquator beträgt im Sommer, der sechs Monate T.N.Zeit dauert, mehr als dreißig Grad über Null. Die übrige Zeit liegt Baraidas Island unter einer dicken Eis- und Schneeschicht mit Temperaturen bis zu sechzig Grad unter Null, wobei häufig das Meer kilometerweit in die Tiefsee hinein zufriert.

Bewohner: Extraterrestrier. Humanoid mit stark marinem Einschlag, was die Vermutung nahelegt, dass sie in grauer Vorzeit aus dem Meer gekommen sind.

*

Eine dünne, zerfranste Schneedecke lag am nächsten Morgen auf der Piste, und eisiger Wind ließ die drei Männer frösteln, die sich auf den Weg zum Abfertigungs- und Zollgebäude machten.

Der kurze Sommer von Baraidas Island neigte sich dem Ende zu.

In der Nacht war noch ein Schiff gelandet; der schlanke, stählerne Turm eines Händlerraumers war am jenseitigen Rand der Piste zu sehen. Am Fuß der langen Rampe hatten die Händler bunte Zelte aufgebaut, und Musik drang herüber.

John Dunbar fragte sich vergebens, wie man bei dieser Kälte Fröhlichkeit empfinden konnte.

Er hatte sich in einen warmen Pelz gehüllt und die Kapuze tief über die Augen gezogen. Er schritt neben dem Lademeister und dem schweigsamen Chefmathematiker Delalander rasch aus, um sich warmzulaufen.

Delalander hatte sich gleich nach dem Frühstück angeboten, sie beide begleiten zu dürfen. Wie er sagte, war ihm die Luft im Schiff zu geladen. Was in gewisser Hinsicht auch der Wahrheit entsprach, wie John zugeben musste.

Captain Corelli lief seit zwei Tagen mit einer Miene herum, als wollte er jeden auffressen. Schuld daran, so erinnerte sich John, war eine verschlüsselte Nachricht, die vor achtundvierzig Stunden durch die Empfänger der SINGA gekommen war, und deren Kode nur dem Captain bekannt war. Der Funker wusste lediglich, dass die Nachricht vom planetaren Geheimdienst gekommen war.

Den aufblühenden Gerüchten zufolge handelte es sich dabei um eine Warnung vor möglichen Schwierigkeiten im VORPAL-Sektor. Da Baraidas Island die östliche Grenze dieses Sektors bildete, erhielten diese Gerüchte kräftig Nahrung, als bekannt wurde, dass die SINGA auf dem Planeten landen würde, um dort für zwei Tage auf eine weitere Nachricht zu warten.

Die wildesten Vermutungen wurden angestellt.

Captain Tommaso Corelli beendete alle Diskussionen; er ließ die SINGA auf der Notpiste niedergehen, anstatt das Schiff auf der Raumwaffenbasis zu landen, wie jedermann angenommen hatte.

Nun waren alle ratlos, selbst die Offiziere wussten nicht, was den Captain zu diesem Schritt bewogen hatte. Und heute Morgen war die Sache noch undurchsichtiger geworden, als der Captain anordnete, dass das Schiff frisch verproviantiert werden sollte ...

*

Mittlerweile waren die Männer am Rande der Piste angelangt. Die Zollformalitäten waren schnell erledigt. Der schnauzbärtige Baraida, wie die Eingeborenen genannt wurden, blickte nur kurz in die Papiere, die ihm Lademeister Greene über die Tischplatte reichte.

Er machte einige Eintragungen in einem dicken Buch. Dann versicherte er den Terranern, dass ihre Proviantliste umgehend erledigt werden würde. Der Baraida zeigte kein Erstaunen darüber, dass sich ein Raumwaffenkreuzer ausgerechnet seine Piste zum Landen ausgesucht hatte, zumal er von einer Horde lärmender Händler abgelenkt wurde, die durch die Tür hereindrängten.

„Und was machen wir jetzt?“, erkundigte sich Albert Greene, als sie wieder draußen im kalten Wind standen. „Zurück in das Schiff?“

John, dessen Dienst erst nachmittags begann, schüttelte den Kopf. „Bloß nicht“, sagte er. „Ich bin froh, für ein paar Stunden dem Geschrei entgehen zu können.“

„Gehen wir in die Stadt“, schlug plötzlich Delalander vor. „Ich habe mir sagen lassen, dass die Baraidas einen vorzüglichen Wein aus den Früchten dieser Welt pressen.“

John Dunbar blickte mit hochgezogenen Augenbrauen auf den Chefmathematiker. „Ich wusste gar nicht, dass Sie dem Alkohol frönen?“, sagte er und lächelte anzüglich.

„Sie müssen ja nicht alles wissen“, knurrte der wuchtige Delalander, während er sich in Bewegung setzte.

John blickte sich um, dann sagte er zu Delalander: „Von Bodengleitern scheinen die hier noch nichts gehört zu haben, oder?“

„Was wollen Sie?“, gab der Chefmathematiker zurück. „Die Bewegung in dieser herrlichen Luft wird Ihren Kreislauf anregen.“ Ihm selbst schien die Kälte nichts auszumachen, er hatte die Kapuze zurückgeschlagen. Der eisige Wind, der nach Salzwasser schmeckte, zerrte an seinem Haar.

„Ein Mindestmaß an Zivilisation ist auch nicht zu verachten“, erwiderte John. Er musste schreien, da der Wind in diesem Augenblick stärker wurde und ihnen Schnee ins Gesicht wehte.

