Читать книгу Krimi Koffer September 2021 - 7 Krimis auf 1000 Seiten - Alfred Bekker - Страница 43

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Die Abfertigungshalle war ein Palast aus schimmerndem Chrom, Leichtmetall und farbigem Glas.

Den leuchtenden Richtungspfeilen nach ging John Dunbar über den Mosaikboden der Halle zum Kartenschalter. Das Mädchen hinter der transparenten Barriere warf einen Blick auf John. Für den Bruchteil eines Augenblicks stieg eine Spur von Interesse in ihre rauchgrauen Augen. Dann erstarrte ihr Gesichtsausdruck zu geschäftlicher Gleichgültigkeit; es gab zu viele gutaussehende Männer.

„Bitte, Sir?“

„Eine Karte nach Drei-Türme-Stadt“, ließ sich John vernehmen. Während er auf seinen Flugschein wartete, fiel sein Blick auf ein Werbeplakat über der Barriere, das Wochenendreisen zur Venus preisgünstig anbot.

John schüttelte sich unmerklich. Er war nur zweimal auf der Venus gewesen, wobei er niemals herausgefunden hatte, weshalb das Treibhausklima dieses Planeten eine derart starke Anziehungskraft ausübte — auf andere —, denn er hatte sich nie so recht wohlgefühlt.

Die Stimme des Mädchens riss John aus seinen Betrachtungen. Es schob ihm durch den Schlitz in der Barriere den Flugschein zu und sagte:

„Die NIKE startet auf Point zehn. Genau vier Uhr T.N.Zeit.“

John murmelte ein „Danke“, ergriff die Reisetasche und warf während des Gehens einen Blick auf seine Uhr. Es blieb ihm noch eine knappe Stunde, ehe die NIKE in den Himmel stürmen würde.

Müßig schlenderte John Dunbar durch die Halle.

Dann beschloss er, etwas zu essen. Doch erst erkundigte er sich, welchen Ausgang er zu nehmen hatte, um nach Point zehn zu kommen. Eine freundlich lächelnde Hostess erklärte ihm, wie er zu seinem Schiff kommen würde und riet ihm außerdem noch, seine Tasche bereits jetzt nach draußen schaffen zu lassen.

Nach fünf Minuten war alles erledigt. Mit schnellen Schritten eilte John zurück zur Halle und schwebte dann in einem Antigravlift nach oben; das Restaurant befand sich auf dem Dach.

Schließlich gelang es John noch, einen freien Tisch zu bekommen, der direkt neben der Fensterwand stand. John konnte weit auf das Feld hinausblicken, was ihm einen zufriedenen Seufzer entlockte.

Nach kurzem Überlegen wählte er gebackenen Schinken, Eier, Toast und Orangensaft. Wenig später teilte sich die Tischmitte, und aus dem Tischschaft schob sich das Gewünschte heraus.

„Guten Appetit!“, schnurrte der Automat, wobei sich die Fläche wieder zusammenschob.

John aß langsam. Er fühlte sich müde, und obwohl er sich zwang, so wenig wie möglich zu denken, kreisten seine Gedanken doch um die Ereignisse der Vormittagsstunden dieses Tages, der noch nicht zu Ende war.

„Hören Sie zu“, hatte Lee y Cross zu ihm gesagt, nachdem er sich bereit erklärt hatte, den Auftrag anzunehmen. „Sie begeben sieh noch heute zur Raumbasis Drei-Türme-Stadt auf dem Mars. Dort steht im Hangar IV die SINGA — ein Schiff, das es in sich hat. Sie sind als Erster Offizier an Bord und kennen daher Ihre Aufgabe. Alles Weitere erfahren Sie, wenn Sie sich im Schiff befinden. Und nun — offener Raum, Mister Dunbar ...“

„Und klare Sterne!“, beendete John das Grußritual aller Raumfahrer.

John Dunbar schob die leeren Teller zur Tischmitte. Während er sich eine Zigarette anzündete, registrierte er, wie das Geschirr verschwand.

Hinter seinem Rücken klang eine harte Stimme auf. Instinktiv krampfte sich Johns Körper in innerer Abwehr zusammen — dann entspannte er sich erleichtert. Die Stimme sagte:

„Mister John Dunbar in Kabine drei! Ein Gespräch für Mister Dunbar! Mister Dunbar in Kabine ...“

John erhob sich. Er glaubte zu wissen, wer ihn anrief und lächelte leicht. Er vergaß nicht, den Preis des Essens in den dafür vorgesehenen Schlitz an der Tischkante zu werfen. Erst jetzt konnte er sicher sein, dass ihn der Robot am Ausgang auch hinauslassen würde.

Aber es war dann doch nicht Lee y Cross, der ihn zu sprechen wünschte. Es war jemand, an den John zu allerletzt gedacht hätte, obwohl es eigentlich nahelag, dass er anrufen würde: Sir Matteo Samuel Dunbar. Johns Onkel, der Bruder seines Vaters.

Das Gesicht Matteo Samuel Dunbars wirkte so verschlossen wie zu jenen Zeiten, als John Dunbar noch Kontakt mit ihm hatte. Ernst blickten die graublauen Augen von der Bildfläche der Videokabine.

Mein Gott, dachte John, wie alt er schon ist! Laut aber sagte er:

„Hallo, Onkel Samuel. Du hast dich nicht verändert.“

„Spar dir deine Schmeicheleien“, kam die brummige Stimme aus dem Lautsprecher, „ich weiß selbst sehr genau, wie ich aussehe. Aber ich freue mich, mein Junge, dass es mir gelungen ist, dich in den Schoß der Dunbars zurückzuführen.“

„Dafür danke ich dir auch“, erwiderte John und konnte es trotzdem nicht verhindern, dass Bitterkeit in seiner Stimme mitschwang.

Matteo S. Dunbar sah ihn lange Zeit schweigend an. Dann sagte er zögernd:

„Ich weiß, dass du verbittert bist, Junge. Aber glaube mir, es ging einfach nicht früher mit deiner Rehabilitierung. Die Beweisführung deiner Ankläger war zu lückenlos. Sie konnte nicht innerhalb von Wochen oder Monaten einfach umgestoßen werden.“

„Nein“, warf John ein, „dazu brauchtet ihr fast sechs Jahre.“

„Ich bin noch nicht fertig“, kam die laute Stimme des alten Mannes aus dem Gerät, „also unterbrich mich nicht immer! Wir konnten also nicht innerhalb eines kurzen Zeitraumes etwas erreichen — zumal du mit deinem Lebenswandel nur dazu beitrugst, der Gegenseite Öl auf ihr Feuer zu gießen. Schließlich gelang es uns aber doch, den Präsidenten dafür zu interessieren — das Ergebnis siehst du.“

„Dann ist diese Expedition so eine Art Bewährungsprobe für mich?“

Matteo Samuel Dunbar nickte. „Das ist sie, mein Junge. Und ich würde dir raten, sie anzunehmen. Mehr kann ich nicht tun.“

Von draußen vernahm John die Lautsprecher, die ankündigten, dass sich die Passagiere der NIKE zu Point zehn begeben sollten, um nicht das Schiff zu versäumen.