„Zivilisation in dieser Ecke der Galaxis? Sie scherzen, mein Lieber. Baraidas Island ist einer der am weitesten vorgeschobenen Vorposten des Imperiums. Grenzplaneten unterscheiden sich eben erheblich von den Welten im Innern des Reiches. Nehmen Sie zum Beispiel Hellas, Neu-Thule oder Helgi“

John protestierte. „Verallgemeinern Sie nicht etwas?“, schrie er gegen den Wind.

„Keineswegs. Zwar stehen diese Welten alle mit den inneren Planeten, den Kulturzentren, wenn Sie so wollen, in Verbindung. Teils durch Kommunikationsmittel, aber auch durch die Händlerschiffe. Trotzdem ist eine Grenzwelt hauptsächlich auf sich allein gestellt.“

Maurice Delalander schwieg für einen Augenblick, eine Windbö nahm ihm den Atem. Kurze Zeit später konnte der Chefmathematiker in seiner Rede fortfahren:

„Wie oft geschieht es, dass eine Welt am Rande der Zivilisationsballung von den Produkten einer vollkommenen Technik umgeben ist, während gleichzeitig die ethischen, geistigen und gesellschaftlichen Formen auf ein Niveau herabsinken, die man nur noch mit dem Wort 'barbarisch' bezeichnen kann. Baraidas Island jedoch muss mit anderen Maßstäben gemessen werden.

Und welche Vermessenheit von Ihnen, Zivilisation in der von Ihnen erwarteten Form auf einem extraterrestrischen Planeten zu erwarten!

Sicher, Baraidas Island hat infolge seiner Funktion als Stützpunkt der Raumwaffe einen supermodernen Raumhafen — auf der anderen Seite des Planeten, isoliert auf einer großen Insel, die fast ein Kontinent ist. Aber wer möchte jemals ernsthaft behaupten, Soldaten verbreiteten Zivilisation?“

„Apropos Raumwaffe!“, sagte John, als Delalander schwieg. „Was ist Ihrer Meinung nach in den Captain gefahren? Was tun wir hier?“ Johns Worte klangen eindringlich und auch ratlos.

Delalander zuckte die Schultern. „Ich bin ebenso klug wie Sie, John“, sagte er. „Allerdings hege ich eine Vermutung, die so abwegig ist, dass ich mich scheue, sie auszusprechen.“

Delalander verstummte. Es gelang den beiden anderen Männern nicht, ihn zum Reden zu bringen.

Mittlerweile waren sie der Stadt näher gekommen. Eine Stadt, die aus mächtigen Quadern erbaut war, durchzogen von engen, winkeligen Straßen. Durch die zahllosen Türme wirkte sie wie eine einzige Festung. Eine gewaltige Mauer, die nur von zwei Toren durchbrochen wurde, zog sich um die Gebäude.

Von der halben Höhe des Hügels aus nahm John dieses Bild in sich auf.

Dreißig Minuten später waren die drei Männer in der Ebene vor der Stadt angelangt ...

Schon als sie das mächtige Südtor durchschritten, stellten sie fest, dass die Stadt stank — wie ein riesiger Abfallhaufen.

Albert Greene rümpfte die Nase. Er glitt in einer öligen Pfütze aus, und John konnte ihn nur durch einen blitzschnellen Zugriff davor bewahren, dass er unter einen der schwankenden, hochbordigen Wagen geriet, die von starkknochigen Tieren gezogen wurden.

Die Straßen waren eng, gepflastert und voller Unrat. Spitzgiebelige Häuser reihten sich aneinander. Schwere Holztüren mit metallenen Beschlägen und schmale Fenster mit starken Gittern ließen jedes der Häuser zu Festungen werden.

Auf den weiten Plätzen standen Buden und Lederzelte, vor denen die spärlichen Erzeugnisse dieser Welt feilgeboten wurden: Töpferwaren, selbst gewebte Teppiche von erstaunlicher Farbenprächtigkeit, Skulpturen aus Walfischknochen, Geflügel, dessen Magerkeit den Lademeister zu einem missbilligenden Knurren verleitete.

John fror trotz seines dicken Pelzes, und er war heilfroh, als Delalander endlich auf ein Haus zusteuerte, über dessen Eingang das in Holz geschnitzte Wahrzeichen eines Leuchtturms hing.

Einen Augenblick lang standen die Männer auf der Schwelle der Schänke, die trotz des frühen Morgens voll war.

Einige Fischer saßen frierend in der Nähe des mächtigen Kamins, in dem gewaltige Scheite krachend verbrannten, und hielten ihre Hände den Flammen entgegen.

Die verwitterten Gesichter waren verschlossen, und die Fischer unterhielten sich mit sparsamen Gesten. Die Männer waren alt.

Ihnen schien das laute Treiben nicht zu behagen, das die Soldaten der Raumwaffe verursachten, die von der Basis in die Stadt herübergekommen waren.

Während John sich hinter Delalander und Albert Greene zwischen den Tischen durchdrängte, sah er erstaunlich viele junge Mädchen. Der Wirt schien ein gewaltiges Geschäft damit aufzuziehen, den Männern all das zu bieten, wovon diese in der monatelangen Einsamkeit träumten, während der ihre Schiffe entlang jener imaginären Grenze patrouillierten, an der Terras Einflussbereich aufhörte.

Die Mädchen von Baraidas Island waren allerliebst anzusehen, trotz des silbern schimmernden Pelzes, der eher einer Haut glich, so kurz war er bei den Mädchen. Auch die runden Schädel waren keineswegs fremdartig. Die spitzen Ohren lagen eng an und trugen eine Haarquaste aus goldenen, langen Fäden, die die Mädchen kunstvoll an den Schläfen ringelten.

Das Gesicht hingegen wies überhaupt keine fremden Merkmale auf. Große, runde Kinderaugen, eine zierliche Stupsnase und ein kleiner, ständig lächelnder Mund vervollständigten das Bild von liebenswerten Geschöpfen.

Der Wirt war ein wandelndes bepelztes Fass auf zwei Beinen. Greene begann sofort ein lebhaftes Gespräch mit ihm, dessen Wortlaut allerdings im Lärm unterging, sodass John nichts davon hören konnte.

Delalander ließ sich an der Theke nieder. Wenig später stand ein Krug vor ihm, gefüllt mit einem schäumenden Getränk.

John Dunbar sah sich allein gelassen. Ziellos schlenderte er durch den weitläufigen Raum.

Der Großteil der Soldaten schwenkte den Würfelbecher. Je nach dem Ergebnis vernahm man Flüche oder freudige Ausrufe; zitternde Finger scharrten die gewonnenen Kredite zusammen. Die Gier in manchen Gesichtern war schon fast krankhaft.

Allerdings, und das musste sich John eingestehen, in 'Tiger' Desgrays Casino war es nicht wesentlich anders zugegangen, wenn auch auf einer anderen gesellschaftlichen Ebene.

John wandte sich ab, die Zeit des Spielers Jean le Fou war endgültig vorüber.

Am spätem Vormittag hatten sie bereits wieder die Mauern der Stadt hinter sich gelassen und befanden sich auf dem Weg zur SINGA.

Die Piste tauchte auf.

Stählerne Türme ragten in den mittlerweile blauen Himmel von Baraidas Island. In der Zwischenzeit mussten noch mehr Händler gelandet sein.

Weit hinten erkannte John Dunbar die vertrauten Konturen der SINGA, und plötzlich ertappte er sich dabei, dass er fast so etwas wie Freude beim Anblick des Schiffes empfand.

*

„Halt!“

Gedankenschnell zuckte der stählerne Arm hoch, und mit ihm die Mündung des schweren Strahlers, dessen Projektoröffnung genau auf die drei Männer gerichtet war.

Sie hatten eben die Gebäude am Rande der Piste hinter sich gelassen, als der Robot vor ihnen auftauchte und sie aufhielt. Zusammengedrängt standen die Männer vor der wuchtigen Maschine.

Ein scharfer Wind strich um ihre Füße, und John sagte sich, dass absolut nichts zu machen sei. Aus den Augenwinkeln erhaschte er eine Bewegung; rasch trat er einen Schritt zurück und ergriff Maurice Delalander hart am Arm.

Die Augen des Chefmathematikers hatten sich vor Zorn verdunkelt. John redete auf ihn ein. Dann wandte er sich an den Robot.

„Was soll der Unfug? Weshalb hältst du uns auf?“ Johns Stimme war schneidend. Er trat einen Schritt auf den Robot zu — unbeirrbar folgte die Projektoröffnung des Strahlers jeder Bewegung des Ersten Offiziers.

Aus dem Sprechzentrum im unteren Drittel des nur annähernd menschlich gestalteten Robotkopfes drang die mechanische Antwort:

„Ich habe Anweisung, Sie, meine Herren, unverzüglich in die Zentrale Ihres Schiffes zu geleiten. Unterlassen Sie jede Handlung, die ich als feindlich erkennen muss.“

John hatte keinen Blick von dem Robot gelassen. Er stellte fest, dass es sich nicht um einen gewöhnlichen Roboter handelte, sondern um die Ausführung der Sonderklasse. Er sah das kaum wahrnehmbare Flimmern eines Abwehrfeldes, was seine Annahme nur bestätigte.

Diese Kampfmaschine musste mit allen nur erdenklichen Waffen ausgerüstet sein.

Den Robot hinter sich, schritten die drei Terraner auf die SINGA zu, in deren Schatten John Dunbar das schildkrötenförmige Ungetüm eines Flugpanzers erkannte. Drohend kreiste der Projektorschirm einer Strahlkanone über einer flachen Kuppel.

Überall waren nun Kampfroboter zu erblicken, auch drüben bei den Händlerschiffen; das ganze steinige Feld wimmelte davon. Und hinter der SINGA war nun auch ein Kurierboot zu erkennen, mit dem die Robots angekommen sein mussten. Mit Befremden sah John am scharfen Bug des kleinen Schiffes das Emblem der Raumwaffe.

Was ging hier vor?

Unter den Füßen der Männer und des Robots dröhnte die metallene Laderampe, als sie die SINGA über die Frachtschleuse betraten. Wenig später brachte sie das Traktorfeld des Achsenliftes hoch in den Leib des Raumers.

Bebend vor Zorn stürmte Maurice Delalander auf die Brücke, gefolgt von Albert Greene und John, der aus den Augenwinkeln sah, wie der Kampfrobot auf der Schwelle verhielt und somit den Ausgang blockierte. Ein schneller Rundblick überzeugte den Ersten Offizier außerdem davon, dass auch die anderen Zugänge zur Brücke von Robots bewacht wurden. Dann blickte er auf das Bild, das sich ihm in der Mitte der Brücke bot ...