Es war der erste Aufruf; zwei weitere würden folgen.

„Ich muss gehen“, sagte John, „wenn ich nicht mein Schiff verpassen will.“

Die beiden Männer sahen sich fest an, und plötzlich überzog ein Lächeln Johns Gesicht. „Ich danke dir, Alter“, sagte er zu seinem Onkel. „Ich danke dir wirklich!“

„Leb wohl, mein Junge“, antwortete Matteo Samuel Dunbar, „und denke immer daran, dass du ein Dunbar bist.“

Für eine Sekunde war noch das Gesicht des alten Mannes zu sehen, dann war der Schirm tot.

John verließ die Kabine.

Jegliche Hast vermeidend, schritt er zum Gleitband, das ihn hinaus zur Startbahn bringen würde. Inmitten einer Gruppe schweigender Nomaden bewegte er sich auf den Tunnel zu, von dem aus man zu den einzelnen Startpunkten gelangte.

John Dunbar beneidete die Nomaden in einer plötzlichen Anwandlung von Selbstbemitleidung; nicht wegen ihrer roten Lederkleidung oder der farbenprächtigen Umhänge! Nein, sie verkörperten jene Freiheit, die für ihn als die erstrebenswerteste galt.

Diese Vagabunden der Galaxis eilten mit ihren schnellen Schiffen von Welt zu Welt. Man sagte ihnen nach, dass sie die herrlichsten Plätze im All kannten. Sie knüpften ihre Fäden durch die endlose Weite der Galaxis, blieben Monate, Jahre und Jahrzehnte draußen im Raum und waren im Verlauf des letzten Jahrhunderts zu Nomaden geworden. Ihre Rastlosigkeit trieb sie immer weiter in den Raum hinaus.

Es gab Gerüchte, denen zufolge die Nomaden schon längst diese Zivilisationsballung verlassen hatten, die das solare Imperium darstellte, und viel weiter draußen Handel trieben, als man es sich vorzustellen vermochte.

Am Eingang des riesigen Tunnels standen vier Männer in den roten Uniformen der Solarpolizei. Die hartgesichtigen Beamten trugen keine Kampfpanzer. An ihren Hüften hingen schwere Waffen.

Der Mann, auf den sie warteten, war nicht zu beneiden.

Verschiedene Male musste der Spieler auf andere Bänder überwechseln, bis ihn das letzte Band schräg aufwärts ins Freie trug. Unmittelbar vor ihm ragte die NIKE in den wolkenlosen Nachmittagshimmel.

Sie glich einem überdimensionalen Becher, den man mit der Öffnung auf den verbrannten Spezialbetonboden des Feldes gestellt hatte. Sie war gleichermaßen schön und hässlich. An ihrer geflickten Haut haftete der Staub vieler Planeten.

Der Passagierraumer musste erst vor wenigen Minuten gelandet sein; Bodenpersonal in den charakteristischen dunkelgrünen Overalls schoben eben die Landetreppe heran. Die NIKE hatte demnach keine eigene ausfahrbare Rampe.

Vier Passagiere stiegen aus; mit John warteten ungefähr zehn Personen, die zustiegen.

John Dunbar ging als Letzter die Treppe empor. Auf dem kleinen Absatz vor der Schleuse streckte eine lächelnde Stewardess ihre Hand nach Johns Flugschein aus. Es war ein kräftiges Mädchen mit schwarzem Haar.

„Entschuldigen Sie“, sagte John Dunbar. „Ich möchte nur wissen, ob Sie nicht für mich ein ruhiges Plätzchen haben, an dem ich mich ungestört schlafen legen kann?“

„Aber sicher, Sir. Ich gebe Ihnen Platz Nummer 308.“ Sie lächelte ihn strahlend an, Johns große, breitschultrige Gestalt hatte offenbar ihre Wirkung nicht verfehlt.

„Haben Sie vielen Dank“, sagte John Dunbar. „Wie ist Ihr Name?“

„Debbie Segal.“

„Nun, Debbie, ich glaube, wir werden gut miteinander auskommen.“ John lächelte leicht und trat an ihr vorbei, dicht genug, um den Hauch von Parfüm wahrzunehmen, der sie dezent umgab.

Der Passagierraum war äußerst komfortabel eingerichtet. John war angenehm überrascht.

Er ging durch den breiten, mit dicken Kunststoffteppichen ausgelegten Mittelgang nach vorne, umrundete die transparente Säule des Antigravliftes, der im genauen Mittelpunkt des kreisrunden Passagierdecks aus den oberen Räumen herunterführte und sich bis in den Maschinenraum fortsetzte. Schließlich fand er seinen Platz.

John Dunbar streckte sich in der wuchtigen Konturliege aus, die sich sofort seinem Körper anzupassen begann.

Kurze Zeit später hörte er eine Stimme aus einem Kommunikator zählen; irgendwo begann eine Sirene zu heulen — das war immer dasselbe, auf jedem Raumhafen.

„Vier – drei – zwei – eins – null!“

Blau-weiße Strahlenbündel prallten auf den Boden und hoben das durch ein Antigravfeld schwerelos gewordene Schiff mühelos empor. Auf der Spitze eines Feuerstromes glitt es schnell in den Himmel.

John Dunbar, ehemals als Spieler Jean le Fou bekannt, ließ einen dunklen Abschnitt in seinem Leben hinter sich. Er entspannte seinen Körper. Mehr als drei Stunden hatte er zur Verfügung, dann würde das Schiff auf dem roten Planeten niedergehen.

*

Inmitten eines mächtigen Feuerstromes senkte sich die NIKE genau zweihundertzehn Minuten später auf das Landefeld von Drei-Türme-Stadt auf dem Mars.

Es war Nacht.

Ein eisiger Wind kam aus der Wüste jenseits der großen Mauer. John Dunbar fror nach der wohligen Geborgenheit des Schiffes. Er stand mit den anderen in der Schleuse und wartete darauf, dass das Landepersonal endlich die Treppe heranrollen würde.