Der Mann war etwa fünfzig Jahre alt, mittelgroß, hatte ein strenges, hochmütiges Gesicht und arrogante Augen. Die weißen, zu einer Bürste geschnittenen Haare standen in auffallendem Kontrast zu dem tief gebräunten Gesicht. Eine näselnde Stimme sagte eben:

„Ich bin Commander McCarson.“

„Ich weiß, wer Sie sind.“ Tommaso Corelli zeigte sich unangenehm überrascht. Er stand hochaufgerichtet vor dem Mann, der die gleiche straff sitzende Uniform der Raumwaffe trug wie er selbst, und heftete seinen Blick auf die Platinschwingen des runden, hochgeschlossenen Kragens seines Gegenübers.

Während sich John näherte, hörte er den Captain fragen: „Sie wünschen, Commander?“

Commander McCarson schien die Frage überhört zu haben. Gelangweilt sah er sich im Kreise um: In den hochlehnigen Sitzen des Auditoriums saßen alle Offiziere der SINGA.

„Nun, Commander?“ Tommaso Corelli trat einen Schritt auf McCarson zu. Seine Stimme klang fordernd.

Die Gestalt des Commanders straffte sich. Er richtete seinen Blick auf Corelli und runzelte die Stirn.

„Von Ihnen, Captain Corelli, habe ich auch schon einiges gehört“, sagte er. In seiner Stimme schwang leichter Spott mit.

Tommaso Corelli lächelte kalt. „Ich weiß“, stellte er fest, „wir kennen uns. Allerdings ist Ihre Bekanntschaft keine sonderliche Ehre. Was soll der Unfug mit Ihren Robotern in meinem Schilf?“

McCarson wandte sich an die Offiziere.

„Meine Herren“, begann er, „ich muss Ihnen die erfreuliche Mitteilung machen, dass Sie sich ab sofort meinem Kommando unterstellt sehen. Laut Artikel 93 des Verfassungsstatutes der Raumwaffe vom 18. August 1997 ist jeder Offizier dieser Institution berechtigt, im Falle eines plötzlich auftretenden Notstandes sämtliche in der Nähe befindlichen Schiffe und deren Besatzungen zu requirieren. Ganz gleich, ob es sich dabei um ein Touristenschiff oder um den Kurier des Präsidenten handelt.“

„Das ist mir bekannt“, unterbrach ihn Corelli ungeduldig. „Ich mag zwar schon etwas alt sein, aber die Statuten der Raumwaffe kenne ich noch auswendig. Kommen Sie endlich zur Sache.“

„Zwischen Krypta V und unserem Imperium ist Krieg ausgebrochen“, antwortete McCarson mit ärgerlichem Gesichtsausdruck. „Das Planetenreich — schon immer Quelle ständiger Unruhen in unserer ansonsten befriedeten Galaxis — hat es doch fertiggebracht, eine Flotte unter unseren Augen auf die Beine zu stellen ...“

„Jetzt verstehe ich, was Sie wollen“, meinte Corelli nachdenklich. „Ihr Erscheinen bedeutet nichts anderes als eine Zwangsverpflichtung. Habe ich recht?“

„Genau“, erwiderte McCarson mit einem dünnen Lächeln. „Ich möchte nicht mehr, als dass Ihre Männer und Ihr Schiff an dieser Aktion gegen Krypta V teilnehmen.“

„Muss das sein?“ Tommaso Corelli beherrschte sich nur mühsam.

„Darf ich Sie darauf hinweisen, dass es sogar Ihre Pflicht ist!“

Also Krieg, dachte John Dunbar, während der Captain zu schimpfen begann. Falls wir Pech haben, spielen wir in zwei Jahren noch Soldat. Ich kenne derartige Befriedungsaktionen zur Genüge! Dann hörte er wieder aufmerksam zu; eben sagte Commander McCarson:

„Was immer Sie auch vorbringen mögen! Sie befinden sich in genau drei Stunden auf der Raumwaffenbasis, Captain. Andernfalls werden Sie vor ein Disziplinargericht gestellt.“

Die Stimme McCarsons war eisig. Der Captain schwieg eine Weile. Als er dann wieder das Wort ergriff, klang seine Stimme erbittert. Er sagte:

„Sie wollen es offenbar nicht anders, Commander McCarson! Ich mache Sie in aller Form und vor Zeugen darauf aufmerksam, dass Sie einen unverzeihlichen Fehler begehen, wenn Sie auf dieser Requirierung beharren!“

„Wirklich?“ McCarson schien ungläubig.

„Bestimmt! Wir sind mit einer geheimen Order zu einem Spezialauftrag unterwegs, der uns vom planetaren Geheimdienst erteilt wurde. Wir haben absolut keine Zeit, Krieg zu spielen. Es kann Sie Ihre ohnehin nicht besonders lupenreine Karriere kosten, Commander, wenn Sie versuchen sollten, uns ernsthaft von diesem Auftrag abzuhalten. Ich bin überzeugt, dass Sie mir wieder einen Streich spielen wollen — wie schon so oft.“

„Darauf lasse ich es ankommen.“ McCarson lachte verächtlich. „Es ist mir neu“, fuhr er hämisch fort, „dass der planetare Geheimdienst neuerdings Versager mit Sonderaufträgen betraut. Corelli, Sie übertreiben wieder einmal maßlos!“