Neben der schweren Luke, die seitlich an die Wand zurückgeklappt war, stand Debbie Segal und lächelte ihn an.

„Waren Sie mit dem Service zufrieden, Sir?“, fragte sie.

„Es hätte nicht zufriedenstellender sein können“, versicherte John.

„Und dabei haben Sie ihn nur auf dieser relativ kurzen Strecke genossen“, sagte sie. „Schade! Sie sollten einmal mit nach Ians Planet kommen, dann würden Sie den ganzen Service genießen können.“ In ihre Augen trat ein träumerischer Ausdruck.

„Wirklich schade“, bedauerte John, „aber nicht zu ändern.“

Er winkte ihr lächelnd zu. Dann ging er über die Landerampe nach unten und betrat den Mars. Die Kälte sprang ihn an und nahm ihm den Atem. John schlug den Kragen seiner Jacke hoch und schimpfte auf die neumodische Bekleidungsindustrie, die es doch tatsächlich fertiggebracht hatte, den Männern Hosen ohne Taschen zu verkaufen.

Geschickt sprang Dunbar von den langsamer laufenden Außenbändern der rollenden Straße nach innen, zum Expressband, das ihn in rascher Fahrt voranbrachte.

Weit blieben die anderen zwei Passagiere hinter ihm zurück, die als Einzige noch das Schiff verlassen hatten.

Die Kälte setzte John mehr und mehr zu. Der Wunsch nach Wärme und einer Tasse Kaffee wurde übermächtig in ihm, während er sich schnell auf den Turm der Flugsicherungszentrale zubewegte.

Schließlich trat John durch die schwere Pendeltür aus dunklem Glas, durchquerte einen Warmluftvorhang und lenkte seine Schritte auf die Schalterwand.

Der Beamte hinter der niedrigen Barriere, über der AUSKUNFT stand, musterte John. Dann hoben sich seine buschigen Augenbrauen, als er dessen Frage vernahm. Offenbar ließ er sich nur ungern daran erinnern, dass es ein Schiff namens SINGA auf seinem Raumhafen gab.

„So, dorthin wollen Sie“, sagte er missmutig. Und plötzlich wurde seine Stimme barsch, als er fortfuhr: „Hangar IV liegt am nordwestlichen Ende des Feldes. Sie lassen sich am besten einen Wagen geben — die Basis ist immerhin etliche Meilen groß.“

John Dunbar tippte lässig an den Schirm der blauen Mütze und wandte sich zum Gehen. In diesem Augenblick klang eine dröhnende Stimme auf.

„He, du vertrackter Bürostuhlakrobat, du würdest es doch tatsächlich fertigbringen, diesem ehrenwerten Mann vor deinem nichtsnutzigen Schalter einen teuren Wagen zu vermieten, wo du doch ganz genau weißt, dass ich jetzt zur SINGA fahre!“

Erstaunt ob dieser Schimpfkanonade drehte sich John um. Er sah einen vierschrötigen Mann vor sich stehen. Die Muskeln der mächtigen Brust und die der Arme sprengten fast die Lederkombination. Der Mann wog ohne Zweifel zweihundertfünfzig Pfund bei einer Größe von nur einem Meter und fünfundsiebzig.

Der Mann richtete jetzt das Wort an John, der ihn noch immer anblickte und offensichtlich nicht wusste, was er von ihm zu halten hatte.

„Gestatten Sie! Mein Name ist Maurice Delalander. Ich bin der Chefmathematiker jenes Schiffes, zu dem Sie wollen.“

„Angenehm.“ John neigte den Kopf. „John Dunbar — ich bin der Erste Offizier Ihres Schiffes.“

„Sie sind das also!“ Delalander blickte prüfend auf John und schien ihn zu beurteilen. Die Beurteilung musste positiv ausgefallen sein, denn der Chefmathematiker lächelte plötzlich, streckte John eine mächtige Hand entgegen und sagte:

„Offener Raum ...“

„Und klare Sterne“, schloss John und verzog keine Miene, als Delalander kräftig seine Hand drückte. Im Gegenteil, er wartete eine Weile, um dann seinerseits den Griff seiner Hand zu verstärken.

Auf Delalanders Gesicht erschien ein überraschter Ausdruck. Er ließ Johns Rechte los und sagte:

„Sie gefallen mir, Mann.“

„Ich bin noch nicht sicher, ob ich dieses Kompliment zurückgeben kann“, erwiderte John.

„Nun mach schon, Rob ...“

„Das wird sich zeigen“, sagte Maurice Delalander leichthin. „Kommen Sie, ich bringe Sie mit dem Wagen nach draußen.“ Er griff nach einem dicken Pelz, der über einem Stahlrohrsessel lag, und bedeutete John, ihm zu folgen.

„Und was ist mit meinem Gepäck?“, erkundigte sich John.

Delalander drehte sich um. „Das wird die Raumhafenverwaltung besorgen“, sagte er. „Wenn wir morgen früh starten, sind Ihre Habseligkeiten an Bord der SINGA, keine Sorge.“

„Dann nichts wie los.“

Wenig später saßen beide Männer in einem Wagen, der sie schnell davontrug. Die hohen Bauten der Wartungshallen und Hangars tauchten im Lichtkegel der Scheinwerfer auf.

Wenige Lampen verbreiteten ein diffuses Licht, als Delalander vor Hangar IV den Wagen zum Halten brachte. Die beiden Männer stiegen aus. Delalander schob mit aller Kraft das stählerne Tor langsam zur Seite.

Augenblicke lang war John Dunbar von der Lichtfülle im Innern geblendet, dann weiteten sich seine Augen vor Überraschung.

Er hatte alles erwartet, nur das nicht. Vor seinen Augen erhob sich auf ausgefahrenen Landebeinen ein von Höckern übersäter Kugelraumer. Er bot den Anblick eines fremdartigen Ungeheuers, das sprungbereit unter dem gleißenden Licht der Deckenstrahler lauerte.

„Ist sie nicht herrlich, die SINGA?“ Delalanders Stimme schlug an Johns Ohr.

„So herrlich wie ein dreibeiniges Pferd.“ John gab sich keine Mühe, seine Ablehnung zu unterdrücken.

Der Chefmathematiker sah ihn von der Seile an. Dann sagte er: „Ein gesunder Esel ist besser als ein kranker Gaul ...“

„Das ist nicht einmal ein Esel“, erwiderte John und machte eine Kopfbewegung in Richtung auf das Schiff. „Das ist ein Zustand.“

„Nehmen Sie es nicht so tragisch. Die SINGA hat ihre Qualitäten.“ Maurice Delalander ging weiter.

John Dunbar ließ seine Blicke über das Schiff gleiten. Um den Raumer herrschte rege Geschäftigkeit. Das Ladepersonal in den dunkelgrünen Overalls zurrte eben einen tonnenschweren Generator auf der Plattform fest; Kommandos hallten durch den Hangar, und John sah, wie sich die Antigravplattform hob und im Führungsgerüst nach oben schwebte. Gleich darauf verschwand sie in der weit geöffneten Frachtluke des Schiffes.

Elektrokarren huschten in scheinbar genau festgelegten Bahnen durch die Halle; Gabelstapler brachten Ausrüstungsgegenstände und Kunststoffkisten mit Proviant.

Es war das übliche Treiben bei einem sich kurz vor dem Start befindlichen Schiff, und die SINGA würde in wenigen Stunden auf die Reise gehen.

Schon jetzt spürte John Dunbar, wie ihn Erregung überkam; er befand sich fast am Ziel seiner Wünsche.

„Hallo, Mister Delalander!“

Ein Mann in dem charakteristischen weißen Overall des Schiffspersonals stand am Rand der Frachtluke und sah aus der Höhe auf John und dessen Begleiter hinab. Die Rangabzeichen an den Ärmeln des Overalls waren aus dieser Entfernung nicht zu erkennen.

„Was gibt es, Greene?“, rief der Mathematiker zurück. Seine Stimme übertönte den Lärm im Hangar.

„Der Captain hat schon nach Ihnen gefragt, Sir. Sie möchten bitte sofort zu ihm kommen.“

„Wohl wieder dicke Luft?“ Delalanders Stimme war laut genug, um einige in der Nähe stehende Männer aufmerksam werden zu lassen.

„Kann man wohl sagen“, kam es von oben herab.

Greene hob die Hände. „Nicht die geringste Ahnung“, rief er.

„In Ordnung, Greene! Machen Sie weiter.“

Zu John sagte Maurice Delalander: „Das ist unser Lademeister, Albert Greene, außerdem hat er die Mannschaftsmesse unter sich. Wenn Sie einmal etwas außerhalb der festgelegten Mahlzeiten zu sich nehmen möchten — wenden Sie sich ruhig an ihn.“

John beeilte sich, Delalander auf den Fersen zu bleiben. Sie schritten unter dem Gerüst der Ladeplattform hindurch und hinüber zum Personenlift, der sie ins Innere des Raumers bringen würde.

Seine Freude über den bevorstehenden Start der SINGA wurde etwas getrübt durch die äußerst aufschlussreiche Unterhaltung zwischen Delalander und Greene. Offenbar war der Captain ein Choleriker! Und Männern dieser Kategorie war John schon öfters begegnet. Es waren Begegnungen, die keineswegs immer freundlich verlaufen waren.

Gleich darauf schwang sich John Dunbar geschickt aus dem Sog des Traktorfeldes und betrat hinter Delalander die Schleuse.

*

Nach zehn Minuten kamen John Dunbar und Maurice Delalander auf einen ringförmigen Korridor. Vor einer Tür an der Innenseite des gekrümmten Ganges machte der Chefmathematiker halt.

„Chefmathematiker Delalander mit Begleitung, Sir“, sprach der wuchtige Mann gegen das in halber Türhöhe angebrachte Mikrophon.

Lautlos schwang die Tür auf, und John trat hinter Delalander über die Schwelle in eine komfortable Kabine.

Mit einem Blick erfasste John die Ausstattung: Teure Möbel, ein weinroter Teppich. Bücher an den Wänden, und zwischen den Buchrücken schließlich Andre Massons Bild Kosmischer Vogel.

Der Besitzer dieser Kabine schien Geschmack zu haben, kam es John in den Sinn, während er mit einem zweiten Blick die Offiziere erfasste, die zwanglos in bequemen Sesseln saßen.

Als er die hagere Gestalt gewahrte, schloss John für einen Augenblick die Augen. Nein, durchzuckte es ihn, das darf doch nicht wahr sein! Laut jedoch sagte er:

„Offener Raum ...“

Schweigen.

„Bitte?“ John sah fragend auf den hageren Mann inmitten der Offiziere, während sich die Gewissheit verstärkte, ihn zu kennen.

„Ich habe nichts gesagt“, bequemte sich der Mann in der Uniform eines Captains der Raumwaffe schließlich zu sagen.

„Nein?“ Johns Gesicht war eitel Freude. „Und ich dachte, Sie hätten 'Guten Tag' gesagt!“

Vereinzelt wurde Lachen hörbar. Aber als der Captain wilde Blicke um sich warf, senkten die Offiziere schuldbewusst die Augen.

„Wer sind Sie?“, bellte der Captain und stemmte die Arme in die Seiten.

„John Dunbar, Sir.“ Der hochgewachsene, breitschultrige Mann verneigte sich leicht. „Und ich bin der wohl unnützeste Mann an Bord Ihres Schilfes ...“

„Woher wussten Sie, dass ich das gerade sagen wollte?“ Der Captain kniff die Augen zusammen.

„Sir“, erlaubte sich John zu sagen, wobei er sich eines Lächelns nicht erwehren konnte, „ich kenne die allgemeingültige Auffassung, derzufolge die Ersten Offiziere an Bord jeden Schiffes ein notwendiges Übel darstellen.“

„So — Sie sind also unser neuer Erster.“

„Mit Verlaub, Sir.“ John Dunbar verneigte sich gemessen.

„Ihr Beglaubigungsschreiben!“

John Dunbar zog ein längliches Kuvert aus seiner Rocktasche und reichte es dem Captain.

„Sie kommen reichlich spät“, sagte der Captain, als er die Papiere durchgelesen hatte, und reichte das Kuvert zurück.

„Sollte ich das Abendessen schon versäumt haben?“, erkundigte sich John erstaunt. „Das täte mir leid.“

Diesmal konnte der Captain nicht verhindern, dass die Offiziere in Lachen ausbrachen. Er schoss giftige Blicke in die Runde und schimpfte mit leiser, eindringlicher Stimme.

„Ah“, sagte John. „Der gute, alte Tommaso Corelli, wie üblich beim Fluchen!“

Captain Corelli verstummte plötzlich. Sichtlich erstaunt fragte er: „Wir kennen uns?“

„Wie haben Sie es nur damals geschafft“, rief John mit geheuchelter Bewunderung und ohne auf Corellis Frage einzugehen, „mit derartiger Schnelligkeit das Spielcasino von 'Tiger' Desgray zu verlassen?“

Über Tommaso Corellis Gesicht huschte mit einem Mal ein Leuchten. Seine Ohren röteten sich, als er, sich dabei halb an die Anwesenden wendend, ausrief:

„Seht ihr, ein Augenzeuge! Und ihr habt mich insgeheim eine alte Märchentante genannt, als ich euch die Geschichte erzählte. Bei allen Raumteufeln!“ Corelli schwelgte förmlich in der Erinnerung, „diesen Spieler mit dem komischen Namen — wie hieß er doch gleich?“ Der Captain schnalzte ungeduldig mit den Fingern.