Der Captain lief rot an. Er zerrte an den Verschlüssen seines Uniformrockes, während er hervorstieß: „Von uns beiden, McCarson“, absichtlich ließ er das Prädikat weg, „haben Sie die schmutzigere Weste — ganz abgesehen davon, dass Sie nur mittels übler Machenschaften Ihren Rang erhielten, den Sie jetzt so hervorkehren. Sie sind noch immer der gleiche hinterhältige Fred McCarson, der mit mir zusammen die Schulbank drückte und nur deshalb alle Prüfungen bestand, weil sein Vater im Aufsichtsrat jener dreizehn Firmen war, die Universität und Kadettenschule finanzierten.“

Commander McCarson versuchte den Redefluss des Captains zu unterbrechen, aber Tommaso Corelli fuhr unbeirrt fort:

„Sie haben es zum Commander gebracht — Gott allein weiß, wie viele und weitaus bessere Männer als Sie deshalb ausgebootet wurden. Ich bin nur Captain in der Raumwaffe geworden. Aber im Gegensatz zu Ihnen habe ich mir meinen Rang ehrlich verdient. Es mag sein, dass ich nicht immer korrekt in der Wahl meiner Mittel bin, wenn es darum geht, eine bestehende Vorschrift zu umgehen. Denunziert aber habe ich niemand, wie Sie es so häufig getan haben. Und jetzt lesen Sie diese Order!“

Endlich hatte Tommaso Corelli gefunden, wonach er in seiner Uniform gesucht hatte. Er reichte das schmale, längliche und versiegelte Kuvert dem Commander, der es säuerlich lächelnd entgegennahm und dann das Siegel erbrach.

Er las das Dokument mehrere Male, dann gab er es zurück. Mit schlecht verhülltem Ärger sagte er: „Über Ihre Freistellung von der Requirierung kann ich allein nicht entscheiden. Das ist Sache von Kommodore Frings, dem Oberkommandierenden des Stützpunktes von Baraidas Island. Er wird sich Ihres Falles annehmen, Captain Corelli. Aber ich versichere Ihnen heute schon, dass es einen verdammt langen Weg bedeuten wird, Ihren Antrag den entsprechenden Stellen zu unterbreiten und um ein Urteil nachzusuchen ...“

„Davon bin ich sogar überzeugt.“ Corelli zog die Mundwinkel herab.

„... Bis es soweit ist, muss ich leider auf meiner Forderung bestehen. Sie und Ihre Besatzung haben innerhalb der nächsten drei Stunden bei mir auf der Basis zu sein. Sie unterstehen so lange meiner Befehlsgewalt, bis ein anderslautender Bescheid vom Raumwaffen-Zentrum auf Baraidas Island eintrifft. Guten Tag, meine Herren“, sagte Commander McCarson abschließend und salutierte.

Tommaso Corelli drehte sich ostentativ um — im gleichen Augenblick ließ ihn die schneidende Stimme McCarsons erstarren.

„Captain Tommaso Corelli! Sie scheinen vergessen zu haben, dass Sie vor Ihrem Vorgesetzten stehen. Und einem Vorgesetzten begegnet man mit der gebührenden Achtung — was Sie jedoch in einer geradezu penetranten Respektlosigkeit unterlassen haben.“ Eine halbe Minute lang herrschte Schweigen. Dann erwiderte Tommaso Corelli, sich mühsam beherrschend: „Sie spinnen ja, McCarson.“

Das überhebliche Gesicht des Commanders verzerrte sich vor Wut.

„Captain Tommaso Corelli! Noch eine einzige derartige undisziplinierte Bemerkung, und ich lasse Sie vor ein Bordgericht stellen; unter meinem Vorsitz.“

In diesem Augenblick ging Corellis Temperament mit ihm durch - er begann zu toben.

Nur mühsam konnten ihn John Dunbar und der bärenstarke Chefmathematiker davon abhalten, sich auf den Commander zu stürzen.

„Nehmen Sie sich zusammen, Captain“, grollte Maurice Delalander. „Das Recht steht im Moment auf seiner Seite!“

Mit zornigen Augen sah der Chefmathematiker auf McCarson, der mit gezogener Waffe vor ihnen stand.

„Sie sind sich doch bewusst, Captain“, meinte der Commander, „dass ich Sie sofort hinrichten könnte? Auf erwiesene Angriffe auf einen Beamten der Raumwaffe im Falle eines äußeren Notstandes steht die Todesstrafe.“ Commander McCarson schwieg genüsslich und ließ den Männern Zeit, darüber nachzudenken, in welche Lage sich ihr Captain gebracht hatte. Dann allerdings fuhr er fort:

„Aber ich will noch einmal Gnade vor Recht ergehen lassen. Selbst mir behagt die Aussicht nicht, für Monate, eventuell für Jahre aus dem Kampfanzug nicht mehr herauszukommen.“ Mit einem dünnen Lächeln auf den Lippen verließ Commander McCarson die Brücke. Schnell und wendig glitten die Robots hinter ihm durch die Luken — die Brücke war wieder leer.

Erst nach langer Zeit brach Doktor Andre Jarre das lähmende Schweigen, und was er sagte, wagte niemand anzuzweifeln.

„Jetzt sitzen wir in der Tinte!“

*

Die Sonne von Baraidas Island stand im Zenit.

Vor dreißig Minuten hatte Commander McCarson die Brücke der SINGA verlassen. Die Piste auf dem Hügel über der Stadt war leer von Robotern und Flugpanzern.

Drüben, auf der anderen Seite des Landefeldes, wurden der Lärm und die Musik immer lauter und ausgelassener. Die Eingeborenen drängten sich in den Gassen zwischen den bunten Zelten.