„Jean le Fou“, half ihm John aus.

„Richtig, Jean le Fou! Was habe ich ihn übers Ohr gehauen!“ Er drehte sich zu John um.

„Bei Gott“, bekräftigte dieser mit unbewegtem Gesicht, „das haben Sie! Runde eineinhalbtausend Kredite schuldeten Sie ihm bereits, als Sie es vorzogen, plötzlich zu verschwinden. Sagen Sie“, John blickte interessiert auf den Captain, „wie konnten Sie aus dem Casino gelangen? Die Ausgänge waren doch scharf bewacht. Außerdem rühmten sich 'Tiger' Desgrays Wächter, jeden Trick im Umkreis von Lichtjahren zu kennen.“

„Haha“, Corelli schlug sich klatschend auf die mageren Schenkel. „Ich war nicht allein ins Casino gekommen.“

„Wie soll ich das verstehen? Soweit ich mich erinnern kann, waren Sie allein.“

„Im Spielsaal ja, aber draußen, über dem Gebäude wartete eine Pinasse auf mein Zeichen. Als mir die Schulden über den Kopf zu wachsen drohten und ich damit rechnen musste, nicht mehr heil aus der Sache herauszukommen, habe ich mich kurz entschuldigt, bin an ein Fenster gegangen und habe mich mit einem Traktorstrahl herausholen lassen!“

„Haha“, lachte John freudlos.

„Mann, Sie gefallen mir!“, keuchte Tommaso Corelli.

„Das hat man mir heute schon einmal gesagt. Mir scheint, dies ist ein sehr gastfreundliches Schiff mit lauter lieben Menschen.“

Corelli beachtete Johns Worte nicht. Er fuhr fort:

„Endlich ein Augenzeuge, der dieser Bande von Ignoranten beibringt, dass meine Geschichte wahr ist. Leider befindet sich keiner mehr von meiner alten Besatzung an Bord der SINGA, deshalb können Sie sich vorstellen, dass Sie mir wie gerufen kommen. Wie war doch Ihr Name?“

Davon bin ich nicht überzeugt, dass ich wie gerufen komme, dachte John Dunbar grimmig und blickte unbewegten Gesichtes auf den Captain, der ihm leutselig beide Hände schüttelte. Dann antwortete er mit harter Stimme:

„John Dunbar, Sir — oder auch Jean le Fou, der Spieler.“

„Ja, ja, was war ich doch für ein toller Bursche“, bekannte Tommaso Corelli voll verspätetem Enthusiasmus. „Was mag dieser Jean le Fou wohl für ein ... Sagten Sie eben: Jean le Fou?“

Der Captain wurde bleich. Die Erkenntnis traf ihn wie ein Schock. „Wie ... was?“, würgte er. „Aber ich dachte ... ich wusste nicht ... das ist ja ...“ Zutiefst verwirrt hielt er inne.

Mehr als sechzig Sekunden herrschte vollkommene Ruhe — dann brüllten die Offiziere los. Die Kabine hallte von ihrem Lachen wider, bis schließlich Corelli zu schimpfen und zu toben anfing.

Interessiert hörte John Dunbar zu.

Die meisten der Ausdrücke kannte er noch nicht, obwohl er schon weit herumgekommen war. Schließlich, als sich die hässlichen Worte mehr und mehr auf seine Person zu konzentrieren begannen, wandte sich John zum Gehen.

Aus hervorquellenden Augen starrte Tommaso Corelli dem Ersten Offizier nach, der im besten Galakto-Englisch und gemessenen Tones halb über die Schulter gewandt sagte:

„Nehmen Sie mein tiefstes Bedauern zur Kenntnis, Sir. Aber aufgrund meiner umfassenden psychologischen Ausbildung sehe ich mich gezwungen, mir Bedenkzeit auszubitten, wenn nicht gar das Schiff zu verlassen. Ein hochgradig cholerischer Captain bringt seiner Mannschaft kein Glück. Im Übrigen schulden Sie mir selbstverständlich noch immer eineinhalbtausend Kredite!“

Captain Corelli rief im höchsten Diskant: „Leutnant Dukas!“

Ein junger Mann mit offenen, klaren Zügen sprang auf. Er wusste, wenn der Captain erst einmal den Rang vor den Namen setzte, dann war er geladen und in diesem Zustand gefährlich. Also verbiss er sich das Grinsen, nahm Haltung an und sagte mit starrem Gesicht: „Sir?“

„Nehmen Sie sich zwei der stärksten Leute aus der Besatzung, und bringen Sie mir diesen verrückten Kerl unverzüglich zurück, sollte er versuchen, tatsächlich das Schiff zu verlassen. Und das alles nur, weil ich ihm einige lumpige Kredite schulde ...“

Erschöpft schwieg Tommaso Corelli und ließ sich in einen Sessel fallen.

Arcangelo Dukas lief aus der Kabine. Als er draußen und außer Sicht- und Hörweite des Captains war, begann er schallend zu lachen. Noch nie hatte es jemand gewagt, Captain Tommaso Corelli derart zu brüskieren.

Der Erste Offizier schien ein harter Bursche zu sein.

*

Eine Stunde später, es war kurz vor Mitternacht T.N.Zeit, hatte sich John in seiner Kabine schon häuslich eingerichtet, soweit man das in einer völlig kahlen, vier Meter langen und zwei Meter breiten Zelle konnte. Die gesamte Einrichtung war in den Wänden verborgen. Neben der Tür befand sich ein Paneel mit einer Reihe verschiedenfarbiger Knöpfe; es war sozusagen die Schaltzentrale.

Je nachdem, auf welchen Knopf man drückte, erschien abwechselnd die Andruckliege, die sich im Falle einer Gefahr als Rettungsrakete entpuppte; Sessel, ein Tisch und verschiedene elektronische Apparate wie Radio, Video und eine Reihe von Bildschirmen, die, voll eingeschaltet, einen hervorragenden Rundumblick gewährleisteten.

Hinter der Wand befand sich auch die winzige Badenische, in der nun John stand.