John Dunbar, auf dem Weg zur Brücke, betrachtete das farbenfrohe Bild auf den Sichtschirmen des Korridors mit einem winzigen Gefühl des Neides. Kurz darauf setzte er sich auf seinen Platz in der mittleren Reihe des Auditoriums.

Corelli sagte eben:

„Sie kennen jetzt meinen Standpunkt, meine Herren. Es liegt an Ihnen, sich nun zu entscheiden.“

„Worum ging es?“, erkundigte sich John Dunbar bei Arcangelo Dukas. Der FuM-Offizier saß vor John, sämtliche Offiziere der SINGA waren anwesend.

Dukas zögerte. Offenbar wusste er nicht, wie er seine Worte formulieren sollte. Schließlich sagte er:

„Der Captain schlug eben vor, den Staub von Baraidas Island von unseren Füßen zu schütteln und zu verschwinden, ehe jemand drüben auf der Basis misstrauisch wird und einen Kontrollkreuzer in den Raum schickt — was unserer Flucht ein frühes Ende bereiten würde.“

„Flucht?“, echote der Erste Offizier. „Weshalb?“

Arcangelo sah ihn groß an. „Haben Sie etwa Lust, für längere Zeit Soldat zu sein?“, fragte er vorwurfsvoll.

„Natürlich nicht“, murmelte John. „Entschuldigen Sie meine dumme Frage.“

„Leutnant Dukas!“ Tommaso Corelli hatte sich erhoben und blickte mit grimmigem Gesicht in Dukas Richtung.

„Sir?“

„Wenn Sie Ihr privates Gespräch mit Mister Dunbar beenden würden, könnte ich eventuell fortfahren.“

„Verzeihung, Sir“, antwortete Dukas zerknirscht. „Mister Dunbar wollte sich nur informieren.“

„Wo haben Sie gesteckt, Mister Dunbar?“, wandte sich Corelli an John.

„In der Funkzentrale, Sir.“

Corelli räusperte sich. „Was wollten Sie denn wissen?“

Der Erste Offizier, plötzlich Mittelpunkt allgemeinen Interesses, sagte: „Haben wir überhaupt eine Chance, Captain?“

Tommaso Corelli schwieg zuerst. Dann erkannte er an den Gesichtern seiner Offiziere, dass es genau die Frage war, die sie alle bewegte.

Die Männer waren von Spannung erfüllt. Es ging nicht so sehr darum, ob es gesetzlich war, was der Captain tun wollte. Es ging darum, dass sie eine Bestätigung hören wollten, ob es gelingen würde.

Und dann erläuterte Tommaso Corelli seinen Plan …

*

Eine halbe Stunde später.

John Dunbar lag halb in dem wuchtigen Kontursessel vor der abgeschrägten Fläche des Zentralschaltpultes auf der untersten Galerie und beobachtete die Bildschirme, die zur Überwachung der Maschine und Aggregate dienten. Genau vor ihm leuchtete auf einem Kontrollschirm das Gesicht des Chefingenieurs auf. Hinter Jeremias Purcell konnte John noch einen Teil der Maschinenzentrale erkennen.

„An Maschine“, sprach der Erste Offizier in die gerillte Tonfläche unterhalb des kleinen Schirmes. „Fahrtstufe erhöhen. Bestätigung!“

„Ausgeführt.“

„An Maschine. Volle Kraft auf Ausgleichsbewerter. Mit Schubprojektoren koordinieren. Bestätigung!“

„Ausgeführt.“

Die SINGA löste sich mit einer Höllenfahrt von Baraidas Island. Aus den Reflektoren im unteren Drittel des Raumers flammte ein weiß-blauer Strom reiner Energie.

Unter den Schaltungen der Techniker war das dumpfe Brausen der Meiler zu einem Heulen angestiegen. Die beiden Meiler leiteten die erforderlichen Energien an die Umwandler weiter, in deren Innern der Arbeitsstrom in einen Elektronenstrom verwandelt wurde. Er kam dann auf direktem Weg zu den Reflektoren, in denen die Entmaterialisierung der Elektronenpaare vonstatten ging. Das Ergebnis war ein Photonenstrom von gewaltiger Schubkraft.

Licht ist die subtilste Form der Materie und eines der größten physikalischen Phänomene überhaupt. Die Tatsache, dass Materieteilchen verschwinden konnten, indem sie eine Strahlung entstehen ließen — sich aber andererseits dieselbe Strahlung erneut zu Materie verdichtete und neue Teilchen zu erzeugen vermochte, war von erheblicher Tragweite.

Diese Tatsache hatten die Wissenschaftler des solaren Imperiums zu nutzen gewusst; ein Photonenmotor war der ideale Antrieb der Sternenschiffe. Obwohl die theoretischen Voraussetzungen für diesen Motor schon lange gegeben waren, gelang es einem Physiker namens James Dundee erst um 1987, ein funktionsfähiges Modell zu bauen.

Wenig später verschwand dieser geniale Wissenschaftler urplötzlich von der Bildfläche — aber seine Aufzeichnungen blieben erhalten, zum Nutzen der Menschheit ...

Längst schon war Baraidas Island zu einem winzigen Fleck auf den Schirmen zusammengeschrumpft. Die SINGA wurde mit Werten beschleunigt, die kaum glaublich schienen.

Schweiß floss über die Gesichter der Männer. Noch immer waren es neunzehn Minuten bis zur Transition. Die Augen waren starr auf die Schirme, auf Anzeigegeräte und Instrumente gerichtet. Wann, so fragte sich jeder, würde sich das erste Schiff auf den Bildschirmen zeigen und ihre Flucht ein Ende setzen?

John Dunbar zog das chromblitzende Mikrophon aus der Armlehne seines Kontrollsitzes.

„An FuM. Keine Radarimpulse?“

Drei Sitze weiter saß Arcangelo Dukas und beobachtete aufmerksam den kreisförmigen, konkav gewölbten Schirm des Radars, der alle anfliegenden Objekte in einem Radius von neunhunderttausend Kilometern ortete.

„Keine Impulse“, drang die Stimme des FuM-Offiziers aus dem Lautsprecher.

„Verlieren Sie nicht die Nerven, Dunbar!“ Scharf klang Captain Corellis Stimme durch die Stille auf der Brücke. Er saß rechts neben dem Ersten Offizier, an der Seite von Chefmathematiker Maurice Delalander, vor den Leuchtflächen des elektronischen Rechengerätes — dem Gehirn der SINGA.

„Noch fünfzehn Minuten bis zur Transition“, hörte man erneut Corellis Stimme. „Wenn wir Glück haben, verschwinden wir im Hyperraum, ohne dass ein Abfangkreuzer der Raumwaffeneinheit auf Baraidas Island uns in den Feuerbereich seiner Kanonen bekommt!“

Wenn wir Glück haben, dachte John Dunbar bitter. Was aber ist, wenn sich schon ein Kreuzer im Raum befindet und uns erwartet? John behielt seine Befürchtungen für sich – die Männer waren nervlich sowieso überbelastet.

„An Rechenmaschine. Entfernung des Transitionspunktes?“

„Noch 5,246 Minuten bis zum Übergang“, klang die dunkle Stimme Delalanders auf, der aufmerksam die zuckenden Zahlenkolonnen des Computers beobachtete.

Immer noch fünf Minuten, durchzuckte es John. Dann erinnerte er sich der bewegten halben Stunde, die diesem Start vorangegangen war.

Die SINGA war dank ihrer Maschinen in der Lage, binnen zwanzig Minuten in die Transition zu gehen; die Chance, die sich Captain Corelli ausgerechnet hatte, war demnach nicht einmal so gering!

Wenn man das Schiff vom Start an mit den größtmöglichen Werten beschleunigte, geriet es innerhalb einer Minute in den Bereich der starken Ortungsgeräte der Raumwaffenbasis auf der anderen Seite des Planeten. Bis der Befehl zum Alarmstart und zur Verfolgung gegeben war, würden noch einmal zwei oder drei Minuten vergehen.

Das wäre insgesamt ein Vorsprung von mindestens fünf Minuten, der aber zu einem Nichts zusammenschrumpfen würde, falls sich tatsächlich schon ein Überwachungskreuzer im Raum befand.

John Dunbar, zur Untätigkeit verbannt, saß starr in seinem Kontrollsitz. Dann fuhr er ihn in den Gleitschienen etwas zurück. Seine Blicke hoben sich zur astronomischen Auswertabteilung, die sich am linken Ende der zweiten Plattform befand.

Arcangelos Techniker arbeiteten schnell und routiniert.

Johns Blicke glitten weiter zum rechten Ende der zweiten Galerie, zur elektronischen Steuerzentrale der Waffenkuppeln. Die Männer in den roten Overalls saßen unbeweglich in ihren Sitzen. Die Leuchtflächen der Geschützkontrollen waren tot.

Tommaso Corelli ging kein Risiko ein, denn leicht konnte es geschehen, dass einer der Techniker die Nerven verlor und in Panik geriet, während die SINGA unter Beschuss lag, und auf diese Weise ein Chaos auslöste.

Deshalb hatte der Captain den Endschalter der Feuerleit-Automaten, der sich vor seinem Sitz befand, in Ausstellung gedrückt.

Die Stimme eines Beobachters klang aus den Lautsprechern, er saß vor den Ortungsgeräten der zweiten Galerie. „Objekt in rund 546.000 km Entfernung steuerbord voraus! Nähert sich rapide ...“

„Umschalten auf meinen Schirm“, drang Arcangelos Stimme durch den aufbrandenden Lärm, der sich jedoch gleich wieder legte, als ein hohes Pfeifen aus den Lautsprechern drang, dem drei Glockenschläge folgten.

„Alarm! Alarm! Alle Mann auf Gefechtsstation!“, klirrte die Stimme des Automaten aus allen Kommunikatoren.

Jetzt, dachte John Dunbar, ist die Katastrophe da! Was er befürchtet hatte, war eingetreten. Ein Kreuzer stand weit vor ihnen im Raum und hatte nichts anderes zu tun, als auf die SINGA zu warten.

„FuM an Beobachter. Sektor des Objektes?“

„Ortungsempfang aus Sektor 345/8. Wir befinden uns in einem breiten Peilfeld, das sich langsam auf Null verengt!“

„FuM an Rechenmaschine. Entfernung des Übergangs?“

„Noch 3,006 Minuten.“

„FuM an Beobachter. Entfernung des Objektes?“

„Dreihundertfünfundvierzigtausend.“ Auf den Schirmen der Ortungsstelle und auf der Bildfläche vor Dukas war inzwischen das geortete Objekt zu einer stählernen Kugel von Ballgröße angewachsen.

John Dunbar, der eine der vielen Kontrollflächen auf seinem Sitz entsprechend geschaltet hatte, betrachtete schweigend den Schlachtkreuzer der Raumwaffe.