Das heiße Wasser schickte wohlige Schauer über seinen Körper. Dann kam heiße Luft und trocknete ihn ab. Eine Düse versprühte eine wohlriechende Essenz, und als John Dunbar wenig später umgezogen war, verspürte er nur noch einen kräftigen Hunger.

Albert Greene fiel ihm ein.

Das war es; der Lademeister konnte ihm zu einer Mahlzeit verhelfen — wenn John den Worten des Chefmathematikers Glauben schenken durfte. Jetzt galt es nur noch, die Mannschaftsmesse zu finden. John war sicher, dass dies die geringsten Schwierigkeiten bereiten würde.

Auf den Korridoren des Schiffes war es trotz der fortgeschrittenen Stunde noch nicht ruhig geworden.

John begegnete auf seinem Weg mehrmals Männern der Schiffsbesatzung, die in größter Eile an ihm vorübergingen. Schließlich gelang es ihm doch, einen kleinen, untersetzten Mann anzuhalten, der in seinen Händen vorsichtig ein Tablett balancierte, auf dem Tassen mit dampfendem Kaffee standen.

John bekam die gewünschte Auskunft. Wenig später stieg er dreißig Meter tiefer aus einem Lift und trat in einen Korridor, der nur schwach erleuchtet war. Die Lampen in den vergitterten Kästen an der Decke spendeten ein trübes, rötliches Licht.

Der Lärm arbeitender Maschinen war lauter geworden; der Boden unter den Füßen des Ersten Offiziers zitterte stärker. Aus der Nähe klang laute Musik, untermalt von einem misstönenden Pfeifen.

Während John der Geräuschquelle zuschritt, dachte er: Der Mensch ist ja völlig unmusikalisch. Wenig später trat er auf einen neuen, diesmal ringförmigen Korridor, kam gleich darauf an ein offenes Schott, vor dem er haltmachte.

John blickte in den langgestreckten Raum, der sich hinter dem Schott öffnete und ohne Zweifel die Mannschaftsmesse darstellte. Dann gewahrte er einen Mann, der lässig in einem wuchtigen Sessel lag und rauchte.

Als der Pfeifer die Gestalt vor dem Schott bemerkte, öffnete er erstaunt den Mund.

John begann zu grinsen, als er den leicht verdatterten Ausdruck auf dem Gesicht des Mannes wahrnahm. Dann sagte er ruhig: „Offener Raum ...“

„Und klare Sterne“, murmelte der Pfeifer, als er sich von seiner Überraschung erholt hatte. Es schien selten genug vorzukommen, dass sich einer der Herren aus dem oberen Schiff hierher verirrte, und wenn es doch einmal geschah, war dies meist mit einigen Unannehmlichkeiten verbunden. Zu diesem Schluss kam John Dunbar unwillkürlich. Die Disziplin auf der SINGA schien nicht allzu forsch zu sein.

Der Pfeifer drehte sich um, stieß seinen Partner an und sagte: „He, Greene! Da will jemand etwas von uns.“

„Keine Zeit“, brummte Greene mürrisch, „du siehst doch, dass ich zu tun habe.“

Es war offensichtlich; seine Beschäftigung bestand darin, den Darbietungen auf der Bildfläche eines großen Kommunikators zu folgen.

Greene — und es war der Lademeister, denn John hatte seine Stimme wiedererkannt — schien nicht gewillt zu sein, sich stören zu lassen; er hüllte sich in dichte Rauchschwaden. Sein Partner vollführte eine bedauernde Handbewegung in Johns Richtung und widmete sich sodann erneut seinem Pfeifkonzert.

Unschlüssig stand John Dunbar vor dem Schott. Was sollte er tun? Die beiden hatten offenbar keine Wache, also durfte er sie auch nicht zu irgendetwas zwingen, das ihnen nicht passte. Dann tat John das, was seiner Meinung nach das einzig Richtige war.

Die beiden verzogen keine Miene, als John Dunbar in einen Sessel fiel und ebenso interessiert den Vorgängen auf der Bildfläche zu folgen begann. Später brachte jemand zwei Becher mit heißem Kaffee. Als der Mann John entdeckte, murmelte er unwillig vor sich hin, verschwand, kam nach einer Weile wieder und brachte John ebenfalls einen Becher.

„Ich kenne Sie doch!“

John benötigte einige Sekunden, ehe ihm bewusst wurde, dass er gemeint war. Der pfeiferauchende Lademeister schien für einen Augenblick die Unterhaltungssendung vergessen zu haben. „Hm“, brummte John undeutlich.

„Sind Sie nicht erst vor wenigen Stunden mit Delalander an Bord gekommen?“

John nickte abermals.

„Dann lassen Sie mich einmal raten ...“ Greene stützte nachdenklich das Kinn in die rechte Hand. Er dachte laut vor sich hin: „Der einzige Mann, auf den der Captain noch gewartet hatte, war ein gewisser John Dunbar. Demnach müssten Sie das sein. Stimmt das?“

Wieder nickte John.

„Der Captain scheint etwas gegen Sie zu haben, Mister Dunbar“, sagte Greene plötzlich klar und verständlich.

„Soll diese Bemerkung als Warnung gedacht sein?“ Fragend richtete John sein Augenmerk auf Greene, der schnell den Kopf schüttelte.

„Auf keinen Fall. Es ist nur meine persönliche Ansicht. Ich habe von jemand erfahren, dass der Alte eine schreckliche Wut auf einen gewissen John Dunbar hat — das ist alles.“ „So, so“, murmelte John. „Weshalb das so ist, wissen Sie nicht?“ Greene schüttelte den Kopf. Er schwieg eine Weile. Dann fragte er plötzlich:

„Sind Sie auch einer der 'Eierköpfe' wie Mister Delalander oder Doktor Jarre?“

„Ich verstehe nicht!“ John zeigte sich erstaunt.

„Ich meine: Sind Sie auch einer der Wissenschaftler, die seltsamerweise diese Reise mitmachen?“

„Nein“, erwiderte John.

„Ja dann ...“ Ein ratloser Ausdruck trat in Greenes Gesicht. „Weshalb mag dann der Alte eine Wut auf Sie haben?“

„Das ist schnell erklärt“, antwortete John und lächelte. „Mister Tommaso Corelli schuldet mir noch etwas Geld, das er sich bei einer schon länger zurückliegenden Gelegenheit bei mir ausgeborgt hat; außerdem bin ich der neue Erste, was naturgemäß immer etwas Schwierigkeiten bedeutet, bis sich der Captain daran gewöhnt hat, dass ihm jemand auf die Finger sieht.“ „Aha ... Was!“ Greene riss es last aus dem Sessel. „Sie sind der Erste Offizier?“

„Wenn Sie nichts dagegen haben — ja.“

„Verzeihung, Sir“, der Lademeister stand in vorschriftsmäßiger Habachtstellung vor John, der amüsiert lächelnd aufsah.

„Was soll ich verzeihen?“, sagte er sanft.

„Unser undiszipliniertes Verhalten Ihnen gegenüber, Sir!“, stieß Greene hervor, während er seinem Partner verzweifelte Signale gab, er möge sich ebenfalls erheben.

„Lassen Sie diesen Unsinn“, sagte John ärgerlich. „Weder Sie noch ich befinden uns im Dienst. Was soll also Ihre Entschuldigung?“

„Danke, Sir!“ Greene setzte sich, sichtlich erleichtert, wie es schien.

Für eine Weile herrschte wieder Ruhe. Dann erkundigte sich Greene: „Schon etwas gegessen?“

John schüttelte den Kopf.

Das musikalische Genie rief nach einem entsprechenden Wink des Lademeisters durch das offene Schott. Das Endergebnis seiner Bemühungen war eine Platte voller Sandwiches.

Als John gegessen hatte und gesättigt die Platte von sich schob, erkundigte sich Greene: „Noch einen Wunsch, Sir?“

„Erzählen Sie mir doch etwas über die Verhältnisse hier an Bord des Schiffes“, sagte John. „Ich möchte mir gern ein Bild machen.“

„Was gibt es da viel zu erzählen, Sir“, antwortete der Lademeister und zuckte nichtssagend mit den Schultern. „Die SINGA ist ein Schiff wie jedes andere in der Raumwaffe; ihre Mannschaft ist nicht besser oder schlechter als andere Mannschaften auch.“

„Na!“ Zweifelnd wiegte John den Kopf. „Was ich vor Stunden gesehen habe, sah nicht nach strenger Disziplin aus.“

„Das täuscht, Sir. Vergessen Sie nicht, dass wir zwei volle Jahre draußen auf Patrouille waren und erst seit einigen Tagen wieder auf der Basis von Drei-Türme-Stadt liegen. Sie können sich vorstellen, dass unsere Laune nicht die beste war, als wir erfuhren, dass wir schon wieder und ganz überraschend für eine längere Reise eingeteilt worden waren. Naturgemäß muss es einem Außenstehenden als Disziplinlosigkeit erscheinen, wenn ein Schiff dieser Größe überhastet verproviantiert und mit neuen Maschinen und Ersatzteilen ausgestattet wird.“

„Na, Ihr Wort in den Gehörgang des Captains“, sagte John, und damit war die Sache erledigt.

John sah noch eine Weile zu, dann stand er auf und verabschiedete sich mit wenigen Worten.

Er machte einen Rundgang durch das Schiff. Als er wenige Minuten später in der unteren Polschleuse aus dem Antigravlift trat, erkannte er zum ersten Mal, dass die SINGA trotz ihres seltsamen Aussehens ein militärisches Schiff war.

Die schweren Flugpanzer, eindeutig Produkte der Raumwaffe, standen ringsum fest verankert in ihren Boxen. Ein Schiff der zivilen Raumfahrt war niemals mit diesen Ungetümen ausgestattet.

Schwerbewaffnete Posten patrouillierten draußen um das Schiff. Die Ladearbeiten waren beendet, das Personal verschwunden. Der Hangar lag ruhig und verlassen bis auf das Schiff in seiner Mitte.

Der Morgen konnte nicht mehr allzu fern sein.

John nickte den wenigen Männern des Schiffspersonals zu, die damit beschäftigt waren, letzte Hand an die Aufräumungsarbeiten in der Polschleuse zu legen. Dann ließ er sich wieder nach oben tragen. Er kehrte in seine Kabine zurück, warf sich auf die Liege und starrte an die Decke.

Ohne es ernstlich verhindern zu wollen, gingen seine Gedanken zurück zu den Ereignissen der vergangenen Wochen, und wieder fragte er sich, ob er richtig gehandelt hatte oder ob Sharon recht behalten würde mit ihren Worten, die sie ihm einmal gesagt hatte.

„Ich glaube, du wirst niemals irgendwo glücklich sein. Auch nicht draußen im Raum, nach dem du dich im Moment noch verzehrst ...“

Das waren ihre Worte, und John erkannte, dass etwas von jener Wahrheit darin enthalten war, die er erst nach langen Jahren des Irrens erkennen würde.

John Dunbar führte diesen Gedanken nicht mehr zu Ende, denn kurze Zeit später fiel er in einen unruhigen Schlummer.

*

Unsanft von der Glocke des Weckautomaten aus dem Schlaf gerissen, betrat John Dunbar am nächsten Morgen die Brücke. Mit schmerzendem Schädel erwiderte er den Gruß der Männer, denen er auf seinem Weg begegnete, und ging den breiten, leicht geneigten Mittelgang entlang.

Die Brücke der SINGA war ein kreisrunder Saal, der zur Mitte hin in breiten Stufen abfiel. Auf ihnen befanden sich, gleich hinter dem Eingang, links und rechts Sitzreihen in Form eines kleinen Auditoriums.

Die dem Eingang gegenüberliegende Seite war in drei schräg übereinander liegende Galerien gegliedert, die den runden Wänden des Raumes folgten und zu denen man über eine breite Treppe gelangen konnte. Sie waren die eigentliche Brücke. Auf ihnen befanden sich jeweils zehn hochlehnige Kontursitze vor den Instrumentenwänden, die wie abgeschrägte Pulte aus der Rückwand hervorsprangen.

„Hierher, Mister Dunbar!“

John erkannte Chefmathematiker Delalander, der ihm zuwinkte, ging zwischen den Sitzreihen zu ihm hinüber und setzte sich mit einem gemurmelten Gruß neben ihn.

Dunbar blickte sich um.

Alle sechzehn Offiziere der SINGA waren anwesend. Unter ihnen befand sich Tommaso Corelli, dem man die schlechte Laune vom Gesicht ablesen konnte.

In Johns unmittelbarer Nähe saßen Frank Webster, Chefnavigator; Arcangelo Dukas, Funk- und Nachrichtenoffizier; Jeremias Purcell, Triebwerkspezialist, der an Bord der SINGA die Autorität eines Chefingenieurs besaß. Dann war da noch Andre Jarre, der Bordarzt und Toxikologe, ein stiller, in sich gekehrter Gelehrter.

Dann kamen noch die einzelnen Feuerleitoffiziere, die Offiziere des Landekommandos und des Wachkommandos. John war ihnen allen gestern Nacht noch vorgestellt worden ...