„Kontaktsuche! Kontaktsuche!“

Die Stimme eines Funktechnikers drang aus einer Tonfläche. Gleich darauf erfüllte eine dröhnende Stimme die Brücke:

„Achtung! Hier spricht Kreuzer Kommodore Sagos. Sofort beidrehen und Fahrt herabsetzen. Ich wiederhole! Sofort beidrehen und Fahrt herabsetzen. Fertigmachen zum Empfang eines Prisenkommandos. Im Falle einer Nichtbeachtung gebe ich Ihnen genau zwei Minuten Zeit, Ihr Testament zu machen. Ende!“

Noch während Sagos’ Stimme durch alle Lautsprecher kam, wurde John aktiv. Seine Finger glitten über Impulsgeber und Tasten.

Donnernd liefen in den entfernten Maschinenräumen die letzten Meiler an. Ihre Energien wurden dazu benötigt, die beiden Loser-Umwandler in Aktion zu setzen, die beim Erreichen von neunundneunzig Prozent der Lichtgeschwindigkeit um das Schiff ein überdimensionales Wirbelfeld aufbauten.

Die SINGA wurde dadurch befähigt, mit einem letzten Stoßimpuls in den Hyperraum zu springen und so ohne einen messbaren Zeitverlust Lichtjahre zu überwinden.

„An Maschine. Loser-Umwandler anfahren. Bestätigung!“

Auf der kleinen Kontrollfläche war das ruhige Gesicht des Chefingenieurs zu sehen. „Ausgeführt“, kam seine Bestätigung. „Umwandler laufen.“

„An Rechenmaschine. Entfernung des Transitionspunktes?“

„Noch eine Minute bis zum Übergang.“

„An alle. In genau ...“ John Dunbar behielt das Zifferblatt der elektronischen Borduhr im Auge, „... achtundachtzig Sekunden Stoßimpuls. Ende!“

John schloss den Kontakt, der den Steuerautomaten in Aktion setzte. Von nun an lag es nicht mehr im menschlichen Ermessen, falls wirklich etwas schiefgehen sollte.

Sobald der errechnete Zeitpunkt gekommen war, würden die Loser-Umwandler unter den lichtschnellen Impulsen des Robotpiloten die SINGA in den Hyperraum zwingen.

Zu diesem Zeitpunkt brach das Verhängnis über die SINGA herein. Die Frist von zwei Minuten war verstrichen. Der Schlachtkreuzer eröffnete das Feuer.

Lange Energiefinger zuckten durch den Raum und schlugen in die Absorberschirme des Schiffes. Die SINGA rollte schwer unter dem konzentrierten Beschuss. Das Ächzen der Wandungen ließ die Männer erbleichen.

Der Robotpilot gestattete dem Schiff keine Ausweichbewegung mehr, da dies die Sprungdaten völlig verändert hätte. Somit hatten die elektronischen Kanoniere des Schlachtkreuzers leichte Arbeit. Die exakten Feuerleitgeräte hielten die zuckenden Energiefinger der Strahlkanonen genau im Ziel. Es kam nur darauf an, ob die Absorberschirme der SINGA schon vor dem Sprung zusammenbrechen, oder ob es ihr gelingen würde, rechtzeitig im Hyperraum zu verschwinden.

„Die äußeren Absorberschirme brechen zusammen!“, gellte eine Stimme aus einem Lautsprecher.

Deutlich war auf den Bildflächen der Außenbordaufnahme zu erkennen, wie der Leib der SINGA von grellen Lichtfluten umgeben wurde. Unter dem Aufprall der Energien begann das Schiff in allen Verbänden zu beben, wild wurden die Männer in ihren Sitzen geschüttelt.

Noch immer zwanzig Sekunden bis zum Übergang.

Auf den Geräten vor seinen Augen konnte John Dunbar erkennen, wie die Zeiger der Kapazitätsmessung der Absorberschirme zu schwanken begannen. Von den vier Absorberschirmen hatte nur noch ein einziger genügend Energie, um voll einsatzfähig zu sein.

Die SINGA war nahezu schutzlos dem kugelförmigen Giganten ausgeliefert. Der Erste Offizier und die Männer auf der Brücke wussten, dass der nächste Treffer das Schiff schwer beschädigen, wenn nicht gar in eine Wolke atomarer Gase verwandeln würde — und es gab keine Möglichkeit, dies zu verhindern.

Die Zeiger der Kapazitätsmessung fielen gänzlich auf Null, es schien das Ende der SINGA zu sein.

Im gleichen Sekundenbruchteil drang der tiefe Heulton durch das Schiff, der den Stoßimpuls ankündigte.

Das Heulen der Umformer stieg zu einem Kreischen an. Die Titanenenergien der Loser-Umwandler bauten gedankenschnell gewaltige Kraftfelder um das Schiff auf; Kraftfelder, deren Strukturen so kurz waren, dass sie den Raum selbst krümmten und in seine einzelnen Dimensionen zerhackten.

Auf den Bildschirmen verschwamm das Bild des Weltraums. Sterne wurden zu diffusen Kreisen und Flecken.

Eine substanzlose Finsternis hüllte die Männer ein, und ein Sog schleuderte sie in die Ewigkeit.

Alles blieb zurück: der Lärm der Maschinen, die Stimmen, das Ächzen und Schütteln des Schiffes ...

Dort, wo sich eben noch die SINGA befunden hatte, war nichts mehr als der leere Raum.

Krimi Koffer September 2021 - 7 Krimis auf 1000 Seiten

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