Corellis Stimme riss den Ersten Offizier aus seinen Gedanken.

„Haben Sie gut geschlafen, Mister Dunbar?“

Im ersten Augenblick schien es John, als hätte der Captain seine Worte ernst gemeint. Aber als er einen Blick auf dessen Gesicht warf und den lauernden Ausdruck darauf erkannte, war er überzeugt, dass etwas anderes hinter dieser Frage stecken musste. Und so kehrte er den Spieß um und sagte:

„Ich schon, Sir! Aber Sie scheinen schlecht geschlafen zu haben, wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf.“ John sprach laut genug, um überall gehört zu werden.

Corelli schien überrascht. Dann fragte er mit süßlicher Stimme: „Weshalb interessiert Sie mit einem Mal mein Gesundheitszustand, Mister Dunbar? Versprechen Sie sich etwas davon?“

„Selbstverständlich, Sir“, erwiderte John vergnügt. „Ich verspreche mir zumindest jene eineinhalbtausend Kredite davon, die Sie mir noch immer vorenthalten.“

Der Captain rang mit einem Hustenanfall. Dann erhob er sich schnell und ging vor zur Brücke. Er ließ sich unter dem Gelächter der Offiziere in einem der hochlehnigen Kontursitze nieder, drehte ihn herum und sagte:

„Wenn die Herren für einen Augenblick ernst sein möchten? Ich hätte etwas zu sagen.“

Das Lachen erstarb augenblicklich. Ein zufriedener Ausdruck erschien auf Corellis Gesicht. Dann fuhr er fort: „Meine Herren“, sagte er laut und deutlich in das chromblitzende Mikrophon, das er aus der verbreiterten und mit Tasten bestückten Armlehne gezogen hatte.

Die auf den Galerien arbeitenden Techniker beendeten ihre Tätigkeit und hörten ebenfalls zu.

„Dies ist ein militärisches Schiff mit einer militärischen Besatzung und einem Auftrag, wie er nur wahren Soldaten zukommt: einem Geheimauftrag. Er ist bis jetzt nur mir bekannt gewesen — Sie werden ihn kennen, wenn Sie die Kuverts öffnen, die Sie am Portal zur Brücke erhalten haben.“ John Dunbar verzichtete darauf, das schmale Kuvert zu öffnen; er kannte im Gegensatz zu den anderen das Ziel der SINGA. Bewegungslos wartete er ab, bis die Offiziere mit dem Lesen fertig waren.

Nach wenigen Minuten war es so weit.

„Wie gehen wir vor, Sir?“, meldete sich Frank Webster zu Wort.

„Wir werden“, antwortete Tommaso Corelli, „im Gegensatz zu den anderen Schiffen, die Welten im Sternbild des Schützen anfliegen, ohne uns durch irgendwelche Mächte daran hindern zu lassen ...“

John lächelte leicht, während er den etwas pathetischen Worten des Captains folgte, der im Wesentlichen nichts anderes sagte als Lee y Cross.

*

Als der Morgen des 27. November 2191 mit einem Eissturm über Drei-Türme-Stadt heraufzog, war die SINGA startbereit.

John Dunbar saß im Hauptkontrollsitz der unteren Galerie. Er konzentrierte sich auf die vor ihm liegenden Instrumente. Dann glitten seine Finger mit der Präzision einer Maschine über Hebel und Tasten, während Spannung ihn ergriff.

Wie lange hatte er dies alles entbehren müssen? Das Klicken und Surren von Anzeigegeräten und Relais, die halblauten Befehle und Anordnungen, die leicht hysterische Atmosphäre, die vor jedem unmittelbar bevorstehenden Start herrschte.

Die Schleusentore wurden geschlossen; gleichzeitig mit diesem Vorgang wurde automatisch das gewaltige Ventilationssystem in Bewegung gesetzt, das die Atemluft des Raumschiffes umwälzte.

Die Starterkontrollen wurden aktiviert.

Der Sichtschirm vor den Augen Dunbars, ein mächtiges Rechteck, leuchtete auf und zeigte den Raumhafen von Drei-Türme-Stadt in einem gestochen scharfen Bild. Die kleineren Kontrollschirme, die sich an der halbkreisförmig geschwungenen Wand hinzogen, brachten Ausschnitte aus den einzelnen Maschinensektoren der SINGA.

John Dunbar legte den Hebel der Vorstufe um.

Auf den entsprechenden Kontrollschirmen konnte er sehen, wie plötzlich blau-weiße und schenkelstarke Energieströme zwischen den Polen der Pseudokabel entstanden. Die drahtlosen Stromleiter erzeugten ein trommelndes Geräusch. Die Maschinenhallen waren in unwirkliches, zitterndes Licht getaucht, in dem man nur die huschenden Schatten der Wartungstechniker erkannte.

In den Maschinenräumen drei und vier erwachten die schweren Reaktoren zum Leben, deren Aufgabe es war, die Gravitationsentzerrer mit den erforderlichen Energien zu versorgen, damit diese die Gravisphäre des roten Planeten neutralisieren und schließlich ganz aufheben konnten.

Gleichzeitig damit schufen sie das stationäre Schwerefeld des Schiffes.

John überwachte gespannt die Kontrollen.

Auf einer Kontrollfläche neben seinem Sitz leuchteten einige grelle Lämpchen auf. Zeiger rasten über Zifferblätter, und ein Relais tickte laut und unüberhörbar. Die SINGA erklärte ihre Startbereitschaft.

Erneut flogen Johns Finger über Hebel und Tasten. Ein koordiniertes System von Impulsgebern glitt zurück — dann schlug die linke Hand des Ersten Offiziers die Startertaste.

Auf dem Rechteck der Frontbildfläche sank der rote Planet zurück. Unglaublich schnell schrumpfte er zu einem Ball zusammen, der zusehends kleiner wurde.

Die SINGA glitt durch das Sonnensystem. Innerhalb von dreißig Minuten hatte das Schiff fünfundvierzig Prozent der Lichtgeschwindigkeit erreicht. In einer halben Stunde würde es in die erste Transition gehen. Ziel: Cavends Planet.

Neben und über John Dunbar arbeiteten die Männer ruhig und gelassen. Ab und zu war eine halblaut geführte Unterhaltung zu hören — sonst herrschte Stille.

Eine eigene Welt, erfüllt vom pulsierenden Leben einer Besatzung von dreihundertvierzig Mann, so verließ die SINGA das heimatliche System und wandte sich dem offenen Raum zu; sie entfernte sich in Richtung des Mittelpunktes der Galaxis.

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